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Henrik Ibsen: Brand, 2

Gedichte > Zeitzünder

Henrik Ibsen:


Brand


Ein dramatisches Gedicht (von 1865),
übersetzt von Christian Morgenstern (1907)



Personen

Brand
Seine Mutter
Ejnar (sprich: Einar), ein Maler
Agnes
Der Vogt
Der Doktor
Der Propst
Der Küster
Der Schulmeister
Gerd
Ein Bauer
Sein halbwüchsiger Sohn
Ein zweiter Bauer
Ein Weib
Ein zweites Weib
Ein Schreiber
Geistlichkeit und Amtspersonen,
Volk, Männer, Weiber und Kinder
Der Versucher in der Wüste
Chor der Unsichtbaren
Eine Stimme

Das Stück spielt in unserer Zeit, teils in, teils bei einem Fjordkirchspiel an der Westküste Norwegens.



Zweiter Akt


(Unten an dem von schroffen Bergwänden umschlossenen Fjord. Auf einer kleinen Anhöhe in der Nähe die alte, verfallene Kirche. Ein Unwetter zieht herauf.)
(Volk, Männer, Weiber und Kinder, teils am Strande, teils weiter oben in Gruppen. In ihrer Mitte sitzt der Vogt auf einem Stein; ein Schreiber hilft ihm bei der Verteilung von Korn und Lebensmitteln. Ejnar und Agnes stehen in einiger Entfernung, von einer Anzahl Leute umringt. In dem von der Ebbe freigelegten Sande liegen ein paar Boote. Brand wird auf dem Kirchenberg sichtbar, ohne zunächst noch von der Menge bemerkt zu werden.)


Ein Mann (arbeitet sich durch das Gedränge.)

Macht Platz!


Ein Weib                   Ich war zuerst da!

Der Mann (schubst sie zur Seite.)         Pack'

Dich weg!

(Drängt sich zum Vogt vor.)
                               Herr, gebt mir meinen Sack!

Der Vogt

Geduld.


Der Mann
                           Daheim ist bittre Not;

Da hungern vier sich – fünf sich tot!


Der Vogt (spaßend.)

He? Zählen ist ein schwierig Ding!


Der Mann

Eins lag im Sterben, als ich ging.


Der Vogt

Die Liste, Schreiber!

(Zu dem Bauern, während er in seinen Papieren blättert:)
                                               Tritt zurück!

Du stehst doch drin –? Ja. 's war Dein Glück.

(Zum Schreiber;)

Der Nummer Dreißig ausgeteilt! –
Na, Leute, nur nichts übereilt!
Niels Schneesumpf!


Ein Mann                              Hier!

Der Vogt                                        Dein Teil heut macht

Nur halb so viel als vordem, da
Ihr nun doch weniger –


Der Mann                                   Ja, ja.

Mein Weib starb akkurat heut nacht.


Der Vogt (notiert)

Fällt weg. Gespart wird nie genug.

(Zu dem sich Entfernenden:)

Doch bloß nicht jetzt in vollem Zug
In eine neue Eh'!


Der Schreiber (kichert)
                                           Hi, hi!

Der Vogt (scharf)

Worüber lachen Sie?


Der Schreiber                       Weil Sie,

Herr Vogt, so spaßig reden.


Der Vogt                                           Wie –?

Mir ist durchaus nicht so zu Mut.
Doch macht ein Scherz gar manches gut.


Ejnar (tritt mit Agnes aus der sie umgebenden Gruppe.)

Nun gibt die letzte Tasch' nichts mehr, –
Notizbuch, Beutel, alles leer; –
Ein Bettler schier komm' ich an Bord
Und helf' mit Uhr und Stock mir fort.


Der Vogt

Ja, Ihr zwei kamt zur rechten Stund'.
Was ich gesammelt, ist zum Lachen.
Ein jeder weiß, es macht nicht satt,
Wenn leere Hand, halbvoller Mund
Mit dem, der nichts zu beißen hat,
Ihr karges Mahl gemeinsam machen.

(Bemerkt Brand und zeigt auf ihn.)

Willkommen! Trieb Sie der Bericht
Der Hungersnot nach dieser Küste,
So schonen Sie Ihr Ränzel nicht!
Wir nehmen jeglichen Betrag,
Denn unser Vorrat geht zur Rüste; –
Zween Fischlein in der Armut Wüste
Sind keine Mahlzeit heutzutag.


Brand

In eines Abgotts Namen sind
Zehntausend Körbe Spelt im Wind.


Der Vogt

Ich lud Sie nicht zu Worten ein.
Dem leeren Bauch sind Worte Stein.


Ejnar

Du weißt nicht, wie das Volk hier litt,
Sonst fühltest Du sein Elend mit!
Hier ist ein Grab voll bittern Wehs.
Hier liegen Leichen –


Brand                                         Ja, ich seh's.

An jedes Aug's bleigrauem Rand
Erkennt man hier des Richters Hand.


Der Vogt

Und trotzdem bleibt Ihr Herz wie Stahl?


Brand (tritt hernieder unter die Menge und spricht mit Nachdruck:)

Wär's Leben hier gedrückt und schal,
Ging' trägen Gangs in Eintagsnot,
Erbarmte mich dies Schrein nach Brot.
Wenn Du auf Vieren kriechen mußt,
Erwacht das Tier in Deiner Brust.
Schleicht Tag um Tag in dumpfer Ruh',
Im Schlaftrott, wie ein Leichenzug,
Da raunt Dir leicht Verzagtheit zu,
Du seist getilgt aus Gottes Buch.
Euch aber ist der Herrgott gut,
Euch träuft er Todesangst ins Blut,
Euch geißelt er bis dicht vors Grab,
Nimmt wieder Euch, was er Euch gab –


Mehrere Stimmen
(unterbrechen ihn drohend.)

Er höhnt uns noch in unsrer Not!


Der Vogt

Er gönnt Euch nicht das bißchen Brot!


