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Henrik Ibsen: Brand, 5 (2)

Gedichte > Zeitzünder

Henrik Ibsen:


Brand


Ein dramatisches Gedicht (von 1865),
übersetzt von Christian Morgenstern (1907)



Personen

Brand
Seine Mutter
Ejnar (sprich: Einar), ein Maler
Agnes
Der Vogt
Der Doktor
Der Propst
Der Küster
Der Schulmeister
Gerd
Ein Bauer
Sein halbwüchsiger Sohn
Ein zweiter Bauer
Ein Weib
Ein zweites Weib
Ein Schreiber
Geistlichkeit und Amtspersonen,
Volk, Männer, Weiber und Kinder
Der Versucher in der Wüste
Chor der Unsichtbaren
Eine Stimme

Das Stück spielt in unserer Zeit, teils in, teils bei einem Fjordkirchspiel an der Westküste Norwegens.



Fünfter Akt

(Bei der obersten zum Dorf gehörigen Saeterhütte (Sennhütte).)


(Die Landschaft steigt im Hintergrund an und geht in große und öde Gebirgsplateaus über. Es ist Regenwetter.
Brand, von der Menge – Männern, Weibern und Kindern – begleitet, kommt den Berg herauf.
)


Brand

Blickt vorwärts; vor uns liegt der Sieg!
Das Dorf schwand unserm Höherstieg,
Und drüber hin, von Wand zu Wand,
Hat Nebeldunst sein Dach gespannt.
Nun, allem Dust und Düster fern,
Flieg frei, flieg hoch, Du Volk des Herrn!


Ein Mann

Mein alter Vater kann nicht mehr.


Ein Anderer

Seit gestern ist mein Magen leer –


Mehrere

Ja, stärk' uns erst zu unserm Werk!


Brand

Erst vorwärts, vorwärts übern Berg!


Der Schulmeister

Auf welchem Weg?


Brand                                   Das gilt gleichviel,

Führt er nur grad' und rasch zum Ziel.
Hier, kommt!


Ein Mann                   Hier geht's zu steil hinauf;

Wir machen's nicht vor Nacht, paßt auf!


Der Küster

Wenn einer in die Eiskirch' stürzte –!


Brand

Der steilste Weg ist auch der kürzste.


Ein Weib

Mein Kind ist krank!


Ein Anderes                           Mein Fuß ist wund.

Ein Drittes

Herr, meine Zung' ist dürr wie Zunder!


Der Schulmeister (zu Brand:)

Gib ihrem Glauben neuen Grund!


Viele Stimmen

Brand, tu ein Wunder! Tu ein Wunder!


Brand

So stahl Euch Knechtschaft alle Stärke;
Ihr wollt den Lohn schon vor dem Werke.
Auf, werft die Todesschwachheit ab, –
Wo nicht, kehrt um in Euer Grab!


Der Schulmeister

Traun, er hat recht; erst die Beschwerden;
Und unser Lohn wird uns ja werden!


Brand

Er wird's, so wahr ein Gott die Hand
Gerecht hält über Meer und Land!


Viele Stimmen

Er prophezeit! Er prophezeit!


Mehrere im Haufen

Hör', Pfarrer, – wird's ein heißer Streit?


Andere

Und wird er lang? Und wird er blutig?


Ein Mann

Sind unsre Feinde stark und mutig?


Der Schulmeister (leise:)

Ich wag' dabei doch nicht mein Leben?


Ein anderer Mann

Was wird mein Teil am Siegeslohn?


Ein Weib

Mir stirbt doch etwa nicht mein Sohn?


Der Küster

Ist uns vor Dienstag Sieg gegeben?


Brand (blickt sich verzweifelt um im Haufen.)

Was fragt Ihr da? Was wollt Ihr wissen?


Der Küster

Zunächst: wie lange währt der Streit?
Dann: was wird uns durch ihn entrissen?
Und endlich: unsres Siegs Gewinn!


Brand

Das fragt Ihr mich?


Der Schulmeister                 Jawohl; vorhin

Bekamen wir nicht recht Bescheid.


Brand (empört:)

Ihr sollt ihn haben!


Die Menge (rottet sich dichter zusammen.)
                                            Rede! Sprich!

