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Henri Bergson: Das Lachen

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay
Henri Bergson
Das Lachen
(1900 / 1914)


In diesem Bande sind drei Aufsätze über das Lachen (genauer: über das durch Komik hervorgerufene Lachen) vereinigt, die ursprünglich in der Revue de Paris erschienen sind. Diese Aufsätze hatten die Bestimmung der wichtigsten ›Kategorien‹ des Komischen zum Ziele, es wurde versucht, durch die Gruppierung möglichst vieler Tatsachen die Gesetze zu entwickeln; kritische Auseinandersetzung mit den vorhandenen Theorien verbot schon allein ihre Form. Hätten wir das bei der Neuherausgabe nachholen sollen? Vielleicht hätten unsere Behauptungen durch Vergleich mit den Theorien unsrer Vorgänger an Sicherheit gewonnen; dafür wäre dann aber die Darstellung unverhältnismäßig verwickelter und die Abhandlung sehr viel umfangreicher geworden, als es der Bedeutung des Gegenstandes entspricht. So bringen wir also die Aufsätze, wie sie das erste Mal erschienen sind, und beschränken uns darauf, die Hauptuntersuchungen über das Komische aus den letzten dreißig Jahren hier aufzuführen.
 
Paris, April 1900
H. B.
 

Hecker, Physiologie und Psychologie des Lachens und des Komischen, 1873.
 
Dumont, Théorie scientifique de la sensibilité, 1875, p. 202 ff. – Les causes du rire, 1862.
 
Courdaveaux, Etudes sur le comique, 1875.
 
Darwin, The expression of the emotions in man and animals, 1872, p. 198 ff.
 
Philbert, Le rire, 1883.
 
Bain, The emotions and the will.
 
Kraepelin, Zur Psychologie des Komischen (Philosophische Studien, Bd. II, 1885).
 
Piderit, Mimik und Physiognomik, 1886, S. 111 ff.
 
Spencer, Essays, vol. I, p. 194 ff.: Physiology of Laughter.
 
Penjon, Le rire et la liberté (Revue philosophique, 1893, II).
 
Mélinard, Pourquoi rit-on? (Revue des Deux-Mondes, Februar 1895).
 
Ribot, La psychologie des sentiments, 1896, p. 342 ff.
 
Lacombe, Du comique et du spirituel (Revue de métaphysique et de morale, 1897).
 
Stanley Hall und A. Allin, The psychology of laughing, tickling and the comic (American Journal of Psychology, vol. IX, 1897).
 
Lipps, Komik und Humor, 1898. – Psychologie der Komik (Philosophische Monatshefte, Bd. XXIV und XXV).
 
Heymans, Zur Psychologie der Komik. (Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. XX, 1899).
 
Überhorst, Das Komische, 1899.
 
 


Erstes Kapitel
 
Vom Komischen im allgemeinen / Komische Formen und komische Bewegungen / Umfang des Komischen

 
Was ist das Wesen des Lachens? Was liegt allem Lächerlichen zugrunde? Was haben ein Clownsgesicht, ein Wortspiel, eine Verwechslungsszene in einem Schwank und eine Szene eines feineren Lustspiels gemeinsam? Wie destillieren wir die Substanz heraus, die so verschiedenen Dingen das gleiche, bisweilen aufdringlich starke, bisweilen ganz diskrete Aroma verleiht? Die größten Denker von Aristoteles an haben sich an der Lösung dieses winzigen Problems versucht, das einem, wenn man es fassen will, unter der Hand zerrinnt, verschwindet, gar nicht dagewesen ist und sich doch wieder aufwirft; eine unerhörte Herausforderung an den philosophischen Scharfsinn.
 
Was uns entschuldigt, wenn wir unsererseits an dieses Problem herantreten, ist, daß es uns fern liegt, das Wesen des Komischen in eine Definition zu zwängen. Wir sehen in ihm vor allem etwas Lebendiges. Wir werden es, sei es auch noch so unwichtig, stets mit der Achtung behandeln, die man Lebendigem schuldet. Es soll uns genug sein zu sehen, wie es wächst und sich entfaltet. Es wird vor unsern Augen in unmerklichen Übergängen die sonderbarsten Verwandlungen aus einer Gestalt in die andere durchmachen. Nichts von dem, was wir sehen, soll uns zu unbedeutend sein. Möglich, daß wir bei solch ständigem Kontakt sogar etwas Geschmeidigeres, Fruchtbareres gewinnen als eine abstrakte Definition, eine Kenntnis praktischer und intimer Natur, wie diejenige zu sein pflegt, die aus langem und vertrautem Umgang entspringt.
 
Und vielleicht finden wir gar, daß wir, ohne es zu wollen, auch eine nützliche Erkenntnis gewonnen haben. Denn in seiner Weise vernünftig selbst unter den närrischsten Formen, methodisch in seiner Regelwidrigkeit (dem Traume gleichend, aber einem Traume, der Gesichte hat, die sofort von einer ganzen Reihe Menschen erfaßt und begriffen werden): wie sollte das Komische uns nicht über die Arbeitsweise der menschlichen Phantasie, vor allem der sozialen, kollektiven, der Phantasie des Volkes reiche Aufschlüsse geben? Wie sollte es, Kind des wirklichen Lebens und der Kunst nahe verwandt, nicht auch sein Wort zu sagen haben über Kunst und Leben?
 
Wir geben zunächst drei Beobachtungen, die wir für grundlegend halten. Sie beziehen sich weniger auf das Komische an sich als auf die Umgebung, in der es auftritt.

Der erste Punkt, auf den ich die Aufmerksamkeit lenken möchte, ist: Es gibt keine Komik außer in der menschlichen Sphäre. Eine Landschaft kann schön, lieblich, erhaben, langweilig oder häßlich sein; nie wird sie lächerlich erscheinen. Man lacht wohl über ein Tier, aber nur, weil man eine menschliche Gebärde oder einen menschlichen Ausdruck an ihm entdeckt hat. Man lacht über einen Hut; allein worüber man lacht, ist nicht das Stück Filz oder Stroh, sondern die Form, die diesem die Menschen gegeben haben, der schnurrige Einfall, den wir in dieser Form verkörpert sehen. Ich frage mich, warum denn eine so wichtige und dabei so einfache Sache die Aufmerksamkeit der Philosophen nicht mehr auf sich gezogen hat. Manche haben den Menschen definiert als ein Tier, welches lacht. Sie hätten ihn aber auch ein Tier nennen können, das lachen macht, denn wenn das ein anderes lebendes Wesen oder ein toter Gegenstand tut, so geschieht das nur auf Grund irgendeiner Ähnlichkeit mit dem Menschen, auf Grund irgendeines Zuges an ihm, der vom Menschen herrührt oder auf Grund des Gebrauchs, den der Mensch von ihm macht.
 
Als eine nicht minder merkwürdige Eigenschaft des Komischen möchte ich zweitens die Gefühllosigkeit betonen, die gewöhnlich dem Lachen zur Seite geht. Das Komische scheint seine durchschlagende Wirkung nur äußern zu können, wenn es eine völlig unbewegte, ausgeglichene Seelenoberfläche vorfindet. Seelische Kälte ist sein wahres Element. Das Lachen hat keinen größeren Feind als jede Art von Erregung. Ich will nicht sagen, wir könnten über einen Menschen, der uns etwa Mitleid oder gar Liebe einflößt, nicht trotzdem lachen: allein dann muß man für einen Augenblick diese Liebe vergessen, dieses Mitleid unterdrücken. In einer Welt von reinen Verstandesmenschen würde man wahrscheinlich nicht mehr weinen, wohl aber noch lachen; wohingegen ewig sensible, auf Harmonie mit dem Leben abgestimmte Seelen, in deren Herzen jeder Ton, jedes Ereignis in gefühlvoller Resonanz nachklingt, das Lachen sowenig kennen wie begreifen würden. Man versuche nur einmal, an allem, was man hört und sieht, innerlichst Anteil zu nehmen, man denke sich mit den Tätigen tätig, mit den Fühlenden fühlend, man gebe seiner Sympathie die weiteste Ausdehnung: wie unter einem Zauberstabe werden die leichtesten Gegenstände schwer werden, und ein Schatten wird über alle Dinge gleiten. Und dann löse man sich innerlich los und stehe dem Leben als unbeteiligter Zuschauer gegenüber, und die meisten Trauerspiele werden Komödie. So brauchen wir in einem Salon, wo man tanzt, nur die Ohren gegen die Musik zu verschließen, und die Tänzer erscheinen uns lächerlich. Wieviel menschliche Handlungen möchten wohl bei solcher Prüfung bestehen? Und würden nicht viele, sowie wir nur die Gefühlsmusik, die sie begleitet, zum Schweigen bringen, ihr ernsthaftes Gesicht ablegen und zum Scherz übergehen? Kurz, das Komische setzt, soll es voll wirken, etwas wie eine zeitweilige Anästhesie des Herzens voraus, es wendet sich an den reinen Intellekt.
 
Aber dieser Intellekt muß immer mit fremden Intellekten kommunizieren. Das ist das dritte, worauf ich die Aufmerksamkeit lenken möchte. Man würde für das Komische kein Organ haben, wenn man allein stünde. Das Lachen bedarf offenbar des Echos. Man höre nur genau hin: es ist kein artikulierter, scharfer, deutlich begrenzter Laut; sondern etwas, was, indem es überall widerhallt, immer weiter gehen möchte, etwas, was wie mit einer Explosion einsetzt, um dann, dem Donner in den Bergen gleich, langsam weiter zu rollen. Jedoch braucht dieser Widerhall nicht ins Unendliche zu gehen. Der Kreis, in dem er herumgeht, kann groß oder klein sein; immer ist er geschlossen. Unser Lachen ist stets das Lachen einer Gruppe. Jeder hat wohl schon, wenn er im Zug oder an der Table d'hôte saß, die andern einander Geschichten erzählen hören, die entschieden komisch sein mußten, da jene von ganzem Herzen über sie lachten. Man hätte mitgelacht, hätte man zu ihrer Gesellschaft gehört. So aber verspürte man dazu nicht den geringsten Anreiz. Einer, den man fragte, warum er bei einer Predigt, wo alles Tränen vergoß, nicht auch weinte, erklärte: Ich bin nicht aus dem Kirchspiel. Was dieser Mann vom Weinen hielt, trifft noch mehr vom Lachen zu. Das freieste Lachen setzt immer ein Gefühl der Gemeinsamkeit, fast möchte ich sagen, der Hehlerschaft mit anderen Lachern, wirklichen oder nur vorgestellten, voraus. Wie oft hat man nicht darauf hingewiesen, daß man im Theater um so lauter lacht, je voller der Saal ist. Wie oft hat man nicht auch bemerkt, daß viele Witze in andere Sprachen unübertragbar sind, weil sie sich eng auf Sitten und Ideen einer ganz bestimmten Gesellschaft beziehen. Weil man die Wichtigkeit dieser Tatsache nicht genug gewürdigt hat, hat man das Komische als eine bloße Kuriosität, als eine amüsante, aber müßige, wissenschaftlicher Behandlung unwürdige Frage abtun und im Lachen selbst nichts als ein unerklärliches Phänomen sehen wollen, das außer allem Zusammenhang mit unseren übrigen Lebensäußerungen stehe. Daher jene Definitionen, die aus dem Komischen eine vom Subjekt vollzogene Relation einzelner Vorstellungen machen und ›logischer Kontrast‹, ›intuitiv erfaßte Absurdität‹ oder ähnlich lauten, Definitionen, die, gesetzt sie paßten wirklich auf alle Arten des Komischen, nicht das Mindeste darüber aussagen würden, warum das Komische uns zum Lachen bringt. Woher käme es denn, daß nur gerade diese bestimmte logische Relation, so oft sie wahrgenommen wird, unsern Körper packt, krümmt, schüttelt und daß sonst alle ihn in Ruhe lassen? Von dieser Seite kommen wir also dem Problem nicht näher. Das Lachen wird nur verständlich, wenn man es in seinem eigentlichen Element, d. i. in der menschlichen Gesellschaft, beläßt und vor allem seine praktische Funktion, seine soziale Funktion, zu bestimmen sucht. Diese also wird, können wir jetzt sagen, die leitende Idee unsrer Untersuchung sein. Das Lachen wird eine gewisse Aufgabe im Leben der Gemeinschaft haben, wird eine soziale Note tragen müssen.
 
Sagen wir kurz, worauf demnach unsre drei vorläufigen Beobachtungen hinauslaufen. Das Komische entsteht, scheint es, wenn eine Anzahl als Gruppe zusammengehöriger Menschen ihre Aufmerksamkeit alle auf einen lenken, ihr Gefühl beiseite schieben und lediglich ihren Intellekt spielen lassen. Worauf aber haben sie ihre Aufmerksamkeit zu lenken? Worauf hat sich der Intellekt zu richten? Diese Fragen beantworten heißt dem Problem schon näher kommen. Da werden aber ein paar Beispiele unerläßlich.

Ein Mann, der über die Straße gelaufen kommt, stolpert und fällt hin: die Vorübergehenden lachen. Sie würden nicht lachen, denk ich mir, wenn sie sich vorstellen könnten, er sei plötzlich auf den Gedanken gekommen, sich zu Boden zu setzen. Sie lachen darüber, daß er sich unfreiwillig gesetzt hat. Also nicht sein jäher Stellungswechsel bringt uns zum Lachen, sondern das Unfreiwillige dieses Stellungswechsels, seine Ungeschicklichkeit. Vielleicht lag ein Stein im Wege. Dann hätte er seinen Lauf ändern und das Hindernis vermeiden müssen. Aber aus mangelnder Gelenkigkeit, Zerstreutheit oder Widerspenstigkeit des Körpers haben nach dem Gesetz der Trägheit die Muskeln ihre frühere Bewegungstätigkeit fortgesetzt, während die veränderten Umstände es anders geboten. Darum ist er gefallen, und darüber lachen die andern.
 
Ein anderer liegt seinen kleinen Geschäften mit mathematischer Pünktlichkeit ob. Allein eines Tages hat sich ein Witzbold einen schlechten Spaß mit ihm erlaubt, so daß alles um ihn herum wie verhext ist. Er taucht seine Feder ins Tintenfaß und zieht Schlamm heraus, er glaubt sich auf einen festen Stuhl zu setzen und fällt rücklings zu Boden, kurz, er handelt sinnlos, wie eine Maschine, die leer läuft, immer gemäß dem Prinzipe der Trägheit. Die Gewohnheit gab ihm den Anstoß zu seiner Bewegung. Er hätte sie abbrechen oder doch irgendwie umbiegen müssen. Aber nichts davon geschah, mechanisch ist sie in gerader Linie fortgesetzt worden. Das Opfer eines Budenzaubers ist also in einer ähnlichen Lage wie der, der läuft und hinfällt. Beide sind in ganz demselben Sinne komisch. Was an dem einen wie an dem andern lächerlich ist, ist eine gewisse mechanische Starrheit, da wo wir geistige Rührigkeit und Gelenkigkeit fordern. Zwischen beiden Fällen ist nur der Unterschied, daß der erste von selber kommt, während der zweite künstlich in die Wege geleitet wird. Die Vorübergehenden sahen lediglich zu; der Witzbold im zweiten Falle experimentierte.
 
In beiden Fällen aber war es etwas rein Äußerliches, was komisch wirkte. Das Komische war also akzessorischer Natur. Es blieb sozusagen auf der Oberfläche. Soll es tiefer sitzen, so muß die mechanische Starrheit, um aktuell zu werden, nicht erst eines äußeren Widerstandes bedürfen, den der Zufall der Sachlage oder die Böswilligkeit der Menschen ihr in den Weg stellten. Sie muß aus sich selbst heraus auf rein natürliche Weise die ununterbrochen fortwirkende Möglichkeit haben, sich nach außen zu manifestieren. Also denken wir uns einen Menschen, der mit seinen Gedanken nie bei dem ist, was er tut, weil er stets an das denkt, was er getan hat, wie eine Begleitung, die immer hinter der Melodie zurückbleibt. Denken wir uns eine gewisse angeborene Ungelenkigkeit der Sinne und des Geistes, derzufolge man noch sieht, was nicht mehr zu sehen ist, hört, was nicht mehr klingt, sagt, was nicht mehr paßt, kurz sich nach einer vergangenen, bloß noch eingebildeten Situation richtet, wo man sich dem, was augenblicklich wirklich ist, anzupassen hätte. Jetzt wird das Komische in der Person selbst liegen: sie ist es, die alles beibringt: Inhalt und Form, Ursache und Gelegenheit. Ist es da noch erstaunlich, daß die Figur des Zerstreuten (denn von keiner anderen ist die Rede) immer wieder die Lustspieldichter gereizt hat? Als La Bruyère auf diesen Charakter stieß, fand er bei näherem Zusehen, daß er da ein Rezept in der Hand hielt, mit dem eine ganze Reihe komischer Wirkungen auf einmal hervorzubringen waren. Er trieb Mißbrauch damit. Es ist keine längere und detailliertere Schilderung möglich als die des Ménalque, auf den er immer wieder zurückkommt und auf den er unverhältnismäßig viel Gewicht legt. Das Bequeme des Gegenstandes ließ ihn nicht los. Denn mag man auch mit der Zerstreutheit gewiß noch nicht an der Quelle des Komischen selbst sein, so befindet man sich doch mit solchen Geschehnissen und Bildern recht in dem Strom, der direkt aus der Quelle des Komischen fließt; sieht sich auf einem der größeren natürlichen Abhänge des Lachens.
 
Die Zerstreutheit als solche wieder kann auf uns verschieden stark wirken. Es gibt ein allgemeines Gesetz, von dem wir eben eine erste Anwendung gemacht haben und das wir so formulieren werden: ein beliebiger komischer Effekt, der aus einer beliebigen Ursache herrührt, ist für uns um so komischer, je natürlicher uns dieser sein Ursprung erscheint. Wir lachen schon über einen Fall von Zerstreutheit, den man uns als bloße Tatsache erzählt. Weit lächerlicher erscheint er uns, wenn wir ihn mit eigenen Augen haben entstehen und um sich greifen sehen, seinen Ursprung kennen und uns seine Geschichte rekonstruieren können. Denken wir uns, um einen bestimmten Fall zu nehmen, jemand liest mit Passion Liebes- und Ritterromane. Ganz eingenommen von seinen Helden, verliert er nach und nach all sein Denken und Wollen an sie. Wie ein Nachtwandler geht er durch die Welt: seine Handlungen sind Zerstreutheiten. Aber alle seine Zerstreutheiten führen auf eine nachweisbare Ursache zurück. Sein Geist ist nicht bloß abwesend, sondern zugleich anwesend in einem sehr bestimmten, wenn auch imaginären Reich. Hinfallen bleibt Hinfallen; aber es ist ein anderes, in einen Teich fallen, weil man nicht aufgepaßt, ein anderes, hineinfallen, weil man nach einem Stern geguckt hat, wie – Don Quijote. Wie tief liegt die Komik eines solchen romantisch-grotesken Gemüts! Und doch, führt man den Oberbegriff der Zerstreutheit wieder als Bindeglied ein, so wird man gewahr, wie verwandt diese Fälle wirklich innerer Komik jenen früheren einer mehr oberflächlichen, äußeren sind. Diese verträumten, überspannten Geister, diese in ihrer Weise klugen Narren, wir lachen über sie, weil sie dieselben Saiten in uns berühren, dasselbe innere Triebwerk in Gang setzen wie jenes Opfer eines Schabernacks oder der Mann, der mitten auf der Straße hinfällt. Auch sie sind Läufer, die hinfallen, große Kinder, die man zum Narren hält, Sterngucker, die über Realitäten stolpern, sorglose Träumer, denen das Leben schadenfroh ein Bein stellt. Aber in erster Linie sind sie große Zerstreute, die vor gewöhnlichen Zerstreuten voraus haben, daß ihre Zerstreutheit Methode hat, um eine Zentralidee schwingt – auch, daß ihre Torheiten samt und sonders an jener unerbittlichen Logik scheitern, nach der das Leben verfährt, wenn es Träume zerstört, und daß sie so durch Wirkungen, die sich unbegrenzt steigern, in ihrer Umgebung ein ständiges Lachen hervorrufen.
 