Brand (schüttelt den Kopf)

O hülf' Euch doch mein rotes Blut
Gleich eines Heilquells Wunderflut,
Ich öffnete der Adern Deich,
Bis jede Vene leer und bleich.
Doch damit mißverständ' ich Ihn!
Seht, Gott will Euch dem Staub entziehn!
Ein rechtes Volk, – ist's auch nicht stark, –
Entsaugt dem Unglück Macht und Mark;
Der Geist steigt adlergleich empor,
Vom Auge sinkt des Eintags Flor,
Der Wille wirft sein Haupt zurück
Und weiß: ihm wird des Sieges Glück.
Doch wen nicht adelt, was ihn schmerzt,
Der hat, daß Gott ihm hilft, verscherzt!


Ein Weib

Da zieht ein Wetter auf, seht, seht, –
Wie durch sein Wort herbeigeweht!


Ein Anderes

Gott straft ihn noch! Ich sag's vorher!


Brand

Dein Gott tut keine Wunder mehr!


Die Weiber

Welch' Wetter!


Stimmen aus der Menge
                                       Steinigt, stecht ihn fort!

Was will der Unmensch hier am Ort!


(Das Volk schart sich drohend um Brand. Der Vogt tritt dazwischen. Ein Weib, verwildert und zerrissen, kommt den Berg hinabgeeilt.)

Das Weib (schreit der Menge zu:)

In Jesu Namen, steht mir bei!


Der Vogt

Was gibt's? Wo fehlt's? Red' frank und frei!


Das Weib

Ich brauch' nicht Euer Brot und Geld!
Mich traf das Ärgste von der Welt!


Der Vogt

Nun, was denn? Sprich!


Das Weib                                    Ich kann nicht –! Wo

Ist Euer Pfarrer?


Der Vogt                         Danach rufst

Du hier umsonst –


Das Weib                         Verloren! O!

Hart warst Du, Gott, daß Du mich schufst!


Brand (nähert sich ihr.)

Vielleicht ist doch ein Priester hier.


Das Weib (ergreift ihn am Arm.)

So hab' Erbarmen, schaff' ihn mir!


Brand

Erst sprich! So tu' ich, was ich kann.


Das Weib

Quer überm Fjord –


Brand                                     Nun, was?

Das Weib                                                Mein Mann –

Kein Brot – drei magre Kinderlein – –
Sag', er ist nicht verdammt! Sag' nein!


Brand

Sprich erst.


Das Weib (zeigt auf ihre Brust.)

                  Verdorrt war ich und leer;
Nicht Gott, nicht Menschen halfen mehr;
Das Jüngste lag am Tod, – da trug's
Mein Mann nicht mehr, – und er – erschlug's –!


Brand   Erschlug's –?

Das Volk (entsetzt)
                                  Sein Kind!
Das Weib                                     Im selben trat

Ihn an die Sünde seiner Tat!
Anfiel die Reu' ihn wie ein Brand,
Ans eigne Leben legt' er Hand.
O komm, trotz Sturm und Wellennot!
Er flucht dem Leben, bebt vorm Tod,
Die Leich' im Arm liegt er und nennt
Des Bösen Namen ohne End'!


Brand (für sich)

Ja, hier ist Not.


Ejnar (bleich)                Er stirbt verdammt.

Der Vogt

Der Mann gehört nicht in mein Amt.


Brand (kurz, zu der Menge:)

Ein Boot los! Und begleit' mich einer!


Ein Mann

Bei diesem Wind? Das wagt Dir keiner!


Der Vogt

Den Fjord rund läuft ein Steig –


Das Weib                                                  Nein, nein, –

Der Weg ist jetzt zu ungewiß;
lch kenn' ihn, doch der Sturzbach riß
Dicht hinter mir den Holzsteg ein!


Brand

Ein Boot macht los!


Ein Mann                              Unmöglich jetzt,

Wo sich die See so widersetzt!


Ein Anderer (zeigt nach dem andern Ufer.)

Dort kommt's herunter, – Fels und Strauch!
Der ganze Fjord ist Staub und Rauch!


Ein Dritter

Solang' der Sturm so drohend spricht,
Enthebt der Propst Dich Deiner Pflicht!


Brand

Ein Sünder, dessen Stunde schlägt,
Verzieht nicht, bis ein Sturm sich legt!

(Springt in ein Boot und zieht das Segel auf.)

Ihr wagt das Schiff?


Der Eigentümer                  Das wohl; – doch bleib!

Brand

Wohlan! Wer wagt nun seinen Leib?


Ein Mann

Ich nicht.


Ein Anderer
                             Ich auch nicht. Bei dem Wehn!

Mehrere

Das hieß' blind ins Verderben gehn!


Brand

Ja, Euer Gott hülf' keinem fort,
Doch meiner, wißt, ist mit an Bord!


Das Weib (ringt die Hände)

Er stirbt!


Brand (ruft vom Boote aus:)
                             Wenn sich nur einer stellt,

Der schöpft und vorn am Fock sich hält!
Hier gab doch grad' manch wackrer Mann; –
Gebt mehr noch! Gebt Euch selbst noch dran!


Mehrere (zurückweichend)

Verlang' das nicht!


Ein Einzelner (drohend)
                                           Gib's auf, Dein Spiel!

Was Gott zuviel, ist Gott zuviel.


Mehrere Stimmen

Das Wetter wächst!


Andere                                 Die Kette sprang!

Brand (hakt sich mit dem Bootshaken fest und ruft dem fremden Weibe zu:)

So komm denn Du; doch säum' nicht lang'!


Das Weib (weicht zurück)

Ich? Wo kein Mensch –?


Brand                                           Nur Gott vertraut!

Das Weib

Ich kann nicht!


Brand                            Nicht –?

Das Weib                                    Die Kinder, schaut!

Brand (lacht auf)

Sand ist der Grund, darauf Ihr baut!


Agnes (wendet sich mit glühenden Wangen rasch nach Ejnar um, legt ihm die Hand auf den Arm und sagt:)

Hast Du gehört?


Ejnar                              Der gibt sich nicht!

Agnes

Mit Gott! So kennst Du Deine Pflicht!

(Ruft Brand zu:)

Sieh her, hier springt Dir einer bei,
Der Deiner, hoff' ich, würdig sei!


Brand

So komm!


Ejnar (bleich)
                              Ich?

Agnes                           Geh! Ich opfre Dich!

