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Henrik Ibsen: Brand, 4

Gedichte > Zeitzünder

Henrik Ibsen:


Brand


Ein dramatisches Gedicht (von 1865),
übersetzt von Christian Morgenstern (1907)



Personen

Brand
Seine Mutter
Ejnar (sprich: Einar), ein Maler
Agnes
Der Vogt
Der Doktor
Der Propst
Der Küster
Der Schulmeister
Gerd
Ein Bauer
Sein halbwüchsiger Sohn
Ein zweiter Bauer
Ein Weib
Ein zweites Weib
Ein Schreiber
Geistlichkeit und Amtspersonen,
Volk, Männer, Weiber und Kinder
Der Versucher in der Wüste
Chor der Unsichtbaren
Eine Stimme

Das Stück spielt in unserer Zeit, teils in, teils bei einem Fjordkirchspiel an der Westküste Norwegens.



Vierter Akt


(Weihnachtsabend im Pfarrhaus. Die Stube liegt in Dunkel. Die Ausgangstür befindet sich in der Hinterwand; ein Fenster auf der einen, eine Tür auf der anderen Seite.)


(Agnes steht in Trauerkleidung am Fenster und starrt ins Dunkel hinaus.)

Agnes

Immer noch nicht! Immer noch nicht!
O, wie Stund' um Stunde leer ist!
Und zu sehen, er kommt doch nicht,
Wie das Herz auch sehnsuchtsschwer ist!
Sacht fällt Schnee auf Berg und Wald;
Selbst das Kirchlein alt ist bald
Wie mit weißem Lein verhangen – –

(Lauscht.)

Horch! Die Zauntür ist gegangen!
Tritte! Fester Mannesfuß!

(Eilt zur Tür und schließt auf.)

Lieber, Einziger, bist Du's?


(Brand tritt ein, beschneit, in Reisetracht, die er während des Folgenden abwirft.)

Agnes (schlingt die Arme um ihn.)

O, wie lange warst Du draußen!
Geh nicht von mir, weich' nicht von mir!
Bin ich einsam, läßt der grausen
Nachtgespenster Reich nicht von mir!
Was sank alles auf uns nieder
Diese Tage, diese Nacht!


Brand

Kind, nun hast Du mich ja wieder.

(Zündet ein einzelnes Licht an, daß einen schwachen Schimmer über die Stube wirft.)

Du bist bleich.


Agnes                          Und überwacht.

Hab' gesehnt mich all die Stunden, –
Dann ein wenig Grün gebunden, –
Wenig nur! Doch selbst gehegtes,
Noch vom Sommer her gepflegtes,
Längst zum Christbaumputz geweihtes.
Ihm bestimmt hatt' ich den Strauch;
Nun, – als Kranz bekommt er 'n auch!

(Bricht in Tränen aus.)

Gott im Himmel! Und nun schneit es
Auf ihn –


Brand                 – auf dem Kirchhof drüben.

Agnes

O, dies Wort!


Brand                            Du mußt Dich üben,

Es zu hören.


Agnes                         Ja; doch quäle

Mich nicht so; sieh, meiner Seele
Wunde blutet noch zu stark;
Krank ward meines Willens Mark; –
Aber erst aus diesen Tagen,
Will ich nimmer, nimmer klagen,
Soll sich's rasch zum Bessern kehren.


Brand

Heißt das Gottes Festtag ehren?


Agnes

Nein –; doch mußt Du mir vergeben!
Denk, – noch vorig Jahr welch Leben!
Dann des Fiebers bang Geflacker!
Und jetzt auf dem –

(Schaudert vor dem Wort zurück.)

Brand (fest)                        – Totenacker!

Agnes (schreit auf)

Nicht dies Wort!


Brand                                Aus vollen Lungen

Dies Wort, das Dich ängstiget!
Dieses just, daß es gesprungen
Kommt, wie Brandung an ein Brett!


Agnes

Selber zähmst Du kaum das Gären,
Das dies Wort in Dir entfacht;
Deine Stirne steht in Zähren
Von dem Schweiß, den es Dir macht.


Brand

Diese Tropfen auf der Stirne
Sind vom Fjord nur salzige Lauge.


Agnes

Und der Tropfen auch im Auge
Nur geschmolzen Eis vom Firne?
Nein! Der brennt wie rinnend Erz!
Dessen Urquell ist Dein Herz.


Brand

Agnes, Weib, wir wollen beide
Stark sein, wollen, Eifers voll,
Mit vereinter Kraft dem Leide
Land abringen Zoll um Zoll.
Ha, war ich ein Mann da draußen!
Sturzseen brausten klippenüber,
Schreckstumm schoß die Möve drüber,
Hagelwetter kam uns zausen
Mitten im empört'sten Gischte,
Mast und Tauwerk kracht' und zischte,
's Fock zerriß, doch keiner fischte
Nach den Fetzen, die's verjagte,
Jeder Nagel schrie und klagte; –
Wieder vom Gebirg und wieder
Donnerten Lawinen nieder;
Ratlos saßen die acht bleichen
Rudrer vor mir wie acht Leichen.
Ha, da wuchs ich auf am Steuer,
Meine Worte wurden Feuer, –
Und zu meinem schweren Werke,
Fühlt' ich, lieh Gott selbst mir Stärke.


Agnes

Leicht, zu trotzen Sturmeswehn!
Leicht, Gefahren zu bestehn!
Aber sieh mich an: ich sitze
Hier in dieser Felsenritze,
Wo mir nichts den toten Frieden
Meiner Sperlingssorgen nimmt;
Sieh mich, die, weltabgeschieden,
Nicht der Taten Feu'r durchglimmt;
Sieh mich an, der Gott hienieden
Wenig nur zu tun bestimmt!
Hätt'st Du hier gleich mir gesessen,
Sprächst Du nimmer von Vergessen!


Brand

Dir, Dir läg' nichts ob, zu tun?
Niemals Größeres denn nun!
Hör',- vielleicht wird Dir für Deinen
Schmerz aus meinem ein Gewinn.
Oft wird mir das Aug' voll Weinen,
Still der Geist und weich der Sinn; –
Als ob Gott ein Glück dem gönnte,
Der recht weinen, weinen könnte.
Da wird Gott mir offenbar,
Denk Dir, Kind, wenn ich so weine, –
Offenbar wie nimmerdar,
Klar, daß ich ihn vor mir meine.
O, mich dann an seiner warmen
Brust von allem zu befrein
Und von seinen Vaterarmen
Ewiglich umfaßt zu sein!


Agnes

Brand, o, sieh ihn immer so. –
Seiner Nähe bleibe froh, –
Sieh den Vater, nicht den Herren!


Brand

Darf ich ihm entgegenstehn?
Darf ich ihm die Wege sperren?
Stark und groß muß ich ihn sehn,
Weltengroß, – just danach schreit
Diese selbst so kleine Zeit.
Aber Du, Du darfst ihm nahn,
Seinen Vaterkuß empfahn,
Dich an seiner Lieb' erquicken,
An ihm ausruhn, bist Du müd',
Von ihm scheiden, trostdurchglüht,
Seinen Glanz in Deinen Blicken,
Kannst mit seinem Widerschein
Mich zu neuem Schaffen weihn.
Siehst Du, Agnes, – so zu teilen,
Ist der Ehe Kern und Wesen;
Eins soll Kampf und Streit erlesen,
Eins soll alle Wunden heilen;
Dann erst hat sich offenbart,
Daß aus zweien eines ward.
Da Du's wagtest, von der Welt
Abgetrennt und mir gesellt,
Dir Dein eigen Los zu dichten,
Brachtest Du mir dies als Gift:
Ich sollt' kämpfen, wie es trifft,
Keinen Sonnengluten weichen,
Keine Nacht noch Kälte scheuen, –
Du wollt'st mir den immer neuen
Labetrunk der Liebe reichen,
Wollt'st der Güte Hermelin
Weich mir untern Panzer ziehn, –
Klein ist dies Dein Tun mit nichten!