Gehen wir jetzt einen Schritt weiter. Was auf intellektuellem Gebiet fixe Ideen sind, entsprechen dem nicht gewisse Mängel auf moralischem? Sei das Laster nun Charakterfehler oder Willensschwäche, jedenfalls ist es sehr oft eine Art Seelenlähmung. Ohne Frage gibt es welche, in die die Seele mit allen Kräften, die sie in sich birgt, restlos eingeht und die, von ihrem Odem belebt, immer neue Formen finden und von Frevel zu Frevel fortgewirbelt werden. Das sind die tragischen Laster. Die aber, die uns, wenn sie uns anhaften, lächerlich machen, gehören im Gegenteil nur äußerlich zu unserem Wesen, sind wie ein fertiger Rahmen, in den wir uns einfügen. Sie übertragen ihre Starrheit auf uns, statt daß auf sie unsere Lebendigkeit übergeht. Wir vervielseitigen sie nicht, im Gegenteil, sie vereinseitigen uns. Hier scheint mir recht eigentlich – wie ich im einzelnen noch im letzten Abschnitt dieser Studie versuchen werde zu zeigen – der eigentliche Unterschied von Komödie und Tragödie zu liegen. Wenn im Trauerspiel Leidenschaften und Laster, die eigene Namen haben, auf der Bühne erscheinen, so werden sie doch so durchaus in dem Träger der Handlung verkörpert, daß ihre eigenen Namen fast verschwinden, der allgemeine Begriff verblaßt und wir überhaupt nicht mehr an sie, sondern nur noch an die Person denken, in der sie wirken; darum kann der Titel eines Trauerspiels kein anderer sein als ein Eigenname. Umgekehrt tragen viele Komödien einen Gattungsnamen: der Geizhals, der Spieler usw. Wenn ich jemand auffordere, sich ein Stück vorzustellen, das, sagen wir, der Eifersüchtige heißen könnte, so wird ihm sofort Sganarelle einfallen oder George Dandin, nicht aber Othello; der Eifersüchtige kann nur Titel einer Komödie sein. Das komische Gebrechen mag sich so innig wie nur denkbar mit den Personen verbinden; es behält trotzdem seine unabhängige und ungeteilte Existenz; es bleibt die unsichtbare, aber immer gegenwärtige Hauptfigur, von der die Personen von Fleisch und Blut auf der Bühne abhängen. Bisweilen beliebt es ihm, sie vom festen Boden zu heben und mit ihnen einen Abhang hinunterzurollen, öfter aber wird es auf ihnen spielen wie auf einem Instrument, oder es wird sie laufen lassen wie Marionetten. Man sehe genau hin, und man wird sehen, daß die Kunst des Komödiendichters die ist, uns so genau mit einem bestimmten Laster bekannt zu machen, uns bis zu dem Grade von Vertrautheit mit ihm zu führen, daß wir Zuschauer schließlich die Hauptdrähte überschauen, auf denen es spielt, und das Spiel selbst in die Hand nehmen. Ein großer Teil unseres Vergnügens schreibt sich daher. Also auch hier ist das lachenerregende Moment eine Art Automatismus. Und zwar ein Automatismus, der der einfachen Zerstreutheit sehr verwandt ist. Um sich davon zu überzeugen, wird es genügen, daran zu denken, daß eine komische Person im allgemeinen im selben Verhältnis komisch ist, als sie nichts von ihrer Eigenschaft weiß. Das Komische ist unbewußt. Als ob es ein Gegenstück zum Ring des Gyges wäre, sichtbar den andern allen, sich selber unsichtbar. Eine Person im Trauerspiel würde ihr Betragen nicht ändern, wenn sie erführe, wie wir urteilen; sie bleibt, wie sie ist, auch bei klarem Bewußtsein davon, wie sie ist, ja, im vollen Gefühl des Schreckens, den sie uns einjagt. Einen lächerlichen Fehler aber sucht sie, sobald sie ihn merkt, abzulegen, zum mindesten äußerlich. Wenn Harpagon uns über seinen Geiz lachen sähe, so würde er ihn, wo nicht ablegen, so doch weniger offen oder auf andere Weise zeigen. In diesem besonderen Sinne kann man also jetzt sagen, daß das Lachen die Sitten geißelt. Es bewirkt, daß wir sofort suchen zu scheinen, was wir sein sollen und was wir ohne Zweifel eines Tages wirklich sein werden.
 
Ich will diese Untersuchung für jetzt nicht weiter treiben. Von dem, der läuft und hinfällt, zu dem Harmlosen, den man zum Narren hält, vom Schabernack zur Zerstreutheit, von der Zerstreutheit zur Überspanntheit, von der Überspanntheit zu den verschiedenen Auswüchsen des Willens und Charakters haben wir verfolgt, wie das Komische immer mehr mit der Person selbst verschmilzt, ohne doch selbst in seinen sublimiertesten Erscheinungsformen aufzuhören, uns immer wieder an das zu gemahnen, was uns bei jenen massiveren Beispielen auffiel: daß es eine Folge des ihm zugrunde liegenden Automatischen oder Starren ist. Wir können jetzt aus genügender Ferne eine erste, gewiß noch vage und unbestimmte Übersicht über die lächerliche Seite der menschlichen Natur und die normale Funktion des Lachens halten.
 
Was Leben und Gesellschaft von jedem von uns verlangen, ist einmal eine beständig gespannte Aufmerksamkeit, die die Umrisse einer jeden Situation augenblicklich erfaßt, und dann eine gewisse Geschmeidigkeit des Körpers und Geistes, die uns in stand setzt, uns ihr anzupassen. Spannung und Geschmeidigkeit, das sind zwei einander ergänzende Kräfte, die das Leben spielen läßt. Fehlen sie dem Körper, so stellen sich Zufälle jeder Art ein, Schwächen, Krankheit. Fehlen sie dem Verstande, dann gibt es alle Grade geistiger Armut, alle Arten der Torheit. Und fehlen sie dem Charakter, so haben wir die schweren Fälle mangelnder Anpassung ans Leben der Gemeinschaft, Quellen des Elends, oft des Verbrechens. Diejenigen Unvollkommenheiten, die den Ernst des Lebens tangieren, ein für allemal ausgeschieden (und sie haben von selbst die Tendenz, sich im Kampf ums Dasein zu eliminieren), so kann der Mensch leben und kann mit andern Menschen in Gemeinschaft leben. Aber die Gesellschaft verlangt mehr. Es genügt ihr nicht zu leben, sie will gut leben. Und muß doch fürchten, daß jeder von uns sich begnügt, auf die allgemeinen Grundzüge des Lebens zu achten, und sich im übrigen ganz dem gemächlichen Automatismus angenommener Gewohnheiten überläßt. Und muß ferner fürchten, daß die Glieder, aus denen sie besteht, anstatt ihre gegenseitigen Willensrichtungen immer feiner auszubalancieren, bis sie immer genauer eine in die andere passen, genug zu tun glauben, wenn sie die unumgänglichsten Bedingungen dieses Gleichgewichtes in Ehren halten: ihr aber genügt ein fertiges, festes System ihrer Glieder nicht, sie verlangt ununterbrochene gegenseitige Anpassung. Und so muß ihr jede Erstarrung des Charakters, des Verstandes und selbst des Körpers verdächtig sein, weil sie Zeichen nachlassender Lebenskraft sein kann, die sich am Ende isolieren, loslösen will von dem gemeinsamen Mittelpunkt, um den das Ganze der Gesellschaft schwingt, Exzentrizität werden will. Und doch kann die Gesellschaft hier nicht mit materiellem Zwang einschreiten, da es sich nicht um materielle Dinge handelt. Sie befindet sich einer Erscheinung gegenüber, die sie beunruhigt, aber nur soweit sie Symptom ist, kaum daß sie als Drohung gelten kann, höchstens als Geste. Also antwortet sie auch durch eine bloße Geste. Das Lachen muß etwas der Art ein, etwas wie eine soziale Geste. Durch die Furcht, die es einflößt, steuert es den Exzentrizitäten, hält bestimmte Kräfte höherer Ordnung beständig gespannt und in wechselseitiger Durchdringung, die sonst leicht sich absondern und einschlafen würden, kurz, es macht alles geschmeidig, was an mechanischer Starrheit auf der Oberfläche des sozialen Körpers noch vorhanden ist. Das Lachen gehört also nicht in das Gebiet der reinen Ästhetik, da es (unbewußt in vielen Einzelfällen und bisweilen selbst gänzlich amoralisch) das Nützlichkeitsziel allgemeiner Vervollkommnung verfolgt. Immerhin ist es insofern ästhetischer Natur, als Komik immer in Momenten auftritt, wo die Gesellschaft und die einzelnen frei von jeder Sorge um ihre Existenz sich selber wie einem Kunstwerke gegenüberstehen. Mit einem Wort, wenn man um Vorkommnisse und Lagen, die das Leben des einzelnen oder der Gemeinschaft bedrohen und die sich selbst durch ihre natürlichen Folgen bestrafen, einen Kreis zieht, so bleibt außerhalb dieses Gebietes der Leidenschaft und des Kampfes, in einer neutralen Zone, wo der Mensch dem Menschen einfach ein Schauspiel ist, eine gewisse Trägheit des Körpers, des Geistes und des Charakters, die die Gesellschaft auch noch beseitigen möchte, um die größtmögliche Elastizität und Vergesellschaftung ihrer Glieder zu erzielen. Diese Trägheit ist das Komische, und das Lachen ist ihre Strafe.
 
Hüten wir uns jedoch, diese Formel für eine Definition des Komischen zu nehmen. Sie trifft nur in den allgemeinsten, den theoretischen, den vollkommenen Fällen zu, wo das Komische rein von jedem fremden Zusatz erscheint. Ja, nicht einmal eine Erklärung können wir sie nennen. Nehmen wir sie lieber als eine Art Leitmotiv, das in allen unsern Ausführungen durchklingen wird. Man wird immer daran denken müssen, ohne doch allzuviel Gewicht darauf zu legen, ungefähr wie ein guter Fechter an die einzelnen Bewegungen, die er im Unterricht gelernt hat, denken soll, während sein Körper einen wohlzusammenhängenden Gang ficht. Hier ist es der Zusammenhang der komischen Erscheinungen, den wir festlegen, wenn wir den Faden wieder aufnehmen, der von den Grimassen des Clowns bis zum feinsten Komödienspiel läuft, ihm in seinen oft unvorherzusehenden Wendungen folgen, von Zeit zu Zeit haltmachen, um Umschau zu halten, schließlich aber, wenn dergleichen möglich ist, bis zu dem Punkt gelangen, wo der Faden angeknüpft ist und von wo aus wir vielleicht – so wahr das Komische zwischen Leben und Kunst die Mitte hält – den allgemeinen Zusammenhang zwischen Kunst und Leben gewahr werden.

Beginnen wir mit dem Einfachsten. Was ist eine komische Physiognomie? Woher kommt ein lächerlicher Gesichtsausdruck? Und was unterscheidet denn das Komische vom Häßlichen? So gestellt, hat die Frage freilich nur willkürlich entschieden werden können. So leicht sie scheint, ist sie schon zu subtil, um so ohne weiteres angefaßt werden zu können. Da müßte man erst das Häßliche definieren und dann sich fragen, was durch das Komische hinzukommt, und das Häßliche ist nicht gerade viel leichter zu analysieren als das Schöne. Aber wir wollen einen Kunstgriff anwenden, der uns noch oft gute Dienste leisten wird. Wir machen das Problem sozusagen gröber und handlicher, indem wir die Wirkung um so viel stärker annehmen, als nötig ist, damit die Ursache sichtbar wird. Betonen wir also die Häßlichkeit, übertreiben wir sie bis zur Verunstaltung und sehen wir zu, wie wir vom Verunstalteten zum Lächerlichen kommen können.
 
Es ist unbestreitbar, daß gewisse Verunstaltungen vor andern den traurigen Vorzug haben, manche Menschen zum Lachen zu bringen. Das kann man zum Beispiel von gewissen Buckligen sagen. Ich will hier nicht in nutzlose Details eingehen. Ich fordere nur den Leser auf, die verschiedenen Mißbildungen an sich vorüber ziehen zu lassen, dann sie in zwei Gruppen zu scheiden, einerseits jene, die die Natur zur Lächerlichkeit bestimmt zu haben scheint, andererseits die, denen dies ganz fern liegt. Ich glaube, daß man mir zuletzt ohne weiteres folgenden Satz zugeben wird: Jede Abnormität kann komisch werden, die von einem Menschen mit normalen Gliedern allenfalls nachgeahmt werden könnte.
 
Scheint da nicht der Bucklige so auszusehen wie ein Mensch, der sich schlecht hält? Scheint nicht sein Rücken krumm geblieben zu sein? Wie infolge einer Tücke der Materie, wie aus Trägheit scheint sich eine üble Gewohnheit festgesetzt zu haben. Man sehe einmal nur mit dem Auge und lasse alle Reflexion und vor allem alles Raisonnement beiseite. Wenn wir alles vergessen, was wir wissen, und auf den unmittelbaren, den ursprünglichen, naiven Eindruck zurückgehen, dann kommen wir sicher zu einer Vorstellung dieser Art. Wir sehen dann vor uns einen Menschen, der in einer bestimmten Stellung hat beharren und, wenn man so sagen könnte, mit seinem Körper Grimassen schneiden wollen.
 
Kommen wir jetzt wieder auf den Punkt, den wir untersuchen wollten. Wenn wir die lächerliche Verunstaltung abschwächen, erhalten wir die komische Häßlichkeit. Ein Gesichtsausdruck wird also lächerlich sein, wenn er uns an etwas Starres, sozusagen Geronnenes in der allgemeinen Flüssigkeit und Beweglichkeit der Gesichtszüge erinnert. Was wir sehen, erscheint uns dann als eine erstarrte Grimasse, als ein Tick, der steif und chronisch geworden ist. Wird man sagen können, daß jeder gewohnheitsmäßige Gesichtsausdruck, auch ein angenehmer und schöner, uns denselben Eindruck einer stehend gewordenen Verzerrung macht? Natürlich nicht, hier ist ein wichtiger Unterschied zu machen. Wenn wir von einer charakteristischen Schönheit oder Häßlichkeit sprechen, wenn wir sagen, daß ein Gesicht Charakter hat, so handelt es sich zwar um einen immer vorhandenen, aber an sich beweglichen Ausdruck. Er zeigt bei aller Ständigkeit eine gewisse Unbestimmtheit, in der all die möglichen Nuancen des jeweiligen Seelenzustandes verworren angedeutet sind, so wie man am dampfenden Frühlingsmorgen die Wärme des Mittags vorempfindet. Aber ein komischer Gesichtsausdruck verspricht nicht mehr, als er unmittelbar gibt. Er ist eine einzige eindeutige Grimasse. Man möchte sagen, das ganze seelische Leben des Menschen sei in diesen Linien versteinert. Und ein Gesicht erscheint um so komischer, je mehr es uns die Vorstellung einer rein mechanischen Handlung gibt, in die unmöglich die ganze Persönlichkeit aufgehen kann. Es gibt Gesichter, die fortwährend zu weinen scheinen, andre, die zu lachen oder zu pfeifen scheinen, wieder andere scheinen ewig in eine unsichtbare Trompete zu blasen. Die letzteren sind die komischsten, wobei sich das Gesetz bewährt, nach dem die Wirkung um so komischer ist, je natürlicher uns ihre Ursache erscheint. So sind Automatismus, Starrheit, angewöhnter und beibehaltener Tick die letzten Ursachen, die eine Gesichtsbildung lächerlich erscheinen lassen. Aber dieser Effekt gewinnt an Intensität, wenn wir diese Züge auf eine tiefere Ursache, auf Geistesabwesenheit, Zerstreutheit an sich zurückführen, wie wenn die Seele durch eine rein mechanische, völlig geistlose Tätigkeit gänzlich in Anspruch genommen wäre.
 
Nun wird man das Komische der Karikatur verstehen. So regelmäßig diese Physiognomie auch ist, so harmonisch ihre Züge, so sanft ihre Bewegungen sind, niemals ist das Gleichgewicht völlig erreicht. Man wird immer einen Tick angelegt finden, die Skizze einer möglichen Grimasse, eine Mißbildung, die von der Natur vor andern begünstigt scheint. Die Kunst des Karikaturisten besteht darin, diese oft kaum wahrnehmbare Bewegung zu erfassen und sie durch Übertreibung den Augen aller sichtbar zu machen. Er läßt seine Menschen Grimassen schneiden, wie sie es selbst tun würden, wenn sie die angelegten Grimassen ganz ausführten. Er sieht hinter der oberflächlichen Harmonie der Bildung die widerspenstige Materie. Er realisiert Disproportionen und Deformationen, die in der Natur als Möglichkeiten dagewesen sein müssen, aber, unterdrückt durch eine edlere Kraft, sich nicht ausprägen konnten. Seine Kunst, die etwas Teuflisches hat, befreit den Dämon, den der Engel in Fesseln warf. Zweifelsohne ist es eine Kunst, die übertreibt, und doch definiert man sie sehr ungenügend, wenn man ihren Endzweck Übertreibung nennt, denn es gibt Karikaturen, die es mit jedem Porträt an Ähnlichkeit aufnehmen, Karikaturen, wo die Übertreibung kaum zu sehen ist, und umgekehrt kann man maßlos übertreiben, ohne die Wirkung einer rechten Karikatur zu erreichen. Soll die Übertreibung komisch wirken, so darf sie nicht als das Ziel erscheinen, sondern nur als Mittel, dessen sich der Zeichner bedient, um uns die Verzerrungen sinnenfällig zu machen, die er in der Natur angelegt sieht. Die Verzerrung ist das Wichtige, sie interessiert uns. Und sie sucht man in den unbeweglichen Teilen des Gesichts, in der Krümmung der Nase, ja in der Form des Ohres. Die Form ist für uns immer eine latente Bewegung. Der Karikaturist, der die Größe einer Nase ändert, aber ihr Schema wahrt, sie etwa in dem Sinne verlängert, in dem schon vorher die natürliche etwas zu lang war, läßt diese Nase in der Tat eine Grimasse schneiden: von nun an scheint uns das Original selbst sich verlängert zu haben und Grimassen zu schneiden. In diesem Sinne wird man sagen können, daß die Natur selbst nicht selten mit Erfolg den Karikaturisten macht. Mit der Bewegung, durch die sie an diesem Mund die Mundwinkel aufgerissen, diesen Unterkiefer eingedrückt, diese Backe aufgeblasen hat, scheint es ihr geglückt zu sein, ihre Grimasse ganz durchgesetzt zu haben und der mildernden Aufsicht einer verständigen Macht entgangen zu sein. Wir lachen dann über ein Gesicht, das sozusagen seine eigene Karikatur ist.
 
Um zusammenzufassen: wie auch immer die Theorie laute, auf die unsere Vernunft schwört, unsere Einbildungskraft hat ihre ganz bestimmte Philosophie: in jeder menschlichen Form wittert sie das Streben einer Seele, die Materie zu formen, einer unendlich zarten, ewig beweglichen Seele, der Schwerkraft entrückt, weil nicht die Erde sie anzieht. Von ihrer Leichtbeschwingtheit teilt sie etwas dem von ihr beseelten Körper mit. Das Unkörperliche, das so in den Körper eingeht, nennen wir Grazie. Aber die Materie leistet Widerstand. Sie ruht in sich, möchte jenes immer unruhig tätige höhere Prinzip zu ihrer eigenen Trägheit bekehren und machen, daß es in Automatismus verkümmert. Sie möchte die sinnvollen Bewegungen des Körpers zu toten, sinnlosen, gewohnheitsmäßigen Gesten werden lassen, in stehende Grimassen die veränderlichen Züge des Gesichts verwandeln, kurz, dem ganzen Menschen ein solches Aussehen aufdrücken, daß er in der Stofflichkeit mechanischen Tuns versunken und verbraucht scheint, statt sich immer wieder im Umgang mit einem lebendigen Ideal zu erholen. Da, wo es so der Materie gelingt, die lebendige Außenseite der Seele abzutöten, sie zu verdichten, alle Bewegung festzulegen, aller Grazie zu widerstehen, da gewinnt sie dem Körper eine komische Wirkung ab. Wenn man jetzt also das Komische aus seinem Gegenteil definieren wollte, müßte man es nicht sowohl der Schönheit als der Grazie entgegensetzen. Es ist mehr der Steifheit als der Häßlichkeit verwandt.
 
Wir gehen jetzt vom Komischen der Form zum Komischen der Bewegung und der Gebärde über. Ich erwähne gleich das Gesetz, das mir alle hierher gehörigen Erscheinungen zu beherrschen scheint. Es ist übrigens ohne weiteres aus den vorhergehenden Betrachtungen abzuleiten.
 
Stellungen, Gebärden und Bewegungen des menschlichen Körpers sind in dem Maße komisch, als uns dieser Körper dabei an einen bloßen Mechanismus erinnert.
 
Ich will dieses Gesetz nicht in die Fülle aller Fälle, in denen es unmittelbar gilt, verfolgen. Es würde, will man sich von seiner Richtigkeit überzeugen, genügen, die Sachen eines humoristischen Zeichners daraufhin zu studieren, alles Karikaturmäßige, das wir ja für sich untersucht haben, auszuschalten und auch diejenige Komik, die nicht eigentlich in der Zeichnung liegt, beiseite zu lassen. Denn man darf sich darüber nicht täuschen, in vielen Fällen ist das Komische einer Zeichnung entlehnt und wird in seinem ganzen Umfange von der Literatur bestritten. Ich meine, der Zeichner kann zugleich die Rolle des satirischen Schriftstellers übernehmen, mit den Augen des Lustspieldichters sehen, und wir lachen dann nicht so sehr über die Zeichnung selbst als über die Satire oder Lustspielszene, die wir in ihr wiedergegeben sehen. Wenn man sich aber mit dem festen Entschluß, nur auf das Zeichnerische zu achten, heranmacht, wird man, glaube ich, finden, daß eine Zeichnung immer um so komischer wirkt, je bestimmter und auch je diskreter sie uns im Menschen eine Gliederpuppe sehen läßt. Bestimmt muß dieser Eindruck sein, d. h. man muß im Innern des Menschen deutlich – gleichsam transparent – einen zerlegbaren Mechanismus erkennen. Er muß aber auch diskret sein, d. h. das Ganze des Menschen, bei dem jedes Glied ein Stück Mechanismus geworden ist, muß noch den Eindruck eines lebendigen Wesens machen. Der komische Effekt ist um so greifbarer, die Kunst des Zeichners steht um so höher, je mehr diese beiden Vorstellungen, die eines Menschen und die einer Maschine, gleich stark hervorgerufen werden. Und die Eigenart eines komischen Zeichners hinge dann davon ab, welche besondere Art von Leben er einer bloßen Gliederpuppe verleiht.
 
Doch ich lasse jetzt die unmittelbaren Anwendungen dieser Regel beiseite und befasse mich lieber mit den Fällen, die nicht so ohne weiteres einleuchten. Die Vorstellung eines im Innern des Menschen funktionierenden Mechanismus liegt einer Menge spaßiger Erscheinungen zugrunde; meistens ist aber diese Vorstellung von sehr kurzer Dauer, sie wird sofort von dem Lachen, das sie auslöst, verschlungen. Sie festzuhalten, braucht es der Analyse und Reflexion.
 