Die Blindheit, die mich schlug, entwich!


Ejnar

Eh' ich Dich kannte, hätt' ich mich
Freiwillig selbst geopfert, – jetzt –


Agnes (bebend)

Jetzt –?


Ejnar               – wär' zuviel aufs Spiel gesetzt; –

Ich kann nicht!


Agnes (weicht zurück)
                                       Was hast Du gesagt?

Ejnar

Ich darf nicht!


Agnes (mit einem Aufschrei)
                                      Jetzt, Gott sei's geklagt,

Hat reißend sich, sturmüberfegt,
Ein Weltmeer zwischen uns gelegt!

(Zu Brand:)

Ich komme!


Brand                       Gut; so fahren wir!

Die Weiber (entsetzt, während sie in das Boot springt.)

Hilf, Jesus!


Ejnar (greift verzweifelt nach ihr.)
                                  Agnes!

Die ganze Menge (eilt hinzu.)
                                              Halt! Bleibt hier!

Brand

Wo liegt die Hütte?


Das Weib (zeigt hinaus)
                                              Dreh' das Schiff

Dort drüben um das schwarze Kliff!

(Das Boot stößt ab.)

Ejnar (schreit ihnen nach:)

Der Mutter denk, der Brüder! Mord'
Ihr Glück nicht!


Agnes                               Hier sind drei an Bord!

(Das Boot segelt ab. Das Volk schart sich auf den Höhen zusammen und verfolgt es mit höchster Spannung.)

Ein Mann

Er macht's!


Ein Anderer
          Glaub's nicht!

Der Erste                                       Jawohl! Ich seh',

Er hat das Achter schon in Lee!


Der Andere

Ein Windstoß! Hei, der traf sie gut!


Der Vogt

Seht, – da entführt er ihm den Hut!


Ein Weib

Schwarz, wie ein Rabenflügelpaar,
Schlägt wild im Sturm sein nasses Haar!


Erster Mann

In Rauch und Dampf steht alles!


Ejnar                                                        Still!

Was schrie da grad' so grell und schrill?


Ein Weib

's kam von den Höhn.


Ein Anderes (zeigt nach oben)
                                                  Da steht die Gerd

Und johlt, wie er vorüberfährt!


Erstes Weib

Schaut, wie sie in ein Bockshorn stößt
Und Stein um Stein vom Abhang löst!


Zweites Weib

Jetzt wirft sie's Horn ins Heideland
Und tutet durch die hohle Hand!


Ein Mann

Ja, tut' und gröhl' nur, wüster Troll,
Den Mann, den irrst Du keinen Zoll!


Ein Anderer

Wenn's wieder not tut, – steuert er,
Geh' ich bei schwererm Sturm aufs Meer.


Erster Mann

Was war er?


Ejnar                          Pfarrer.

Zweiter Mann                         Was er war, –

Er war ein Mann; so viel ist klar!
In ihm war Trotz und Kraft und Mut.


Erster Mann

Der tät' uns hier als Pfarrer gut!


Viele Stimmen

Ja, der tät' uns als Pfarrer gut!

(Sie zerstreuen sich über die Höhen.)

Der Vogt (sucht seine Papiere und Bücher zusammen.)

Es war zum mind'sten inkorrekt,
Daß er den Kopf hierein gesteckt
Und ohne zwingendes Motiv
Gefahr an Leib und Leben lief. –
Ich sorg' gewiß für allesamt, –
Doch allzeit nur in meinem Amt.

(Ab.)


(Vor der Hütte auf der Landspitze.)


(Es ist hoher Tag. Der Fjord liegt blank und still. Agnes sitzt unten am Strande. Gleich darauf tritt Brand aus der Tür.)

Brand

Er ist tot. Nun, wie geborgen
Vor den Schrecken des Gerichts,
Stillen, großen Angesichts,
Liegt er, licht und frei von Sorgen.
Wie der Tod doch Nacht in Tag
Trügrisch umzuglühn vermag!
Seinem höllischen Vergehen
Sah er nicht bis auf den Grund, –
Sah nicht mehr, als was ein Mund
Nennt, was man mit Händen tastet,
Was auf seinem Namen lastet:
Was dem Kind von ihm geschehen.
Doch die beiden, die voll Graun
Ihre Augen an ihn hängten
Gleich zwei Vögeln, eng gedrängten,
Die vom Herddach niederschaun, –
Sie, die blöd' und ratlos sahn,
Was für Dinge da geschahn, –
Deren Seele sich ein Fleck
Einfraß, den kein glühend Eisen,
Keine Säure aus ihr weg
Tilgt, – und würden sie zu Greisen, –
Deren Keime aus den Schollen
Solchen Erdreichs brechen sollen, –
Deren Wachstum, Zoll um Zoll,
Solch ein Fluch beschatten soll, –
Sie, die dieser Nachtgedanke
Nimmermehr verlassen kann, –
Sie, sie sah er nicht, der Kranke,
Nicht, wie seiner Tat Geranke
Sich um sie als Erben spann. –
Und das Schuldbuch wird vielleicht
Weiter fort und fortgereicht,
Weil, – o Abgrund, der hier ruht! –
Weil sie ihres Vaters Blut!
Was wird still gestrichen werden,
Was mild ausgeglichen werden?
Wie weit schreibt sich eines jeden
Haftpflicht für ererbte Schäden?
Wer wird zeugen, wer wird richten,
Wenn es gilt, den Stoff zu sichten?
Wer wird dann die Wahrheit wissen,
Wo ein jeder Delinquent?
Wer darf weisen sein zerschlissen,
Übertragen Dokument?
Schwindeltiefe Rätselnächte,
Wer Euch je zum Reden brächte!
Doch von Sinnen und Verstande
Tanzt der Schwarm an Abgrunds Rande; –
Alle sollten zittern, beben, –
Doch nicht einer sieht von tausend,
Welch ein Berg von Schuld sich grausend
Auftürmt auf dem Wörtlein: leben.


(Einige Männer aus dem Dorfe kommen hinter dem Hause hervor und nähern sich Brand.)

Ein Mann

Wir treffen uns zum zweiten Mal.


