Ines Berwing: Muster des stillen Verkabelns
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Matthias Weglage
Ines Berwing: Muster des stillen Verkabelns. Wiesenburg (hochroth Verlag) 2019. 38 S. 8,00 Euro.
Liminale Lust
Über Ines Berwings Debütband „Muster des stillen Verkabelns“
Ines Berwings Gedichte sind kleine wundersame Capriccios, lustvolle Regelverstöße - was Capriccios ja dem Wortsinn nach sind, kleine 'Stachelköpfchen' -, die gern auch von Regelverstößen erzählen. „ich trage an langen tagen ein glühendes nest im haar wie e.t. im schrank wechsle ich täglich mein hemd“. Ihre Texte haben etwas Unruhiges, Vitales und erinnern an den Charakter eines rebellischen Kindes, das Ich sagen lernt und sich behaupten will in der Welt. „Ich werde beobachtet, ich muss mich benehmen, darf nicht in schuhen schlafen auf wimpern wippen in schubladen baden...“. Man staunt etwas über die Person dieses lyrischen Ichs, das da spricht, das an verbotenen Orten schlafen, baden, sich in Staubsaugerbeuteln verstecken, Whisky aus Rohren trinken und schon im nächsten Moment gegen den Nachbarn aggressiv werden will.
Meist sind es Alltagsszenerien, die Berwing lustvoll verfremdet und dabei Bildwelten neu verspinnt. „muss vater bei jedem buchstaben um erlaubnis fragen, am esstisch herrscht schweigepflicht, zum einschlafen singt mutter den wetterbericht,/ denn in vaters nasenloch belauschen die wanzen uns immer noch.“ heißt es in dem Gedicht 'hausordnung“, das auch den Titel für den ersten Zyklus des im Frühjahr bei Hochroth erschienenen kleinen Debut-Gedichtbands abgibt. Mit den ungewöhnlichen Verkettungen tun sich Sinnfelder neu auf, die sich manchmal nicht leicht erschließen lassen. „mutter sagt, in der alufolie steckt eine stille, die man braucht“. Es scheint, dass diese Art von Stille aber keineswegs wünschenswert ist. Denn die Mutter im Gedicht „kurzer besuch“ häuft Vorwürfe an und hat offenbar wenig Gemeinsamkeiten mit ihrer E. T.-Tochter. Eigentlich besteht die gewünschte Hausordnung auch mehr aus Sommeranarchie, einem Schuss Wahnsinn, vor allem aber der Freude an geglückten poetischen Wendungen, die die Realität neu verquirlen. „wenn mich der wahnsinn entlässt aus dem nest der gespenster/ die haut dreckig wird am geöffneten fenster/ die spielsucht den rhythmus bestimmt und das kind immer schon alt war und sich auch heute im zweifel daneben benimmt...“ heißt es in dem Gedicht „kleine performance“. Etwas von der Mythologie des greisen Kindes, das auf nichts verzichten will, liegt vielleicht in Berwings Texten, Bilder des Unbändigseins, der Sehnsucht, das unerreichbare Unmögliche zu wollen.
Die
Gedichte leben mitunter recht unbekümmert ihre subversiven Fantasien aus. “wenn
ich die wunschkammer mit der steckdose verbinde/ lärmt es brutal laut in
verschiedenen leuten, man muss sich das vorstellen.“ Aber wenn es knallt und
die glattgekämmten Normalbürger alle der Schlag getroffen hat, hat das Gedicht
seine Freiheit behauptet gegen Konformismus und Langeweile.
Die
Autorin ist sich des performativen Charakters ihrer sehr abwechslungsreichen
kleinen Collagen durchaus bewusst. „erst wenn ich die / waffe fallen lasse die/
ausgestreckten gedanken das ganze/ geräuschvolle geklimper meiner finger auf
nackter haut wenn ich die/ müdigkeit klar mache das atmen am/ stück den lauf
der pistole bis zum abdruck mit/ neugier im blick...“ (aus: „kleine
performance“). Und der kurze Aufritt endet mit der beschwörenden Drohung: „dann
ja dann..“ Gerade in der selbstironischen Schlusswendung zeigt die Autorin,
dass ihr alles Gespreizte, Pathetische fremd ist.
In
anderen Gedichten lässt die Autorin stärker etwas von dem Schmerz und der
Einsamkeit fühlen, in der sie agieren und gegen den Druck des Abgelebten
aufbegehren. Das Ich will nicht im „grauwasser schwimmen“, heißt es im letzten
Zyklus des Bandes, sondern „in der anstrengung gefühlsstaub gewordene muster
des stillen verkabelns“ erkennen.