Da sind zum Beispiel die Geberden gewisser Redner, die mit dem Wort in Wettstreit liegen. Eifersüchtig auf dieses, laufen sie fortwährend hinter dem Gedanken her und möchten auch als Interpret gelten. Das mögen sie, nur müssen sie auch dem Gedanken bis in seine letzten Schattierungen folgen. Die Grundidee einer Rede ist etwas, was entsteht, Knospen treibt, blüht und reift. Nie bricht sie jäh ab, nie wiederholt sie sich im Verlauf der Rede. Sie ändert sich in jedem Augenblick, denn nicht mehr sich ändern hieße nicht mehr leben. So sei denn die Gebärde lebendig wie sie! Sie folge dem vornehmsten Gesetz des Lebens, das da ist, nie sich zu wiederholen! Da aber kehrt ein und dieselbe stehende Bewegung der Hand oder des Kopfes in periodischen Abständen immer wieder. Wenn ich sie bemerke, wenn sie so ist, daß sie mich ablenkt, wenn ich sie im weiteren Verlaufe erwarte, und wenn sie sich einstellt da, wo ich sie erwarte, werde ich ganz von selber lachen. Warum? Weil ich jetzt vor mir einen automatisch funktionierenden Mechanismus habe. Das ist kein Leben mehr, das ist Automatismus, der im Leben sitzt und seine Stelle einnimmt. Automatismus aber ist immer etwas Komisches.
 
Das ists auch, warum Gebärden, die an sich nichts Lächerliches haben, sofort lächerlich werden, wenn sie von einem andern nachgeahmt werden. Man hat sehr schwerfällige Erklärungen für diese einfache Tatsache gesucht. Man braucht nur wenig darüber nachzudenken, um zu wissen, daß unsere Seelenzustände von Moment zu Moment wechseln und daß, wenn unsere Gebärden unsern innern seelischen Bewegungen getreulich folgten, lebten, wie wir leben, sie nie sich wiederholen würden. Daß sie es tun, dadurch fordern sie die Nachahmung heraus. Wir werden erst in dem Momente nachahmbar, wo wir nicht mehr wir selber sind. Ich meine, man kann an unsern Gebärden nur nachahmen, was sie eintönig Mechanisches und, was dasselbe ist, unsrer lebendigen Persönlichkeit Fremdes an sich haben. Jemanden nachahmen, heißt den Teil Automatismus herausstellen, den er in seiner Person sich hat einnisten lassen. Und dadurch muß er nach unsrer Definition komisch werden. Daß die Nachahmung uns zum Lachen bringt, ist also gar nichts Sonderbares.
 
Aber wenn die Nachahmung von Gebärden schon an sich komisch wirkt, wird sie noch komischer wirken, wenn sie sich darauf verlegt, die Gebärden, ohne sie doch unkenntlich zu machen, im Sinne irgendeiner mechanischen Handlung zu modifizieren, als da ist Holzsägen oder auf einen Amboß schlagen oder unermüdlich am Strang einer nicht vorhandenen Glocke ziehen. Keineswegs ist das Vulgäre dabei der Kern des Komischen (obgleich es ohne Zweifel etwas mit ausmacht), vielmehr ist es der Umstand, daß die erfaßte Gebärde leichter mechanisch erscheint, wenn sie uns an eine bekannte, von Haus aus mechanische Handlung erinnert. Eine solche mechanische Interpretation nahelegen, muß eines der Hauptverfahren der Parodie sein. Ich habe es eben a priori deduziert, aber ich denke, die Clowns wissen längst darum Bescheid.
 
So scheint sich mir jenes Rätsel, das Pascal an einer Stelle der ›Gedanken‹ aufgibt, zu lösen: »Warum werden zwei ähnliche Gesichter, deren jedes für sich nichts Lächerliches hat, nebeneinander durch ihre Ähnlichkeit lächerlich?« Aus dem nämlichen Grunde, aus dem die Gebärden eines Redners, deren jede für sich nichts Lächerliches hat, durch ihre Wiederholung lächerlich werden. Das wahrhaft lebendige Leben soll sich eben nie wiederholen. Da, wo Wiederholung und völlige Gleichheit ist, argwöhnen wir immer einen hinter dem Lebendigen arbeitenden Mechanismus. Man analysiere seinen Eindruck zwei Gesichtern, die sich täuschend ähnlich sehen, gegenüber: man wird bemerken, man denkt insgeheim an zwei Abgüsse ein und derselben Form oder an zwei Abdrücke eines Siegels oder an zwei Abzüge ein und desselben Klischees, kurz an fabrikmäßiges Herstellungsverfahren. Diese Beeinflussung des Lebens in mechanischem Sinne ist hier die wahre Ursache des Lachens.
 
Und das Lachen wird noch stärker, wenn man uns nicht nur, wie in Pascals Beispiel, zwei Personen auf die Bühne stellt, sondern mehrere, ja möglichst viele, die sich alle ähneln, die im Takte gehen, kommen, tanzen, springen, zu gleicher Zeit dieselbe Haltung einnehmen und in ein und derselben Weise gestikulieren. In diesem Falle denken wir ganz bestimmt an Marionetten. Unsichtbare Fäden scheinen von Arm zu Arm, von Bein zu Bein, von jedem Gesichtsmuskel des einen zum entsprechenden des anderen zu gehen: die Starrheit der Verbindung macht, daß die Weichheit der Glieder vor unsern Augen erstarrt und alles in Mechanismus verhärtet. Das scheint mir der Kniff dieser etwas plumpen Belustigung zu sein. Ich weiß nicht, ob man dazu Pascal gelesen haben muß, jedenfalls wird in einem solchen Auftritt die Idee realisiert, die in Pascals Worten liegt. Und wenn der Grund des Lachens im zweiten Falle die Vorstellung eines auf mechanische Weise erzielten Effekts ist, so muß er es schon, freilich weniger in die Augen springend, in jenem ersten sein.
 
Setzt man jetzt diesen Weg fort, so wird man immer ferner liegende, aber auch immer bedeutsamere Nutzanwendungen des hier aufgestellten Gesetzes gewahr. Man ahnt noch flüchtiger auftretende mechanische Effekte, veranlaßt durch die zusammengesetzteren Handlungen der Menschen und nicht mehr einfach durch ihre Gebärden. Man vermutet, daß die üblichen Kunstgriffe der Bühne, die periodische Wiederkehr eines Wortes oder einer Situation, die symmetrische Rollenvertauschung, die mathematische Anbahnung der Verwechslungen und noch viel anderes Spiel seine komische Wirkung aus derselben Quelle herleiten kann. Denn vielleicht besteht die Kunst des Schwankdichters überhaupt darin, daß er den menschlichen Geschehnissen, die er uns zeigt, zwar ihre äußere Wahrscheinlichkeit (das heißt: den Anschein schmiegsamer Lebendigkeit) völlig wahrt, uns aber doch deutlich die dahinterstehende mechanische Gliederung sehen läßt. Aber nehmen wir keine Resultate vorweg, die wir mit fortschreitender Analyse methodisch gewinnen werden.

Ruhen wir einen Augenblick, ehe wir weiter gehen, und sehen wir uns um. Wir haben es schon am Beginn dieser Arbeit angedeutet: es wäre ein närrisches und eitles Unterfangen, wenn man alle komischen Wirkungen aus einer einzigen einfachen Formel ableiten wollte. In einem gewissen Sinne gibt es diese Formel freilich; aber das konkrete Komische rollt sich nicht glatt in einer Richtung aus ihr ab. Will sagen: die begriffliche Ableitung muß von Zeit zu Zeit bei gewissen komischen Haupteffekten innehalten, denn um einen jeden dieser Effekte gruppieren sich kreisförmig, als um ihr Prototyp, neue Effekte, die ihm ähneln. Und diese letzteren sind nun nicht aus der Urformel abzuleiten, sondern sie sind komisch, nur weil sie mit solchen verwandt sind, die aus der Formel ableitbar sind. Um wieder Pascal zu zitieren: der Weg des Geistes gleicht der Kurve, die dieser Mathematiker unter dem Namen der Rolle studierte, der Zykloide, jener Kurve, die ein Punkt der Peripherie eines Rades beschreibt, wenn der Wagen sich in gerader Linie vorwärtsbewegt: dieser Punkt dreht sich wie das Rad und bewegt sich doch vorwärts wie der Wagen. Oder man denke an eine jener endlosen Alleen, wie man sie im Wald von Fontainebleau trifft, die von Zeit zu Zeit durch Kreuzwege unterbrochen werden: jeden dieser Sterne schreitet man ringsherum ab, man tut einen Blick in die Seitenwege und geht in der alten Richtung weiter. Wir sind an einem solchen Kreuzwege. Mechanisches als Kruste über Lebendigem, das ist ein solches Wegezentrum, an dem wir halten müssen, ein zentrales Bild, von dem aus die Phantasie in verschiedene Richtungen ausstrahlt. Welche Richtungen? Ich glaube, in der Hauptsache drei zu sehen. Wir werden eine nach der anderen verfolgen, dann wollen wir unsern Weg in gerader Linie wieder aufnehmen.
 
Zunächst bringt uns diese Einsicht in die Verfalzung des Mechanischen mit dem Lebendigen auf das umfassendere Bild irgendwelcher Steifheit, die sich dem Beweglich-Lebendigen anheftet, seinen Linien täppisch zu folgen und seine Geschmeidigkeit unbeholfen nachzuahmen sucht. Man begreift nun, wie leicht es geschehen kann, daß ein Kleidungsstück lächerlich wird. Man könnte fast sagen, daß eine jede Mode von irgendeiner Seite her lächerlich ist. Nur daß wir, wenn es sich um die augenblickliche Mode handelt, dermaßen an sie gewöhnt sind, daß die Kleidung uns mit ihren Trägern völlig zusammenzugehen scheint. Unsere Einbildungskraft trennt beide nicht. Uns kommt gar nicht mehr der Gedanke, die träge steife Form der Hülle mit der lebendigen Geschmeidigkeit des umhüllten Gegenstandes zu vergleichen. Daher bleibt das Komische in diesem Falle in latentem Zustande. Der Durchbruch wird ihm höchstens gelingen, wenn die natürliche Unverträglichkeit von Hülle und Umhülltem so stark ist, daß nicht einmal hundertjähriges Beieinandersein ihre Verbindung hat befestigen können: das ist zum Beispiel der Fall mit unserm Hute. Aber man denke sich ein Original, das sich immer nach der Mode von früher kleidet; unsere Aufmerksamkeit ist dann auf das Kostüm gerichtet, wir unterscheiden es durchaus von der Person, wir sprechen davon, daß die Person sich verkleidet (als ob nicht jede Kleidung Verkleidung wäre), und so tritt die lächerliche Seite der Mode heraus.
 
Hier geht uns eine Ahnung der ungemeinen Schwierigkeiten auf, die das Problem des Komischen im einzelnen birgt. Sehr viele irrige oder ungenügende Theorien über das Komische haben ihren Grund darin, daß viele Dinge von Haus aus komisch sind, ohne es für uns zu sein: fortdauernde Gewohnheit hat ihre komische Kraft eingeschläfert. Ein plötzlicher Bruch mit der Gewohnheit, der Mode ist nötig, wenn diese Kraft geweckt werden soll. Man neigt in solchem Falle dazu, zu glauben, daß die komische Wirkung eben aus diesem Bruche sich herschreibe, der sie uns doch nur sichtbar werden läßt. Man erklärt dann das Lachen aus der Überraschung, aus dem Kontraste usw., Definitionen, die ebensogut auf eine Menge von Fällen anzuwenden wären, wo wir nicht die mindeste Lust zum Lachen haben. Die Wahrheit ist durchaus nicht so einfach.
 
Aber wir stehen jetzt bei der Untersuchung der Verkleidung. Bei ihr stammt, wie wir gesehen haben, die Kraft, Lachen zu erregen, geradewegs aus der Quelle des Komischen. Es wird nicht unnütz sein, zu untersuchen, wie diese Kraft arbeitet.
 
Warum lachen wir über das Haar eines Menschen, das gestern braun war und heute blond ist? Warum ist eine rote Nase komisch? Warum lacht man über einen Neger? Das muß eine schwierige Frage sein, wenn Psychologen wie Hecker, Kraepelin, Lipps sie sich gleicherweise stellen und verschieden beantworten. Ich weiß aber doch nicht, ob nicht irgendein einfacher Kutscher sie eines schönen Tages vor mir gelöst hat, wenn er dem Neger in seinem Wagen das ungewaschene Gesicht vorwarf. Ungewaschen! ein schwarzes Gesicht erschiene also unserer Phantasie wie mit Tinte oder Ruß geschwärzt. Und ebenso erscheint uns eine rote Nase als geschminkt. Da hätte also die Verkleidung einiges von ihrer komischen Kraft auf gewisse Fälle übertragen, wo man sich in Wahrheit nicht verkleidet, aber wo man sich hätte verkleiden können. Eben noch machte uns der Unterschied zwischen Person und Kleidung nichts aus; beides schien uns völlig zusammen zu passen, weil wir daran gewöhnt waren. Jetzt, wo die schwarze oder die rote Farbe völlig echt ist, halten wir sie für künstlich aufgeklebt, weil sie uns überrascht.
 
Von hier aus tun sich nun freilich eine Reihe neuer Schwierigkeiten für die Theorie des Komischen auf. Ein Satz wie dieser: »meine Kleider sind ein Teil meines Körpers«, ist in den Augen der Vernunft absurd. Trotzdem gilt er der Phantasie für wahr. »Eine rote Nase ist eine gemalte Nase«, »ein Neger ist ein verkleideter Weißer«, das klingt dem logischen Verstande absurd, für die einfache Phantasie aber sind das sehr gewisse Wahrheiten. Es gibt also eine Logik der Phantasie, die nicht die Logik des Verstandes ist, die sich sogar dieser bisweilen entgegensetzt, mit der die Philosophie aber wird rechnen müssen, nicht allein für das Studium des Komischen, sondern in allen Untersuchungen der gleichen Art. Sie ähnelt der Logik des Traumes, bloß daß das ein Traum ist, der nicht von der phantastischen Laune einzelner abhängt, den vielmehr die gesamte Gesellschaft träumt. Um sie herauszustellen, ist eine Arbeit ganz besonderer Art nötig, die die äußere Kruste von aufgehäuften und zäh sitzenden Urteilen und Ideen abzuheben hat, wenn sie tief auf dem Grunde des eigenen Ich wie einen unterirdischen Wasserstreifen eine fließende Reihe von miteinander verschmelzenden Bildern sich bewegen sehen will. Die Verschmelzung der Bilder geschieht nicht zufällig. Sie folgt Gesetzen oder vielmehr Gewohnheiten, die für die Phantasie das sind, was die Logik für den Verstand.
 
Folgen wir also dieser Logik der Phantasie in dem besonderen Falle, der uns beschäftigt. Ein Mann, der sich verkleidet, ist komisch. Ein Mann, den man für verkleidet halten könnte, ist auch komisch. So wird durch Ausdehnung und Übertragung jede Verkleidung komisch, nicht allein die des einzelnen Menschen, gleicherweise auch die der Gesellschaft und selbst die der Natur.
 
Beginnen wir mit der Natur. Man lacht über einen nur halb geschorenen Hund, über ein Gartenbeet mit künstlichen Blumen, über einen Wald, dessen Bäume mit Wahlaufrufen beklebt sind. Man suche den Grund, und man wird finden, daß man dabei immer an eine Maskerade denkt. Aber das Komische erscheint hier sehr geschwächt. Es ist zu weit von der Quelle. Will man es stärker haben, muß man zur Quelle selbst steigen, das abgeleitete Bild, das der Maskerade, dem ursprünglichen Bilde wieder annähern, welches, wie man sich erinnert, das eines vom Mechanischen hintergangenen Lebens war. Eine dem Mechanischen verfallene Natur, das ist ein schlechterdings komisches Motiv, zu dem man beliebige Variationen ausführen kann, die sicherlich immer einen derben Lacherfolg auslösen. Man erinnert sich an jene amüsante Stelle in Tartarin in den Alpen, wo Bompard Tartarin (und infolgedessen ein klein wenig auch dem Leser) den Begriff einer Schweiz beibringt, in der eine Aktiengesellschaft mit Hilfe einer ganzen Versenkungsmaschinerie Wasserfälle, Gletscher und falsche Abgründe betreibt. Und dasselbe Motiv, nur in ganz anderer Tonart, haben wir in den Novel Notes des englischen Humoristen Jerome K. Jerome. Eine alte Schloßherrin, die sich ihre guten Werke nicht zu schwer fallen lassen will, läßt in der Nähe ihrer Wohnung eigens hergerichtete Atheisten unterbringen, die sie dann bekehrt, und brave Leute, die man zu Trunkenbolden macht, damit sie sie von ihrem Laster heilen kann, usw. In gewissen Witzworten ertönt dieses Motiv wie eine ferne Resonanz, der sich als Begleitung eine ehrliche oder gemachte Naivität beimischt. Als Beispiel der Ausspruch jener Dame, die der Astronom Cassini zu einer Mondfinsternis eingeladen hatte und die zu spät kam: »Ach, Herr von Cassini wird schon mir zuliebe noch einmal anfangen.« Oder auch der Ausruf jenes Mannes bei Gondinet, der in eine Stadt kommt und erfährt, daß es in der Umgebung einen erloschenen Vulkan gibt: »Einen Vulkan haben sie gehabt, und haben ihn ausgehen lassen!«
 
Gehen wir zur Gesellschaft über. Wir leben in ihr, von ihr, und können so nicht umhin, sie wie ein lebendes Wesen zu behandeln. Also wird jedes Bild lächerlich sein, das uns die Idee einer verkleideten Gesellschaft, einer sozialen Maskerade nahelegt. Diese Idee steigt aber in uns auf, wenn uns an der Oberfläche der lebendigen Gesellschaft Unlebendiges, Träges, ganz Fertiges, mit einem Worte: Konfektion aufstößt. Wieder ist das die Starrheit, die mit der inneren Geschmeidigkeit des Lebens disharmoniert. So steckt in feierlichen gesellschaftlichen Formen immer eine latente Komik, die nur auf die Gelegenheit wartet, um auszubrechen. Man könnte sagen, daß die Zeremonien für den sozialen Körper das sind, was die Kleidung für den Körper des einzelnen: sie verdanken ihren Ernst dem Umstande, daß wir sie mit dem ernsten Gegenstande in eins sehen, an den die Sitte sie knüpft, sie verlieren aber diesen Ernst in dem Augenblicke, wo unsere Phantasie sie von ihm loslöst. So wird eine Zeremonie schon komisch, wenn unsere Aufmerksamkeit sich auf das Zeremonielle an ihr konzentriert, wenn wir ihren Gehalt vernachlässigen und nur noch an die Form denken. Ich kann über diesen Punkt schnell hinweg gehen. Ein jeder weiß, mit welcher Leichtigkeit der Geist des Komischen sich an sozialen Handlungen von festgelegter Form betätigt, von der einfachen Preisverteilung bis zur Gerichtssitzung. Soviel Formen und Formeln, soviel fertige Rahmen für das Komische.
 
Aber auch hier wird man die Komik verstärken, wenn man sie ihrer Quelle näher bringt. Von der Idee der Verkleidung, die ja abgeleitet ist, muß man auf die Uridee zurückgehen, die Idee des Mechanismus, der das Leben überdeckt. Schon die abgezirkelte Form alles Zeremoniells legt uns ein Bild dieser Art nahe. Sobald wir den ernsten Gegenstand einer Feierlichkeit oder einer Zeremonie vergessen, scheinen uns die Teilnehmer sich ganz wie Marionetten zu bewegen. Ihre Beweglichkeit richtet sich nach einer unbeweglichen Formel. Sie sind Automaten. Vollkommen Automat aber ist zum Beispiel der Beamte, der wie eine einfache Maschine arbeitet, oder die Betriebsordnung, die unerbittlich wie das Schicksal funktioniert und sich für ein Naturgesetz gibt. Ich entnehme einer Zeitung aufs Geratewohl ein Beispiel für diese Art Komik. Vor einer Reihe von Jahren strandete ein großer Postdampfer in der Nähe von Dieppe. Einige Passagiere retteten sich mit großer Mühe in ein Boot. Kaum war die Rettung gelungen, stellte ein Zollbeamter, der sich dabei tapfer beteiligt hatte, die Amtsfrage an sie, »ob sie nichts zu verzollen hätten«. Ich finde dasselbe, nur in verfeinerter Form, in den Worten jenes Abgeordneten, der den Minister über ein Aufsehen erregendes Eisenbahnverbrechen interpellierte: »Der Mörder muß, nachdem er sein Opfer umgebracht hatte, entgegen den Fahrtbestimmungen, nach rückwärts abgesprungen sein.«
 
Ein Mechanismus, der sich in die Natur einschiebt, eine automatische Regelung der Gesellschaft, das sind (ziehen wir die Summe) die beiden Typen belustigender Effekte, bei denen wir landen.
 
Verbinden wir beide, so ergibt sich offenbar die Idee einer menschlichen Regelung, die an die Stelle der Naturgesetze tritt. Man erinnert sich, was Sganarelle dem Géronte antwortet, als dieser ihn darauf aufmerksam macht, daß das Herz links und die Leber rechts liegt: »Ja, das war früher so, aber das haben wir alles geändert; wir treiben jetzt die Medizin nach einer ganz neuen Methode.« Im Monsieur de Pourceaugnac sagt ein Arzt zum andern: »Die Diagnose, die Sie da gestellt haben, ist so gelehrt und so schön, daß der Kranke unmöglich etwas anderes als hypochondrischer Melancholikus sein kann; und wenn er es noch nicht wäre, dann müßte er es werden, um der schönen Dinge willen, die Sie geredet, und der Trefflichkeit der Diagnose willen, die Sie gestellt haben.« Wir könnten die Beispiele vervielfachen; wir brauchten nur alle Ärzte bei Molière nacheinander an uns vorüberziehen zu lassen. So weit übrigens hier die komische Phantasie zu gehen scheint, die Wirklichkeit bringt es bisweilen fertig sie zu übertreffen. Ein lebender Philosoph, Logiker von reinem Wasser, dem man vorstellte, daß seine tadellos deduzierten Schlüsse die Erfahrung gegen sich hätten, machte der Diskussion kurzerhand ein Ende, indem er sagte: »Die Erfahrung hat unrecht.« Der Gedanke, daß man das Leben maßregeln könne, ist überhaupt verbreiteter, als man denkt: er ist in seiner Art natürlich, obwohl wir ihn eben durch künstliche Zerlegung gewonnen haben. Er ist vielleicht die Wurzel der Pedanterie, die ja im Grunde nichts anderes ist als Kunst, die klüger sein will als die Natur.
 
