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Jan Causa: Christian Morgenstern oder: Die Zeitung ist nicht die Erfindung des Himmels

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Jan Causa
Christian Morgenstern oder:
Die Zeitung ist nicht die Erfindung des Himmels
(Ein Kurzdialog)


(Gegen Mittag. Dornacher Lärchenweg. Tempelartige Stille. Dann Theaterhüsteln. Christian Morgenstern tritt auf.)

Hallo, Herr Morgenstern, schön, Sie zu sehen! Wie geht es Ihnen? Ihre Gedichte locken uns noch immer in eine Welt, in der alles wahrer und friedlicher ist. Sie durchdringen uns wie das Klopfen des Spechts die Kiefer. Nur: Das Nasobem steht noch nicht im Brehm.

Lesen sie denn keine Zeitung? Bitte keine Hand! Ich bin seit einigen Kilometern von Jahren nicht ganz da.

Ich lese täglich die Zeitung. Offen gestanden: Mit geringem Vergnügen. Haben Sie schon gegessen? Ich bin auf dem Weg ins Restaurant.

Ich esse nicht. Ich lebe von vegetarischen Gedanken und vom Spiel mit der Sprache. Meine Seele füllt sich mit der Majestät des Lichts.

Die Zeitungen schreiben, Sie seien in der komischen, fantastisch-hintergründigen Lyrik Branchenprimus gewesen.

Ich hörte davon. Die Zeitung ist ja ein bejahendes Prinzip, sie lässt viel durchgehen. Es wird ja besonders heute oft Wertloses in den Himmel gehoben. Ich brauchte damals nicht die Tantengüte der Feuilletons. Soweit ich mich erinnere, ist mein Humor immer eine Rüstung gegen die Zeitungen und die Zeitungsmacher gewesen, von denen viele Plapperer, Schwafler, Quackelfritzen mit Hundegehorsam sind. Bösartige Worttiere. So bringen sie ihren Geist nicht zur Helligkeit.

Herr Morgenstern, die großen Übel, von denen Sie in einem Ihrer Zeitungsgedichte schreiben, beherrschen noch immer die Zeitungsspalten, und ein Ende ist nicht in Sicht. Der Mensch nimmt sich heraus, die Welt zu überarbeiten und zu verbessern, geht ihr aber an die Kehle und richtet unermessliche Schäden an. Sollte aus uns am Ende wieder ein Tier werden? Ein Nasobem vielleicht? Sicher ist: Die Zeitungen tischen die Probleme nur auf, um Aufmerksamkeit zu erregen. Ist denn die Lyrik in der Lage, die Welt zu verändern?

Wir leben in einer hässlichen Welt, die die großen Übel nur zur Kenntnis nimmt. Doch der Ambraduft der Hoffnung mildert so manches Übel. Vom Nasobem würde ich dringend abraten. Ein Nasobem ist nicht bequem. Ich sehe es auch mit Schrecken: Die Zahl der Weltzerstörer wächst wie auf Hefe. Der Mensch wird es wohl nie begreifen. Mit der Erde spielt man nicht. Manchmal glaube ich allerdings, dass sein Handeln irgendwie folgerichtig zu sein scheint, dass der Mensch nämlich immer schlechter werden muss, dass er immer mehr Teile seines Menschseins abtötet, um die Erde zu retten. Er ist - wie Sie schon sagten - auf dem Wege zum Tier, das Gerechtigkeit kennt. Es ist leider so: Die Zeitung ist nicht die Erfindung des Himmels. Sie ist ein Betäubungsapparat und keine Brücke zur Wahrheit. Sie schürt die menschliche Angst, statt sie zu zähmen. Sie ist aus keinem Stern herausgeblüht. Unfähig erscheint mir die Lyrik nicht, sie braucht dazu aber einen sehr langen Atem, und viel Zeit hat sie nicht mehr.

Und gute Autoren.

Kluge, begeisterte Leser.

Herr Morgenstern, kommen sie doch bald mal wieder vorbei, wenn es Ihre Zeit erlaubt.

Ich komme gern vorbei, wie könnte ich auf mich verzichten. Halt, wer sind Sie überhaupt?

Von Schreitling. Übergangsspezies.


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