Brand

Wie lang der Streit währt, fragt Ihr mich?
Nun, bis an Eures Lebens Ende,
Bis jedes Opfer Ihr gebracht,
Von jedem Pakt Euch frei gemacht,
Bis Euer Willen Euch die Wende
Jedweder Flucht ward angesichts
Der Fordrung: Alles oder nichts!
Was Euch entrissen wird? Nun wohl!
Jedwedes üppige Faulheitsbette,
Jedwede goldne Sklavenkette,
Jedweder Halbheit hohl Idol!
Und der Gewinn? Des Willens Reinheit,
Des Glaubens Kraft, des Geistes Einheit, –
Ein Opfermut, der, furchtgestählt,
Mit Jubel selbst das Schwerste wählt, –
Um jede Stirn die Dornenkrone, –
Seht, das wird Euch zuletzt zum Lohne!


Die Menge (unter rasendem Schreien:)

Verrat! Er hat sein Wort gebrochen!


Brand

Nie hab' ich anderes versprochen.


Einige

Du hast uns Sieg gelobt und Ehren; –
Jetzt willst in Opfer Du's verkehren!


Brand

Ja, Sieg gelobt' ich, – und Ihr sollt
Auch Sieger sein, wenn Ihr nur wollt.
Doch wer im ersten Gliede schreitet,
Muß fallen können, wenn es gilt;
Wofern solch Kampf ihm widerstreitet,
So mag er abtun Schwert und Schild.
In Feindeshand die Fahne fällt,
Die zagen Mannes Wille hält;
Wen Furcht anfrißt, das bleiche Gift,
Der ist gezeichnet, eh's ihn trifft!


Die Menge

Er kürzt uns unser Lebensrecht
Für ein noch ungezeugt Geschlecht!


Brand

Nur als ein Heer zum Tod Bereiter
Erreicht ein Volk sein Kanaan.
Durch Fall zu Sieg! So, Mann für Mann,
Aufbiet' ich Euch als Gottes Streiter!


Der Küster

Wenn man's bedenkt, die Lag' ist heiter!
Im Dorf sind wir in Acht und Bann –


Der Schulmeister

Ins Dorf zurück –, das geht nicht an.


Der Küster

Und wer will weiter? Wer will weiter?


Einige

He, schlagt ihn tot!


Der Schulmeister                Wer blieb' uns dann

Als Oberhaupt in all den Wirren?


Weiber (weisen erschrocken den Weg hinunter.)

Der Propst! Hu!


Der Schulmeister
                                        Laßt Euch bloß nicht kirren!

Der Probst, (von einigen der Zurückgebliebenen begleitet, tritt auf.)

O, meine Kinder, meine Lämmer!
Hört Euren alten Hirten doch!


Der Schulmeister (zur Menge:)

Wir hausen nicht mehr dort im Dämmer;
Am besten gehn wir übers Joch!


Der Probst

O, konnt' ich so in Euch mich irren!
Könnt Ihr mich so verwunden!


Brand                                                    Schlug

Er Euch nicht Wunden Jahr um Jahr?


Der Probst

Hört nicht auf ihn! Mit Lug und Trug
Verlockt er Euch.


Mehrere                            Und das ist wahr!

Der Probst

Doch wir sind milde, wir vergeben,
Wo wir aufricht'ge Reu' erleben.
O, blick' doch in dich, lieber Christ,
Und sieh, mit welcher schwarzen List
Er Herz und Geist dir aufgewiegelt!


Viele

Was hat er uns nicht vorgespiegelt!


Der Probst

Und dann, – wen hofft Ihr aufzuklären,
Ihr, Volk, im Winkel hier geboren?
Seid Ihr zu Großem auserkoren?
Wird ein Gebundner durch Euch frei?
Ihr habt Eu'r Werktagskleinerlei;
Was drüber ist, das kann nicht währen.
Was könnt Ihr auf der Walstatt nützen?
Ihr mögt Eu'r niedrig Hüttlein schützen.
Fühlt Ihr Euch Weltenüberwinder?
Was wollt Ihr zwischen Falk und Weih?
Was wollt Ihr zwischen Wolf und Bären?
O, meine Lämmer, – meine Kinder!


Die Menge

Ja, weh uns, – wahr ist, was er sagt!


Der Küster

Und doch, da wir den Schritt gewagt,
Verschlossen wir der Hütten Tür; –
Nein, dort ist keine Heimstatt für.


Der Schulmeister

Nein, nein, er hat das Volk bemündigt,
Hat ihm gezeigt, wo es gesündigt;
Nun ist's des Schlafens endlich über;
Und was da drunten Leben heißt,
Unleben heißt's erwachtem Geist –


Der Probst

Ach, glaubt mir, das geht bald vorüber
Und legt sich in die alten Falten, –
Nur ein klein wenig still gehalten!
Der Ort – mein Wort will ich Euch geben –
Wird bald wie vordem friedlich leben.