So wird also – fassen wir jetzt zusammen – derselbe Effekt immer feiner und feiner, von der Idee einer künstlichen Mechanisierung des menschlichen Körpers bis zu der Idee jedweder Verdrängung des Natürlichen durch Künstliches. Eine immer weniger enge Logik, die immer mehr der Logik der Träume ähnelt, trägt dieselbe Beziehung in immer höhere Sphären und zwischen immer geistigere Elemente, so daß schließlich, beispielsweise, eine Betriebsordnung zu einem Natur- oder Sittengesetz in derselben Beziehung steht wie der Konfektionsanzug zum lebendigen Körper. Von den drei Richtungen, die wir verfolgen sollten, sind wir jetzt in der ersten bis ans Ende gegangen. Gehen wir zur zweiten über und sehen wir zu, wohin sie führen wird.

Ein Mechanismus als Überzug über Lebendigem, das ist wieder unser Ausgangspunkt. Was war dabei komisch? Daß der menschliche Körper zur Maschine erstarrte. Uns schien also der lebendige Körper vollkommene Schmiegsamkeit sein zu müssen, immer wache Aktivität eines immer wirkenden Prinzipes. Aber diese Aktivität ist in Wahrheit eher der Seele als des Körpers. Sie ist die Flamme des Lebens selbst, die ein höheres Prinzip in uns entzündet hat und die nun den Körper durchleuchtet. Wenn wir im lebenden Körper nichts als Anmut und Geschmeidigkeit sehen, so liegt das daran, daß wir alles Schwere, Hemmende, kurz alles Materielle an ihm vernachlässigen; wir vergessen seine Materialität und denken nur an seine Vitalität, jene Vitalität, die unsere Phantasie dem lebendigen Prinzipe unseres Geistes zuschreibt. Aber nehmen wir an, man lenke unsere Aufmerksamkeit auf diese Materialität des Körpers. Nehmen wir an, er habe nicht mehr teil an der Leichtigkeit des ihn belebenden Prinzipes, er sei uns jetzt nur schwere Hülle, lästiger Ballast, der die Seele, die verlangend aufstrebt, am Boden festhält. Dann wird der Körper für die Seele, was das Kleid soeben für den Körper selbst war, träge Materie, die auf eine lebendige Energie lastet. Und der Eindruck des Komischen tritt in dem Augenblicke auf, wo wir das deutliche Gefühl dieses Verhältnisses haben. Dies Gefühl wird sich besonders dann einstellen, wenn wir die Seele von den Bedürfnissen des Körpers geneckt sehen, – auf der einen Seite die moralische Persönlichkeit mit ihrer intelligent vielseitigen Energie, auf der anderen der stupid gleichförmige Körper, der immer mit seiner maschinenmäßigen Hartnäckigkeit dazwischenklappt. Je armseliger diese körperlichen Notwendigkeiten sind und je gleichmäßiger sie wiederkehren, um so packender ist die Wirkung. Doch das letztere ist nur eine Frage des Grades; das allgemeine Gesetz dieser Erscheinungen wäre so zu formulieren: komisch ist jeder Vorfall, der unsere Aufmerksamkeit auf die physische Natur eines Menschen lenkt, wenn es sich um seine geistige handelt.
 
Warum lacht man über einen Redner, der im pathetischsten Augenblicke seiner Rede niest? Woher kommt das Komische jener Stelle aus einer Leichenpredigt, die ein deutscher Philosoph zitiert: »Er war tugendhaft und wohlbeleibt«? Immer daher, daß unsere Aufmerksamkeit unvermittelt von der Seele auf den Körper gelenkt wird. Beispiele gibt es im täglichen Leben die Fülle. Will man sich aber nicht die Mühe nehmen, danach zu suchen, so braucht man nur einen Band Labiche aufs Geratewohl aufzuschlagen. Irgendeinen Effekt dieser Art wird man fast mit Sicherheit finden. Einmal ist es ein Redner, dessen schönste Perioden durch Stiche in seinem hohlen Zahn unterbrochen werden, ein andermal ist es eine Person, die nie das Wort ergreift, ohne sich über ihre zu knappen Schuhe oder ihren zu engen Gürtel zu beschweren, usw. Ein Mensch, den sein Körper belästigt, das ist das Bild, das uns in allen diesen Beispielen nahegelegt wird. Übermäßige Beleibtheit ist sicher nur deshalb lächerlich, weil sie ein Bild dieser Art hervorruft. Und ich glaube, hier liegt auch der Grund, daß gelegentlich Schüchternheit ein wenig lächerlich sein kann. Das Schüchterne kann den Eindruck eines Menschen machen, den sein Körper geniert und der sich nach einem Platze umsieht, wo er ihn ablegen könnte.
 
Daher müht sich der tragische Dichter, alles zu vermeiden, was unsere Aufmerksamkeit auf die Materialität seines Helden lenken könnte. Sobald die Sorge um den Körper dazukommt, ist ein Einsickern des Komischen zu befürchten. Deshalb trinken und essen die Helden der Tragödie nicht. Ja, wenn möglich, setzen sie sich auch nicht. Sich mitten in einer pathetischen Rede setzen, hieße sich daran erinnern, daß man einen Körper hat. Napoleon, der gelegentlich auch Psychologe war, wußte, daß allein durch die Tatsache, daß man sich setzt, aus einer Tragödie eine Komödie werden kann. In dem Journal inédit des Barons Gourgand läßt er sich darüber folgendermaßen aus (es handelt sich um die Zusammenkunft mit der Königin von Preußen nach der Schlacht bei Jena): »Sie empfing mich wie eine Tragödin: Gerechtigkeit, Sire, Gerechtigkeit! Magdeburg! Und in diesem unangenehmen Tone fuhr sie fort. Um sie davon abzubringen, bat ich sie, sich zu setzen. Nichts macht einer tragischen Szene besser ein Ende; wenn man sitzt, wird es sofort Komödie.«
 
Wenn wir jetzt dieses Bild des Körpers, der die Seele nicht aufkommen läßt, weiter fassen, so erhalten wir etwas Allgemeines: die Form, die den Gehalt unterdrücken, der Buchstabe, der den Geist schikanieren will. Wenn in einer Komödie ein Beruf lächerlich gemacht wird, steht dann nicht dieser Gedanke dahinter? Da reden Advokat, Richter oder Arzt, als ob das gar keine so wichtige Sache wäre, die Gesundheit und die Gerechtigkeit, das Wesentliche sei ja doch, daß es Ärzte, Advokaten, Richter gäbe, und daß die äußeren Berufsformen aufs genaueste respektiert würden. So setzt sich das Mittel an die Stelle des Zweckes, und die Form verdrängt den Gehalt. Der Beruf ist nicht mehr für das Publikum da, sondern das Publikum des Berufes wegen. Die beständige Sorge um die Form, die mechanische Anwendung der Regeln schaffen hier eine Art Berufsautomatismus, der dem vergleichbar ist, mit dem Körpergewohnheiten die Seele durchziehen, und der ähnlich lächerlich ist. Eine Fülle von Beispielen finden sich auf dem Theater. Ohne auf die einzelnen Variationen dieses Themas einzugehen, wollen wir ein paar Stellen zitieren, wo das Thema selber in aller Einfachheit ausgesprochen wird: »Unsere Pflicht ist es lediglich, nach der Regel zu behandeln«, sagt Diafoirus im Eingebildeten Kranken. Ähnlich Bahis in der Liebe als Arzt: »Es ist besser, es stirbt einer nach der Regel, als daß er gegen die Regel davonkommt.« »Was auch immer kommen mag, die Form muß gewahrt werden«, sagt Desfonandrès in derselben Komödie. Sein Kollege Tomès gibt auch den Grund an: »Ein toter Mensch ist ein toter Mensch, nichts weiter; aber ein Verstoß gegen die Form schadet dem ganzen Ärztestand.« Und wenn jener Satz Brid'oisons, in Figaros Hochzeit, auch einen etwas anderen Gedanken ausdrückt, so ist er doch sehr bezeichnend: »Die F-f-form, seht ihr, die F-f-form! Wenn ein Richter seinen Straßenanzug anhat, dann lacht vielleicht einer über ihn, der beim bloßen Anblick eines Staatsanwalts, der aber im Talar ist, zu zittern anfängt. Die F-f-form! Die F-f-form!«
 
Aber hier zeigt sich die erste Anwendung eines Gesetzes, von dem ich hoffe, daß es im Laufe dieser Arbeit immer deutlicher heraustreten wird. Wenn der Musiker auf seinem Instrumente einen Ton anschlägt, ertönen andere von selbst mit, leiser als der angeschlagene Ton, mit ihm durch bestimmte Beziehungen verbunden und ihm durch ihr Hinzutreten seine Klangfarbe gebend: in der Physik nennt man das die Obertöne des Grundtons. Ich glaube, daß die komische Phantasie selbst in ihren schnurrigsten Erfindungen einem Gesetze derselben Art folgt. Man sehe sich zum Beispiel diese komische Note an: die Form, die den Gehalt unterdrückt. Wenn unsere Analysen richtig sind, dann muß sie als Oberton die andere haben: den Körper, der den Geist äfft, den Körper, der die Seele nicht aufkommen läßt. Sobald also der komische Dichter die erste Note anschlägt, wird er instinktiv und unwillkürlich auch die zweite hinzufügen. Mit anderen Worten: er wird das Komische des Berufes durch physische Komik verdoppeln.
 
Wenn der Richter Brid'oison stotternd auf die Bühne kommt, bereitet er uns da nicht schon auf das Verständnis der geistigen Versteinerung vor, als die er sich darstellt? Welche geheime Verwandtschaft mag wohl diesen physischen Mangel mit seiner intellektuellen Verkümmerung verbinden? Ich weiß es nicht, aber man fühlt, daß die Beziehung besteht, obwohl sie unaussprechlich ist. Vielleicht sollte uns diese Rechtsprechungsmaschine gleichzeitig als Sprechmaschine erscheinen. Wie dem auch sein mag, kein anderer Oberton könnte den Grundton besser ergänzen.
 
Wenn Molière uns die beiden lächerlichen Doktoren in der Liebe als Arzt, Bahis und Macroton, vorstellt, dann läßt er den einen sehr langsam sprechen, als ob er seine Rede Silbe für Silbe skandiere, während der andere stottert. Den gleichen Kontrast finden wir zwischen den beiden Advokaten im Monsieur de Pourceaugnac. Fast immer liegt die physische Eigentümlichkeit, die das Komische des Berufes ergänzt, im Rhythmus der Rede. Und da, wo der Autor ein Gebrechen dieser Art nicht angedeutet hat, ist es ziemlich sicher, daß der Schauspieler es instinktiv hinzuerfindet.
 
Es besteht also in der Tat eine natürliche, intuitiv erkannte Verwandtschaft zwischen diesen beiden Bildern, die wir aneinandergerückt haben, zwischen dem Geist, der in gewissen Formen erstarrt, und dem Körper, der infolge gewisser Mängel versagt. Ob unsere Aufmerksamkeit vom Gehalt auf die Form oder vom Geistigen aufs Physische abgelenkt wird, in beiden Fällen wird unserer Phantasie der gleiche Eindruck übermittelt; wir haben in beiden Fällen die gleiche Art der Komik. Auch hier haben wir uns der Führung einer natürlichen Richtung der Phantasie getreulich überlassen. Diese Richtung war die zweite, die sich uns von dem zentralen Bilde aus aufgetan hatte. Ein dritter und letzter Weg bleibt uns noch offen, und den beschreiten wir jetzt.

Greifen wir ein letztes Mal auf unser zentrales Bild zurück: Mechanisches als Überzug, als Kruste über Lebendigem. Das Lebendige, um das es sich hier hauptsächlich handelte, war ein menschliches Wesen, eine Person. Der Mechanismus dagegen ist eine Sache. Was das Lachen hervorrief, war also die momentane Verwandlung einer Person in eine Sache, wenn man das Bild einmal von dieser Seite sehen will. Gehen wir also von der deutlicheren Vorstellung eines Mechanismus zu der unbestimmteren einer Sache überhaupt über. Dann stellt sich eine neue Reihe lächerlicher Bilder ein, die sich sozusagen durch Verwischen der Umrisse der früheren ergeben und die uns zu dem neuen Gesetz führen: Wir lachen jedesmal, wenn eine Person uns wie eine Sache erscheint.
 
Man lacht über Sancho Pansa, wenn er geprellt wird und über dem Tuche wie ein Sack auf- und niederfliegt. Man lacht über den Baron von Münchhausen, der als Kanonenkugel durch die Luft fährt. Aber vielleicht werden gewisse Clownspossen dasselbe Gesetz noch schärfer sehen lassen. Dabei muß man freilich die Späße abziehen, die der Clown in sein Hauptthema einflicht, und sich allein an dieses Thema halten, das heißt an die verschiedenen Stellungen und Luftsprünge, überhaupt an die Bewegungen, die das eigentlich Clownhafte seiner Kunst sind. Es ist mir nur zweimal gelungen, diese Art Komik in ganzer Reinheit zu sehen, und in beiden Fällen hatte ich den gleichen Eindruck. Das erstemal kamen und gingen die Clowns, stießen sich, fielen, sprangen wieder auf, nach einem gleichmäßig beschleunigten Rhythmus, in der deutlichen Absicht, ein Crescendo herauszubringen. Und mehr und mehr richtete sich die Aufmerksamkeit des Publikums auf das Wiederaufspringen. Allmählich vergaß man, daß man es mit Menschen von Fleisch und Bein zu tun hatte. Man dachte an irgendwelche Massen, die sich fallen ließen und aneinanderstießen. Dann wurde das Bild bestimmter. Die Formen schienen sich zu runden, die Körper zu Kugeln zusammenzurollen. Endlich erschien das Bild, auf das der ganze Auftritt – zweifellos unbewußt – sich hinentwickelte: die Vorstellung von Gummibällen, die in allen Richtungen durcheinanderfliegen. – Der zweite, noch derbere Auftritt war nicht weniger lehrreich. Es traten zwei Leute auf mit ungeheuren Köpfen und ganz nackten Schädeln. Sie waren mit schweren Stöcken bewaffnet. Und abwechselnd ließ jeder seinen Stock auf den Kopf des andern niedersausen. Auch hier war eine Steigerung bemerkbar. Nach jedem Schlage schienen die Körper schwerer zu werden, zu gerinnen, wie von einer wachsenden Starre ergriffen. Der Gegenschlag kam immer langsamer, aber immer schwerer und krachender. Die Schädel hallten fürchterlich in dem schweigenden Raume. Schließlich neigten sich die beiden Körper ganz langsam, steif und gerade wie ein Paar Pfähle gegeneinander, die Stöcke schlugen ein letztes Mal mit furchtbarem Krachen auf die Schädel, das Ganze sank um und lag da. In diesem Augenblicke erschien in aller Schärfe die Vorstellung, welche die beiden Artisten der Phantasie der Zuschauer immer deutlicher suggeriert hatten: Menschen, die zu Holzpuppen werden.
 
Ein dunkler Instinkt kann hier ungebildete Köpfe einige der feinsten Resultate der wissenschaftlichen Psychologie ahnen lassen. Es ist bekanntlich möglich, in einem Hypnotisierten durch einfache Suggestion Halluzinationen zu erregen. Man sagt ihm, daß ein Vogel auf seiner Hand sitze, er wird den Vogel bemerken und wird ihn dann fortfliegen sehen. Aber durchaus nicht immer wird die Suggestion so folgsam aufgenommen. Oft gelingt es dem Hypnotiseur nur durch allmähliches vorsichtiges Vorgehen, sie durchzusetzen. Er geht alsdann von Gegenständen aus, die sein Objekt wirklich wahrnimmt, und er wird versuchen, diese Wahrnehmungen mehr und mehr zu verwirren: darauf läßt er Schritt für Schritt aus dieser Verwirrung die genaue Form des Gegenstandes erstehen, den er zum Inhalt der Halluzination machen will. Ähnlich geschieht es vielen Menschen beim Einschlafen, daß sie in ihrem Gesichtsfelde ungestalte farbige Massen durcheinanderfließen sehen, die sich unmerklich zu bestimmten Gegenständen verdichten. In dem graduellen Übergang vom Verworrenen zum Bestimmten besteht also ganz eigentlich das Verfahren der Suggestion. Sicherlich würde es sich auch als vielen komischen Suggestionen zugrunde liegend nachweisen lassen, besonders in der derben Komik, da wo sich vor unsern Augen die Verwandlung einer Person in eine Sache zu vollziehen scheint. Aber es gibt andere, diskretere Verfahren, in der Dichtung zum Beispiel, wo oft vielleicht unbewußt dasselbe Ziel erstrebt wird. Man kann durch gewisse Rhythmen, Reime und Assonanzen unsere Einbildungskraft einwiegen, durch immer neue Gleichklänge sie in ein regelmäßiges Schaukeln bringen und sie so zu einer willigen Aufnahme des Bildes, das man ihr suggeriert, vorbereiten. Man höre die folgenden Verse von Regnard und sehe zu, ob nicht das flüchtige Bild einer Puppe vor unserem inneren Auge auftauchen wird:

... So schuldet er viel reichen Rentnern
Zehntausend Louisd'or – das langt noch nicht –
Damit er ihn ein ganzes Jahr nach Wunsch
Genährt, getränkt, in der Portechais' gefahren,
Gekämmt, rasiert und wohlgekleidet sieht.

Findet sich nicht etwas der gleichen Art in der Rede Figaros (freilich wird da vielleicht eher versucht, das Bild eines Tieres zu suggerieren, als das einer leblosen Sache): »Was für ein Mann ist das? – Es ist ein schöner, dicker, kleiner, junger Greis, grau, schlau, blasiert, der späht und spioniert und schimpft und stöhnt zur gleichen Zeit.«
 
Zwischen jenen derben Auftritten und diesen feinen Suggestionen ist Platz für eine unzählige Fülle lustiger Effekte, für alle jene, die sich einstellen, wenn man Menschen einfach mit toten Dingen in eine Reihe stellt. Ich entnehme nur ein paar Beispiele den Stücken von Labiche, wo sie massenhaft auftreten. Herr Perrichon zählt kurz vor der Abfahrt zur Sicherheit sein Gepäck nach: »Vier, fünf, sechs, meine Frau sieben, meine Tochter acht und ich neun.« In einem andern Stücke rühmt ein Vater die Wissenschaft seiner Tochter mit den Worten: »Sie sagt Ihnen ohne anzustoßen alle Könige von Frankreich auf, die stattgefunden haben.« Dieses die stattgefunden haben verwandelt zwar die Könige nicht einfach in Dinge, aber es stellt sie in eine Reihe mit sachlichen Ereignissen.
 
Achten wir bei diesem letzten Beispiel darauf: man braucht diese Identifikation von Person und Ding nicht bis zu Ende zu treiben, um komische Wirkung zu erzielen. Es genügt, daß man sich in dieser Richtung bewegt, daß man so tut, als ob man zum Beispiel den Mann und sein Amt verwechsle. Ich führe nur den Satz jenes Dorfbürgermeisters in einem Roman von About an: »Der Herr Präfekt, der uns immer das gleiche Wohlwollen bewahrt hat, obwohl er seit 1847 mehrmals gewechselt hat ...«
 
Alle diese Aussprüche sind nach demselben Modell gebaut. Jetzt, wo wir die Formel haben, könnten wir beliebig viele erfinden. Aber die Kunst des Erzählers und des Possendichters besteht nicht einfach darin, daß er das betreffende Wort findet. Die Schwierigkeit ist, dem Wort die rechte Suggestionskraft zu geben, d. h. seine Aufnahme vorzubereiten. Und wir nehmen es nur auf, wenn es entweder aus einem bestimmten Seelenzustand hervorzugehen oder sich in gegebene Umstände einzugliedern scheint. So wissen wir, daß Herr Perrichon sehr erregt ist in dem Augenblicke, wo er seine erste Reise macht. Der Ausdruck »stattfinden« gehört zu denen, die in den Lektionen der Tochter immer wieder vorkamen, wenn sie sie in Gegenwart des Vaters aufsagte. Und schließlich könnte die Bewunderung des Verwaltungsapparates gar soweit gehen, daß uns zu glauben zugemutet wird, daß sich nichts am Präfekten ändere, wenn er den Namen wechselt, und daß das Amt unabhängig vom Beamten funktioniere.
 
All das ist vom Urgrund des Lachens ziemlich entfernt. Manche komische Erscheinung, die an sich unerklärlich ist, wird in der Tat nur durch ihre Ähnlichkeit mit einer andern verstanden, die ihrerseits nur durch ihre Verwandtschaft mit einer dritten komisch wirkt, und so geht das lange weiter, so daß die psychologische Analyse, so hell und eindringlich sie sein mag, notwendig straucheln muß, wenn sie nicht den Faden faßt, längs dem der komische Eindruck von einem Ende der Reihe zum andern gewandert ist. Woher kommt dieser durchgängige Zusammenhang? Durch welchen Druck, welchen seltsamen Stoß gleitet das Komische so von Bild zu Bild, immer weiter weg von seinem Ursprung, bis es sich in unendlich fernen Analogien bricht und verliert? Aber wir fragen ja auch: welche Kraft teilt die Äste des Baumes in Zweige, die Wurzeln in Würzelchen? Ein strenges Gesetz nötigt jede lebendige Energie, in der kurzen Zeit, die ihr gegeben ist, sich soviel Raum zu erobern, wie sie irgend kann. Nun, eine lebendige Energie ist der Geist des Komischen gewiß, diese merkwürdige Pflanze, die zuerst auf den felsigen Teilen des sozialen Bodens kräftig gedieh, bis ihr die Kultur erlaubte, mit den feinsten Erzeugnissen der Kunst zu wetteifern. Von der großen Kunst sind wir freilich mit unsern bisherigen Beispielen von Komik noch weit entfernt. Aber im folgenden Kapitel werden wir ihr näher kommen. Unterhalb der Kunst steht das Gemachte, künstlich Gestaltete. In diese mittlere Zone der Künstlichkeiten, die zwischen Natur und Kunst liegt, werden wir jetzt eindringen, wenn wir den Schwankdichter und den Mann von Geist behandeln.