Brand

Zu spät; zu End' ist seine Qual.


Der Mann

Mag sein; doch ist's mit ihm vorbei, –
Drin in der Stube sind noch drei.


Brand

Nun, und –?


Der Mann               Wir haben von dem da,

Womit man uns im Dorf versah –


Brand

Und gäbst Du alles – außerm Leben,
So wisse, Du hast nichts gegeben.


Der Mann

Hätt' ihm, der jetzt da drinnen tot,
In seinem Nachen Not gedroht,
Und hätt' er dort um Hilf' geklagt,
Weiß Gott, ich hätt' mich dran gewagt.


Brand

Doch Seelennot, – sie hat kein Recht?


Der Mann

Wir sind ein arm, geplagt Geschlecht.


Brand

So kehrt auch Eure Augen ganz
Von Sonnenschein und Firnenglanz!
Laßt nicht das linke aufwärts zücken
Und hängt das rechte unverwandt
Ans Tal, wo Ihr, mit krummen Rücken,
Euch selber habt ins Joch gespannt.


Der Mann

Ich hatt' gedacht, Dein Rat wird sein,
Wir sollten uns daraus befrein.


Brand

Ja, könntet Ihr's!


Der Mann                        Das steht bei Dir.

Brand

Bei mir?


Der Mann          Schon mancher wies uns hier

Den Weg und sprach uns mahnend zu; –
Doch keiner ging den Weg, wie Du.


Brand

Du meinst –?


Der Mann                 Es prägt sich eine Tat

Mehr ein denn tausendfacher Rat.
In uns geht unser Dorf Dich an; –
Denn, was uns not tut, ist ein Mann.


Brand (unruhig)

Was wollt Ihr?


Der Mann                    Unser Pfarrer sei!

Brand

Ich? Hier!


Der Mann           Daß unsere Pfarrei

Vakant ist, fand ja wohl Dein Ohr.


Brand

Ja, jetzt besinn' ich mich –


Der Mann                                       Vor Zeiten,

Da konnt' der Sprengel viel bestreiten.
Doch Mißwachs kam, das Korn erfror,
Von Seuchen fielen Volk und Vieh,
Den Rest warf Armut auf die Knie,
Daß jedermann den Mut verlor; –
Kaum daß man noch sein Brot bestritt!
Da fiel denn auch der Pfarrer mit.


Brand

Heisch' was Du willst, doch solches nicht!
Mein wartet eine höhre Pflicht.
Ich brauch' des Lebens großes Führen,
Ich brauch' der Erde offne Türen.
Doch hier? In einem Felsenkerker
Hat Menschenzunge nicht Gewalt.


Der Mann

Antworten Felsen, hallt nur stärker
Das Wort, das voll und kraftig schallt.


Brand

Wer schlöss' sich ein in finstrer Zellen,
Besäß' er weit und breit das Land?
Wer ackerte Geröll und Sand,
Wär' ihm ein Erbgut zu bestellen?
Wer wollt' von Kernen Frucht empfahn,
Wenn sich am Baum die Äpfel röten, –
Wer sich in stumpfem Tagwerk töten,
Winkt' ihm ein Weltkreis aufgetan?


Der Mann

Dein Tun war klarer als Dein Wort.


Brand

Was drängt Ihr mich! An Bord, an Bord!

(Will gehen.)

Der Mann (vertritt ihm den Weg.)

Ist dieser Ruf, der an Dich geht,
Das Werk, danach Dein Wille steht,
Dir wirklich wert?


Brand                                  Dies Werk ist mir

Mein Leben selber!


Der Mann                            So bleib hier!
(Mit Nachdruck)

Und gäbst Du alles – außerm Leben,
So wisse, Du hast nichts gegeben.


Brand

Dein Selbst, das kannst Du nicht verschenken,
Nicht Deinen innersten Beruf.
Umsonst, den Sturzbach abzulenken,
Wenn Gott ihn der Bestimmung schuf,
Den Lauf zum offnen Meer zu senken!


Der Mann

Ob Sumpf und Teich sich widersetzt,
Als Tau erreicht er's doch zuletzt.


Brand (sieht ihn fest an.)

Wer lehrte solches solchem Munde?


Der Mann

Du selbst, in jener großen Stunde,
Da Du Dich, spottend unsrer Angst,
Durch Wind und Wellen vorwärts rangst,
Da 's Dich, der armen Seel' zulieb,
Durch Wogenbraus und Sturmgraus trieb; –
Da überlief's uns, jung und alt,
Wie Wind und Sonne, heiß und kalt,
Da klang's wie Osterglockenchor – –

(Senkt die Stimme)

Doch morgen ist's wohl wie zuvor.
Da ziehn wir wieder, trüb, allein,
Die Auferstehungsfahnen ein.


Brand

Unkraft ist nimmer zukunftsvoll.

(Hart:)

Wer das nicht sein kann, was er soll, –
Der sei nur ernstlich, was er kann,
Sei ganz und gar der Erde Mann.


Der Mann (sieht ihn eine Weile an und sagt dann:)

Weh' Dir, der auslosch, da er ging;
Weh' uns, die kurzer Tag umfing!

(Er geht; die übrigen folgen ihm still.)

Brand (sieht ihnen lange nach.)

Schweigend, mit gebeugten Rücken,
Zieht der stille Haufe fort;
Seine schweren Füße rücken
Müd' und matt ihn kaum vom Ort.
Jeder geht, den Leib zusammen-
krümmend, furchtgeschwächten Knies, –
Geht wie der, von dem wir stammen,
Da der Cherub ihn verstieß, –
Beut, wie er, den Finsternissen
Schläfen schuld- und kummerschwer, –
Trägt sein harterkauftes Wissen,
Sein verloren Glück wie er.
Menschen hab' ich schaffen wollen,
Neu und ganz und hehr und rein; –
Was ist diesen Makelvollen
Noch mit Gottes Bild gemein!
Fort! Zu reichern Möglichkeiten!
Helden können hier nicht streiten.

(Will gehen, bleibt jedoch beim Anblick der am Strande sitzenden Agnes stehen.)

