Jacqueline Goldberg: Ich bin nicht, was ich sage
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Foto: Andrea Daniela
Jacqueline Goldberg
Aus
dem venezolanischen Spanisch von Geraldine Gutiérrez-Wienken und Martina Weber
NO SOY LO QUE DIGO
No soy lo que digo sin un origen a cuestas.
Sigue irresoluto el olor a negro de mi desarraigo.
Quisiera afi rmar que heredé la clavícula de los iluminados,
que mi estirpe estuvo alguna vez untada de sal.
Me honraría elogiar el deterioro,
arreciar en la humareda de lugares sin nombre.
Pero todo cuanto lamento es mordaza.
No provengo de fulgores antediluvianos,
en los retratos familiares no hay mujeres frondosas.
Las barbas de los bisabuelos no ocultan magníficas excepciones.
En mi sanguínea coartada sólo hay herrumbre,
locos ensimismados, espaldas encorvadas.
No pueden las herencias infundirme más que escozor.
Mis ancestros se plantaron con muecas de insomnio,
a sabiendas de que los seguiríamos con ojos alambrados.
Aprendieron que no hay errancia sino consuelo.
Vivieron del luto, feroces y míseros
entre las tonalidades del estorbo.
ICH BIN
NICHT, WAS ICH SAGE
Ich bin
nicht, was ich sage, bin ohne Herkunft unterwegs.
Das
Schwarze im Geruch meiner Entwurzelung bleibt ungeklärt.
Gern würde
ich versichern, das Schlüsselbein der Erleuchteten
geerbt zu
haben. Ich würde gern beteuern,
dass meine
Sippe einst mit Salz bestrichen wurde.
Es wäre mir
eine Ehre, den Niedergang im Rauch
anonymer
Ortschaften zu feiern.
Aber alles,
was ich zu bereuen habe, ist Knebel.
Ich stamme
nicht aus einem Funkeln in der Frühgeschichte.
In meinem
Familienalbum finden sich keine anerkannten Frauen.
Die Bärte
meiner Urgroßväter
verstecken
keine grandiosen Existenzen.
Im Alibi
meines Blutes: nur Rost,
apathische
Idioten mit gekrümmten Rücken.
Diese
Erbschaft löst nichts in mir aus, nur Juckreiz.
Meine
Vorfahren trugen Gesichter mit Tränensäcken, Zeichen
von Schlaflosigkeit.
Sie waren sich sicher,
wir würden
einfach hinterhergehen, mit abgestumpften Augen.
Sie hatten
gelernt, es gibt keinen Ausweg, nur Trost.
Sie
schleppten sich immer nur weiter, verzweifelt, verarmt
zwischen
allen Variationen von Hindernissen.
Jacqueline Goldberg (geb. 1966 in Maracaibo, Venezuela), Lyrikerin, Roman- und Kinderbuchautorin sowie Journalistin, lebt in Caracas. Sie erhielt u.a. den Preis der venezolanischen Buchhändler 2014 für ihren Roman Las horas claras (Equinoccio 2007). Sie ist Autorin zahlreicher Lyrikbände: Verbos predadores. Poesía reunida 1986–2006 (Equinoccio, 2007), Limones en almíbar (Oscar Todtmann, 2014), Nosotros, los salvados (Kalathos, 2015) und El cuarto de los temblores (Oscar Todtmann, 2018).
In Jacqueline Goldberg – Ich bin
nicht, was ich sage | No soy lo que digo. Aus dem venezolanischen Spanisch von
Geraldine Gutiérrez-Wienken und Martina Weber. Illustration: Consuelo Méndez. hochroth Heidelberg 2020. ISBN: 978-3-903182-54-7