 
Zweites Kapitel
 
Situations- und Wortkomik


Wir haben das Komische in Formen, Haltungen, Bewegungen im allgemeinen studiert; jetzt müssen wir es in Handlungen und Situationen aufsuchen. Gewiß trifft man diese Art Komik ziemlich leicht im täglichen Leben. Aber vielleicht ist es gerade da der Analyse nicht am ehesten zugänglich. Wenn es wahr ist, daß das Theater das Leben vergrößert und vereinfacht wiedergibt, so wird uns die Komödie in diesem besonderen Punkte bessere Auskunft liefern als das wirkliche Leben. Vielleicht sollten wir die Vereinfachung noch weiter treiben, auf unsere frühesten Erinnerungen zurückgehen und in den Spielen, über die das Kind lachte, die erste rohe Form der Kombinationen, die der Mann komisch findet, zu erkennen suchen. Wir sprechen zu oft von Gefühlen der Freude und des Schmerzes, als ob sie alt und fertig entstünden, als ob nicht jedes von ihnen seine Geschichte hätte.
 
Zu oft vor allem verkennen wir, wieviel noch Kindliches in den meisten unserer Freudegefühle steckt. Wieviel Vergnügen in der Gegenwart würde sich aber nicht bei genauerer Prüfung auf Erinnerungen an früheres Vergnügen reduzieren! Was bliebe von vielen unserer Gefühle übrig, wenn wir auf das unmittelbar Gefühlte in ihnen zurückgingen, wenn wir von ihnen alles loslösten, was einfach Erinnerung ist? Ja wer weiß, ob wir nicht von einem gewissen Alter ab für frische und neue Freude unzugänglich werden, und ob die süßeste Freude des reifen Mannes etwas anderes sein kann als wieder belebte Kindheitsgefühle? Ein duftender Hauch, der uns immer seltener, aus immer fernerer Vergangenheit zuweht? Wie immer man übrigens diese sehr allgemeine Frage beantworten mag, ein Punkt bleibt außer Zweifel: der Zusammenhang zwischen dem Vergnügen am Spiel beim Kinde und dem gleichen Vergnügen beim Manne kann nirgends unterbrochen sein. Nun ist die Komödie in der Tat ein Spiel, ein Spiel, das das Leben nachahmt. Und wenn in den Spielen des Kindes, das Puppen und Hampelmänner tanzen läßt, alles durch Fäden gemacht wird: sind es nicht die gleichen, bloß mit der Zeit dünner gewordenen Fäden, die die Situationen des Lustspiels verknüpfen? Gehen wir also von den Spielen des Kindes aus. Folgen wir dem unmerklichen Vorgang, in dem das Kind seine Puppen größer werden läßt, sie belebt und sie schließlich in jenen merkwürdigen mittleren Zustand überführt, wo sie zu Menschen geworden sind und doch nicht aufhören, Puppen zu sein. Was wir dann haben, sind Lustspielfiguren. Sie werden uns das Gesetz bewahrheiten, das die vorausgehenden Analysen uns ahnen ließen, jenes Gesetz, mit dem wir ganz allgemein Schwanksituationen definieren: Komisch ist jede Verkettung von Handlungen und Ereignissen, die uns die Illusion des Lebens und das deutliche Gefühl eines mechanischen Arrangements zugleich verschafft.

1. Der Springteufel: Wir alle haben früher mit dem Teufel gespielt, der aus seinem Kasten springt. Man drückt ihn platt, er schnellt wieder hoch. Man stößt ihn tiefer hinunter, und er springt höher wieder hinauf. Man quetscht ihn unter seinen Deckel, und oft hüpft er auch dann noch mit dem ganzen Kasten in die Höhe. Ich weiß nicht, ob dieses Spielzeug sehr alt ist, aber die Art von Vergnügen, die es birgt, ist gewiß allen Zeiten eigen. Es ist der Kampf zweier Eigensinne, von denen aber gewöhnlich der eine, rein mechanische schließlich dem andern erliegt, den das Spiel belustigt. Die Katze, die mit der Maus spielt und diese wie aufgezogen laufen läßt, um sie immer wieder mit einem Sprunge zu packen, macht sich ein Vergnügen gleicher Art.
 
Gehen wir von da zum Theater. Mit dem Kasperle müssen wir anfangen. Sowie sich der Gendarm auf die Bühne wagt, erhält er, als müßte das so sein, einen Hieb mit dem Knüttel, der ihn zu Boden schlägt. Er richtet sich auf, ein zweiter Hieb haut ihn hin. Neuer Rückfall, neue Prügel. In dem gleichförmigen Rhythmus einer Feder, die sich spannt und entspannt, erhebt sich der Gendarm und fällt um, während das Lachen der Zuschauer immer lauter wird.
 
Denken wir uns jetzt eine mehr geistige Feder, einen Gedanken, der ausgedrückt wird, und den man unterdrückt, der sich wieder ausdrücken will, in einer Flut von Worten hervorbricht, den man aufhält, und der immer wieder losgeht. Da haben wir wieder das Bild einer Kraft, die hartnäckig auf etwas versessen ist, und einer anderen, von der sie ebenso hartnäckig unterdrückt wird. Aber dieses Bild hat nun einiges von seiner Materialität verloren. Wir stehen damit nicht mehr beim Kasperle, wir sehen einem wirklichen Lustspiel zu.
 
Viele komischen Szenen gehen in der Tat auf diesen einfachen Typ zurück. So stammt in Molières Heirat wider Willen in der Szene zwischen Sganarelle und Pankratius alle Komik aus dem Kampfe zwischen Sganarelles Gedanken, der den Philosophen zwingen will, ihn anzuhören, und der Hartnäckigkeit des Philosophen, der eine wahre automatisch funktionierende Sprechmaschine ist. Im Fortgang der Handlung tritt das Bild des Springteufelchens immer deutlicher hervor, so deutlich, daß zuletzt die Personen selbst jene Bewegung aufnehmen, Sganarelle den Pankratius immer in die Kulisse drängt, Pankratius jedesmal auf die Bühne zurückkommt, um weiter zu reden. Und als es Sganarelle endlich gelingt, Pankratius hineinzudrängen und ihn ins Haus (fast hätte ich gesagt: in den Kasten) zu sperren, taucht sein Kopf gleich wieder durchs Fenster auf, als ob er den Deckel sprengte.
 
Ein gleicher Auftritt spielt sich im Eingebildeten Kranken ab. Durch den Mund des Doktor Purgon überschüttet die beleidigte Heilkunst Argan mit den Schrecken aller Krankheiten, die ihn befallen sollen. Und jedesmal, wenn Argan sich in seinem Sessel erhebt, wie um Purgon den Mund zu schließen, sehen wir diesen für einen Augenblick verschwinden, als wenn man ihn in die Kulisse schöbe, und dann wie von einer Feder getrieben mit einer neuen Verwünschung auf der Bühne erscheinen. Der gleiche, unaufhörlich wiederholte Ausruf Argans: »Herr Doktor!« gibt der kleinen Szene ihren Rhythmus.
 
Wenn wir das Bild der Feder, die sich spannt, entspannt und wieder spannt, auf sein Letztes, Wesentliches reduzieren, erhalten wir ein geläufiges Verfahren der klassischen Komödie, die Wiederholung.
 
Woher kommt auf dem Theater das Komische der Wiederholung einer Redensart? Ich suche vergeblich nach einer Theorie des Komischen, die diese an sich so einfache Frage befriedigend beantwortet. Und die Frage bleibt in der Tat unlösbar, solange man einen komisch wirkenden Zug lediglich aus sich selbst, ohne Rücksicht auf all das, was ihm für uns anhaftet, erklären will. Nirgends verrät sich das Ungenügende der üblichen Methode deutlicher. In Wahrheit ist, wenn man einige ganz spezielle Fälle, auf die wir noch zurückkommen, beiseite läßt, die Wiederholung einer Redensart an sich niemals lächerlich. Sie erscheint uns nur komisch, weil sie der symbolische Ausdruck eines eigentümlichen Spiels geistiger Elemente ist, das seinerseits Symbol eines ganz materiellen Spiels ist. Es ist das Spiel der Katze, die mit der Maus spielt, das Spiel des Kindes, das sein Teufelchen immer wieder in die Schachtel stößt, – verfeinert, vergeistigt, in die Sphäre der Gefühle und Gedanken übertragen. Wir formulieren das Gesetz, das nach unserer Meinung die hauptsächlichen komischen Effekte der Wiederholung von Redensarten auf dem Theater erfaßt: In einer komischen Wiederholung von Redensarten sind im allgemeinen zwei Glieder im Spiele, ein zurückgedrängtes Gefühl, das wie eine Feder losschnellt, und eine überlegene Idee, die das Gefühl von neuem zurückdrängt.
 
Wenn Dorine dem Orgon von der Krankheit seiner Frau erzählt und dieser sie unaufhörlich unterbricht, um sich nach Tartuffes Gesundheit zu erkundigen, dann erregt die immer wiederkehrende Frage: »Und Tartuffe?« in uns ganz deutlich die Empfindung einer Feder, die losschnellt. Lustig pufft Dorine diese Feder zurück und fährt ruhig in dem Berichte von Elmirens Krankheit fort. Und wenn Scapin dem alten Géronte verkündet, daß sein Sohn gefangen auf der berühmten Galeere sitzt und daß man ihn schleunigst loskaufen müsse, dann spielt er mit Gérontes Geiz genau wie Dorine mit Orgons Verblendung. Kaum unterdrückt, schnellt der Geiz sofort automatisch, wieder los. Molière hat diesen Automatismus angedeutet durch die mechanische Wiederholung einer Phrase, in der sich der Kummer über das Geld, das er wird hergeben müssen, ausspricht: »Was zum Teufel hat er auf der Galeere zu suchen?« Dasselbe bemerken wir in dem Auftritte, wo Valère dem Harpagon vorstellt, wie unrecht er habe, seine Tochter einem Manne zu verheiraten, den sie nicht liebe. »Ohne Mitgift!« fährt Harpagons Geiz immer dazwischen. Und wir ahnen hinter diesem Worte, das automatisch wiederkehrt, einen ganzen Repetiermechanismus, den eine fixe Idee montiert hat.
 
Bisweilen freilich ist dieser Mechanismus schwerer zu bemerken. Wir berühren hier eine neue Schwierigkeit der Theorie des Komischen. Es gibt Fälle, wo das ganze Interesse einer Szene in einer einzigen Person ruht, die sich gewissermaßen verdoppelt, indem ihr Partner ihr einfach das Prisma abgibt, in dem sie sich spaltet. Wir laufen alsdann Gefahr irre zu gehen, wenn wir das Geheimnis der komischen Wirkung in dem suchen, was wir sehen und hören, in dem äußeren Auftritt, der zwischen den Personen spielt, und nicht in der rein innerlichen Komödie, die der Auftritt nur gebrochen zeigt. Wenn zum Beispiel Alceste auf Orontes Frage, er finde wohl seine Verse schlecht, beharrlich: »Das nicht!« antwortet, dann ist die Wiederholung komisch, und doch ist klar, daß hier nicht Oronte mit Alceste in der Weise spielt, wie wir es oben beschrieben haben. Aber man sehe nur genau hin: in Wahrheit stecken hier zwei Menschen in Alceste, auf der einen Seite der ›Misanthrop‹, der sich geschworen hat, den Leuten immer die ungeschminkte Wahrheit zu sagen, und auf der andern Seite der Aristokrat, der nicht mit einem Schlage die Höflichkeitsformen vergessen kann, oder vielleicht auch einfach der wackere Mann, der im entscheidenden Augenblicke zurückweicht, wenn es gälte, von der Theorie zur Handlung zu schreiten, die Eigenliebe eines andern zu verletzen, Schmerz zu bereiten. Der wahre Auftritt erfolgt also nicht zwischen Alceste und Oronte, sondern zwischen Alceste und Alceste selber. Von diesen beiden Alcesten möchte der eine losplatzen, und der andere schließt ihm in dem Augenblicke den Mund, wo er alles zu sagen im Begriff ist. Jedes dieser »Das nicht!« ist eine wachsende Anstrengung, etwas zurückzudrängen, das durchaus heraus will. Der Ton, in dem dieses »Das nicht!« herauskommt, wird also immer heftiger, Alceste immer wütender – nicht auf Oronte, wie er glaubt, sondern auf sich selbst. Und so spannt sich die Feder immer von neuem und immer stärker, bis sie schließlich losplatzt. Der Mechanismus der Wiederholung ist also auch hier der gleiche. Wenn ein Mensch sich entschließt, immer nur das zu sagen, was er denkt, und müßte er »der ganzen Menschheit ins Gesicht schlagen«, so ist das nicht notwendig komisch; es ist Leben, und zwar von der besten Art. Wenn ein anderer aus angeborener Sanftmut, aus Egoismus oder aus Geringschätzung den Leuten lieber nur Angenehmes sagt, so ist auch das nur erst Leben, und es ist noch nichts Komisches dabei. Ja, man verschmelze diese beiden Menschen zu einem und lasse diesen zwischen verletzendem Freimut und trügerischer Höflichkeit schwanken, so wird der Kampf der beiden entgegengesetzten Gefüllte noch nicht komisch sein, er wird gerade recht ernst erscheinen, wenn die beiden Gefühle aus ihrer Gegensätzlichkeit heraus zu einem neuen Ganzen gelangen, wenn es ihnen gelingt, sich vereint zu entwickeln und einen komplexen Seelenzustand zu schaffen, kurzum einen Modus vivendi zu finden, der uns schlechthin den Eindruck des vielgestaltigen Lebens macht. Aber man lasse jetzt in einem lebendigen Menschen diese beiden Gefühle getrennt und starr nebeneinander liegen, man lasse den Menschen zwischen ihnen hin und her schwanken, man richte vor allem dieses Schwanken so ein, daß es einfach mechanisch wird und die bekannte Form einer einfachen, gebräuchlichen, kindlichen Vorrichtung annimmt, und man erhält diesmal das Bild, das wir bisher in allen lächerlichen Gegenständen gefunden haben, Mechanisches im Lebendigen, und dann hat man Komik.
 
Wir haben auf dieses erste Bild, das Springteufelchen, ziemliches Gewicht gelegt, um verständlich zu machen, wie der Geist des Komischen nach und nach einen materiellen Mechanismus in einen geistigen überführt. Wir werden jetzt ein paar andere Spiele betrachten, uns dabei aber auf allgemeine Andeutungen beschränken.

2. Die Marionette. – Es gibt unzählige Lustspielszenen, wo eine Person glaubt, sie spreche und handle frei, wo diese Person infolgedessen alles Wesentliche des Lebens behält, während sie doch, von einer bestimmten Seite aus gesehen, einfach wie ein Spielzeug in der Hand eines andern erscheint, der mit ihr spielt. Von der Puppe, die das Kind an einem Drahte spielen läßt, bis zu Géronte und Argante, die Spielzeug in Scapins Händen sind, ist kein weiter Weg. Man hört am besten Scapin selbst: »Die Maschinerie ist bald gefunden«, und weiter: »Der Himmel selbst führt sie in meine Netze« usw. Aus einem natürlichen Instinkte, und weil man, wenigstens in der Phantasie, lieber Betrüger als Betrogener ist, stellt sich der Zuschauer auf Seite der Schelme. Er macht mit ihnen gleiche Sache und läßt hinfort selbst, wie ein Kind, das von Kameraden eine Puppe geliehen bekommen hat, die Marionette, deren Fäden er in der Hand hält, sich auf der Bühne bewegen. Indessen ist diese letzte Bedingung nicht unerläßlich. Wir können uns ebensogut rein betrachtend verhalten, wenn wir nur ganz deutlich das Gefühl eines mechanischen Arrangements behalten. Das ist immer der Fall, wo jemand zwischen zwei entgegengesetzten Entschlüssen schwankt und beide ihn abwechselnd locken: so wenn Panurge bei Hinz und Kunz herumfragt, ob er sich verheiraten soll. Bemerken wir noch, daß der Humorist immer Sorge trägt, die beiden entgegengesetzten Möglichkeiten zu personifizieren. Versagt der Zuschauer, dann müssen wenigstens ein paar der Spielenden die Fäden halten.
 
Aller Ernst des Lebens kommt von unserer Freiheit. Die Gefühle und Leidenschaften, die wir gehegt, die Taten, die wir bedacht, beschlossen und ausgeführt haben, kurzum alles, was von uns kommt und uns ganz gehört, das ist es, was den Leben seine bisweilen dramatische und im ganzen ernste und schwere Haltung gibt. Wodurch könnte man das Ganze in Komödie verwandeln? Man müßte sich vorstellen, daß die scheinbare Freiheit ein Spiel von Fäden verdeckt und daß wir hienieden nichts sind als, wie der Dichter sagt,

... armselige Marionetten,
Die an des Schicksals grauen Fäden laufen.

Es gibt also keine wirkliche, ernste, ja überhaupt keine dramatische Szene, die die Phantasie durch Erweckung dieses einfachen Bildes nicht komisch werden lassen könnte. Und keinem Spiele steht ein weiteres Feld offen.

3. Der Schneeball. – Je weiter wir in dieser Studie der Lustspieltechnik vorschreiten, um so besser verstehen wir die Rolle, die die Kindheitserinnerungen dabei spielen. Diese Erinnerung erstreckt sich vielleicht weniger auf ein ganz bestimmtes Spiel als auf die mechanische Vorrichtung, von der dies Spiel eine Anwendung ist. Die gleiche allgemeine Vorrichtung kann übrigens sehr verschiedenen Spielen zugrunde liegen, wie dieselbe Melodie aus einer Oper vielen musikalischen Phantasien. Was hier wichtig ist, was man behält, was in unmerklichen Graden aus den Spielen des Kindes in die des Mannes übergeht, das ist das Schema der Verbindung oder, wenn man so will, die abstrakte Formel, von der diese Spiele besondere Anwendungen sind. Da ist zum Beispiel der herabrollende Schneeball, der immer größer und größer wird. Wir könnten ebensogut an Bleisoldaten denken, die in einer Reihe aufgestellt sind: stößt man den ersten an, so fällt er auf den zweiten, der den dritten umwirft und so in Steigerung weiter, bis alle daliegen. Oder auch an ein mühsam aufgebautes Kartenhaus: die erste Karte, die man antippt, überlegt sichs noch, die benachbarte entscheidet sich schneller, und das Werk der Zerstörung eilt mit zunehmender Geschwindigkeit unaufhaltsam zur Katastrophe. All diese Gegenstände sind sehr verschieden, aber sie suggerieren uns alle das gleiche abstrakte Bild einer Kraft, die sich wachsend fortpflanzt, so daß die anfänglich unbedeutende Ursache in notwendigem Fortgange ein ebenso bedeutsames als unerwartetes Resultat ergibt. Schlagen wir nun ein Kinderbilderbuch auf: wir werden sehen, wie die Vorrichtung, deren Wesen wir eben beschrieben haben, sich schon auf die Form einer komischen Szene hinentwickelt. Da tritt zum Beispiel ein Besucher hastig in ein Zimmer, stößt eine Dame an, die ihre Tasse Tee auf einen alten Herrn ergießt, der rückwärts ausweicht, eine Fensterscheibe eindrückt, die draußen einem Schutzmann auf den Kopf fällt, der die ganze Polizei auf die Beine bringt, usw. ... Der gleiche Trick liegt sehr vielen Bildern für Erwachsene zugrunde. In humoristischen »Erzählungen ohne Worte« spielt oft irgendein Gegenstand eine Rolle, der sich verschiebt und mit dem proportional gewisse Personen ihre Lage ändern, wodurch in mechanischer Steigerung die Lage der Personen immer bedenklicher wird. Und gehen wir jetzt zur Komödie über, wieviel Szenen derber Komik, ja wieviel Lustspiele gehen nicht auf diesen einfachen Typ zurück! Man lese in den Plaideurs Chicanneaus Bericht nach: da folgt Prozeß auf Prozeß, und der Mechanismus funktioniert immer schneller (Racine erregt in uns das Gefühl einer wachsenden Beschleunigung dadurch, daß er die juristischen Ausdrücke immer mehr häuft), bis schließlich die eines Heubündels wegen angestrengte Klage dem Kläger den besten Teil seines Vermögens kostet. In ähnlicher Folge spielen sich gewisse Auftritte im Don Quijote ab, zum Beispiel die Wirtshausszene, wo in einer seltsamen Verkettung der Umstände der Maultiertreiber den Sancho verprügelt, dieser die Dirne, der Wirt die Dirne ... usw. Sehen wir uns nun noch den zeitgenössischen Schwank an. Ist es nötig, an alle Formen zu erinnern, die diese selbe Kombination annehmen kann? Von einer macht man ziemlich häufig Gebrauch: sie besteht darin, daß irgendein Gegenstand (ein Brief zum Beispiel) für gewisse Personen von wesentlicher Bedeutung ist und daß man ihn um jeden Preis wieder haben muß. Immer wenn man ihn zu fassen glaubt, entschlüpft er und rollt so durch das ganze Stück und wälzt auf seiner Bahn immer tollere Ereignisse mit sich. All das ähnelt mehr, als man zunächst glauben möchte, einem Kinderspiele; es ist immer der Schneeball.
 