Agnes

Was ich Dir auch zu vollbringen
Trachte, nichts will mir gelingen.
All mein Denken, Planen, Meinen
Kehrt zurück zu jenem Einen.
Alles ist noch wie ein Traum.
Tränen werden's überwinden, –
Und ich werd' mich wiederfinden
Und der Pflicht gewissen Zaum.
Brand, heut Nacht, indes Du drauß,
Kam es durch die Kammertür
Blühend und gesund herfür,
Und in seinem dünnen Flaus
Lief's mit Kinderschritt, wie früh'r,
An mein Bett, hob seine süßen
Ärmchen mir entgegen, spähte
Nach mir, lächelnd mich zu grüßen, –
Doch als ob's um Wärme bäte!
Ja, ich sah's! Und fuhr empor –!


Brand

Agnes!


Agnes                Ja, – das Kind, es fror!

Und wie wollt' es auch erwarmen
In der Bretter kalten Armen!


Brand

Laß den Leichnam unterm Schnee;
Alf weilt in der Engel Runde.


Agnes (weicht vor ihm zurück.)

Wühle nur in meiner Wunde,
Schonungslos im tiefsten Weh!
Magst Du hart ihn Leichnam nennen,
Mir ist Alf noch heut mein Kind.
Leib und Seele soll ich trennen?
Ich vermag nicht so geschwind
Zwischen diesen zwein zu scheiden;
Eins noch sind für mich die beiden;
Alf, der hier liegt, schneeverstoben,
Er ist auch mein Alf dort oben!


Brand

Manche Wunde muß noch bluten,
Eh' Dein krankes Herz genest.


Agnes

Wenn Du sacht zu Werke gehst,
Leitest Du mich leicht zum Guten.
Reich' mir Deine starke Hand,
Sprich so mild wie möglich, Brand,
Du, von dem es heißt, es wohne
Donnersturm in seiner Rede,
Ficht ein Herz die große Fehde
Um die eigne Lebenskrone, –
Könnt'st nicht mit Schalmeientönen
Bitterlichsten Schmerz versöhnen, –
Fändst kein Wort in Deiner Tiefe,
Das zu Licht und Leben riefe?
Den Du mir gelehrt, Dein Gott, ist
Wie ein Fürst, gehüllt in Erz;
Ach, ich fürchte, nur ein Spott ist
Ihm mein armer Mutterschmerz!


Brand

Glaubst Du günstiger zu fahren
Mit dem Gott aus frühern Jahren?


Agnes

Nein, nein, nimmermehr zurück!
Und doch ist mir oft, als breite
Sich vor mir das alte Glück,
Und es lockt so lichte Weite.
Leicht zu heben, schwer zu tragen, –
Wie die alten Lehren sagen.
Deine Wege, sie zerfleischen
Mir den Fuß; zu groß, zu groß
Ist Dein Wollen, Wirken, Heischen,
Dein Beruf, Dein Ziel, Dein Los,
Dies Gebirg, das uns umerkert,
Dieser Fjord, der uns verkerkert, –
Einsamkeit, Erinnrungspein, –
Nur die Kirche ist zu klein.


Brand (betroffen)

Nur die Kirche? Der Gedanke
Liegt wohl hier in Land und Luft?
Und warum –?


Agnes (schüttelt schwermütig den Kopf.)
                                      Was weiß das kranke

Herz von Gründen? Wie ein Duft,
Windverweht, begehrt oft eine
Stimmung in ihm Unterschluft.
Woher kommt sie, wohin geht sie?
Gleichviel, mein Gemüt versteht sie.
Und ich fühle klar und rein:
Unsre Kirche ist zu klein.


Brand

Welch ein Geist in der Gemeine!?
In wie vieler Bitt' und Klage
Trat der Wunsch nicht schon zutage!
Selbst bei ihr, die wahngetrieben
Umgeht, stand er klar geschrieben.
"Dort ist Tod, dort ist's zu enge!"
Rief sie. Und auch diese Kunde
Kam aus keinem klaren Grunde.
Wie viel Weibern fiel's nicht ein:
Brand, die Dorfkirch' ist zu klein!
Wenn aus all der Weiber Munde
Eine große Sehnsucht klänge, –
Die zu stillen mir gelänge?!
Agnes! Agnes! Mich zu führen,
Hat der Herr Dich hergesandt;
Still und sicher, wie im Blinden,
Stets den rechten Weg zu finden,
Wenn ich seine Spur verkannt.
Nie mocht' Dich ein Lockruf rühren;
Gleich am Anfang offenbartest
Du mein Reich mir und bewahrtest
Den, der Gott sich schon verglichen,
Vor des Dädalus Geschick,
Kehrtest ihm den strengen Blick
Innerwärts zum Innerlichen.
Agnes, abermals nun schlug
Deines Wortes Blitz mich klug,
Trug Gewißheit in mein Los,
Goß Erleuchtung auf mich aus; –
Klein ist unsres Herrgotts Haus, –
Gut, so zimmern wir es groß!
Nie hab' ich so hell gesehen,
Wie Du alles Lichtes Bronn mir;
Und so nimm zurück Dein Flehen:
Geh nicht von mir! Geh nicht von mir!


Agnes

Sei denn, Trauerhaus, versiegelt,
Werde denn für alle Zeit
Der Erinnrung Burg verriegelt
Wie ein Grab. Vergessenheit
Trenne meerestief und –breit
Fürder dieses Grab und mich!
All mein arm und töricht Denken
Laß mich in dies Meer versenken
Und nur Gattin sein für Dich!


Brand

Aufwärts geht der Weg, zum Großen.


Agnes

Fordre kein zu steiles Klimmen!


Brand

Durch mich fordern höhere Stimmen.


Agnes

Gott wird, wie Du selbst gelehrt,
Heißes Wollen nicht verstoßen,
Ward ihm auch kein Sieg beschert.

(Wendet sich zum Gehen.)

Brand

Wohin, Kind?


Agnes (lächelt)             Des Hauses Pflege

Ruft, wenn je, heut abend doch.
Letzten Christ, – Du schaltst mich noch, –
Ging ich fast zu reiche Wege.
Licht in jedem Leuchterringe,
Tannengrün voll bunter Dinge,
Spielzeug, Backwerk, Zuckersachen, –
Ei, das war ein Lust und Lachen!
Wieder strahl' nun Kerz' an Kerze
Ihren Heilsgruß uns ins Herze;
Wieder schmück' ich unser Nest
Nun zum stillen, großen Fest.
Lugt dann Gott zur Tür herein,
Schau' er die gestraften Kinder
Sich dem Fest demütig weihn,
Sehe, wie sie nicht in blinder
Trauer, weil sie ihn nicht fassen,
Es zu heiligen unterlassen. –
Hab' ich mich nun in Gewalt?


Brand (drückt sie an sich und läßt sie wieder los.)

Kind, mach' Licht! Das ist das Deine!


Agnes (lächelt schwermütig)

Und nicht wahr, Du baust mir meine
Große Kirche! Aber bald!

(Ab.)

Brand (blickt ihr nach)

Willig, willig stets beweist sie
Übermenschliche Geduld;
Weicht die Kraft, verläßt der Geist sie,
Trägt ihr Wille keine Schuld.
Hilf ihr, Herr, in Deiner Huld; –
Und mir nimm der Fordrung Kelch,
Grausamer Gesetzeswut
Grimmem Geier kalt zu winken,
Sie zu packen, – welch, ach welch
Zarten Herzens Flut zu trinken!
Ich hab' Kräfte, ich hab' Mut;
Gib die Last mir von uns beiden, –
Laß nur sie nicht so viel leiden.


(Es klopft an die Flurtür. Der Vogt tritt ein.)

Der Vogt

Hier grüßt Sie ein geschlagner Mann.


Brand

Geschlagner Mann –?


Der Vogt                                  Jawohl, so sagt' ich.

Sie wissen wohl, im Sommer wagt' ich
Bedrohlich mich an Sie heran,
Wollt' Ihnen hier den Grund abgraben
Und gab für Sie nicht so viel mehr!


Brand

Nun ja?


Der Vogt           
Doch reut mein Trotz mich schwer,

Heut streck' ich schlankweg das Gewehr.


Brand

Warum?


Der Vogt             Weil Sie die meisten haben.

Brand

So?


Der Vogt
                     Wär' das etwa nicht der Fall?

Sie sucht man jetzt von überall.
Hier herrscht seit kurzem, ganz entschieden,
Ein Geist, der, weiß der liebe Christ,
Nicht Geist von meinem Geiste ist, –
Woraus ich klüglich folgern darf:
Durch Sie weht jetzt der Wind so scharf.
Hier meine Hand; wir schließen Frieden!