Wie sie lauscht! Als schwängen Saiten
Ihr nur hörbare Akkorde!
Lauschend so, saß gischtumstaubt sie,
Da das Boot den Sturm durchstampfte, –
Lauschend hielt sie sich am Borde, –
Lauschend schüttelte das Haupt sie,
Wenn's die Flut zu dicht umdampfte.
Als ob Ohr mit Auge tauschte,
Ist's – und mit dem Aug' sie lauschte!

(Nähert sich ihr.)

Sind es, Mädchen, wohl des Strandes
Linien, drauf Dein Auge feiert –?


Agnes (ohne sich umzuwenden:)

Nicht des Strandes noch des Landes;
Beide liegen mir verschleiert.
Eine größre Welt erspäh' ich;
Scharf zur Luft steht ihre Ründung;
Meere, breiter Ströme Mündung,
Sonnengold durch Nebel seh' ich;
Seh' um wolkendunkle Gipfel
Purpurlohe ziehn und schwinden,
Seh' die endlos öden Watten
Einer Wüste; Palmenwipfel
Schwanken dort in heißen Winden,
Werfen lange, schwarze Schatten;
Lebens ist kein Hauch zu finden, –
Still ist's wie am Schöpfungstage;
Und ich höre Stimmen klingen,
Höre Zungen mir befehlen:
Wirf Dein Alles in die Wage!
Schweres steht Dir zu vollbringen, –
Diese Welt sollst Du beseelen!


Brand (mitgerissen)

Sag', was siehst Du mehr?


Agnes (legt die Hand auf die Brust.)
                                                       Hier innen

Merk' ich Kräfte heimlich brauen,
Spür' ich Quellen schwellend rinnen,
Schau' ich Dämmerungen grauen.
Wie ein All, nach allen Seiten
Fühl' ich mein Gemüt sich weiten,
Und ich höre mir befehlen:
Diese Welt sollst Du beseelen!
Was an Taten und Gedanken
Alles kommen soll, erhebt sich,
Flüstert, atmet, regt, belebt sich,
Drängt nun in des Lebens Schranken;
Und ein Ahnen mehr als Sehen
Zeigt mir Ihn dort oben stehen,
Wie er niederblickt, das Herz
Voller Liebesglut und Schmerz,
Licht und mild wie Morgenrot,
Und betrübt doch bis zum Tod;
Und ich höre Stimmen klingen:
Auf zum neuen Schöpfungstage!
Nun steigt oder sinkt die Wage; –
Schweres steht Dir zu vollbringen.


Brand

In – ja – in Dich! Dahin weist es!
Dahin rollt das Rad des Geistes!
Du, Dein Herz, – das sei die Sphäre,
Die sich göttlich neugebäre, –
Da des Willens Geier sterbe, –
Die der neue Adam erbe!
Geh' die Welt denn ihren Gang
Unter Seufzen oder Sang; –
Aber prallen wir zusammen,
Trachtet sie mir Untergang,
Dann, beim Himmel, setzt es Flammen!
Eins begehrt ein Mann allein:
Bahn frei, ganz er selbst zu sein; –
Mag er alles sonst entbehren, –
Dies Recht soll ihm keiner wehren.

(Verstummt auf eine Weile in Gedanken und sagt dann:)

Ganz er selbst! Doch das Gewicht
Ihm vererbter Schuld und Pflicht?

(Hält inne und blickt auf.)

Wer ist die dort mit dem Stecken?
Keuchend kommt, verkrümmt, verschrumpelt,
Sie den Berg herauf gehumpelt,
Bleibt, sich zu verschnaufen, stehn,
Stützt sich auf, nicht umzufallen,
Wühlt mit magern Fingerkrallen
Hastig in den tiefen Säcken,
Wie nach einem Schatz zu sehn.
Über schlotternden Gebeinen
Schlenkert's wie ein Federhemd,
Und die krummen Hände scheinen
Eines Habichts, der in einen
Scheunentorspalt eingeklemmt.

(Plötzlich erbangend:)

Ha! Welch frostiges Entsinnen! –
Treibt ein Spuk hier seinen Spott?
Grabkalt fühl' ich's von ihr rinnen, –
Doppelt grabkalt stürmt's hier drinnen! – –
Meine Mutter! – Großer Gott!


Brands Mutter (bleibt, den Berg heraufkommend, stehen, zunächst nur halben Leibes sichtbar. Sie beschattet die Augen mit der Hand und sieht sich um.)

Hier muß er sein.

(Kommt näher.)
                                         Dies Teufelsbrennen
Und –flimmern schafft mir Höllenpein!
Bist Du mein Sohn?

Brand                        Ja.

Die Mutter (reibt die Augen)
                                         Hu! Der Schein

Sticht einem ins Gesicht hinein;
Man kann nicht Pfaff und Bauer trennen.


Brand

Daheim sah ich die Sonne nie –
Vom Herbst an, bis der Kuckuck schrie.


Die Mutter (lacht in sich hinein.)

Nein, da erfriert eins allgemach,
Als wie der Eisbart überm Bach,
Und faßt zuletzt zu allem Mut
Und denkt: Gott hält Dir's wohl zu gut.


Brand

Willkommen und Lebwohl! Es eilt.


Die Mutter

Ja, ja, Du hast nie gern verweilt.
So liefst Du weg als Junge schon –


Brand

Du warst's, die mir zu gehn gebot.


Die Mutter

Ich hatte meine Gründe, Sohn;
Denn daß Du Priester wardst, tat not.

(Betrachtet ihn näher.)

Hm, stark ist er geworden, groß!
Doch horch mir nun auf Eines bloß:
Acht' auf Dein Leben!


Brand                                        Auf nichts mehr?

Die Mutter

Nichts mehr? Was hast Du mehr auf Erden?


Brand

Ich meine, kommst Du nur hierher,
Mir dies zu raten?


Die Mutter                        Andre werden

Dir andres raten. Doch Dein Leben
Erhalte der, die Dir's gegeben!

