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Ianina Ilitcheva: ich sehe die einsamkeit vor mir und sie ist leicht

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Markus Hallinger

Zu Ianina Ilitcheva – ich sehe die einsamkeit vor mir und sie ist leicht


Ich kannte Ianina Ilitcheva nicht, bevor ich dieses Büchlein gelesen habe. Ianina Ilitcheva, in Usbekistan geboren, starb mit nur 33 Jahren 2016 in Wien. Der vorliegende, kleine Band von Hochroth sammelt Posts aus dem Internet aus den Jahren 2009 – 2015. Notate, Statements, Gedichte. Oder was auch immer in dieser Sammlung zu lesen ist. Es spielt auch keine Rolle, vielmehr ergibt sich durch das vermeintliche Durcheinander an Texten und Textarten, von ihrer Art zu leben und von ihrer Wahrnehmung, Sprache und Sprechen ein erster Eindruck. Jetzt meine ich sie ein Stück weit zu kennen.

Dabei bleibt es aber nicht. Die Texte sind mehr als ein persönliches, intimes Bekenntnis. Es sind Texte, die ganz ohne Zierrat auskommen, direkt, frech, die den Gedanken rollen lassen, und ihn dabei noch zu fassen bekommen.

„gefallen. ich mag gefallen nicht. ich mag nicht, das mir getan wird, was ich selbst anderen tue. ich spüre es, wenn du gefallen willst, ich spüre das sofort und es bereitet mir unbehagen.“

Die Beweglichkeit ihrer Sprache hat auch etwas mit dem Medium, das sie nutzt, zu tun: sie twittert. Dabei entgeht nichts ihrem Blick. Und wenn sie sich über die Ameisen am Tisch beugt und wundert und fragt, woher die kommen, zeigt sich feiner Humor.

„… also frag ich mich nun: was wollten die viecher auf meinem esstisch? vielleicht hätte ich sie fragen sollen und sie nicht einfach nur töten. okay, wenn ich noch eine finde, nehme ich sie gefangen und verhöre sie.“

Einer formalen und sprachlichen Einordnung der Texte ist weitgehend der Boden entzogen. Die Texte fordern das nicht. Das ist befreiend, kein Herumstelzen und Festkleben in der Form, die den Gedanken zwingt. Genauso, wie es befreiend (nicht bedrückend) ist, diese Texte zu lesen und man frische, sauerstoffangereicherte Luft atmet, auch dort, wo es um ihre Krankheit geht. Die Texte stülpen sich aus, entgrenzen – und diese Entgrenzung ist keine vorgetäuschte, kein nur gemachter Text, der über sich und seine Form hinausweist, sondern so, wie Ilitcheva es wohl sieht, ein Fließen von Wasser. Wenn es nicht funktioniert, nichts fließt, schreibt sie:

„ es fließt nicht mehr von mir wie wasser, es tropft wie dicker schleim. …. ich habe mir ein paar ängste eingefangen,…“

Ich möchte hier nichts von ihrem Schicksal schreiben. Es lässt sich googeln. Ja, vielleicht muss sie sogar davor geschützt werden, dass ihre Texte unter dem Blickwinkel ihrer Krankheit gelesen werden, und damit einer Einordnung unterworfen würden. Denn das wäre genau das, was ihrem Schreiben wiederspräche: die Brille, der Vorsatz, die Überschrift, die man nachträglich dem Text anhängt, üble Nachrede, schlimmstenfalls Reklame. Nichts von dem soll passieren. Lesen!


Ianina Ilitcheva: ich sehe die einsamkeit vor mir und sie ist leicht. Hrsg. von Rick Reuther. München (hochroth München) 2018. 44 Seiten. 8,00 Euro.
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