Ines
Berwings Gedichte zeigen Leichtigkeit und eine spielhafte Freude an Klängen, an
Assonanzen, an Rhythmus. Sie erinnern in
manchem an Hertha Müllers Collagen-Gedichte und haben von dort wohl auch ihren
Sinn fürs Szenische, Performative gewonnen. „gestern bin ich erblindet// und
lief einen schnürsenkel entlang/ einen berg hoch er rollte fleißig/ steine und
hielt einfach nicht/ still sowas kommt vor weiß ich// doch im abteil kam die
ordnung/ sie saß rot und mochte mich nicht und zog immer wenn licht aus dem
spalt kam mein auge zu“ (aus: gestern
bin ich erblindet)
Solche
Anklänge an Mythen, wie hier an den Sisyphos-Mythos, an Bildungsgut überhaupt,
sind selten, die Autorin geht vorsichtig damit um. Die Pointe in dem
Sisyphos-Gedicht ist freilich sicher gesetzt. Das dichterische Ich befindet
sich in dem fast übermütigen Zustand, in dem der Gedanke an Mühen wie das
Steinewälzen gar nicht erst aufkommt – es kickt den Stein unversehens in
Richtung Berg zurück.
Wenn ich
Berwings Texte im Ganzen charakterisieren wollte, würde ich gern den Begriff
der Liminalität verwenden. Er stammt ursprünglich aus der Kulturanthropologie
und wurde in den 1960er Jahren von Victor Turner geprägt, aber hat inzwischen
auch eine Rezeption insbesondere in der anglo-amerikanischen Literaturtheorie gefunden.* Es geht um
die Erfahrung eines Schwellenzustands, in dem das Individuum sich außerhalb
gesellschaftlicher Normen und Konventionen bewegt und sich in der Abgrenzung neue Regeln gibt.
Liminalität ist gut auch als Coming-of-Age-Narrativ nutzbar. Die
Transformationsprozesse sind schmerzhaft, das Individuum instabil-stabil,
„betwixt and between“. Auch Gedichte eignen sich gut für diese Art des
liminalen Selbstwertgefühls, das ganz surreal anmutende Bildwelten
heraufbeschwören kann. Die Grenzgängerschaft schenkt dem destabilisierten Ich
einen Wohnort in einer eigenen Sprache, bei dem es auf soziokulturelle
Prozesse, die Welt der Eltern, der Gesellschaft, der leeren Konventionen wie
von außen blickt und einen eigenen Kosmos kreiert. Liminale Figuren haben oft
auch eine Nähe zum Clownesken, zu absurder Komik. Sie gehen „gesellschaftlich
auf einem hinkenden Bein“ (aus: wieder so ein tag).
Berwing
ist auch Drehbuchautorin, ihre Kurzfilme liefen auf internationalen Festivals
und gewannen zahlreiche Preise. Der Langfilm Bube Stur, zu dem sie das
Drehbuch gemeinsam mit Moritz Krämer verfasste, feierte seine Premiere auf der
Berlinale 2015. Auch in ihren Filmen taucht das Motiv vom frühreifen Kind auf,
in dem Film „Biester“ etwa blickt ein von der Poesie entzücktes junges Mädchen,
das sich für Baudelaire begeistert, verächtlich auf Eltern, die Frösche und
Lurche essen und recht dümmlich wirken. Der Film „Elisa“ schildert in
bedrückender Nahperspektive die klaustrophobisch enge Beziehung einer Neunjährigen
zu ihrer Mutter, die sie mit ihren Anstandsforderungen zu Tode quält. Das Kind,
das um seine Freiheit kämpft, erinnert an die vielen Fantasien und Wünsche, die
wir mit uns tragen und meist unterdrücken.
Mit Ines
Berwing hat eine junge Autorin die Bühne der lyrischen Szene betreten, die über
vielfältige Ausdrucksmöglichkeiten und einen ganz eigenen Ton verfügt und auf
deren weiteren Weg man gespannt sein darf.
* Vgl. Liminale Ánthropologien. Zwischenzeiten, Schwellenphänomene, Zwischenräume
in Literatur und Philosophie. Hgg. Jochen Achilles, Roland Borgards, Brigitte
Burrichter, Würzburg 2012.