(Zornig:)

Dran heut sich weit die Zungen wetzen,
Verschlug mir Sinn und Atem fast.
Heut auf den Fjord! Aufs Spiel zu setzen,
Was Du für mich zu wahren hast!
Du bist der letzte des Geschlechtes,
Du bist mein Sohn, mein Fleisch und Bein,
Du krönst mein teures, kunstgerechtes
Gebäud' als letzter, höchster Stein.
Halt aus! Steh fest! Leb', weil es Zeit ist!
Acht' auf Dich selbst! Vergiß Dich nicht!
Zu leben ist des Erben Pflicht, –
Des meinen, – wenn es einst so weit ist.


Brand

Drum also kommst Du heut gegangen:
Mit vollen Taschen mich zu fangen –?


Die Mutter

Sohn, bist Du toll!

(Weicht zurück.)
                                            Komm mir nicht nah!

Bleib stehn! Ich schlag' Dich mit dem Stabe!

(Ruhiger:)

Was meintest Du damit? – Nun ja,
Man altert Jahr um Jahr, und da
Ist jeder Schritt ein Schritt zum Grabe.
Dann fällt an Dich, was ich besessen.
Gezählt, gewogen und gemessen
Liegt alles. – Ich hier hab' nichts mit! –
Daheim liegt alles. 's will nichts heißen;
Doch wer's mal erbt, hat doch zu beißen. –
Komm mir nicht näher! Keinen Schritt! –
Ich schwöre Dir, in keiner Ritze
Was zu verstecken, keinen Topf
Wo einzuscharren, keinen Knopf
Verdeckt von einem Mauersteine,
Von einem Dielenbrett zu lan; –
Du, Sohn, sollst all mein Erbe han;
Das ganze fällt an Dich alleine.


Brand

Und von Bedingungen?


Die Mutter                                 Nur eine:

Erhalt Dein Leben dem Besitze,
Und erb' ihn fort von Sohn zu Sohn;
Ich will mir keinen andern Lohn.
Und sorg' mir, daß nichts durchgebracht wird,
Geteilt wird oder losgemacht wird; –
Vermehr' ihn oder nicht; nur wahr',
Nur wahr' ihn wachsam Jahr um Jahr!


Brand (nach einer kurzen Pause.)

Eins werde klar zwischen uns zwein:
Von Kind auf war ich stets Dein Nein.
Nie war'n wir Sohn und Mutter, Frau,
Bis ich nun groß und Du nun grau.


Die Mutter

Ich fordre weder Patsch noch Schmatz.
Sei, wie Du willst, eiszapfenkalt,
Harsch, barsch, – an meinem Busenlatz
Sind schlimmre Dinge abgeprallt;
Nur halt ums Erb' die Faust geballt!
Das bleib' in unsrer Sipp' Gewalt!


Brand (tritt ihr einen Schritt näher.)

Und wenn nun's Gegenteil mich freute, –
Daß ich's in alle Winde streute?


Die Mutter (taumelt zurück)

Verstreuen, was manch Knechtschaftsjahr
Gekrümmt mein Kreuz, gebleicht mein Haar?


Brand (nickt langsam.)

Verstreun, ja.


Die Mutter                  Tätst Du diesen Schritt,

Du streutest meine Seele mit!


Brand

Und irrt' ich doch nun Dein Bemühn?
Wenn Du den letzten Seufzer tust,
Die Lichter vor dem Lager glühn,
Und Du, 's Gesangbuch in den Händen,
Die erste Nacht des Todes ruhst, –
Und brächt', was nur die Finger fänden,
Der Zettel all erwühlten Wust,
Zuletzt der Kerze gieren Bränden? –


Die Mutter (nähert sich in Spannung.)

Wo hast Du den Gedanken her?


Brand

Woher? Soll ich erzählen?


Die Mutter                                       Ja!

Brand

Von einem Nachtspuk, der mich schwer
Bedrückt, seit ich, als Kind, ihn sah;
Der meiner Seele ward zur Qual
Wie einer Hasenscharte Mal.
Herbstabend. Vater war nicht mehr;
Du lagst als krank. Ich schlich hinein, –
Da schlief er bleich im Kerzenschein.
Aus einem Winkel starrt' ich bang
Nach ihm und sah, er hielt ein Buch;
Mich schreckte seines Schlafes Schwere,
Der Adern bläulich blasse Leere;
Ich roch das kalte Leichentuch; –
Da hört' ich Tritte her vom Gang; –
Ein Weib ging, – ohne mich zu sehn, –
Zum Bett hin auf gereckten Zehn,
Hub an sich drüber hinzubücken,
Den Toten hin und her zu rücken, –
Um Bund auf Bund hervorzuziehen
Und zählend, flüsternd hinzuknieen, –
Bis eine pralle Lederkatze
Ans Licht kam, gierig aufgerissen,
Nein, aufgekratzt und aufgebissen, –
Und grub und grub, bis alles leer war,
Und zählte, schmälte, daß nicht mehr war,
Und weinte, klagte, schalt und schwur,
Stets Weitrem witternd auf der Spur, –
Und dann – mit Jubels Überschwang,
Ein Falke, schoß sie auf den Fang.
Zuletzt war alles umgedreht;
Sie ging, wie ein Verdammter geht,
Den Fund in ihren Schurz geschicht't
Und stöhnend: Mehr war's also nicht.


Die Mutter

Groß war die Fordrung, klein der Fund;
Ich war betrogen bis zum Grund.


Brand

Noch mehr. Der karge Sündenlohn
Betrog Dich auch noch um den Sohn.


Die Mutter

Ja, 's ist nun mal der Lauf der Welt:
Mit Blute kauft sich Gut und Geld.
Ich zahlte hohen Preis genung;
Mich deucht, ich ließ mein Leben jung.
Ich ließ, was längst sich nun empfahl, –
Ein Ding wie Wind und Sonnenstrahl,
Ein Ding, das dumm und schön zumal;
Ein Ding, des Name kaum mir blieb;
Ich glaub', die Leute schalten's Lieb'.
Ich weiß noch gut, wie's an mir fraß,
Noch gut, wie mir's der Vater las:
Was ist der Häuslerssohn Dir nütze!
Der Brand, ob auch ein welker Ast,
Das ist ein Kerl von Grips und Grütze!
Der mehrt Dir doppelt, was Du hast! –
Ich nahm ihn; Schimpf war mein Gewinn.
Er bracht' es nie und nie dahin.
Doch ich hab' Tag und Nacht geheckt,
So daß der Rest nun balde kleckt.