Das Eigentümliche einer mechanischen Kombination ist, daß sie im allgemeinen umkehrbar ist. Es macht einem Kinde Spaß, zu sehen, wie eine losgeschnellte Kugel unterwegs immer mehr Verwüstungen unter den aufgestellten Kegelchen anrichtet; es lacht noch mehr, wenn die Kugel nach vielen Wendungen, Abwegen, Zögerungen aller Art an ihren Ausgangspunkt zurückkehrt. Mit anderen Worten: der Mechanismus, den wir soeben beschrieben haben, ist schon komisch, wenn er gradlinig wirkt; er ist es noch mehr, wenn er kreisförmig wird und wenn infolge einer verhängnisvollen Verkettung von Ursachen und Wirkungen alle Anstrengungen des Menschen einfach darauf hinauslaufen, daß er sich schließlich an ebendemselben Platze wiederfindet. Sehr viele Schwanke haben in dieser Idee ihren Schwerpunkt. Ein Pferd hat einen Florentiner Strohhut aufgefressen. In ganz Paris gibt es einen einzigen ähnlichen Hut, den man auf jeden Fall haben muß. Der Hut entwischt jedesmal in dem Augenblick, wo man ihn zu haben glaubt, die Hauptperson läuft hinter ihm her und setzt alles, was mit ihr zusammenhängt, ebenfalls in Bewegung: so wie sich die Anziehungskraft des Magnets immer weiter erstreckt und ein Eisenteilchen das andere an sich zieht. Und als man schließlich nach vielen Zwischenfällen am Ziel zu sein glaubt, findet sich, daß der heißersehnte Hut jener selbe ist, den das Pferd gefressen hatte. Dieselbe Odyssee erleben wir in einer andern, nicht weniger berühmten Komödie von Labiche. Wir sehen zunächst einen Junggesellen und eine alte Jungfer, die alte Bekannte sind, bei ihrem täglichen Kartenspiel. Beide haben sich heimlich an das gleiche Heiratsbureau gewandt. Durch tausend Schwierigkeiten, von Mißgeschick zu Mißgeschick gehen sie nebeneinander während des ganzen Stückes der Zusammenkunft entgegen, wo eines verblüfft das andere vorfindet. In derselben Weise schließt sich der Kreis durch Zurückgelangen auf den Ausgangspunkt in einem neueren Stücke. Ein bedrängter Gatte glaubt seiner Frau und seiner Schwiegermutter durch die Scheidung zu entkommen. Er verheiratet sich wieder; und schon beschert ihm das Wechselspiel von Scheidung und Heirat seine frühere Frau in schlimmerer Gestalt als neue Schwiegermutter.
 
Denkt man an die Schlagkraft und die Häufigkeit dieser Art von Komik, so versteht man, daß sie gewissen Philosophen besonders aufgefallen ist. Einen großen Weg machen, um schließlich doch am Ausgangspunkt anzukommen, heißt eine große Anstrengung an ein nichtiges Resultat setzen. Man könnte versucht sein, das Komische auf diese letzte Art zu definieren. So scheint Herbert Spencer gedacht zu haben: nach ihm stellt sich Lachen ein, wenn ein seelischer Kraftantrieb plötzlich leer läuft. Schon Kant sagte: »Das Lachen ist ein Affekt aus der plötzlichen Verwandlung einer gespannten Erwartung in Nichts.« Ich gebe zu, daß diese Definitionen auf unsere letzten Beispiele passen würden; doch müßte man auch da die Formel gewissen Einschränkungen unterwerfen, denn es gibt sehr viele unnütze Kraftanstrengungen, die nicht komisch wirken. Aber wenn unsere letzten Beispiele uns eine große Ursache mit einer kleinen Wirkung zeigen, so haben wir kurz vorher andere zitiert, die dann gerade umgekehrt zu definieren wären als eine große Wirkung aus kleiner Ursache. In Wahrheit wäre diese zweite Definition kaum besser als die erste. Das Mißverhältnis zwischen Ursache und Wirkung, das sie so oder so zur Hauptsache macht, ist niemals die unmittelbare Quelle des Lachens. Wir lachen über etwas, was dieses Mißverhältnis in gewissen Fällen zeigen kann, das heißt, wir lachen über die spezielle mechanische Anordnung, die wir hinter einer Reihe von Wirkungen und Ursachen durchscheinen sehen. Vernachlässigt man diese Anordnung, so verliert man den einzigen Leitfaden, der einen im Labyrinthe des Komischen führen kann, und die Regel, der man alsdann folgt und die vielleicht auf gewisse passend gewählte Fälle anwendbar ist, bleibt der Gefahr ausgesetzt, daß das erste beste Beispiel sie über den Haufen wirft.
 
Warum lachen wir aber über diese mechanische Anordnung? Wenn die Geschichte eines Individuums oder einer Gruppe uns in einem gegebenen Moment wie ein Spiel von Transmissionen, von Federn oder Fäden erscheint, das ist ohne Zweifel seltsam, aber woher stammt der eigentümliche Charakter dieser Seltsamkeit? Warum ist sie komisch? Auf diese Frage, die uns schon in den verschiedensten Formen entgegengetreten ist, werden wir immer die gleiche Antwort geben. Der starre Mechanismus, den wir von Zeit zu Zeit wie einen Eindringling in dem lebendigen Zusammenhang der menschlichen Dinge überraschen, hat für uns ein ganz besonderes Interesse, weil er wie eine Zerstreutheit des Lebens ist. Wenn die Ereignisse immer auf ihren richtigen Lauf acht geben könnten, dann gäbe es keine Koinzidenz, keinen Zusammenstoß, keinen Zirkelgang unter ihnen; alles würde sich in stetem Fortschritt vorwärts abwickeln. Und wenn alle Menschen immer auf das Leben acht gäben, wenn wir mit den andern und auch mit uns selbst in ständiger Fühlung blieben, dann könnte sich nie in uns etwas durch Federn oder Fäden zu vollziehen scheinen. Das Komische ist die Seite im Menschen, mit der er einer Sache ähnelt, die Ansicht menschlicher Vorgänge, die durch ihre eigenartige Starrheit schlechtweg eine Imitation des Mechanismus, des Automatismus, kurz der unlebendigen Bewegung darstellt. Es drückt also eine individuelle oder kollektive Unvollkommenheit aus, die unmittelbare Korrektur verlangt. Das Lachen ist eben diese Korrektur. Das Lachen ist eine bestimmte soziale Gebärde, die eine bestimmte Zerstreutheit von Menschen und Vorgängen unterstreicht und zurückweist.
 
Doch gerade dies lädt uns ein, weiter und höher zu suchen. Es hat uns bisher Vergnügen gemacht, in den Spielen der Erwachsenen gewisse Mechanismen wiederzufinden, über die schon das Kind lacht. Dies Verfahren war ganz empirisch. Der Augenblick ist gekommen, wo eine vollständige methodische Deduktion zu versuchen ist, welche all die verschiedenen Mittel, über die die komische Bühne verfügt, an ihrer Quelle, in ihrem einfachen und steten Prinzip zu erfassen hätte. Die Komödie, sahen wir, ordnet die Vorgänge so an, daß sie in den äußeren Ablauf des Lebens eine Art Mechanismus einführt. Bestimmen wir also die wesentlichen Merkmale, durch die das Leben, von außen gesehen, sich von einem einfachen Mechanismus abzuheben scheint. Es wird dann genügen, die entgegengesetzten Merkmale zu nehmen, um, diesmal allgemein gültig und umfassend, die abstrakte Formel aller wirklichen und möglichen Mittel der Komödie zu erhalten.
 
Das Leben stellt sich uns dar als ein bestimmtes Nacheinander in der Zeit und Nebeneinander im Räume. In der Zeit betrachtet ist es der stete Fortschritt eines Wesens, das unaufhörlich älter wird: das heißt, es kommt nie zurück und wiederholt sich nie. Im Raume betrachtet breitet es vor uns koexistente Elemente aus, die untereinander so innig verbunden, so ausschließlich für einander geschaffen sind, daß keins von ihnen gleichzeitig zwei verschiedenen Organismen angehören könnte: jedes lebende Wesen ist ein geschlossenes System von Erscheinungen, dem die Interferenz mit andern Systemen unmöglich ist. Stete Veränderung des Aussehens, Unumkehrbarkeit der Erscheinungen, vollkommene Individualität einer in sich geschlossenen Reihe, das sind die äußeren Merkmale (gleichviel, ob wirklich oder scheinbar), die das Lebendige vom einfachen Mechanismus unterscheiden. Nehmen wir das Gegenteil von diesen dreien und wir haben drei verschiedene Verfahren, die wir Repetition, Inversion und Interferenz der Reihen nennen wollen. Man sieht leicht, daß es die Mittel sind, mit denen der Schwank arbeitet, und daß es andere nicht geben kann.
 
Man würde sie leicht, verschieden gemischt, in all den Szenen finden können, die wir uns eben angesehen haben, und in noch stärkerem Grade in den Kinderspielen, deren Mechanismus in jenen wiederkehrte. Wir halten uns mit dieser Analyse nicht auf; es wird nützlicher sein, jene Verfahren an neuen Beispielen in möglichst reinem Zustande zu studieren. Das fällt übrigens gar nicht schwer, denn sie begegnen oft ganz rein in der klassischen und der modernen Komödie.

Die Repetition. – Es handelt sich jetzt nicht mehr einfach um ein Wort oder um einen Satz, den jemand wiederholt, sondern um eine Situation, das heißt, um eine Kombination von Umständen, die mehrere Male unverändert wiederkehrt und so gegen den wechselvollen Lauf des Lebens absticht. Schon die alltägliche Erfahrung kennt diese Art Komik, aber nur in rudimentärem Zustande. Wenn ich eines Tages einen Freund, den ich lange nicht gesehen habe, auf der Straße treffe, so hat die Situation nichts Komisches. Wenn ich ihm aber an demselben Tage abermals begegne, und noch ein drittes und viertes Mal, dann lachen wir beide schließlich über das seltsame »Zusammentreffen«. Denkt man sich nun eine Reihe erdachter Begebenheiten, die aber doch lebenswirklich erscheinen, und denkt man sich in dieser ablaufenden Reihe eine und dieselbe Szene sich wiederholend, sei es nun, daß sie sich jedesmal zwischen denselben Personen oder daß sie sich zwischen andern abspielt: auch das ist dann ein seltsames Zusammentreffen, aber ein viel ungewöhnlicheres. Dieser Art sind die Wiederholungen auf der Bühne. Sie sind um so komischer, je verwickelter die wiederholte Szene ist und auch je natürlicher sie herbeigeführt wird – zwei Bedingungen, die sich auszuschließen scheinen und die die Kunst des Dramatikers zu vereinigen hat.
 
Der moderne Schwank benutzt dies Verfahren in allen Formen. Eine der bekanntesten besteht darin, daß man eine bestimmte Personengruppe durch Akte hindurch in die verschiedensten Lagen führt, und zwar so, daß unter immer neuen Umständen immer die gleiche Abfolge von sich symmetrisch entsprechenden Ereignissen oder Abenteuern entsteht.
 
Mehrere Stücke von Molière zeigen eine bestimmte Ereignisfolge, die sich durch das ganze Stück hin wiederholt. So arbeitet die Ecole des Femmes dreimal mit demselben Motiv: erstens, Horace erzählt Arnolphe, was er sich ausgedacht hat, um den Vormund von Agnes zu hintergehen, dieser Vormund aber ist Arnolphe selber; zweitens, Arnolphe glaubt den Streich pariert zu haben; drittens, Agnes weiß aus Arnolphes Vorsichtsmaßregeln für Horace Kapital zu schlagen. Die gleiche periodische Wiederkehr findet sich in der Ecole des Maris, im Etourdi und besonders im George Dandin, wo sich auch die Dreigliedrigkeit des Motivs wiederfindet: erstens, George Dandin merkt, daß seine Frau ihn betrügt; zweitens, er ruft seine Schwiegereltern zu Hilfe; drittens, er, George Dandin, muß sich entschuldigen.
 
Bisweilen auch spielt sich zwischen verschiedenen Personengruppen dieselbe Szene ab. Nicht selten bilden dann die erste Gruppe die Herren und die zweite die Diener. Die Diener wiederholen in anderem Tone und weniger edlem Stile einen Auftritt, den die Herren schon gespielt haben. Ein Teil des Dépit amoureux ist nach diesem Schema gebaut, ebenso wie der Amphitryon. In einer netten kleinen Komödie von Benedix, Der Eigensinn, ist die Anordnung gerade umgekehrt; hier wiederholen die Herren eine Eigensinnszene, die ihnen die Diener vorgespielt haben.
 
Aber welches auch immer die Personen sind, zwischen denen sich symmetrische Situationen ergeben, ein tiefer Unterschied scheint zwischen der klassischen und der modernen Komödie zu bestehen. Freilich das Ziel ist immer das gleiche: man will in das Geschehen eine gewisse mathematische Ordnung bringen und ihm doch die Wahrscheinlichkeit, das heißt seine ganze Lebendigkeit lassen. Aber die angewandten Mittel sind verschieden. Im modernen Schwank bearbeitet man meist den Zuschauer direkt. Jenes seltsame Zusammentreffen mag noch so ungewöhnlich sein, es wird glaubhaft einzig durch die Tatsache, daß es geglaubt wird, und wir werden es immer glauben, wenn man uns allmählich, darauf vorbereitet und uns genügend bearbeitet hat. Bei Molière sind es umgekehrt die Stimmungen der Personen und nicht die des Publikums, die die Wiederholung in der Handlung natürlich erscheinen lassen. Jede seiner Personen stellt eine bestimmte, in einer bestimmten Richtung wirkende Kraft dar, und weil diese Kräfte von konstanter Richtung sich notwendigerweise untereinander gleichartig anordnen, wiederholt sich die gleiche Situation. Die so verstandene Situationskomödie grenzt also an die Charakterkomödie. Sie verdient klassisch genannt zu werden, wenn es wahr ist, daß klassische Kunst diejenige Kunst ist, bei der sich Wirkung und Ursache das Gleichgewicht halten.

Die Inversion. – Dieses zweite Verfahren hat soviel Ähnlichkeit mit dem ersten, daß wir uns begnügen werden, es zu umreißen, ohne auf Beispiele Wert zu legen. Man denke sich gewisse Personen in einer gewissen Situation: läßt man die Situation sich umkehren und die Rollen vertauschen, so wird sich eine komische Szene ergeben. Dieser Art ist die doppelte Rettung in Perrichons Reise. Aber es ist nicht einmal nötig, daß die beiden symmetrischen Auftritte vor unsern Augen gespielt werden. Man braucht uns nur einen zu zeigen, wenn man nur sicher ist, daß wir an den andern denken. So lachen wir über den Angeklagten, der dem Richter Moral predigt, über das Kind, das seine Eltern belehren will, kurz über alles, was sich in die Rubrik »verkehrte Welt« einreiht.
 
Oft zeigt man uns jemand, der die Netze stellt, in denen er sich dann selber fängt. Vielen Komödien liegt die Figur dessen, der andern eine Grube gräbt, des betrogenen Betrügers zugrunde. Wir finden sie schon in der alten Farce. Der Advokat Pathelin rät seinem Klienten einen Trick, um den Richter zu täuschen: der Klient benutzt den Trick auch, um den Advokaten nicht bezahlen zu müssen. Eine zänkische Frau fordert von ihrem Mann, daß er alle Arbeit im Haushalt tun solle; sie hat alles Punkt für Punkt auf einem Zettel verzeichnet. Wie sie nun in einen Bottich fällt, will ihr Mann sie nicht herausziehen, denn »das steht nicht auf seinem Zettel«. Die neuere Literatur kennt viele andere Variationen über das Thema vom betrogenen Betrüger. Immer handelt es sich dabei im Grunde um eine Rollenvertauschung und um eine Situation, die sich gegen den wendet, der sie herbeigeführt hat.
 
Hier bewahrheitet sich ein Gesetz, das wir schon in mehr als einer Anwendung aufgezeigt haben. Wenn ein komischer Auftritt sich oft wiederholt hat, dann wird er zur »Kategorie«, zum Modell. Er wird an sich lustig, ganz abgesehen von den Ursachen, durch die er ursprünglich komisch gewirkt hat. Dann können neue Auftritte, die von rechtswegen nicht komisch sind, in Wirklichkeit lustig wirken, wenn sie jenem ersten Auftritt irgendwie ähneln. Sie wecken in uns mehr oder minder dunkel ein Bild, das wir als lustig kennen, und sie reihen sich so in eine Klasse anerkannter Komik ein. Die Situation des »betrogenen Betrügers« ist von dieser Art. Sie strahlt ihre Komik auf eine Menge anderer Szenen aus. Sie macht am Ende jedes selbstverschuldete Mißgeschick komisch, gleichgültig welcher Art die Schuld oder welcher Art das Mißgeschick ist – ja, eine Anspielung, eine leise Andeutung schon genügt, um den komischen Effekt zu erzeugen. »Du hasts gewollt, George Dandin«, dieses Wort hätte nichts Erheiterndes ohne seine komischen Assoziationen und Resonanzen.

Aber von Repetition und Inversion haben wir nun genug gesprochen, wir kommen zur Interferenz der Reihen. Die Formel dieser Komik zu entwickeln ist nicht schwer, wegen der außerordentlichen Mannigfaltigkeit der Formen, in denen sie auf dem Theater auftritt. Vielleicht müßte man sie so definieren: Eine Situation ist immer dann komisch, wenn sie gleichzeitig zwei völlig unabhängigen Reihen von Ereignissen angehört und so einen doppelten Sinn hat.
 
Man wird sofort an die komische Personenverwechslung denken. Und die Verwechslung ist in der Tat eine Situation, die einen doppelten Sinn hat, den einen nur möglichen, den sie in den Augen der handelnden Personen hat, und den andern wirklichen, den die Zuschauer kennen. Wir merken den wirklichen Sinn der Situation, weil man uns vorher wohlweislich alle Seiten und alle Voraussetzungen gezeigt hat; die handelnden Personen aber kennen jede nur eine Seite der Sachlage: daher ihr Irrtum, daher ihr falsches Urteil über das, was um sie herum geschieht, ebenso wie über das, was sie selbst tun. Wir gehen von diesem falschen Urteil zum richtigen über; wir pendeln gleichsam zwischen dem möglichen und dem wirklichen Sinn; und gerade dieses Balancieren zwischen zwei entgegengesetzten Interpretationen tritt in dem Vergnügen, das eine Verwechslung uns macht, zuerst zutage. Man versteht, daß dieses Balancieren einigen Philosophen besonders aufgefallen ist und daß einige das Wesen des Komischen in dem Streit oder in der Gleichzeitigkeit zweier Urteile, die sich widersprechen, haben sehen wollen. Aber diese Definition paßt durchaus nicht in allen Fällen, und da, wo sie paßt, definiert sie nicht das Prinzip des Komischen, sondern nur eine seiner mehr oder weniger mittelbaren Konsequenzen. Es ist in der Tat leicht einzusehen, daß die komische Verwechslungsszene nur ein besonderer Fall des viel allgemeineren Phänomens der Interferenz der unabhängigen Reihen ist, und daß im übrigen die Verwechslung nicht an sich komisch ist, sondern nur als Exponent einer Interferenz der Reihen.
 
Bei jeder Verwechslung ist jede der Personen in eine Reihe von Geschehnissen eingegliedert, die sie angehen, von denen sie eine genaue Vorstellung hat und nach denen sie ihre Reden und Taten einrichtet. Jede dieser Reihen, jede zu einer bestimmten Person gehörig, entwickelt sich unabhängig von den andern; aber sie treffen aufeinander in einem bestimmten Momente, wo die Umstände es zulassen, daß die Taten und Reden, die zu der einen gehören, ebensogut zur andern passen können. Daher der Irrtum der handelnden Personen, daher die Doppeldeutigkeit; aber diese Doppeldeutigkeit ist nicht an sich komisch; sie ist es nur, weil in ihr das Zusammentreffen zweier unabhängiger Reihen sich offenbart. Der Beweis dafür ist, daß der Autor es sich beständig angelegen sein lassen muß, unsere Aufmerksamkeit auf die Doppeltatsache der Unabhängigkeit und des Zusammenfallens zu lenken. Und das gelingt ihm gewöhnlich dadurch, daß er immer wieder zum Scheine mit einer Trennung der beiden zusammenfallenden Reihen droht. In jedem Augenblicke droht alles auseinanderzukrachen und lenkt doch wieder ein: und dieses Spiel bringt uns zum Lachen, weit mehr als das intellektuelle Hinundwider kontradiktorischer Behauptungen. Zum Lachen bringt es uns deshalb, weil es uns die Interferenz zweier unabhängiger Reihen offenbar macht, und diese Interferenz ist die wahre Quelle komischer Wirkung.
 
Und so kann die Verwechslung nur ein spezieller Fall sein. Es ist eines (und vielleicht das künstlichste) von den Mitteln, die Interferenz der Reihen sichtbar zu machen, aber es ist nicht das einzige. An Stelle zweier gleichzeitiger Reihen könnte man ganz ebensogut eine Reihe vergangener Ereignisse und eine Reihe gegenwärtiger nehmen: wenn die beiden Reihen in unserer Phantasie zusammenstoßen, so findet keine Verwechslung mehr statt, und doch tritt dieselbe komische Wirkung ein. Man denke an die Gefangenschaft Bonivards im Schloß von Chillon: da hat man die erste Tatsachenreihe. Dann stelle man sich Tartarin vor, wie er auf seiner Reise in der Schweiz festgenommen und gefangen gesetzt wird: die zweite Reihe unabhängig von der ersten. Nun lasse man Tartarin an genau der gleichen Kette wie Bonivard festgelegt werden und so die beiden Geschichten auf einen Moment zusammenfallen, und man wird eine sehr lustige Szene haben, eine der lustigsten, die Daudet erfunden hat. Viele Vorgänge, die zum Stoff der heroisch-komischen Gattung gehören, haben hier ihre Elemente. Die immer komisch wirkende Übertragung von Altem in Modernes schreibt sich von der gleichen Vorstellung her.
 