Brand

Ein Krieg wie unsrer endet nicht,
Eh' nicht des einen Schwert zerbricht.


Der Vogt

Was setzt' ihm besser Damm und Deich
Als Fried' und gütlicher Vergleich?
Ich mag nicht widern Stachel löcken –
Ich bin ein Mensch wie andre auch –
Und lobe mir das Waffenstrecken
Vorm Speer des Feinds als guten Brauch.
Kein Stecken hilft mir aus der Not,
Wenn mich ein spitzer Spieß bedroht.
Vereinsamt man in seinem Streben,
So ist's am schlausten: nachzugeben.


Brand

Wenn Sie die Lag' nur nicht verkennen!
Sie mögen mich den Stärkern nennen,
In Mehrzahl sehn –


Der Vogt                               Und ob!

Brand                                                   Ja, jetzt

Vielleicht noch; aber wenn's zuletzt
Das große, ernste Opfer gilt, –
Wen hebt das Volk dann auf den Schild?


Der Vogt

Ein ernstlich Opfer? Das zu sehn,
Wird Sie hier nimmer überraschen.
Woraus wird's bestenfalls bestehn?
Die Leutchen öffnen mal die Taschen.
Die Zeiten sind human und wollen
Nichts Bessres mehr als Opfer zollen.
Doch was mich schier zum Rasen brächte,
Ist, daß ich selbst aus derer Zahl,
Die das Humane hier empfahl
Und so den Opferwillen schwächte.
Ich gab damit voll Unverstand
Den eignen Vorteil aus der Hand, –
Ja, – in gewisser Weise – band
Ich selbst damit mir eine Rute –


Brand

Mag sein; allein bei Ihrem Mute
Und Ihrer Kraft gibt man das Spiel
Doch nicht so kurzer Hand verloren.
Das mit der Rute sagt nicht viel, –
Ein Mann ist seiner Tat geboren,
Das Paradies sein höchstes Ziel.
Und ob zum wilden Meere schwölle,
Was ihm ans Ziel zu kommen wehrt, –
Wie? Dürft' ein Mann drum rufen: Kehrt!
Weit näher ist's doch hier zur Hölle?!


Der Vogt

Ich sage dazu ja und nein;
Man will doch mal aufs Trockne kommen,
Und sieht man seine Müh' nicht frommen,
So schlägt man andre Wege ein.
Wir wollen nun einmal Erstattung
Für Arbeit jeder Art und Gattung;
Gewinnt man nichts durch grade Stärke,
So geht man eben krumm zu Werke.


Brand

Doch schwarz wird deshalb nie zu weiß.


Der Vogt

Mein lieber Freund, wem macht das heiß!
Was hilft's dem weiß wie Schnee Geglaubten,
Wenn alle: schwarz wie Schnee! behaupten?


Brand

Und Sie wohl mit?


Der Vogt                             Nun nein, – genau

Besehn, nicht eben schwarz, doch grau.
Die Läufte sind human; die Massen
Nicht mehr so herrisch anzufassen.
Dies Land ist frei – und um den Preis:
Daß jedes Wort gleich gültig schalle.
Wie darf da einer wider alle
Entscheiden über schwarz und weiß? –
Kurzum, da Sie die meisten haben,
Ist mir zunächst mein Grab gegraben.
Doch statt nun fromm mich einzusargen,
Spring' ich auf Ihren Kutschentritt,
Und nur ein Narr wird mir verargen,
Daß ich nicht bis aufs Messer stritt.
Man hält, vom neuen Geist beseelt,
Mein Tun für falsch nun und verfehlt.
Man meint, daß man jetzt Größres lernte,
Als wie man jährlich besser ernte.
Nicht willig mehr, wie vordem, rührt
Das Scherflein sich, wo sich's gebührt, –
Und mag kein Mensch mehr weiter trecken,
So bleibt der Karren eben stecken.
's ist schmerzlich, – wenn Sie's überlegen, –
Den Plan zu so viel Weg- und Stegen,
Zur Austrocknung von Sümpfen, Watten,
Und mehr, stillschweigend zu bestatten.
Doch, lieber Gott, was soll man machen!
Nachgeben ist das Los der Schwachen,
Die Gegenwart geduldig schlucken
Und bis zur Zukunft klug sich ducken.
Nun, – ich verlor des Volkes Gunst,
Wie ich sie mir erwarb. Die Kunst
Ist jetzt, durch anderweit Beginnen
Den Posten wiederzugewinnen.


Brand

Des Volkes Gunst, – so also heißt
Der Pol, darum Ihr Streben kreist?


Der Vogt

Mit nichten, das weiß Gott! Nein, nein!
Ich wollte das gemeine Beste,
Das Volkswohl einzig und allein.
Womit denn freilich eine feste
Erwartung auf Entgelt für brav
Getanes Werk zusammentraf.
Das ist mal so: ein rühriger Mann,
Der, was er soll, versteht und kann,
Will seiner Taten Früchte sehn,
Nicht nur für höhere Ideen
Durch Mühsal und Entsagung gehn.
Du kannst nicht, selbst beim besten Willen –
Hast Du im eignen Topf kein Huhn –
Stets alles nur für andre tun,
Wenn Du im Ehejoche knurrst!
Man hat ein Weib und viele Töchter;
Da gilt es erst den Hunger stillen; –
Ideen löschen keinen Durst,
Ideen machen keinen satt,
Wo man, wie ich, das Haus voll hat;
Und käm' mir einer drum und möcht' er
Mir an, ich spräch': Die nicht so sind,
Sie sorgen schlecht um Weib und Kind.


Brand

Und Ihre Absicht nun –?


Der Vogt                                       Zu baun.

Brand

Zu baun?


Der Vogt             Ich hab' zu baun im Sinn, –
Zu meinem wie des Volks Gewinn.
Zuvörderst wär' neu aufzubaun
Mein Ruf, den ich im Schwinden spüre; –
Die Wahlen stehen vor der Türe;
Und glückt's, die Mißgunst mir zu staun
Und auf was Rechtes zu verfallen,
So werd' ich Hahn im Korb bei allen
Und kann auf Wiederwahl vertraun.
Nun hab' ich so gedacht, – man kann
Sich ja dem Zug der Zeit bequemen.
Das Volk will jetzt Erhebung, heißt es;
Dazu bin ich zu kleinen Geistes;
Ich helf' ihm höchstens auf die Beine:
Doch wie das tun, wenn die Gemeine
Es wider mich hält wie ein Mann?
Mich drum nicht noch mehr zu verfemen,
Entschloß ich dreist mich, – ging' es an, –
Die Armut hier aufs Korn zu nehmen.

Brand

Und auszurotten?


Der Vogt                           Nein; das läßt

Sich nicht; sie ist nun mal der Brest
Jeder Gesellschaft – und zu leiden;
Doch läßt sie sich in Formen kleiden
Mit etwas Witz und streng bezirken,
Sofern zurzeit wir auf sie wirken.
Man weiß, der Armut Unrat ist
Der Sünde bester Düngermist; –
Man soll nicht länger in ihm waten!


Brand

Was woll'n Sie tun?


Der Vogt                              Ob Sie's erraten? –

Ich bau' zur Lösung des Konflikts,
Zu Nutz und Frommen des Distrikts,
Der Armut hier ihr eigen Pesthaus;
Ja, Pesthaus sag' ich, absichtsvoll,
Weil's Ansteckung verhüten soll.
Mit diesem dacht' ich mir im Bund
Als zweiten Flügel ein Arresthaus:
So sitzt die Wirkung samt dem Grund
Im selben Schloß- und Riegelfrieden,
Nur durch die Zwischenwand geschieden.
Und da ich nun einmal im Schuß,
So denk' ich mir zum guten Schluß
Noch unterm selben Dach 'nen Saal,
Teils zu Gelagen, teils zur Wahl,
Zu ernsten Dingen, wie zu Festen,
Mit Rednerpult und Raum zu Gästen, –
Kurzum, ein schmuck politisch Festhaus.


Brand

Was gilt's, Sie haben stets ein voll Haus!
Doch Eines brauchten wir noch mehr.