Brand

Und denkst Du, nun 's zu Grabe geht,
Auch, wie's um Deine Seele steht?


Die Mutter

Daß ich dran dacht', am besten wies,
Daß ich Dich Priester werden hieß.
Trifft mich mein Los und Dich Dein Teil,
So sorg' für meiner Seele Heil!
Ich hab' den sau'r erworbnen Hort,
Du hast den Trost, die Macht, das Wort.


Brand

So klug Du warst, Du täuschtest Dich.
Du sahst im Licht der Heimat mich.
So rechnend gehn der Eltern mehr
Hier hinter ihren Kindern her.
Ihr meint, das Kind hab' nur der Alten
Erbtrödel weiter zu verwalten.
Der Ewigkeit ein blasser Schein
Geht Eure Seelen aus und ein; –
Ihr langt nach ihm, dem Wahn geneiget,
Er sei schon Euer, wann nur fein
Ihr Sipp' und Erb' zusammenzweiget, –
Daß Tod vor Leben dann verstumme –
Und Ewigkeit Euch werd' als Summe
Hochaufgehäufter Jahresreihn.


Die Mutter

Forsch' nicht in Deiner Mutter Sinn,
Und nimm Dein Erb', wenn 's Dein wird, hin!


Brand

Und Deine Schuld?


Die Mutter                          Schuld? Welche denn?

Ich schulde keinem was.


Brand                                             Doch wenn –!

So müßt' ich all dem Gut entsagen,
Bis jede Schuld glatt abgetragen.
Ein Sohn, geht seine Mutter ruhn,
Muß jeder Fordrung Gnüge tun
Und übernähm' ich 's Haus stockleer, –
Dein Schuldbuch doch mein Erbe wär'.


Die Mutter

Das fordert kein Gesetz.


Brand                                          Nein, keins,

Das Tint' und Feder schrieb, doch eins,
Das jedes braven Sohns Gemüt
Mit mahnender Gewalt durchglüht; –
Und dem Gesetz soll gnug geschehn.
Verblendete, so lern' doch sehn!
Daß Du den Herrn in Dir erniedert,
Dein Seelenlehen öd' vertan,
Daß Du das Bild, das Du empfahn,
In Kot gezogen und beschmutzt,
Daß Du den Geist, einst reich gefiedert,
Im Weltgetümmel schnöd' gestutzt, –
Ist Deine Schuld! Wo willst Du hin,
Wenn Gott einst nach dem Seinen frägt?


Die Mutter (scheu)

Wohin ich will?


Brand                              Getrost! Es trägt

Dein Sohn die Schuld der Sünderin.
Das Bild, dran Deine Makel kleben,
In mir soll sich's geklärt erheben!
Magst ruhig zu den Toten gehen.
Kein Schuldbuch ängste Deine Ruh'; –
Ich tilge –


Die Mutter            Schuld und all Versehen?

Brand

Die Schuld. Nur diese; hör' wohl zu.
Die Schuld will ich, Dein Sohn, abtragen;
Der Sünde mußt Du selbst entsagen.
Das Maß des Menschlichen, das man
Dem Moloch Weltlust hinwarf, kann
Durch eines andern Taten sich
Bezahlen bis auf Punkt und Strich;
Doch daß man's also ließ verderben,
Das sühnt Bereu'n bloß – oder Sterben!


Die Mutter (unruhig)

Am besten ist's für mich wohl doch
In meinem kühlen Schattenloch;
In dieser Schwül' hier sprießt nur Keim
Auf Keim vergifteter Gedanken;
Man wird schier schwindlig von dem Duft.


Brand

Ja, kehr' in Deinen Schatten heim.
Doch fühlst Du Deine Kräfte schwanken
Und sehnst Du Dich nach Licht und Luft,
So schick' nach mir, so werd' ich eilen.


Die Mutter

Ja, Du mit Deinen Strafurteilen!


Brand

Nein, mild als Priester, warm als Sohn,
Wehr' ich den Schrecken, die Dir drohn;
An Deinem Lager mein Gesang
Soll trösten Dich zum letzten Gang.


Die Mutter

Das gilt so seiner Zeit wie heut?


Brand

Das gilt, sobald Dein Herz bereut.

(Tritt näher auf sie zu.)

Doch Eines fordr' ich zum Entgelt.
Freiwillig opfre, was die Welt
Dir alles von dem ihren gab,
Und schreite nackend in Dein Grab!


Die Mutter (schlägt wild nach ihm.)

Gebiete, daß sich Feuer, Brennen –
Schnee, Frieren – Wasser, Feuchtsein trennen!
Laß ab!


Brand               Wirf's in den Fjord und bete,
Daß Dich die Tat bei Gott vertrete.

Die Mutter

Heisch' Hunger, Durst, – nur den Verzicht,
Dies größte Opfer fordre nicht!


Brand

Bleibt eben dieses größte fort,
So mildert nichts sein Richterwort.


Die Mutter

Ich leg' in unsern Opferkrug –


Brand

Alles?


Die Mutter
                        Ist viel noch nicht genug?

Brand

Du tust nicht eher Buße, bis
Dein Herz wie Hiobs nicht zerriß.


Die Mutter (ringt die Hände.)

Mein' Seel' verdammt, mein Tag vergeud't!
Um arme Frist mein Gut verstreut!
Heim denn, und dicht ans Herz gehegt,
Was heut noch meinen Namen trägt.
Mein Gut, mein Schmerzenskind, mein Gut,
Für Dich riß ich die Brust in Blut!
Nun kommt Dein weinend Mütterlein
Und wiegt ihr sterbend Kindlein ein. –
War's mich im Fleisch zu schaffen not,
Wenn Fleisches Lust der Seele Tod? –
Halt' nah dich, Pfarrer! Weiß noch nicht,
Wes Sinns ich werd', wann's Auge bricht.
Muß ich, noch lebend, alles lassen, –
Will ich doch in Geduld mich fassen.

(Ab.)