Labiche hat dies Verfahren in allen Formen benutzt. Bald baut er zunächst unabhängige Reihen auf und macht sich dann das Vergnügen, sie ineinandergeraten zu lassen; er nimmt eine geschlossene Gruppe, etwa eine Hochzeit, und läßt sie in ganz fremde Umgebungen geraten, wo aber gewisse Umstände doch für Augenblicke diese Einschaltung erlauben. Bald behält er während des ganzen Stückes dieselbe geschlossene Personengruppe bei, aber er läßt einige dieser Personen ein Geheimnis haben, das sie nötigt, sich miteinander auseinanderzusetzen, so daß sie eine kleine Komödie in der großen spielen: in jedem Augenblick droht die eine der beiden Komödien die andere zu stören, aber dann gleicht sich alles wieder aus, und das Zusammenwirken der beiden Reihen ist wieder hergestellt. Bald endlich ist es eine rein ideelle Reihe von Geschehnissen, die er in die wirkliche Reihe einschiebt, etwa eine Vergangenheit, die man gern verbergen möchte und die doch unaufhörlich in die Gegenwart hereinbricht, die man aber schließlich immer wieder mit den Situationen, die sie über den Haufen zu werfen drohte, in Einklang bringen kann. Immer aber haben wir dabei zwei unabhängige Reihen, die teilweise zusammenfallen.
 
Wir wollen diese Analyse der Methoden des Schwankes nicht weitertreiben. Ob Interferenz der Reihen, ob Inversion oder Repetition, wir sehen, das Ziel ist immer das gleiche: man will das erreichen, was wir eine Mechanisierung des Lebens genannt haben. Man nimmt ein System von Handlungen und Beziehungen und wiederholt es entweder einfach, so wie es ist, oder man stellt es geradewegs auf den Kopf, oder man schiebt es als Ganzes in ein anderes System hinein, mit dem es teilweise zusammenfällt – alles Operationen, deren Wesen darin besteht, daß das Leben wie ein Repetiermechanismus mit Rückläufen und auswechselbaren Stücken behandelt wird. Das wirkliche Leben erscheint als Schwank genau in dem Maße, in dem es im natürlichen Lauf der Dinge Wirkungen hervorbringt, die zur gleichen Art wie jene Geschehnisse im Schwank gehören, und folglich genau in dem Maße, in dem es sich selbst vergißt; denn wenn es immer aufmerksam wäre, dann wäre es auch stets wechselnder Ablauf, unumkehrbarer Fortschritt und ungeteilte Einheit. Und deshalb kann man die Komik des Geschehens als eine Zerstreutheit der Dinge definieren, ebenso wie die Komik eines individuellen Charakters immer in einer bestimmten fundamentalen Zerstreutheit des Individuums ihren Grund hat, was wir schon andeuteten und was wir noch beweisen werden. Aber diese Zerstreutheit des Geschehens ist ungewöhnlich, und ihre Wirkung wiegt leicht. Und sie ist auf jeden Fall unkorrigierbar, so daß es keinen Sinn hat, darüber zu lachen. Deshalb wäre man sicher nicht auf den Einfall gekommen, sie zu übertreiben, ein System aus ihr zu machen, eine Kunst für sie zu schaffen, wenn das Lachen nicht immer ein Vergnügen wäre und wenn die Menschheit nicht jede Gelegenheit dazu beim Schopfe faßte. So erklärt sich der Schwank, der sich zum wirklichen Leben verhält wie die Gliederpuppe zum gehenden Menschen: er ist die reichlich künstliche Übertreibung einer gewissen natürlichen Steifheit der Dinge. Der Faden, der ihn mit dem wirklichen Leben verbindet, ist sehr dünn. Es ist kaum mehr als ein Spiel, und wie alle Spiele geht es zunächst von einer willkürlichen Annahme aus. Die Charakterkomödie dagegen treibt viel tiefere Wurzeln ins wirkliche Leben. Mit ihr hauptsächlich werden wir uns im letzten Teil unserer Studie beschäftigen. Aber zuvor müssen wir eine Art der Komik analysieren, die der des Schwankes von vielen Seiten aus ähnelt: die Wortkomik.

Es scheint vielleicht etwas künstlich, eine besondere Kategorie für die Komik der Worte zu bilden, denn schon die Mehrzahl der komischen Effekte, die wir bisher untersucht haben, bedurfte der Sprache, um in Erscheinung zu treten. Aber man muß unterscheiden zwischen dem Komischen, dem die Sprache nur zum Ausdruck verhilft, und dem, das auf Eigentümlichkeiten der Sprache als solcher beruht. Das der ersten Art ließe sich zur Not aus einer Sprache in die andere übersetzen, freilich nicht, ohne den größten Teil seiner Beziehungen beim Übergang in eine neue Umgebung einzubüßen, neu an Sitten, Literatur und vor allem neu durch andere Ideenassoziationen. Das Komische der zweiten Art aber ist im allgemeinen unübersetzbar. Alles, was es ist, verdankt es dem Satzbau oder der Wortwahl. Es konstatiert nicht mit Hilfe der Sprache irgendwelche besondere Zerstreutheiten von Menschen oder Begebenheiten, sondern unterstreicht die Zerstreutheiten der Sprache selbst. Hier wird also die Sprache selber komisch.
 
Es ist wahr, daß Redensarten nicht von allein entstehen und daß, wenn wir über sie lachen, wir vielleicht zugleich über ihren Urheber lachen. Aber diese letzte Bedingung ist nicht unerläßlich. Redensart und Wort können hier unabhängige komische Kraft haben. Beweis dafür ist, daß wir in der Mehrzahl der Fälle äußerst verlegen sind, wenn wir sagen sollen, über wen wir lachen, wenn wir auch meist undeutlich fühlen, daß jemand der Urheber ist.
 
Dieser Urheber ist übrigens nicht immer der, der spricht. Hier würde eine wichtige Unterscheidung zwischen dem Witzigen und dem Komischen zu machen sein. Ich neige dazu, einen Ausspruch komisch zu nennen, wenn wir über den, der ihn tut, lachen, witzig, wenn wir dabei über einen dritten oder über uns lachen. Sehr oft freilich werden wir nicht entscheiden können, ob, was einer sagt, komisch oder witzig ist. Es ist dann einfach schlechthin lächerlich.
 
Vielleicht ist es nötig, ehe wir weiter gehen, genauer zu prüfen, was man unter Witz versteht. Zum mindesten lächeln wir doch über ein Witzwort, sodaß eine Studie über das Lachen nicht vollständig wäre, wenn sie verabsäumte, die Natur des Witzes zu ergründen und sein Wesen aufzuhellen. Aber ich fürchte, daß diese Substanz eine von denen ist, die sich bei Licht zersetzen.
 
Unterscheiden wir zunächst zwei Bedeutungen von Witzwort, eine weitere und eine engere. Im weitesten Sinne des Wortes will es mir scheinen, daß man Witz eine mehr oder minder dramatische Art zu denken nennt. Statt seine Vorstellungen rein sachlich zu behandeln, sieht und hört sie der witzige Kopf und läßt sie miteinander wie Personen konversieren. Er läßt sie, und auch ein wenig sich selbst, untereinander spielen. Ein witziges Volk ist unbedingt ein geborenes Theatervolk. Jeder witzige Kopf ist schon ein wenig Dichter, so wie in jedem guten Leser das Zeug zu einem Schauspieler steckt. Ich ziehe diese Parallele mit Absicht, weil man ohne Mühe eine Proportion zwischen diesen vier Gliedern aufstellen kann. Um gut zu lesen, genügt es, die geistigen Fähigkeiten des Schauspielers zu besitzen; aber um gut zu spielen, muß man mit ganzer Seele und mit seinem ganzen Menschen Schauspieler sein. So setzt das dichterische Schaffen eine gewisse Selbstvergessenheit voraus, die gemeiniglich nicht der Fehler des witzigen Kopfes ist. Dieser scheint hinter allem, was er sagt und tut, hervor. Er geht darin nicht auf, da auch er, wie der Leser, nur seinen Verstand daran setzt.
 
Jeder Dichter wird sich also, wenn es ihm beliebt, als Witzkopf entpuppen können. Er hat dazu nichts Neues nötig; vielmehr würde er dabei etwas zu opfern haben. Er müßte sich beschränken, seine Ideen »bloß zum Vergnügen« miteinander spielen zu lassen. Er müßte bloß das doppelte Band durchschneiden, das seine Ideen in Zusammenhang mit seinen Gefühlen und seine Seele in Zusammenhang mit dem Leben hält. Kurz, er wäre ein Witzkopf, wenn er sich entschlösse, nur noch mit dem Verstande und nicht mehr mit dem Herzen zu dichten.
 
Wenn aber das Wesen des Witzes schon in der weiteren Bedeutung des Wortes darin besteht, die Welt sub specie theatri zu sehen, so wird deutlich, daß, was wir eigentlich Witz nennen, einer bestimmten Gattung der dramatischen Kunst entspricht: der Komödie. Daher der engere Sinn des Wortes, der uns denn vom Standpunkt einer Theorie des Lachens ausschließlich interessiert. In diesem Sinne nennt man Witz eine gewisse Gabe, komische Auftritte flüchtig zu skizzieren, und zwar so diskret, so leicht und so flink, daß alles schon vorüber ist, wenn wir anfangen, es zu bemerken.
 
Wer sind die Spieler in diesen Szenen? Mit wem hat es der Witzkopf zu tun? Zunächst natürlich mit seinen Partnern, wenn das Witzwort eine direkte Antwort im Gespräch ist. Häufig auch mit einer abwesenden Person, von der er annimmt, daß sie etwas gesagt hat und daß er ihr antwortet. Häufiger noch mit jedermann, das heißt: mit dem gemeinen Menschenverstand, mit dem er anbindet, indem er aus einem landläufigen Satz ein Paradoxon macht, oder indem er eine gang und gäbe Redensart verwendet, oder ein Zitat oder ein Sprichwort parodiert. Man vergleiche diese kleinen Szenen miteinander, man wird sehen, daß sie fast durchgängig Variationen über ein wohlbekanntes Lustspielthema, das des »betrogenen Betrügers« sind. Man nimmt ein Bild, eine Redensart, einen Gedanken auf und kehrt ihn gegen den, der ihn äußerte, oder der ihn hätte äußern können, sodaß dieser dann gesagt hat, was er gar nicht sagen wollte und sozusagen in die Schlingen der Sprache fällt. Aber das Thema des betrogenen Betrügers ist nicht das einzig mögliche. Wir haben uns mancherlei Arten des Komischen vor Augen geführt, keine ist darunter, die sich nicht zu einem Witz zuspitzen ließe. Jedes Witzwort wird also einer Analyse fähig sein, deren Rezept sozusagen wir jetzt geben können. Dieses ist: Man nehme das Wort, verdichte es zunächst in eine gespielte Szene, suche dann die komische Kategorie, unter die diese Szene fällt, und man wird es so auf seine einfachsten Elemente reduzieren und eine vollständige Erklärung geben können.
 
Wenden wir dieses Verfahren auf ein klassisches Beispiel an. »Deine Brust macht mir Schmerzen«, schreibt Mme de Sévigné an ihre kranke Tochter. Also ein Witzwort. Wenn unsere Theorie stimmt, müssen wir, wenn wir es wörtlich nehmen, es vergröbern und verdichten, eine komische Szene erhalten. Tatsächlich finden wir ganz diese Szene in Molières Amour médecin. Der falsche Arzt Clitandre, gerufen, um nach Sganarelles Tochter zu sehen, begnügt sich, Sganarelle selber den Puls zu fühlen, woraus er ohne Zögern, auf Grund der Sympathie, die zwischen Vater und Tochter existieren muß, schließt: »Eure Tochter ist recht krank«. Da ist der Übergang vom Witzigen zum Komischen vollzogen. Uns bleibt nun, um die Analyse zu Ende zu führen, nur noch übrig zu sehen, wieso die Idee, eine Diagnose über das Kind nach Untersuchung des Vaters oder der Mutter zu stellen, komisch ist. Wir wissen aber, daß eine der Hauptformen der komischen Phantasie darin besteht, uns einen Menschen von Fleisch und Blut als eine Art Gliederpuppe vorzustellen, und daß, um uns auf diese Idee zu leiten, oft zwei oder mehrere Personen auftreten, die sprechen und agieren, als ob sie miteinander durch unsichtbare Fäden verbunden wären. Und werden wir hier nun nicht auf dieselbe Idee geführt, wo man uns nötigt, die Sympathie, die wir uns zwischen Tochter und Vater bestehend denken, sozusagen zu verkörperlichen?
 
Wir verstehen jetzt wohl, warum diejenigen Autoren, die über den Witz gehandelt haben, sich darauf beschränken mußten, die außerordentliche Kompliziertheit dieses Begriffes festzustellen, ohne ihn je recht definieren zu können. Es gibt sehr viele Weisen, witzig zu sein, fast ebensoviele, wie es nicht zu sein. Wie kann man erkennen, was sie unter sich gemein haben, wenn man nicht zuerst das allgemeine Verhältnis zwischen dem Witzigen und Komischen bestimmt? Ist aber einmal dieses Verhältnis klar, so hellt sich alles auf. Zwischen dem Komischen und dem Witzigen findet dann dasselbe Verhältnis statt wie zwischen einer ganzen Szene und der flüchtigen Andeutung einer möglichen Szene. Soviel Formen das Komische annehmen kann, soviel entsprechende Formen wird auch der Witz haben. Zuerst muß man also das Komische in allen seinen Formen zu bestimmen suchen, indem man – was schon schwierig genug ist – den Faden auffindet, der von einer Form zur andern leitet. Denn dadurch hat man auch das Witzige analysiert, das dann nichts weiter ist als verflüchtigte Komik. Aber den umgekehrten Weg gehen, direkt die Formel für den Witz suchen, das heißt einen sicheren Mißerfolg erleben wollen. Was würde man von einem Chemiker denken, der in seinem Laboratorium die Stoffe selbst zur Verfügung hätte, und der es vorzöge, sie im Zustand bloßer Spuren in der Atmosphäre zu untersuchen!
 
Aber diese Vergleichung des Witzigen und Komischen weist uns zu gleicher Zeit den Weg, den wir bei der Untersuchung der Wortkomik verfolgen müssen. Einerseits sehen wir, daß es keinen wesentlichen Unterschied zwischen komischen und witzigen Worten gibt, andererseits ruft ein Witzwort, obgleich an eine Form der Sprache gebunden, immer das mehr oder minder deutliche Bild einer komischen Szene hervor. Das führt wieder darauf, daß die Komik der Sprache Punkt für Punkt der Komik der Handlungen und Situationen entspricht und daß sie, wenn man es so ausdrücken kann, lediglich deren Projektion auf die Ebene der Sprache ist. Kehren wir also zur Komik der Handlungen und Situationen zurück. Erinnern wir uns der Hauptverfahren, durch die man sie gewinnt. Wenden wir diese Verfahren auf Wortwahl und Satzbau an. So werden wir die möglichen Formen der Wortkomik und alle Arten des Witzes bekommen.
 
Sich gehen lassen infolge von Steifheit oder Trägheit, sagen, was man nicht sagen wollte, oder tun, was man nicht tun wollte, das war, wie wir wissen, eine der Hauptquellen des Komischen. Das war es, warum Zerstreutheit ihrem Wesen nach lächerlich war. Das wars auch, warum man über Starres, Abgeschlossenes, Mechanisches in Gebärde, Haltung und selbst den Zügen des Gesichts lacht. Beobachtet man eine derartige Starrheit auch in der Sprache? Zweifellos, so wahr es feste Formeln und stereotype Redensarten gibt. Ein Mensch, der immer in diesem Stile reden würde, wäre unweigerlich komisch. Damit aber eine Redensart für sich genommen komisch sei, einmal losgelöst von dem, der sie ausspricht, muß sie nicht allein typisch sein, sondern außerdem ein Merkmal an sich haben, an dem wir, ohne auch nur im leisesten zu zögern, erkennen, daß sie automatisch ausgesprochen wurde. Und das kann nur dann geschehen, wenn die Redensart eine offenbare Absurdität enthält, sei es einen groben Irrtum, sei es einen in den Worten liegenden Widerspruch. Daher folgende allgemeine Regel: Einen komischen Ausspruch wird man jedesmal dann erhalten, wenn man einen absurden Gedanken in das Gewand einer stehenden Redensart kleidet.
 
»Dieser Säbel ist der schönste Tag meines Lebens«, sagt Monsieur Prudhomme. Man übertrage diese Redensart in eine andere Sprache, so wird sie lediglich absurd klingen, während sie in der unsern komisch ist. Das macht, »der schönste Tag meines Lebens« ist einer der stehenden Satzschlüsse, an die unser Ohr gewöhnt ist. Aber er wird erst komisch, wenn er dazu dient, den Automatismus desjenigen, der ihn ausspricht; ins volle Licht zu setzen. Das wird erreicht, wenn man eine Absurdität damit verbindet. Diese ist dann keineswegs die Quelle des Komischen. Sie ist nur ein sehr einfaches und sehr wirksames Mittel, es uns zu entdecken.
 
Wir haben nur eins von Monsieur Prudhommes Worten angeführt. Aber die meisten von denen, die ihm zugeschrieben werden, sind von demselben Schlage. Monsieur Prudhomme ist der Mann mit den stehenden Redensarten. Und wie es feste Redensarten in allen Sprachen gibt, ist Monsieur Prudhomme überallhin nicht sowohl übersetzbar als versetzbar.
 
In manchen Fällen ist die banale Redensart, in der eine Absurdität steckt, nicht ganz so leicht zu entdecken. »Ich mag zwischen den Mahlzeiten nicht arbeiten«, meinte ein Faulpelz. Hierin würde weiter nichts Komisches hegen, wenn nicht eine wichtige Gesundheitsregel lautete: »Man soll zwischen den Mahlzeiten nicht essen.«
 
In andern Fällen ist die Wirkung verwickelter. An die Stelle einer einzigen banalen Phrase treten zwei oder drei ineinandergeschachtelte. Man nehme z. B. dieses Wort einer Figur von Labiche: »Gott allein hat das Recht, seinen Nächsten zu töten.« Mir scheint, man macht sich hier zwei Sätze zunutze, die uns vertraut sind: »Gott hat Gewalt über das Leben der Menschen« und »Du sollst Deinen Nächsten nicht töten.« Aber diese beiden Sätze sind derart verschmolzen, daß unser Ohr betört wird und wir den Eindruck einer jener Redensarten haben, die man sinnlos nachspricht und mechanisch übernimmt. Daher eine gewisse sorglose Unaufmerksamkeit, in der man dann plötzlich von der Absurdität überrascht wird.

Diese Beispiele werden genügen, verständlich zu machen, wie eine der wichtigsten Formen des Komischen auf die Ebene der Sprache projiziert und vereinfacht werden kann. Gehen wir zu einer spezielleren Form über.
 
Wir lachen in all den Fällen, wo unsere Aufmerksamkeit auf die physische Natur eines Menschen gelenkt wird, während es sich um seine geistige handelte: dieses Gesetz haben wir im ersten Teile unserer Arbeit aufgestellt und wollen es nun auf die Sprache anwenden. Man könnte sagen, daß die meisten Worte eine physische und eine geistige Bedeutung besitzen, je nachdem man sie im eigentlichen oder übertragenen Sinne nimmt. Jedes Wort bezeichnet von Haus aus einen konkreten Gegenstand oder materiellen Vorgang; allein oft hat sich seine Bedeutung langsam zu einer abstrakten Beziehung oder einer reinen Idee vergeistigt. Wenn also unser Gesetz hier gelten soll, muß es die folgende Form bekommen: Man erhält eine komische Wirkung in all den Fällen, wo man sich so stellt, als verstände man einen Ausdruck, der übertragen gemeint war, im eigentlichen Sinne. Oder auch: Soweit unsre Aufmerksamkeit sich auf die materielle Seite einer Metapher wendet, wird die in dieser ausgedrückte Idee komisch.
 
»Alle Künste sind Schwestern«; in dieser Redensart ist das Wort Schwester metaphorisch genommen, um eine mehr oder weniger starke Ähnlichkeit zu bezeichnen. Und das Wort wird so oft in diesem Sinne angewendet, daß wir, wenn wir es hören, nicht mehr an die konkrete und materielle Beziehung denken, die aller Verwandtschaft zugrunde liegt. Mehr schon würden wir daran denken, wenn man uns sagte: »Alle Künste sind Basen«, weil das Wort Base kaum im übertragenen Sinne gebraucht wird: daher würde dieses Wort hier einen leicht komischen Klang bekommen. Gehen wir jetzt noch weiter und nehmen an, man richte unsere Aufmerksamkeit gewaltsam auf das Materielle des Bildes, indem man eine verwandtschaftliche Beziehung wählt, die mit dem grammatischen Geschlecht der Begriffe, die diese Verwandtschaft verknüpfen soll, unverträglich ist: so wird man eine lächerliche Wirkung haben. Das ist aber das wohlbekannte, auch dem Monsieur Prudhomme, glaube ich, zugeschriebene Wort: »Alle Künste sind Brüder«.
 
»Er hascht nach Witz«, sagte einer zu Boufflers, mit dem er über einen sehr anmaßenden Menschen sprach. Wenn Boufflers entgegnet hätte: »Er wird ihn nicht kriegen«, so würde das der Anfang eines Wortwitzes gewesen sein, aber auch nur der Anfang, weil der Ausdruck »kriegen« fast ebensooft wie der Ausdruck »haschen« im übertragenen Sinne gebraucht wird und uns nicht zwingend genug nötigt, das Bild der beiden hintereinander her Laufenden uns anschaulich zu machen. Soll mir die Replik ganz witzig erscheinen, so muß man der Sportterminologie einen so konkreten anschaulichen Ausdruck entlehnen, daß ich nicht umhin kann, zu glauben, ich sähe tatsächlich dem Rennen zu. Und das tut Boufflers, wenn er sagt: »Ich setze auf Witz«.
 