Der Vogt

Ich weiß, Sie denken an ein Tollhaus?
Ja, freilich brauchten wir das sehr.
Ich dacht's zuerst als erstes Drittel;
Doch nach so manchem Hin und Her
Verwarf ich's doch als schönen Wahn.
Denn woher nehmen wir die Mittel
Zu einem solchen Riesenplan?
Und, glauben Sie, ein solcher Kasten
Erheischt ein Kapital von Rang,
Will jeder, der da Wert und Drang
Beweist, in seinen Mauern gasten.
Man muß dem Lauf der Zeit vertraun,
Und nicht nur für sich selber baun.
Jetzt geht ja alles wie der Blitz,
Vorm Jahr entsprechend, dies Jahr minder; –
Und da mit jedem Jahr geschwinder
Jedwed' Bedürfnis wächst und wächst,
Und Kräft' und Gaben, rein verhext,
Auf Siebenmeilenstiefelsohlen
In jedem Fach sich überholen,
So würd' 's doch ein zu teurer Witz,
Dem Nachwuchs so 'nen Edelsitz
Zu baun für sich und Weib und Kinder.
Drum sag' ich: Mag das nur noch ruhn;
Der Zahn soll uns nicht wehe tun!


Brand

Und macht mal wer zu arg Skandal
So hat man ja den großen Saal.


Der Vogt (vergnügt)

Gewiß, der ist ja meist geschlossen!
Da liegt der Vogel abgeschossen!
Ersteht der Bau nach meinen Datis,
So haben wir das Tollhaus gratis –
Und unter einem Dach gesellt,
Von einem Wimpel überwellt,
Die Elemente, die vor allen
In unserm Kreis ins Auge fallen.
Wir haben die ohn' Hab' und Gut,
Dazu der Sünder Satansbrut,
Dazu die Narr'n, die ohne Hut
Bislang gehaust und ohne Zucht;
Des weitern unsrer Freiheit Frucht:
Wahlkampf und weiser Reden Flucht;
Dazu 'nen Ratssaal, zu beschließen,
Zum Wohl des Kreises, das und dies;
Dazu 'nen Festsaal, zu begießen,
Daß unser Urahn Bele hieß.
Geht also alles bloß nach Lust,
Bekommt der Berge Sohn ja just,
Was, recht sich selber auszuleben,
Sein billig Sehnen ist und Streben.
Wir sind nicht reich hier im Gebirg';
Doch steht erst dies Gemeindehaus,
So ruft wohl jeder Kenner aus:
Welch wohlgeordneter Bezirk!


Brand

Allein die Mittel –?


Der Vogt                               Ja, die hapern

In dieser wie in jeder Sach';
Die Lust zu Leistungen ist schwach,
Und kann ich Sie nicht für mich kapern,
So kommt nichts unter Dach und Fach.
Doch stützen Sie mit Wortes Macht
Mein Werk, so fallen die Beschwerden, –
Und hab' ich's gut zu End' gebracht,
Soll Ihrer nicht vergessen werden.


Brand

Das heißt, Sie kommen, mich zu kaufen?


Der Vogt

Wie Sie gleich immer überlaufen! –
Ich meint', es müßt' mir damit glücken,
Den Zwietrachtschlund zu überbrücken,
Der zwischen uns bisher geklafft
Und keinem Teil Gewinn geschafft.


Brand

Da kamen Sie zur falschen Stunde –


Der Vogt

Ach wohl; ich weiß, – der große Schmerz –!
Die Ihnen jüngst geschlagne Wunde –!
Doch Ihre Fassung gab mir Herz –
Und dann Ihr Einfluß in der Runde –


Brand

Das Auge trocken oder naß, –
Ich stehe, – gilt's, – bereit für jeden.
Jedoch ein andrer Grund will, daß
Sie diesmal doch vergebens reden.


Der Vogt

Und welch ein Grund –?


Brand                                           Ich selbst will bauen.

Der Vogt

Was? Baun? Sie stehl'n mir die Idee?


Brand

Nicht ganz.

(Zeigt zum Fenster hinaus.)
                               Vogt, sehn Sie dort im Schnee –?

Der Vogt

Dort?


Brand              Ja.

Der Vogt            Den großen grauen Stall

Fürs Pfarrvieh, – dort am Wasserfall?


Brand

Daneben den; – den kleinen grauen.


Der Vogt

Die Kirch'?!


Brand (nickt)           Sie will ich größer bauen.

Der Vogt

Das soll, den Teufel, nicht geschehn!
Dran soll mir einer sich getrauen!
Sie haben's auf mich abgesehn!
Mein Plan ist fertig und hat Eile;
Doch Ihrer schießt mir meine Pfeile
Vorweg. Nein, nein! Ich will nicht leben,
Wenn ich –


Brand                        Ich hab' nie nachgegeben.

Der Vogt

Sie müssen! Baun Sie mein Arresthaus
Und Pesthaus und politisch Festhaus,
In Summa, kurz gesagt, – mein Tollhaus,
Wen schiert dann noch das morsche Dachwerk
Der Kirche? Bricht, weiß Gott, das Fachwerk
Doch nun schon Jahr und Tag nicht ein!


Brand

Wohl möglich; doch sie ward zu klein.


Der Vogt

Ich sah mein Lebtag noch kein voll Haus!


Brand

Nicht eine arme Seele fände
Mehr Raum im Zwinger dieser Wände.


Der Vogt (schüttelt verwundert den Kopf.)

Wodurch, bedünkt mich, eben diese,
Wie not ein Narrenhaus, bewiese!

(Verändert den Ton.)

Die Kirche fällt nicht, eh' ich sterbe.
Ich möcht' mich niemals von ihr trennen
Die wir mit Recht ein Erbstück nennen,
Jawohl, ein unverletzlich Erbe,
Trotz allen Ihren Fechtersprüngen!
Ja, wird mein Plan des Teufels Beute,
So werd' ich in der Gunst der Leute,
Ein Vogel Phönix, mich verjüngen!
Ich trete, Hand am Schwertesknauf,
Für unsrer Küste Denkmal auf!
Denn früh schon schmückte diesen Strand
Ein Opferstein für unsre Väter, –
Worüber dann die Kirche später
Aus frommer Helden Raub entstand.
Verklärt in ihrer simplen Pracht,
Geweiht in ihrer alten Tracht,
So ragt sie bis in unsre Tage –


Brand

Doch was gezeugt von frührer Macht,
Ist nun wohl längst zur Ruh' gebracht –
Und alles nur noch fromme Sage.


Der Vogt

Just eben dies! Sie ist so alt,
Daß sich kein Span mehr finden läßt;
Doch zu Großvaters Zeiten galt
Ein Loch noch in der Wand als Rest!


Brand

Ein Loch?


Der Vogt              Groß wie drei Maltersäck'!

Brand

Doch Sie, die Wand?!


Der Vogt                                   Ja, die war weg.

Und deshalb muß ich rundweg sprechen:
Der Kirche Sturz ist unausführlich.
Es wär' ein schmählich, unnatürlich,
Barbarisch Tun, sie abzubrechen.
Und dann das Geld, – ich wette, keiner
Wird Ihr Bedürfnis danach stillen
Und seinen Beutel ziehn um einer
Unausgetragnen Laune willen,
Wenn statt so vieler schwerer Millen
Ein Nichts sie so noch auf dem Damm hält,
Daß sie sich unsre Zeit noch stramm hält!
Doch sehn Sie selbst, wes Krug sie netzt, –
Ich weiß, ich lache doch zuletzt.


Brand

Das neue Haus für meinen Gott
Macht keines Bettlers Hand bankrott.
Aus eignen Mitteln will ich bauen; –
Ich hab' all mein ererbtes Geld
In dieses Werkes Dienst gestellt.
Nun, sind Sie immer noch der Held,
Mir meine Tat nicht zuzutrauen?


Der Vogt (mit gefalteten Händen)

Jetzt platzt die Welt an allen Nähten!
So was geschieht ja kaum in Städten; –
Und hier, – wo jeder sein Metall,
Eh' daß er's dem Gemeinzweck lieh',
Lieber vergräbt, – hier öffnen Sie
Freigebig einen Wasserfall,
Der blinkt und funkelt, sprüht und schäumt –?
Nein, wie gesagt, mich dünkt, mir träumt!


Brand

Ich hab' mich meines Erbteils längst
Vor mir entäußert –


Der Vogt                               Derlei Reden

Vernahm ich oft; doch wies ich jeden
Zurück mit einem: "Was Du denkst!
Wer wär' zu opfern wohl gewillt,
Wo's nicht gewissen Vorteil gilt?"
Doch das ist Ihre eigne Sach'; –
Gehn Sie voran; ich folge nach.
Sie können handeln, stehn in Flammen,
Ich wirk' im stillen, mehr gemach. –
Brand, baun die Kirche wir zusammen!