Brand (sieht ihr nach)

Ja, Dein Sohn wird nah sich halten,
Harren, Dich bereu'n zu sehn,
Wärmen Deine alten, kalten
Hände, wenn sie nach ihm flehn.

(Geht hinab zu Agnes.)

Als ich heut hier niederstieg,
Stand mir Herz und Sinn nach Krieg,
Hört' ich ferner Weisen Wecken,
Sah das Schwert des Zorns mich recken,
Lügen fällen, Trolle schrecken,
Alle Welt zu Boden strecken.


Agnes (hat sich umgewendet und sieht hellen Auges zu ihm auf.)

Niedrig lag heut früh mein Ziel;
Denn ich wollte Lug und Spiel,
Wollt' gewinnen, wollt' vermehren,
Was Gewinn war, zu entbehren.


Brand

Holde Träume, große Träume
Suchten mich gleich wilden Schwänen,
Hoben mich auf breite Schwingen.
Sah mich rings, in stolzem Wähnen,
Schuld und Leid der Zeit bezwingen,
In der Faust des Weltlaufs Zäume.
Frommer Prozessionen Pracht,
Hymnen, Weihrauch, Festgepränge,
Goldne Schalen, Preisgesänge,
Zuruf jubelnder Gedränge
Sah ich meinem Werk gebracht.
Alles lud so lockend ein, –
Doch das Ganze war ein Traum
Wie halb Blitz, halb Sonnenschein
Über ferner Lande Saum.
Jetzo steh' ich, wo es grauet,
Lang' bevor der Tag verblauet,
Zwischen Hochgebirg' und Sund,
Abgesperrt vom Weltgewimmel,
Nur mit einem Streiflein Himmel, –
Doch ich steh' auf Heimatsgrund.
Scheide, festliches Gedicht!
Laß mich, Flügelroß, zur Erden!
Mich erharrt ein höher Ziel
Denn Turnier und Ritterspiel, –
Tag- um Tagwerk, Pflicht um Pflicht
Soll hier Fest und Feier werden!


Agnes

Und der Gott, der fallen sollte?


Brand

Wird im stillen nun gefällt, –
Nicht mehr laut vor aller Welt,
Wie's am Morgen ich noch wollte.
Klar erblick' ich, daß ich fehlte,
Als ich jenen Heilsweg wählte.
Keines Helden lärmvoll Handeln
Wird dies Zwerggeschlecht verwandeln,
Kein Entfalten reicher Kräfte
Bessern seine kranken Säfte.
Wille, Willen ist von nöten!
Der wird retten oder töten.
Wille, ganz, in allen Dingen,
Im Erhabnen, im Geringen.

(Wendet sich nach der Seite des Dorfes zu, über das bereits die ersten Abendschatten fallen.)

Kommt denn, die Ihr Eure Stecken
Heimwärts setztet, müde Männer!
Uns-Vertrauer, uns-Erkenner,
Woll'n wir brünstig uns erneuen,
Lug und Halbheit niederstrecken,
Wecken unsres Willens Leuen.
Hand am Karst, wie Hand am Schwert
Eint sich leicht mit Manneswert!
Eins ist not: daß wir auf Erden
Tafeln Seines Griffels werden.


(Er will gehen. Ejnar kommt ihm entgegen.)

Ejnar

Gib mir, was Du nahmst, zurück!


Brand

Agnes? Wolle selbst sie fragen!


Ejnar (zu Agnes:)

Wähle zwischen lichten Tagen
Und der Felsschlucht Kerkerglück!


Agnes

Geh! Ich habe nichts zu wählen.


Ejnar

Agnes, muß ich Dir erzählen,
Was die alten Lehren sagen:
Leicht gehoben, schwer getragen!


Agnes

All Dein Locken ist verschwendet.
Ich will tragen, bis es endet.


Ejnar

Denk an Deiner Lieben Klagen!


Agnes

Grüss' sie! Wird die Seele ruhn,
Klär' ich ihnen selbst mein Tun.


Ejnar

Draußen auf der Flut, der blanken,
Eilen Segel weiß vom Strand;
Ziehn wie sehnende Gedanken
Hohe Bord', in Schaumgewanden,
Jagen, fliehn dahin, zu landen
Fern in einem Zauberland!


Agnes

Laß Du nur den Wimpel steigen;
Denk, daß ich begraben wär'.


Ejnar

So sei schwesterlich mein eigen!


Agnes (schüttelt den Kopf.)

Uns zwei trennt ein Weltenmeer.


Ejnar

O, dann heim zum Mutterherzen!


Agnes (leise)

Lehrer, Bruder, Freund verscherzen?


Brand (kommt einen Schritt näher.)

Junges Weib, bedenk Dich fein.
Zwischen Stein und aber Stein,
Unter kahlen Felsenzinnen,
In der Halbnacht ewigem Spinnen
Wird mein Tag fortan hier innen
Wie ein düstrer Herbsttag sein.


Agnes

Daß sich Dunkel tragen lerne,
Brechen durchs Gewölk die Sterne.


Brand

Wisse, daß ich viel begehre,
Alles fordre oder nichts;
Wichest Du vom Weg des Lichts,
Wärst Du wie ein Wrack im Meere.
Hoffe nichts mir abzudingen,
Keine Nachsicht abzuringen; –
Trägt Dich's Leben nicht zum Ziel,
Mußt Du's stumm zum Opfer bringen!


Ejnar

Fliehe dieses wilde Spiel!
Laß der finstren Dogmen Mann.
Leb', wie Dein Gefühl es kann!


Brand

Wähle; – heilig sei Dein Wille!

(Ab.)

Ejnar

Wähle zwischen Sturm und Stille!
Wenn Du jetzt Dich wirst erheben,
Wählst Du zwischen Glück und Sorgen,
Wählst Du zwischen Nacht und Morgen,
Wählst Du zwischen Tod und Leben!


Agnes (steht auf und sagt langsam:)

In die Nacht denn. Durch den Tod. –
Fernher dämmert Morgenrot.


(Sie folgt Brand auf seinem Wege. Ejnar blickt ihr eine Weile wie verloren nach, dann beugt er das Haupt und geht in der Richtung nach dem äußeren Fjord zu wieder ab.)

Zum 3. Akt

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