Ivan Blatný: Hilfsschule Bixley
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Jan Kuhlbrodt
Zu Ivan Blatný
Automatisches Schreiben.
Im Frühjahr ist bei der Edition Korrespondenzen ein Band mit
Gedichten Ivan Blatnýs erschienen. Blatný ist ein Dichter, den man grob in die
Tradition der Tschechischen Gruppe 42 stellen kann, die sich am Anfang der 40
Jahre gründete und aus Surrealismus, Kubismus und Existenzialismus speiste und
1948 von den Kommunisten verboten wurde.
Blatný selbst ging ins englische Exil, wo er bis zu seinem
Tod 1990 in verschiedenen Pflegeanstalten für psychisch Kranke lebte.
Freiwillig, könnte man sagen, denn er ließ sich immer wieder selbst einweisen.
An dieser Stelle könnte man natürlich spekulieren, ob seine
Handlung einem rationalen Kalkül folgte, oder tatsächlich Produkt einer
seelischen Erkrankung war. Das ist jedoch müßig und vielleicht für den
verbreiteten Voyeurismus in der Literaturrezeption von Interesse.
Was uns vorliegt sind Texte, die von Freunden Blatnýs
gerettet und von Anette Simon und Jan Faktor aus der Ausgangssprache in
deutsche Varianten gebracht wurden. Ich sage hier bewusst nicht übersetzt, denn
Blatný selbst benutzte neben Tschechisch auch andere Sprachen, wie Englisch und
Französisch, durchaus nebeneinander in einem einzelnen Gedicht. Und er schrieb
schrieb schrieb. Auf alles, was zu beschriften war.
Let me alone Pixiestay with all the other gnomes in Wieland's OberonKaskaden schwappen über ins Romantische
So heißt es in einer Strophe eines längeren Gedichtes.
Obwohl das Wort Strophe hier vielleicht nur eine Hilfskonstruktion meinerseits
ist, um einen Ausschnitt eines entgrenzten Gebildes zu bezeichnen, das sich aus
Wetterinformationen, politischen Meldungen, Erinnerungen und manch anderem
Disparaten speist.
Ich las und las, was Blatný schrieb und was Simon und Faktor
übersetzten.
Da passiert mir dann Folgendes: Ich weiß nicht, warum mich
das derart anzieht. Was mir nicht selten passiert bei tschechischer Dichtung,
die ich natürlich nur in Übersetzung lese, obwohl ich nicht weit von der Grenze
aufwuchs.
Was wir wissen, steht uns zuweilen im Weg, andererseits
hilft es, auch wenn man einen Satz als Satz nicht versteht. Also seine
Bedeutung, weil Namen auftauchen, die man ja nicht einfach mit Mann oder Frau
ersetzen kann.
Und dennoch wurde ich ergriffen, als stürzte Geschichte und
Schicksal ganz ungeordnet auf mich ein. Das ganze Jahrhundert. Wie in der
Schlussszene von Antonionis Film Zabriskie
Point. Der Fernseher läuft noch, als er schon durch die Luft fliegt, und
bis er fliegend implodiert. Versatzstücke, Trümmer.
Dietmar Dath schreibt zur neuen Celan-Gedichtausgabe:
„Der ausgezeichnete Kommentar einer neuen Gesamtausgabe der
Gedichte Paul Celans macht über einige Texte mit Titeln wie „Redewände“,
„Verwaist“ oder „Kleide die Worthöhlen aus“ traurige Angaben: „Entstehung:
Paris, Psychiatrische Universitätsklinik, 2.5.1967.“ „An manchen Tagen waren es
gleich mehrere Gedichte, die an diesem Ort entstanden.“ Gemüts- und
Geisteskrankheiten sind in der Neuzeit nicht untypisch für Lyrikschaffende: … „Das
Genie der Unica Zürn floh vor der Künstlerinnenrolle in die Klinik und vor der
Klinik in die Künstlerinnenrolle, bis sie ihr Leben selbst beendete. Es gibt
offenbar gar nicht so selten obsessiv sprachnahe Naturen, die nicht mitreden
wollen oder können, wenn die Gegenwart sich selbstgefällig Vernunft
bescheinigt.“
Nun sind Blatnýs Texte aus diesem Band komplett in psychiatrischen
Anstalten entstanden, und ich habe das Gefühl, dass die Gebundenheit des
Sprechers hier, um von sich selbst abzusehen, der Sprache vollkommen das
Kommando überlässt.
Ivan Blatný: Hilfsschule Bixley. Wien. (Edition Korrespondenzen) 2018. 200 Seiten. 22,00 Euro.