Brand

Sie wissen rasch sich abzufinden!


Der Vogt

Und ob ich's weiß, und ob ich's tu'!
Torheit, hier Widerstand zu leisten!
Wem pendelt wohl die Menge zu,
Will einer stopfen, mästen, feisten,
Ein andrer melken, scheren, schinden?
Ja, Tod und Teufel, tu' ich mit!
Ich bin von Ihrem großen Schritt
Bewegt, ergriffen, schier gerührt;
Ein Glücksfall, traun, hat mich just heute
Nach diesem Pfarrhof hergeführt;
Denn – darf ich sagen – ohne mein
Geplan' kam Ihnen Ihr's kaum ein, –
Kam jedenfalls nicht vor die Leute.
Und prangt ein Neubau nächsten Winter,
Steckt eigentlich der Vogt dahinter.


Brand

Doch jene ragende Ruine
Der Vorzeit muß geopfert sein.


Der Vogt (blickt hinaus)

Betrachtet hier im Doppelschein
Von Neuschnee und von Neumond, schiene
Fürwahr ihr weitrer Beibehalt
Vom Übel!


Brand                      Wie?

Der Vogt                         Sie ist zu alt!

Es ist mir völlig unerklärlich,
Daß ich den ganzen Abend schlief, –
Doch steht der Hahnenbalken schief; –
Sein fernrer Brauch wär' höchst gefährlich.
Und wo ist Stil, Architektur?
An Wand und Dachstuhl keine Spur!
Wie soll man solche Bogen nennen?
Ein Fachmann würde sagen: greulich!
Und recht hat er; sie sind abscheulich.
Und dieses Moosdach wird wohl schwerlich
Noch König Beles Zeiten kennen.
Nein, Pietät geht leicht zu weit!
Das muß dem größten Enthusiasten
Einleuchten, daß der alte Kasten
In Summa eine Unmöglichkeit.


Brand

Wenn aber nun die Leute sprechen:
Wir weigern uns, ihn abzubrechen –?


Der Vogt

Will niemand andres, so will ich.
Vertraun Sie mir, ich werd' beizeiten
Die Sache glatt in Wege leiten,
Zum Fest schon, bis auf Punkt und Strich.
Hei, werd' ich eifern, wiegeln, schreiben; –
Allein, Sie kennen mich ja, – Schnack!
Und kann ich aus dem dummen Pack
Nicht Hilfe gnug zusammentreiben,
So greif' ich selbst zu Axt und Hack',
Ihn Stock- um Stockwerk zu entleiben.
Und müßten meine eigne Frau
Und eignen Töchter auf den Fleck,
Er soll, bei Tod und Teufel, weg!


Brand

Was für ein andrer Ton, schau, schau,
Als der, in dem Sie jüngst geschmäht!


Der Vogt

Vielseitig sein, mein Freund, das rät
Die Lehre der Humanität;
Und als da sagt der Dichtersmann,
So ist just das ein köstlich Ding,
Daß Flügel unser Geist empfing, –
Mit andern Worten – fliegen kann. –
Ade!

(Nimmt seinen Hut.)
                       Ich muß zu meiner Bande.

Brand

Zu wem?


Der Vogt              Wir griffen heut am Rande

Des Dorfs, selbzweit, – was sagen Sie! –
Zigeuner, häßlich wie die Schande.
Jetzt liegt das Volk, wie Federvieh
Verschnürt, im Nachbarhaus am Strande.
Indes der Teufel soll mich holen,
Wenn sich nicht zwei, drei fortgestohlen –


Brand

Man läutete doch Weihnacht ein.


Der Vogt

Was läßt uns dann die Brut nicht sein!
Doch allerdings, in einer Weise
Gehört sie der Gemeinde an –

(Lachend)

Ja Ihnen selbst! Wenn Rätselspeise
Sie lüstet, – stehn Sie Ihren Mann!
Nun wohl! Es leben Leute: Die sind
Kraft derer da, kraft derer Sie sind,
Und sind doch wieder, schlecht und recht,
Weil sie aus anderem Geschlecht!


Brand (schüttelt den Kopf)

Ach Gott, der Rätsel sind so viele.
Man tappt – und kommt zu keinem Ziele.


Der Vogt

Dies Rätsel ist doch leicht geraten.
Sie hörten von dem Teufelsbraten
Wohl schon das ein' und andre Wort –
Dem armen Burschen hier am Ort, –
Im übrigen ein heller Schädel! –
Der einst um Ihre Mutter warb –


Brand

Was weiter?


Der Vogt                   Um ein steinreich Mädel!!

Worauf ihn denn die Ungerührte
Zum Blocksberg schickt', wie sich's gebührte.
Jedoch was tat nun unser Freund?
Er nahm, verhärmt, halb von Verstande,
Ein ander Weib, aus einer Bande
Zigeuner, – und bevor er starb,
Ließ er dem Trupp sein Blut zum Pfande,
Das nun in Sünd' und Elend sträunt.
Ja, eins von diesen Kebsweib-Trollen
Ward richtig uns hier einbeschert,
Daß wir des Kerls gedenken sollen –


Brand

Und das ist wer?


Der Vogt                          Die junge Gerd!

Brand (mit gedämpfter Stimme)

Die Gerd!


Der Vogt (munter)
                              Was? Macht das Rätsel Staat?

Sein Blut lebt doch kraft derer, die
Sie, Brand, geboren und gesäugt; –
Denn hätt' er Ihre Mutter nie
Geliebt, so hätt' er's nie gezeugt.


Brand

Vogt, wissen Sie mir keinen Rat,
Was diese Seelen retten könnte?


Der Vogt

Der find't sich hinter Zuchthaustoren.
Die sind mit Haut und Haar verloren;
Wer ihnen helfen wollt', mißgönnte
Dem Teufel, was just selben schiert
Und davor schützt, daß er falliert.


Brand

Sie hatten doch zu baun gedacht,
Der Nächsten Wohl so warm erwogen!


Der Vogt

Der Antrag ward, kaum eingebracht,
Schon wieder auch zurückgezogen.


Brand

Und ging' es noch –; wär's jetzt zu spät –?


Der Vogt (lächelnd)

Das ist ein andrer Ton, schau, schau,
Denn der, in dem Sie jüngst geschmäht.

(Klopft ihm auf die Schulter.)

Was tot, ist tot und abgetan;
Entschlossen Handeln ziert den Mann.
Ade! Ich darf nicht länger fackeln,
Ich muß nach meinen Kücken gackeln,
Den ausgerissnen, und ihr Nest
Aufspüren. Also, frohes Fest!
Ade! Und grüßen Sie die Frau!

(Ab.)

Brand (nach gedankenvollem Schweigen:)

Endlose Schuld, wohin ich schau'. –
So wirr, so bunt verschlingen sich
Des Schicksals Fäden, Stich um Stich;
So stecken Sünd' und Frucht der Sünde
Sich an im trübsten aller Bünde,
Daß du erkennst, es ward aus Recht
Und blutigem Unrecht ein Geflecht.

(Tritt ans Fenster und blickt lange hinaus.)

Mein Kind, Du fielst, schuldloses Lamm,
Für meiner Mutter Trotzenwollen;
Ein Irrgeist bracht' die Mahnungsflamm'
Vom Throner überm Wolkenkamm
Und hieß den Schicksalswürfel rollen; –
Und dieser arme Nachtgeist wird,
Weil meine Mutter einst geirrt.
So hält der Herr mit dem Ertrage
Der Schuld Recht und Gesetz die Wage,
So schleudert er vom Himmel nied
Heimsuchung bis aufs dritte Glied.

(Weicht entsetzt vom Fenster zurück.)

Ja, dem Gesetz muß gnug geschehn!
Erst müssen gleich die Schalen stehn.
In unserm Opferwillen lebt
Die Macht, daß sich der Weiser hebt.
Doch darf die Zeit das Wort nicht nennen;
Denn alle scheun sich, es zu kennen.

(Geht lange auf und ab in der Stube.)

