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Irena Habalik: Drei Gedichte

Montags=Text
Irena Habalik


Vom Willkommen Abschiednehmen und Abschieben

Am Anfang war das Wort Willkommen, wir buchstabierten
wiederholten: Willkommen, wir zeigten Wille
kamen zuvor. Und es kamen Tausende, mit Zügen, Bussen
in Booten, kamen als lebendige Leichen in Kastenwagen
kamen in Kopftüchern, in Turn-Tarnkappen und
wirren Jacken, brachten ihre ganze Habe
brachten Herzen in Sackerln
Unter ihren Schädeln Angst, Fieber, Freudentaumel
in den Magengruben eingepferchte Erinnerungen
an brennende Türme, Höfe, Häfen
Wir schauten zu, staunten. Dann sahen wir Zeichen
sahen Wolken, die ihre Richtung wechselten
vor unseren Augen
Wir buchstabierten nichts mehr, wiederholten: der Abend
ist überfüllt, das Land überflutet, das Abendland
der Vokabularsack zerreißt
Worte leben auf Abruf, die Druckerschwärze schwärmt
von bunten Zeilen, sie ändern die Abstände, die Worte
wie Wolken ändern Richtungen
Wir siebten Worte, schoben sie nach hinten nach vorne
wir verschoben sie, verabschiedeten uns von ihnen
feierten Abschied, ein Fest nach unserer Art
und im Neuen Jahr schoben wir sie ab. Abschieben
Wer steht hinter den Worten? Die Stimmen? Und sie bestimmen?

2015 - Willkommenskultur
2018 - der Minister erklärte: in der 1. Hälfte 2018 wurden 6800 abgeschoben

(Unveröffentlicht)


Nein wir fürchten uns nicht vor dem Wald
Er lenkt den Gang sicher voran
Schärft den Blick für das Bodentiefe
Das Gespeicherte gibt er dutzendmal zurück
Nein der Wald ist es nicht

Wir fürchten uns vor dem Boot
Da sitzen wir eng und nass
da stehen wir auf den Füßen der anderen
wie in einem schlecht geschnittenen Film

Staub der Sterne in den Augen
Und immer das Spähen und es kaum zu fassen
Was uns trägt, trägt uns immer weiter
dorthin wo das Dunkle und Feuerrot glitzern

Hinter uns das brachliegende Land
Geruch nach der Asche

Das All zieht sich zusammen
die Weite rückt immer weiter
Dieses verfluchte Schreien des Wassers im Kopf

Mit tausend Träumen überfülltes Boot
kippt es um
Wer rettet uns in welcher Sprache der Engel

30 000 Ertrunkene im Mittelmeer
(Aus Irena Habalik: Aus dem Rahmen fällt ein Bild. Gedichte.
Bonn: Free Pen Verlag, 2017, 120 Seiten).




Schlaflos

Es bleibt nur die Schafe zu zählen und zu warten.
Es heißt immer; warten. Auf das Wachstum, den Wechsel,
die Worte, die passen. Der Schlaf kommt nicht.
Der Tag irrt in den Hirngängen, der Tag matt,
wie die Schuhe spuckepoliert, wortlos,
wer redet da noch, die Gesichter mit den Blicken zu
Boden als läge dort ein Stückchen Glück,
auf den Bäumen wunde Stellen, mühsam wird das
Schattenflattern, auf dem Plakat glänzen die Buchstaben,
du liest; alles in Eier, das Jahrhundert hinterlässt
keinen Nachtrag, eine Hand winkt dir zu, Trick Track,
eine andere erhebt sich mächtig, du wendest dich ab,
nimmst dich selbst an die Hand und die Stimme,
die dir antwortet, ist deine eigene.
Die Schafe auf der Weide blöken mir in die Stirne,
du Nachtwächter, schneide dir ein Liedchen
aus der Luft. Was für ein Liedchen?
Aber die Nacht gibt auf. Ein Lichtstreifen auf
dem Fenstersims und oben links ein Baukran;
majestätisch schützend einem Riesenvogel gleich,
ein Baukran im satten Gelb wie Mais Melonen: ein gelber
Tag schickt sich an.

(Aus: Irena Habalik, Aus dem Rahmen fällt ein Bild. Gedichte.
Bonn: Free Pen Verlag, 2017, 120 Seiten.)
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