Brand

Wählt, Mann und Weib!


Einige                                          Wir geben's auf!

Andere

Zu spät; zu spät! Den Berg hinauf!


Der Vogt (kommt gelaufen.)

Ein Glück, ein Glück, daß ich Euch finde!


Die Weiber

Ach, Bester, sei nicht aufgebracht –!


Der Vogt

Ach was! Jetzt kommt nur! Macht nur, macht!
Jetzt hat's ein Ende, das Geschinde; –
Ich sag' nur das: Ihr seid noch heute
Vor Abend alle reiche Leute!


Mehrere

Wie das?


Der Vogt             Ein Fischzug füllt den Fjord!

Millionen stehn sie an Millionen!


Die Menge

Was?


Der Vogt          
                       Jeder Fußtritt kann sich lohnen!

Womöglich treibt ein Sturm sie fort.
Sie zogen vordem nie hierher; –
Jetzt, Freunde, kommt's an unsern Ort,
Jetzt hungern wir so bald nicht mehr!


Brand

Wählt zwischen Gott und diesem hier!


Der Vogt

Folgt Eurem einfachen Verstand!


Der Probst

O, ist dies nicht ein Wunder schier,
Ein Fingerzeig von Gottes Hand?
Ich schaut's im Traum schon klipp und klar,
Doch glaubt' ich stets, mich äfft' ein Mahr; –
Nun sehn wir hell, worauf's gezielt –


Brand

Ihr würft Euch selbst weg, wenn Ihr fielt!


Viele

Ein Fischzug!


Der Vogt                  Millionen Fische!

Der Probst

Für Weib und Kind gedeckte Tische!


Der Vogt

Ihr seht, die Zeit ist schlecht gewählt,
Daß Ihr in leerem Streit Euch quält,
Zumal mit einer Übermacht,
Die selbst Herrn Propst zu ungeschlacht.
Jetzt überlaßt es ruhig Dümmern,
Um fremde Händel sich zu kümmern;
Der Herrgott hilft sich schon allein;
Die Feste fällt so bald nicht ein;
Nur jetzt geschwärmt nicht und gehimmelt,
Wo drunt' im Fjord der Hering wimmelt!
Werft Euer Netz nur unbeirrt;
Da braucht's nicht Mut und Blut; das wird
Ein Sieg, der keinen fortbeordert,
Noch, daß er selbst sich opfre, fordert.


Brand

Just dieses Opfers Fordrung brennt
Mit Flammenschrift am Firmament.


Der Probst

Ach, wer da opfern will, den trennt
Von mir nur eine kleine Reise.
Kommt nächsten Sonntag beispielsweise!
Ich werd', weißgott –


Der Vogt (ihm das Wort abschneidend:)
                                                 Ja, ja; ja, ja!

Der Küster (leise zum Propst:)

Behalt' ich meinen Küsterposten?


Der Schulmeister (ebenso:)

Bleib' ich, nach dem, was heut geschah?


Der Probst (mit gedämpfter Stimme:)

Laßt Ihr's Euch hier ein Wörtlein kosten,
So trifft Euch wohl kein streng Gericht –


Der Vogt

Kommt, kommt; verliert die Zeit doch nicht!


Der Küster

Dies Zögern wird Euch nur zum Fluch!


Einige

Und unser Pfarrer –?


Der Küster                              Laßt ihn laufen!

Der Schulmeister

Spricht nicht in diesem Heringshaufen
Der Herrgott wie ein offen Buch?


Der Vogt

Dem Mann wird nur, was ihm gebührt;
Er hat Euch lang' g'nug nasgeführt –


Mehrere

Er log uns vor!


Der Probst                    Er ist kein Christ;

Er hat nicht 'mal cum laude, wißt!


Einige

Was hat er?


Der Vogt                   Niedrigen Charakter!

Der Küster

Das sehn wir klar, daß dem so ist!


Der Probst

Die eigne alte Mutter plackt' er
In ihres letzten Stündleins Pein!


Der Vogt

Sein Kind hat er schier umgebracht.


Der Küster

Sein Weib auch!


Weiber                            Pfui, so ein Vertrackter!

Der Probst

Ein schlechter Vater, Mann und Sohn!
Spricht das nicht aller Lehre Hohn?


Viele Stimmen

Er riß uns unsre Kirche ein!


Andere

Er sperrt die neue, als zu klein.


Wieder Andere

Er warf uns auf 'ne Plank im Sturm!


Der Vogt

Er stahl mir meinen Narrenturm.