Und beten? Beten? Hm, – gar rund
Entrollt dies Wort der meisten Mund;
Bei hoch und niedrig schallt sein Ruhm –
Und heißt: wenn's blitzt und stürmt, um Gnade
Winseln zum Herrn verborgner Pfade, –
Betteln um Christi Mittlertum, –
Die beiden Händ' gen Himmel recken –
Und bis zum Hals in Zweifeln stecken.
Haha, wär' das des Rätsels Kern,
So wagt' ich's wohl, wie mancher Christ,
Und hämmert' an das Tor des Herrn,
Den es "ein Graun zu preisen" ist!

(Hält inne und versinkt in Gedanken.)

Und doch, – als er mir Alf entrückte,
Als er des Schmerzenskelches Grund
Mir bot, – mein Kind einschlummert' – und
Dem bängsten Kuß von Muttermund
Kein Lächeln mehr zu wecken glückte, –
Was war das –? Betet' ich da nicht?
Wo kam der süße Rausch da her,
Der mich wie Sphärensang entzückte?
Was hob mich da zum Himmel? Wer
Durchwob mich da mit Glut und Licht?
Hab' ich gebetet da? War Er
Mein Beichtiger in jener Stunde?
Sah Er da meines Herzens Wunde
Und führte sanft mich zum Verzicht? –
Was weiß ich! Alles ist verhängt
Und aber Nacht um mich gesenkt, –
Und kein, kein Funke Licht zu finden – –.
Doch, eine sieht selbst noch im Blinden!

(Ruft angstvoll.)

Licht, Agnes, – Licht von Deiner Hand!


(Agnes öffnet die Tür und tritt mit den angezündeten Festkerzen ein. Ein heller Schein fällt über die Stube.)


Brand

Licht!


Agnes               Siehst das Weihnachtslicht Du, Brand?

Brand (leise)

Das Weihnachtslicht!


Agnes (stellt die Kerzen auf den Tisch.)
                                                  Sag', Teurer, blieb

Ich lang?


Brand                 Nein, nein!

Agnes                                    Und alles Holz

Verkohlt! Du frierst ja!


Brand (stark:)                             Nein!

Agnes (lächelnd)                                  Dein Stolz

Will nicht einmal den schlichten Trieb
Nach Wärm' und Licht!

(Legt im Ofen nach.)

Brand (geht auf und ab.)           Hm, will nicht!

Agnes (still vor sich hin, während sie die Stube aufputzt.)
                                                                              So,

Hierher den Leuchter. Gott, wie froh
Er vorig Jahr zum Kerzenglanz
Die Ärmchen hob und, Staunen ganz,
Von seinem Stühlchen aus die Frag'
Tat: Ist das eine Sonne, sag'?

(Verschiebt den Leuchter ein wenig.)

Jetzt fällt des Lichtes volle Flut
Hinaus, – hinüber, – wo er ruht.
Jetzt grüßt ihn durch die Scheiben just
Die Wand, davon er fortgemußt;
Jetzt kann er durch des Schneesturms Wehn
Sein Weihnachtsstübchen schimmern sehn. –
Doch 's Fenster ist wie tränenblind; –
Wart', wart'; ich hab' ein Tüchlein seiden –

(Trocknet das Fenster ab.)

Brand (ist ihr mit den Augen gefolgt und sagt leise:)

Wann stürmt auf diesem Meer von Leiden
Der letzte wühlerische Wind!
Es muß zur Ruhe.


Agnes (für sich selbst.)
                                          Sieh, wie hell!

Die Scheide fiel, und lieblich schnell
Wuchs seinem Glanz das Zimmer nach –
Und ward die böse, kalte Erde
Mit einem Mal ein traut Gemach,
Daß süß und hold sein Schlummer werde!


Brand

Was tust Du, Agnes?


Agnes                                      Still doch, Brand!

Brand (nähert sich ihr)

Du zogst den Vorhang auf!


Agnes                                                 Nun schwand

Der Traum; nun bin ich wieder wach.


Brand

Im Traum wird leicht der Beste schwach.
Mach' wieder zu!


Agnes (flehentlich)           Brand!

Brand                                            Zu! Dicht zu!

Agnes

O Du! Sei nicht so grausam, Du!


Brand

Zu, zu!


Agnes (zieht die Laden vor)

Jetzt ist gut zugemacht.
Gott hat gewiß mir nicht verdacht,
Trank ich auf kurze Traumesfrist
Am Trostesquell –


Brand                                   Nein, nein! Er ist

Ein Richter, der mit einem weiten
Gewissen Deine Akten führt;
Wenn auch in Deiner Brust zu Zeiten
Ein Fünkchen Götzendienst sich rührt!


Agnes (bricht in Tränen aus)

So sag', wann je Dein Fordern endet!
Entblättert liegt mein Lebenskranz.


Brand

Ich habe Dir gesagt: Verschwendet
Ist jedes Opfer, das nicht ganz.


Agnes

Doch mein's war ganz; nichts ist geblieben!


Brand (schüttelt den Kopf)

Hat's Dich zu weiteren getrieben?


Agnes (lächelt)

Versuch' der Armut Mut in mir!


Brand

Gib!


Agnes           Nimm! Was wär' noch unerschwungen!

Brand

Dein Schmerz, Deine Erinnerungen, –
All Deiner Sehnsucht sündige Gier –


Agnes (verzweifelt)

Mein Herz samt seinen Wurzeln, – hier!
Da! reiss' es aus!


Brand                                Was Du auch beust,

Versinkt im Abgrund allzumal,
Sobald Du den Verlust bereust!


Agnes (schaudert)

Dein Weg zu Gott ist steil und schmal


Brand

Der Wille kennt nur diesen einen –


Agnes

Und Gnade schweigt –?


Brand (abweisend)                   – aus Opfersteinen.

Agnes (starrt vor sich hin und sagt erschüttert:)

Jetzt ziehn uralte Nebel fort – –!
O Wort der Schrift! Die Tiefe wirbt
Und tut sich auf –


Brand                                Was für ein Wort?

Agnes

Daß, wer Jehovah siehet, – stirbt.


Brand (schlägt die Arme um sie und drückt sie dicht an seine Brust.)

Verbirg Dich! Sieh ihn nicht! Versprich!
Sieh nicht!


Agnes                     Nicht?

Brand (läßt sie los.)          Nein! Hör' nicht auf mich!

Agnes

Du leidest, Brand!


Brand                               Ich liebe Dich.

Agnes

Dein Lieben schmerzt gar sehr.


Brand                                                       Zu sehr?

Agnes

Dein Weg ist mein Weg. Frag' nicht mehr!


Brand

Wie! schied ich denn aus eitlen Grillen
Dein junges Herz von Spiel und Tanz, –
Wie! flocht ich einer Halbheit willen
Dir Deiner Leiden Dornenkranz?
Weh uns! Was hätt' es dann für Wert
Gehabt, daß wir den Kelch geleert!
Du bist mein Weib, Du mußt Dein Leben, –
Das heisch' ich, – ganz dem Herrn ergeben.


Agnes

Ja, ja; doch geh nicht von mir, Du!


Brand

Vergib mir, mich verlangt nach Ruh'.
Bald soll die neue Kirch' erstehen –


Agnes

Mein altes Kirchlein sank in Staub.


Brand

Hat's Deinen Götzendienst gesehen,
So ward's mit Recht der Winde Raub.

(Umfängt sie wie in Angst.)

Gott segne Dich – und schließ' auch mein
Geschick in seinen Segen ein!

(Geht nach der Seitentür.)

Agnes

Brand, wärst Du bös, wenn ich ganz sachte
Das Fenster wieder freier machte?
Ein Spaltchen nur? Brand, darf ich?


Brand (in der Tür.)                           Nein.
(Geht in seine Kammer.)

Agnes

Alles, alles mir zu wehren!
Jeder Laden zugezerrt!
Gramvergessen, Seufzer, Zähren,
Himmel, Grab verwehrt, versperrt!
Fort! Mein Blut kann hier in diesen
Einsamkeiten nicht mehr fließen!
Fort? Wohin? Sehn nicht von droben
Strenge Augen jeden Schritt?
Führt' ich, fliehend von hier oben,
Wohl des Herzens Habe mit?
Könnt' ich aus dem tauben Schweigen
Meiner Furcht je talwärts steigen?

(Horcht an der Türe zu Brands Stube.)

Er liest laut. Und seinen Ohren
Meine Stimme nimmer naht.
Keine Hilf'! Kein Trost, kein Rat!
Selber Gott ist heut verloren
In sein Lauschen, was der reichen,
Kinderreichen, glückesweichen
Menschen Dank ihm singt und lacht.
Heut, in seiner Weihenacht,
Schenkt er keinen Blick mir, keinen
Einer einsamen Mutter Weinen.

(Nähert sich vorsichtig dem Fenster.)

Öffn' ich wohl den strengen Laden,
Lass' der Kerzen hellen Schein
Seinen schwarzen Schlummerschrein
Alles Grausens lauter baden? –
Nein, mein Alf ist nicht da drinnen.
Heut ist ja der Kinder Fest; –
Ob ihn Gott wohl kommen läßt?
Ach, vielleicht schon steht er außen,
Pocht in seinem weißen Linnen
Ans verschlossne Fenster draußen. –
Schluchzte es nicht eben nun?
Alf, ich weiß ja nicht, was tun!
Horch, Dein Vater schloß das Zimmer; –
Alf, ich darf nicht öffnen heut!
Tun wir denn, wie er gebeut!
Wir gehorchten ja noch immer.
O, flieg heim zum Himmel wieder;
Dort ist Glanz und dort ist Freud',
Tanzen Reigen, tönen Lieder.
Aber zwing die Tränen nieder, –
Sag' nicht, daß er 's Haus verrammelte,
Da Du kamst, nach uns zu sehn.
Kleines Kind kann nicht verstehn,
Was für Weg' wir Große gehn.
Sag', wie er vor Trauer stammelte;
Sag', wie selbst dies Grün er sammelte
Zu dem schmucken Kränzlein hier.
Kannst Du's sehn? Das wand er Dir!

(Lauscht, besinnt sich und schüttelt den Kopf.)

Ach, ich träume. Weitaus treuer
Trennt uns eine andre Wand.
Erst im großen Läutrungsfeuer
Fällt in Trümmer ihr Gemäuer,
Stürzt die Wölbung, knarrt der Riegel,
Springt der Kerkertüre Siegel,
Birst des Schlosses ehern Band!
Viel noch, viel noch muß geschehen,
Eh' wir zwei uns wiedersehen.
Füllen will ich, Scholl' auf Schollen,
Seiner Forderungen Schacht,
Werde hart sein, werde wollen. –
Aber heut ist Weihenacht.
Freilich, dies Jahr fehlt das Beste –!
Halt! Ich hol' hervor zum Feste,
Was von ihm mir noch gelassen,
Und des grenzenlosen Wert,
Seit mein Glück von mir gekehrt,
Nur ein Mutterherz kann fassen.


(Sie kniet vor der Kommode nieder, öffnet eine Schublade und nimmt verschiedene Dinge heraus. Im selben Augenblick macht Brand die Tür auf und will sie anreden; aber da er ihr Vorhaben bemerkt, besinnt er sich und bleibt stehen. Agnes sieht ihn nicht.)


Brand (leise)

Ewig dies zum Kirchhof Schielen,
Ewig dies am Grabe Spielen!


Agnes

Schleier, Kleid und Mäntelein,
Drin mein kleiner Schatz getauft ward –

(Hält das Kleidchen in die Höhe, betrachtet es und lacht.)

Gott, wie über alle Maßen
Süß dies Kleidchen ist! Ja, mein
Prinzchen war gar wunderfein,
Als wir so im Kirchstuhl saßen. –
Sieh, die Schärp' hier und das Röckchen,
Drin er mir das erste Jahr
An die Luft gedurft. Es war
Derzeit, als es ihm gekauft ward,
Viel zu lang; doch wie im Fliegen
Wuchs er draus. – Das mag hier liegen. –
Handschuh', Söckchen, – potz! die Söckchen! –
Und sein neues Seidenhäubchen
Für den Winter; – noch kein Stäubchen
Hat an seinem Glanz gerührt. –
O, und hier die Reisestücke,
Drein ich ihn auf Brands Gebot
Eingemummt und eingeschnürt; –
Als ich wieder sie zurücke
Legte, war ich müd' zum Tod.


Brand (ringt die Hände in Qual.)

Gott, – ich kann's nicht! Soll sie ihren
Letzten Trost durch mich verlieren?
Bürd' es einem andern auf!


Agnes

Da sind Flecken; – weint' ich drauf? –
Welch ein Reichtum! Perldurchsträhnet,
Schmerzzerknittert, angstbetränet,
Glanzumstrahlt vom Graun der Wahl,
Heilig! Seines Opfertages
Krönungsmantel! Tröst' Dich, zages
Herz, noch reich in aller Qual!


(Es pocht heftig an der Flurtür; Agnes wendet sich mit einem Aufschrei um und erblickt zugleich Brand. Die Tür wird aufgerissen und ein Weib, in zerrissener Kleidung, tritt, ein Kind auf dem Arm, eilig ein.)


Das Weib (sieht die Kindersachen und ruft Agnes zu:)

Reiche Mutter, teil' mit mir!


Agnes

Du bist zehenmal so reich!


Das Weib

Ha, Du bist den andern gleich;
Leere Worte dort und hier!


Brand (nähert sich ihr:)

Sag', was hast Du hier im Sinn?


Das Weib

Nichts mit Dir, dem Pfarrer! Besser
Wieder in des Eiswinds Messer,
Als zu hör'n Dein pfäffisch Unken;
Lieber totgehetzt, ertrunken
Auf 'ner Klippe faulen hin,
Als Dir, Schwarzrock, Red' zu stehen,
Der mich heißt, zur Hölle gehen!
War's, zum Teufel, mein Versehen,
Daß ich die ward, die ich bin?


Brand (leise)

Diese Stimme, dies Gesicht
Füllen mich mit Ahnungsgrausen!


Agnes

Rast' Dich, wenn Dir matt zu mut ist.
Bist Du hungrig, hehl's uns nicht –


Das Weib

Der Zigeuner darf nicht hausen,
Wo es hell ist, wo es gut ist.
Unser Heim sind hohle Stämme,
Schluchten, Straßen, Bergeskämme;
Müssen ziehen, müssen wandern,
Haus und Herd sind für Euch andern.
Schon zu lang' hier halt' ich Rast;
Sie sind hinter mir wie Hunde!
Wenn mich Vogt und Amtmann faßt,
Sitz' ich auch zur selben Stunde.


Brand

Hier soll's keiner wagen.


Das Weib                                      Hier?

Wo mich Dach und Wand begraben?
Nein, der Nachtwind, sag' ich Dir,
Wird uns beide besser laben.
Doch ein Fetzen Kleid fürs Kleine!
Denn mein Ält'ster, dieser Dieb,
Stahl dem eignen Bruder seine
Lumpen, drein ich ihn gewickelt;
Schau', halb nackt ist er, die Beine
Blau wie Eis, die Haut zerprickelt
Vom Gestöber, das uns trieb.


Brand

Weib, laß ab von ihm – und gib
Uns ihn, seinem Heil zulieb!
Laß ihn nicht bei Dir verkommen, –
Und der Fluch wird ihm genommen –


Das Weib

Ja, Du weißt es gut wie einer!
Solch ein Wunder tut Dir keiner, –
Soll's nicht einmal! Krieg, jawohl,
Euch, durch die mein Jung' verloren!
Weißt Du, wo ich ihn geboren?
An der Straßengrabenkante,
Unter Trinken, Spiel, Gejohl'.
Tauft' ihn aus 'ner Pfütz', einbrannte
Mit 'ner Kohl' ihm 's Kreuzeszeichen,
Tat ihm meine Schnapsflasch' reichen; –
Und just als ich ihn gebar,
Stritt um mich die halbe Schar –
Bessre Gott die Missetäter! –,
Wer der Vater, – wer die Väter!


Brand

Agnes!


Agnes
                Ja.

Brand                     Tu Deine Pflicht.

Agnes (voll Entsetzen)

Brand! Ihr! Nimmermehr! Das nicht!


Das Weib

Gib, gib! Gib mir, was Du hast!
Seidenzeug und alten Prast!
Nichts ist mir zu schlecht, zu gut,
Wärmt's nur sein erstarrtes Blut.
Stirbt er auch noch heut, so sei's
Doch in Schweiß und nicht in Eis.


Brand (zu Agnes)

Höre dieses Zeichens Zunge!