Brand

Ich seh' das Mal auf Eurer Stirn,
Ihr folgt mir über keinen Firn.


Der ganze Haufe (brüllend:)

Mag er allein von dannen ziehn!
Auf, auf, und steinigt, steinigt ihn!


(Brand wird mit Steinwürfen die Felseneinöde hinaufgetrieben. Nach und nach kehren die Verfolger zurück.)

Der Probst

O, meine Kinder, meine Lämmer!
So kehrt Ihr einig denn zurück
In Eurer Hütten traulich Dämmer;
O, glaubt, es dient zu Eurem Glück.
Der liebe Gott ist ja so gut,
Er fordert kein unschuldig Blut;
Und die Regierung ist desgleichen
So mild, wie kaum in andern Reichen;
Und Eure Obrigkeit – vor allen
Der Vogt – wird Euch nicht lästig fallen;
Und ich such' in nichts anderm Ruhm
Als in humanem Christentum; –
Wir Obern haben nur ein Streben:
In Fried' und Freud' mit Euch zu leben.


Der Vogt

Doch find't sich wo ein fauler Fleck,
Das ist gewiß, so muß er weg.
Sind wir erst über diesen Tag,
So wähl'n wir eine Kommission,
Die, inwieweit die Religion
Schadhaft geworden, prüfen mag.
Sie mag aus Geistlichen bestehn,
Die Propst und ich dazu ersehn, –
Sowie, beruhigt das die Geister,
Aus Küster und aus Dorfschulmeister,
Samt wem Ihr sonst Vertrauen gönnt,
So daß Ihr ohne Sorg' sein könnt.


Der Probst

Dank Euch, im Herrn geliebte Brüder,
Daß Eurem alten Seelenhüter
Doch noch ein Ton entgegenklang.
Das stähl' Euch auf dem neuen Pfad,
Daß Gott ein Wunder für Euch tat!
Lebt wohl! Viel Glück zu Eurem Fang!


Der Küster

Ja, das sind wahre Christenseelen!


Der Schulmeister

Die können mehr als bloß krakehlen.


Weiber

Die sind so freundlich und so fein!


Andere

So richtig mit dem Volk gemein!


Der Küster

Die können uns nicht bloß zertreten.


Der Schulmeister

Und mehr, als Vaterunser beten.


(Die Schar zieht den Berg hinab.)

Der Probst
(zum Vogt:)

Paßt auf, wie dies uns Frucht und Lohn trägt!
Jetzt steigt im Hui das Wetterglas;
Denn, Gott sei Dank, es gibt etwas,
Das die Bezeichnung "Reaktion" trägt.


Der Vogt

Das war mein Werk, daß der Spektakel
Sich, kaum erregt, auch schon zerschlug.


Der Probst

Das meiste tat wohl das Mirakel –


Der Vogt

Mirakel?


Der Probst
                             Nun, der Heringszug.

Der Vogt (pustet:)

Das war natürlich Lüge!


Der Probst                                    So?

Der Vogt

Was wollt' ich machen; ich war froh,
Daß mir just dies vom Munde fuhr; –
Man könnt's wohl tadeln, hätte nicht
Die Lage –


Der Probst               Da ist nichts zu rechten;

Im Notfall läßt sich's wohl verfechten.


Der Vogt

Und streckt dann, eh' ein Tag verstreicht,
Sich alles wieder nach der Decke, –
Was tut's da, ob wir unsre Zwecke
Durch Wahrheit oder Trug erreicht?


Der Probst

Mein Freund, ich bin kein Rigorist.

(Blickt in die Felseinöde hinauf.)

Ist das nicht Brand, der dort so trist
Sich hinschleppt?


Der Vogt                           Freilich! Ob er's ist!

Ein einsamer Ritter auf seiner Fahrt!


Der Probst

Nicht ganz; ein Knappe, scheint's, bewahrt
Ihm Treue noch –


Der Vogt                             Herrje, die Gerd!

Die beiden sind einander wert.


Der Probst (munter:)

Wenn einst sein Opferdurst geletzt,
Sei dies als Grabschrift ihm gesetzt:
Hier ruhet Brand, sein Tun ward wirr!
Sein Lohn ein Mensch, – und der war irr!


Der Vogt (den Finger an der Nase:)

Zwar wenn man's recht bedenkt, so sehn wir:
Es richtete – im besten Wahn –
Das Volk doch etwas inhuman.


Der Probst (zuckt die Achseln:)

Vox populi vox dei. Gehn wir!

(Ab.)


Zum Schluss

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