Das Weib

Darbt Dir drum Dein eigner Junge?
Nein! – So gib denn dem, der fremd,
Lebenskleid und Totenhemd!


Brand

Weh', wer sich dem Gipfelschwunge
Seiner Pflicht entgegenstemmt!


Das Weib

Gib!


Agnes            Das heißt am Toten drüben

Schändung, Leichenraub verüben!


Brand

Unnütz ward er hingegeben,
Bleibst Du an der Schwelle kleben.


Agnes (gebrochen)

Nun, Dein Willen, er geschehe.
Herz, zerbrich! Was gilt Dein Wehe.
Weib, wohlan, – da ich denn muß, –
Teilen wir den Überfluß –


Das Weib

Gib! Gib!


Brand                   Teilen? – Agnes; teilen?

Agnes

Eher mag mich Tod ereilen,
Als ich noch mehr gebe. Stiehl
Mir nicht alles! Freu' sie der
Hälfte sich! Sie braucht nicht mehr!


Brand

War das Ganze auch zu viel,
Als für Dein Kind es gekauft ward?


Agnes (gibt dem Weib ein Stück ums andere.)

Komm, hier nimm das Mäntelchen,
Das er trug, als er getauft ward.
Hier sind Schärpe, Kleid und Röckchen, –
Das hält warm bei Nacht und Wind, –
Hier das Häubchen, hier die Söckchen, –
Darin tut kein Frost ihm weh;
Nimm den letzten Fetzen denn –


Das Weib

Gib, gib!


Brand                 Gabst Du alles, Kind?

Agnes (gibt von neuem)

Hier sein Krönungsmantel, als wir
Ihn geopfert!


Das Weib                   So! Jetzt seh'

Ich nichts mehr. Wenn auf dem Hals mir
Nur nicht Vogt und Amtmann sind!
Ich bekleid' ihn auf der Treppe, –
Und dann fort mit dem Geläppe!

(Ab.)

Agnes (steht in starkem inneren Kampf; endlich fragt sie:)

Sag' mir, Brand, wär' es wohl billig,
Fordertest Du jetzt noch mehr?


Brand

Sag' mir Du erst: Schrittst Du willig
Zu dem Opfer, herb und schwer?


Agnes

Nein.


Brand              So war's zum Spiel geschehen,

Und die Ford'rung bleibt bestehen.

(Wendet sich zum Gehen.)

Agnes (schweigt, bis er an der Tür ist, dann ruft sie:)

Brand!


Brand              Was gibt's?

Agnes                                 Ich hab' gelogen, –

Dich um ein Ding noch betrogen.
Brand, vergib! Ich widersetzte
Mich: ich gab noch nicht das Letzte.


Brand

Nun!


Agnes (zieht ein zusammengefaltetes Kindermützchen aus dem Busen.)

Eins blieb undargebracht.


Brand

Dies?


Agnes              Betränt von meinen Schmerzen,

Feucht vom Schweiß der Sterbenacht,
Lag's bis jetzt an meinem Herzen!


Brand

Bleib in Deiner Götzen Macht!

(Wendet sich zum Gehen.)

Agnes

Halt!


Brand            Was willst Du?

Agnes                                      O, Du weißt es.
(Reicht ihm das Mützchen hin.)

Brand (tritt auf sie zu und fragt, ohne es zu nehmen:)

Willig?


Agnes               Willig! Ja.

Brand (nimmt das Mützchen.)
                                           So heißt es

Eilen; sonst entfernt sie sich.

(Ab.)

Agnes

Selbst dies letzte Band, das mich
Noch am Staub hielt, – er zerreißt es!

(Steht eine Weile unbeweglich; nach und nach geht der Ausdruck ihres Antlitzes in hell strahlende Freude über. Brand kommt zurück; sie fliegt ihm jubelnd entgegen, wirft sich ihm an die Brust und ruft:)

Ich bin frei! Brand, ich bin frei!


Brand

Agnes!


Agnes                Alles ist vorbei!

Nacht und Graun, die mich gebunden
Wie ein böser Traum und Krampf,
Ruhn im Abgrund überwunden!
Sieg beschließt des Willens Kampf!
Alle Tränen sind vergossen,
Alle Wolken sind zerflossen;
Hinter kurzen Todesnöten
Schimmern ewige Morgenröten!
Totenacker, Totenacker!
Keiner Seel' Irrlichtgeflacker
Lockt mich mehr, Dich anzuklagen; –
Alf ist himmelan getragen!


Brand

Ja! Jetzt hast Du überwunden!


Agnes

Überwunden hab' ich, traun!
Überwunden Grab und Graun!
Blick' empor! Alf ist gefunden!
Siehst Du, wie er, neuerweckt,
Lächelnd von des Thrones Stufen
Seine Ärmchen nach uns streckt?
Hätt' ich jetzt auch tausend Stimmen,
Wüßte, Gott würd' nicht ergrimmen,
Hielt' ich dennoch mich versteckt,
Ohn' ihn wieder heimzurufen.
O, welch tiefer Weisheit Bronn:
Gott entreißt mich, streng mich von
Meinem köstlichen Kleinode
Trennend, sichrem Seelentode.
Ich bekam's, daß ich's verlöre –
Und nach seinem Himmel fröre!
Dank Dir, Freund an meiner Seite,
Treuer Helfer mir im Streite!
O, ich sah wohl Deine Qual.
Jetzt stehst Du im Tal der Wahl;
Hilf Dir selbst nun angesichts
Deines Alles oder Nichts!


Brand

Kind, was willst Du damit sagen?
Ist der Streit nicht ausgetragen?


Agnes

Du vergißt, was uns verdirbt: –
Wer Jehova siehet, stirbt!


Brand (weicht zurück)

Weh mir, welch ein Licht entbrennst Du!
Nein! und tausend Male nein!
Meine starken Arme kennst Du, –
Und so laß mich nicht allein!
Mag sich alles von mir kehren,
Jedes Lohns kann ich entbehren,
Aber nimmer, nimmer Dein!


Agnes

Wähl', Du stehst am Scheidewege!
Lösch' das Licht, – und das Gespenst, Du
Weißt, es wird von neuem rege;
Tilg' der Weihnachtslichter Helle; –
Horch, sie sitzt noch auf der Schwelle; –
Laß mich zu den himmlisch blinden
Tagen wieder heimwärts finden,
Stoss' mich, wiederum entmündigt,
In den Staub, drin ich gesündigt, –
Alles kannst Du; wandle mich;
Was vermag ich wider Dich;
Schneid entzwei der Flügel Sehne,
Gieß mir Blei in jede Vene,
Mach' mich mit derselben Hand
Klein, die mich zu heben strebte,
Laß mich leben, wie ich lebte,
Da ich noch in Nacht mich wand.
Willst und kannst Du dies, so bleib
Ich wie ehedem Dein Weib; –
Wähl', Du stehst am Scheidewege!


Brand

Weh', wenn ich noch überlege!
Und doch winkten fern von hier,
Heilend jede Herzenswunde,
Leben Dir und Licht im Bunde.


Agnes

Kläng' Dir nicht aus Grabesgrunde
Stets dann ein "Du gingst von mir"?
Würd'st Du dann den tausend Seelen,
Deren Hort Du hier, nicht fehlen, –
Die zu liebendem Umfassen
Gott Dir gab in Heg' und Pflege?
Wähl', Du stehst am Scheidewege!


Brand

Mir ist keine Wahl gelassen.


Agnes (wirft sich an seine Brust:)

Dank für alles – und dies Letzte!
Treulich halfest Du der Schwachen!
Wenn es naht, das mir Gesetzte,
Wirst Du treulich bei mir wachen.


Brand

Schlaf'! Dein Tagwerk ist zu End'.


Agnes

Aus, – ja; und das Nachtlicht brennt.
Ach, mich hat des Kampfes Macht
Ganz von aller Kraft gebracht;
O, doch leicht sind Gottes Strafen!

              Brand, gutnacht!

Brand                                 Gutnacht!

Agnes                                                 Gutnacht,

Dank für alles! Und nun – schlafen!

(Ab.)

Brand (preßt die Hände gegen die Brust.)

Herz, bleib treu dem höchsten Richter!
Sieger werden nur Verzichter.
Erst Verlornes wird Erworbnes; –
Ewig lebt Dir nur Gestorbnes!


Zu Akt 5

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