Wir sagten, der Witz bestehe oft darin, den Gedanken eines anderen bis zu dem Punkte fortzusetzen, wo er gerade das Gegenteil seines Gedankens ausdrücken würde, und wo er sozusagen in die Falle seiner eigenen Rede ginge. Setzen wir jetzt hinzu, daß diese Falle fast immer eine Metapher oder ein Gleichnis ist, dessen materielle Seite man gegen ihn ausspielt. Man erinnere sich an ein Zwiegespräch wie dieses zwischen Mutter und Sohn in den Faux Bonshommes: »Mein Freund, die Börse ist ein gefährliches Spiel. Einen Tag gewinnt man und den andern verliert man.« – »Du hast recht, Mutter, ich spiele nur noch einen Tag um den andern.« Und in demselben Stück die erbauliche Unterhaltung der beiden Geldmänner: »Ist es auch recht, was wir da tun? Denn schließlich .. wir ziehen den armen Aktionären das Geld aus der Tasche ..« – »Ja, ich bitte Sie, woraus denn sonst?«
 
Desgleichen wird man eine komische Wirkung immer dann erzielen, wenn man bei einem Symbol oder Emblem die materielle Seite herauskehrt und dann dieser materiellen Seite dieselbe Geltung zuerkennt wie dem Symbol. In einem auch sonst sehr lustigen Schwank tritt ein Beamter von Monako auf, dem nur eine einzige Dekoration verliehen worden und dessen Uniform dennoch über und über mit Medaillen bedeckt ist. »Ich habe meine Medaille auf eine Roulettenummer gesetzt,« erklärt er, »und da diese Nummer gewann, stand mir das Sechsunddreißigfache des Einsatzes zu.« Ist das nicht ein Gedankengang ganz ähnlich demjenigen Giboyers in den Effrontés? Man spricht von einer Braut von vierzig Jahren, die in ihrem Brautkranz Orangenblüten trägt: »Orangen stünden ihr besser an«, sagt Giboyer.
 
Allein wir würden kein Ende finden, müßten wir alle Gesetze, die wir aufgestellt haben, eins nach dem andern hernehmen und suchen, was sie in der Ebene der Sprache, wie wir es ausdrückten, bedeuten. Wir werden besser tun, uns an die drei Hauptsätze des vorigen Kapitels zu halten. Wir hatten gezeigt, daß Ereignisreihen komisch werden entweder durch Repetition oder durch Inversion oder endlich durch Interferenz. Wir werden sehen, daß es sich ebenso mit Wortreihen verhält.
 
Ereignisreihen hernehmen und sie in neuem Ton oder neuer Umgebung wiederholen oder sie umkehren, sodaß sie doch noch Sinn behalten, oder sie derart mengen, daß ihre verschiedenen Bedeutungen untereinander interferieren, wirkt immer komisch, sagten wir, weil sich alsdann das Leben von uns mechanisch behandeln läßt. Aber auch der Gedanke ist etwas, das lebt. Und die Sprache, die den Gedanken wiedergibt, müßte ebenso lebendig sein wie er. Man ahnt danach, daß ein Satz komisch werden wird, wenn er noch einen Sinn gibt, sobald man ihn umdreht, oder wenn er zwei gänzlich unabhängige Gedanken zugleich ausdrücken kann, oder endlich, wenn man ihn in eine Tonart übertragen kann, die nicht zu seinem Inhalt stimmt. Das sind wohl in der Tat die drei Grundregeln für das, was man komische Umformung von Sätzen nennen könnte, wie wir nun an einigen Beispielen zeigen wollen.
 
Zunächst sei gesagt, daß diese drei Gesetze für eine Theorie des Komischen von ganz verschiedener Wichtigkeit sind. Die Inversion ist der am wenigsten wichtige Vorgang. Aber sie muß leicht anwendbar sein, denn man kann beobachten, daß die berufsmäßigen Witzbolde, sowie sie einen Satz aussprechen hören, suchen, ob er nicht auch Sinn gäbe, wenn man ihn umdreht, z. B. wenn man das Subjekt an die Stelle des Objekts und das Objekt an die Stelle des Subjekts setzt. Nicht selten bedient man sich dieses Mittels, um einen Gedanken in mehr oder minder leichter Form zu widerlegen. In einem Lustspiel von Labiche ruft einer dem Mieter im oberen Stockwerk, der ihm seinen Balkon mit Pfeifenasche beschmutzt, zu: »Was reinigen Sie Ihre Pfeife gerade über meinem Balkon?« Worauf die Stimme des Mieters ertönt: »Warum haben Sie Ihren Balkon gerade unter meiner Pfeife!« Doch ich will mich nicht bei dieser Art Witz aufhalten. Die Beispiele ließen sich gar zu leicht vervielfachen.
 
Die Interferenz zweier Gedankengänge in ein und demselben Satze ist eine unversiegbare Quelle komischer Wirkungen. Es gibt eine Menge Mittel, sie zu bekommen, d. h. ein und demselben Satze zwei unabhängige übereinanderliegende Bedeutungen zu geben. Das minderwertigste ist der Kalauer. Beim Kalauer scheint ganz derselbe Satz zwei unabhängige Bedeutungen zu haben, aber er scheint es nur, in Wirklichkeit sind es zwei verschiedene Sätze, aus verschiedenen Worten bestehend, die man miteinander mengt, indem man sich ihren gleichen Klang fürs Ohr zunutze macht. Übrigens kommt man vom Kalauer durch unmerkliche Zwischenstufen zum echten Wortspiel. Bei ihm decken sich wirklich zwei Gedankengänge in ein und demselben Satze, und man hat es mit denselben Worten zu tun; man arbeitet einfach mit der verschiedenen Bedeutung, die ein Wort im Zusammenhang haben kann, besonders mit dem Wechsel zwischen eigentlicher und übertragener Bedeutung. Daher wird man oft nur einen geringen Unterschied zwischen Wortspiel einerseits und poetischer Metapher oder illustrierendem Gleichnis andrerseits finden. Während Gleichnis und Bild uns immer den geheimen Zusammenhang der Sprache und der Natur als zweier Parallelerscheinungen des Lebens zu offenbaren scheinen, zeigt uns das Wortspiel vielmehr ein Sichgehenlassen der Sprache, die einen Augenblick ihre wahre Bestimmung vergessen zu haben scheint und sich herausnimmt, die Dinge nach sich zu regeln, statt sich nach den Dingen zu richten. Das Wortspiel verrät also immer eine zeitweilige Zerstreutheit der Sprache, und das ist es eben, wodurch es komisch wirkt.
 
Im ganzen aber sind Inversion und Interferenz nur Spiele des Witzes, ohne rechte Wortspiele zu sein. Viel tiefer liegt das Komische der Transpositionen. Die Transposition ist in der Tat in der Umgangssprache, was die Wiederholung in der Komödie ist.
 
Wir sagten, die Wiederholung ist das Lieblingsverfahren der klassischen Komödie. Es besteht darin, die Vorgänge derart anzuordnen, daß eine Szene noch ein zweites Mal vorkommt, sei es mit denselben Personen in neuen Umständen, sei es mit neuen Personen in denselben Umständen. So läßt man etwa eine von den Herren gespielte Szene durch die Diener in weniger vornehmer Sprache wiederholen. Jetzt denke man sich Gedanken in dem gehörigen Stile vorgetragen und somit in ihr natürliches Milieu eingepaßt. Man stelle sich nun eine Vorrichtung vor, die es fertig bringt, sie in ein neues Milieu zu versetzen, ohne daß sie ihre inneren Beziehungen einbüßen, oder mit anderen Worten, man lasse sie in einem ganz anderen Stile sich ausdrücken, transponiere sie in eine ganz andere Tonart, so ist es jetzt die Sprache, die Komödie spielt, die Sprache, die komisch wirkt. Keineswegs wird es dabei nötig sein, die beiden Ausdrucksformen des nämlichen Gedankens, die ursprüngliche und die transponierte, nebeneinander zu haben. Die ursprüngliche kennen wir sowieso, da wir instinktiv auf sie kommen. Also die andere, und nur die andere, ist Träger der komischen Erfindung. Sowie wir die zweite haben, ergänzen wir die erste von selbst. Daher die allgemeine Regel: Man wird immer eine komische Wirkung erzielen, wenn man einen Gedanken aus seiner ursprünglichen Fassung in einen anderen Ton transponiert.
 
Die Transpositionsmittel sind so zahlreich und so verschieden, unsere Sprache eine solch reiche Abfolge von Tönen, das Komische kann hier so viele Stufen durchlaufen, von den plattesten Spaßen bis zu den höchsten Formen des Humors und der Ironie, daß wir von einer vollständigen Aufzählung von vornherein absehen. Es wird genügen, wenn wir uns nach Aufstellung der Regel nach und nach die wichtigsten Spezialfälle vorführen.
 
Zunächst könnte man zwei extreme Tonarten unterscheiden, die feierliche und die familiäre. Durch Transposition der einen in die andere wird man die derbsten Wirkungen erzielen. Daher denn zwei entgegengesetzte Richtungen der komischen Phantasie.
 
Überträgt man das Feierliche ins Familiäre, so hat man die Parodie. Und die Wirkung der Parodie in diesem Sinne wird sich bis auf Fälle erstrecken, wo der in familiärer Form ausgedrückte Gedanke schon durch die Gewohnheit einen anderen Ton verlangte. Als Beispiel diene jene Beschreibung des Erwachens der Morgenröte bei Jean Paul: »Der schwarze Himmel wurde röter und röter wie ein gekochter Hummer.« Man weiß, daß der Vortrag antiker Dinge in Ausdrücken des modernen Lebens den nämlichen Effekt hervorruft wegen des poetischen Nimbus, der das klassische Altertum umgibt.
 
Es war ohne Zweifel das Komische der Parodie, das einige Philosophen, vor allem Alexander Bain, verführt hat, das Komische überhaupt durch Einführung des Begriffes der Herabwürdigung zu definieren. Das Lächerliche entstände dann, »wenn man uns etwas, was wir bisher hochschätzten, als minderwertig darstellt«. Ist aber unsere Analyse richtig, so ist die Herabwürdigung nur eine Form der Transposition und diese wieder nur ein Mittel von vielen, Lachen zu erregen. Es gibt eine Menge anderer, und die Quelle des Lachens hat man viel weiter oben zu suchen. Überdies ist es interessant zu sehen, ohne dabei ebensoweit zu gehen, daß, wie die Transposition des Feierlichen ins Triviale, des Besseren ins Schlechtere komisch ist, der umgekehrte Vorgang es noch mehr sein kann.
 
Man findet diese zweite Transposition so häufig wie die erste. Und man könnte, will mir scheinen, zwei Hauptformen derselben unterscheiden, je nachdem sie sich auf Größe oder Wert der betreffenden Gegenstände bezieht.
 
Von kleinen Dingen so reden, als wären es große, darin besteht das Wesen der Übertreibung. Die Übertreibung ist immer komisch, wenn sie durch mehrere Glieder läuft, und gar wenn sie zum Prinzip wird: dann wird sie nämlich zu einem Verfahren der Transposition. Sie reizt so sehr zum Lachen, daß einige das Wesen des Komischen in der Übertreibung sehen konnten, wie andere es in der Herabwürdigung sahen. In Wirklichkeit ist auch die Übertreibung, wie die Herabwürdigung, nur eine bestimmte Art einer bestimmten Gattung von Komik. Freilich eine sehr wirksame Art. Ihr verdankt das komische Epos seine Entstehung; eine zwar etwas abgenutzte Dichtgattung, deren letzte Reste man aber noch bei allen denen findet, die zu systematischer Übertreibung neigen. Häufig kann man auch von der Ruhmredigkeit sagen, daß uns gerade das Heroisch-Komische an ihr zum Lachen bringt.
 
Größere Kunst fordert – verrät aber auch – diejenige Transposition des Niedrigen ins Hohe, die sich auf den Wert der Dinge bezieht und nicht mehr auf ihre Größe. Einen unanständigen Gedanken in ehrbarem Tone vorbringen, eine schlüpfrige Situation oder ein niederes Gewerbe oder einen lasterhaften Lebenswandel hernehmen und sie in Ausdrücken strengster respectability schildern, ist schlechthin komisch. Ich gebrauche absichtlich ein englisches Wort für eine in der Tat ganz englische Sache. Man wird zahllose Beispiele bei Dickens, Thackeray, überhaupt in der englischen Literatur finden. Beiläufig bemerkt: die Stärke der Wirkung hängt hier nicht von ihrer Dauer ab. Oft genügt ein Wort, wenn es uns nur ein ganzes System von Transposition in ein anderes Milieu mutmaßen läßt und uns gewissermaßen eine moralische Organisation des Unmoralischen aufdeckt. Ich zitiere aus einem Roman von Gogol jene Bemerkung eines höheren Beamten gegen einen seiner Untergebenen: »Für einen Beamten von deinem Range stiehlst du zuviel.«
 
Um die bisherigen Ausführungen zusammenzufassen, werden wir sagen, daß es zunächst zwei extreme Glieder gibt, ein größtes und ein kleinstes, ein bestes und ein schlechtestes, zwischen denen die Transposition in zweierlei Sinne verlaufen kann. Verringern wir jetzt Schritt für Schritt den Abstand, so erhält man Glieder eines immer weniger brutalen Kontrastes und immer subtilere Wirkungen komischer Transposition.
 
Am häufigsten vorkommen dürfte wohl der Gegensatz von Wirklichkeit und Ideal, von dem, was ist, und dem, was sein sollte. Auch hier wird die Transposition in zwei entgegengesetzten Richtungen vor sich gehen können. Einmal kann man ausführen, was sein sollte, indem man sich den Anschein gibt, als glaube man, daß es genau der Wirklichkeit entspricht. Hierin besteht die Ironie. Andererseits kann man umgekehrt das, was ist, ausführlich und bis aufs Haar genau beschreiben und so tun, als glaube man, es sei im Grunde so, wie die Welt sein sollte. So verfährt häufig der Humor. Der Humor in diesem Sinne ist das Gegenteil der Ironie. Beide sind Formen der Satire, aber während die Ironie mehr rhetorischer Natur ist, hat der Humor eine wissenschaftliche Note. Man steigert die Ironie, wenn man sich durch die Idee des Guten, das sein sollte, immer höher tragen läßt: das ist der Grund, weshalb die Ironie sich so steigern und so warm werden kann, daß sie zu einer Art unterdrückter Beredsamkeit wird. Umgekehrt steigert man den Humor, wenn man immer tiefer ins Innere des Bösen, das da ist, hinabsteigt und seine Einzelheiten mit gleichgültiger Kälte feststellt. Mehrere Autoren, unter ihnen Jean Paul, haben bemerkt, daß der Humor konkrete Begriffe, technische Einzelheiten, genaue Tatsachen liebt. Ist unsere Analyse genau, so ist das nicht ein zufälliger Zug des Humors, sondern sein eigentliches Wesen. Der Humorist ist ein Moralist, der sich als Weiser verkleidet, etwas wie ein Anatom, der nur seziert, um andere abzuschrecken, und der Humor in diesem engeren Sinne des Wortes wäre dann eine Transposition des Moralischen ins Wissenschaftliche.
 
Nimmt man den Abstand der Glieder, die man ineinander transponiert, noch kleiner, so erhält man immer speziellere Systeme komischer Transposition. So haben bestimmte Berufe ihre termini technici: wieviel lächerliche Wirkungen hat man nicht durch Transposition alltäglicher Ideen in diese Berufssprache erzielt! Ebenso komisch ist die Anwendung der Geschäftssprache auf Dinge des gesellschaftlichen Lebens, wenn etwa eine Figur von Labiche auf eine erhaltene Einladung mit folgenden Worten erwidert: »Ihr Freundschaftliches vom 3. des vorigen Monats« und so die Geschäftsformel transponiert »Ihr Geehrtes vom 3. dieses«. Diese Art von Komik kann übrigens eine besondere Tiefe erreichen, wenn sie nicht bloß auf eine Berufssitte, sondern auf einen Charakterfehler anspielt. Man erinnert sich der Szene in den Faux Bonshommes und in der Familie Benoiton, wo die Heirat wie ein Geschäft betrieben wird und die Fragen des Herzens im strengen Geschäftsstil zu Worte kommen.
 
Aber wir berühren hier den Punkt, wo Eigenheiten der Ausdrucksweise lediglich Eigenheiten des Charakters wiedergeben, deren eingehenderes Studium wir unserem nächsten Kapitel vorbehalten müssen. Wie man vermuten mußte und wie man aus allem Vorhergehenden schließen konnte, folgt die Wortkomik genau der Situationskomik und mündet wie diese schließlich in der Charakterkomik. Die Sprache führt zu komischen Effekten nur, weil sie Menschenwerk und so genau wie möglich den Formen des menschlichen Geistes angepaßt ist. Wir sehen in ihr etwas, das da lebt von unserem Leben; und wenn dies ihr Leben vollkommen wäre, wenn es nichts Lebloses in ihr gäbe, kurz, wenn die Sprache ein völlig einheitlicher Organismus wäre, der nie in selbständige Organismen auseinanderfiele, so würde sie für das Komische nicht in Betracht kommen, so wenig wie eine Seele, die harmonisch mit dem Leben verschmolzen, eins mit ihm ist und wie ein Wasserspiegel so friedlich. Aber es gibt keinen Teich, auf dessen Oberfläche nicht tote Blätter trieben, keine menschliche Seele, über die sich nicht Gewohnheiten legten, die sie gegen die anderen und damit gegen sich selbst verhärten, keine Sprache geschmeidig, lebendig, hurtig genug in jedem ihrer Teile, um das Starre auszumerzen und auch den mechanischen Eingriffen der Inversion, Transposition usw., die man an ihr wie an einer bloßen Sache begehen will, erfolgreichen Widerstand zu leisten. Das Starre, Stereotype, Mechanische im Gegensatz zum Geschmeidigen, immerfort Wechselnden, Lebendigen, die Zerstreutheit im Gegensatz zur Gespanntheit, kurz der Automatismus im Gegensatz zur bewußten Aktivität, das ist es schließlich, was durch das Lachen unterstrichen und womöglich korrigiert wird. Vom Beginn dieser Arbeit an war dieser Gedanke unser Leitstern. An allen entscheidenden Wendepunkten unseres Weges haben wir ihn aufleuchten sehen. Jetzt diene er uns als Einleitung in eine wichtigere, und wie wir hoffen, noch ergiebigere Untersuchung. Denn wir wollen jetzt die komischen Charaktere studieren oder vielmehr die wesentlichen Bedingungen der Charakterkomödie bestimmen, dabei aber versuchen, durch diese Studie beizutragen zum Verständnis der wahren Natur der Kunst wie des allgemeinen Zusammenhangs zwischen Kunst und Leben.


 
Drittes Kapitel
 
Charakterkomik
 

Wir sind dem Komischen auf einigen der Wege, die es nimmt, nachgegangen und haben untersucht, wie es sich in Formen, in Haltungen und Gebärden, in eine Situation, eine Tat, ein Wort einnistet. Mit der Analyse der komischen Charaktere kommen wir jetzt zum wichtigsten Teil unserer Aufgabe. Und das würde auch ihr schwierigster Teil sein, wenn wir der Versuchung nachgegeben hätten, das Lächerliche nach ein paar auffälligen und folglich zu groben Beispielen zu definieren: dann wären uns nämlich in dem Maße, wie wir uns den höchsten Erscheinungen des Komischen genähert hätten, die Tatsachen durch die zu weiten Maschen der Definition entglitten. Aber wir haben ja gerade die umgekehrte Methode befolgt; wir haben den Blick von oben nach unten gelenkt. Da wir von der Überzeugung ausgingen, daß das Lachen soziale Bedeutung und Tragweite hat, daß das Komische vor allem einen gewissen eigentümlichen Mangel an Anpassung eines Menschen an die Gesellschaft bezeichnet und daß es Komik überhaupt nur im Menschlichen gibt, haben wir es ja von allem Anfang an auf den Menschen, auf den Charakter abgesehen. Für uns lag die Schwierigkeit vielmehr darin, daß wir zu erklären hatten, wieso es möglich ist, daß wir über anderes als über Charaktere lachen, und durch was für subtile Formen von Durchdringung, Verbindung und Mischung das Komische sich an eine einfache Bewegung, eine unpersönliche Situation, eine unabhängige Phrase anhaften kann. Diese Arbeit haben wir bis hierher geleistet. Wir hatten schon das reine Metall gewonnen, und alle unsere Anstrengungen gingen nur dahin, das Erz wiederherzustellen. Jetzt aber wollen wir das Metall selbst studieren. Das kann nicht schwer fallen, denn diesmal haben wir es mit einem einfachen Element zu tun. Sehen wir es näher an, und sehen wir zu, wie es reagiert.
 
Es gibt, sahen wir, seelische Zustände, die einen aufregen, sobald man von ihnen erfährt, Freuden und Leiden, die man mitempfindet, Leidenschaften und Laster, die im Betrachter schmerzliches Erstaunen hervorrufen oder Schrecken oder Mitleid, kurz Gefühle, die von Seele zu Seele durch Gefühlsresonnanzen übergreifen. All das geht das Wesentliche des Lebens an. All das ist ernst, bisweilen sogar tragisch. Erst da, wo die Person des andern uns nicht mehr aufregt, kann die Komödie anfangen. Und sie beginnt mit dem, was man die Versteifung gegen das soziale Leben nennen könnte. Komisch wirkt jeder Mensch, der automatisch seinen Weg verfolgt, ohne sich um den Kontakt mit den anderen zu bekümmern. Das Lachen ist dazu da, seine Zerstreutheit zu korrigieren und ihn aus seinem Traum zu reißen. Wenn es erlaubt ist, große Dinge mit kleinen zu vergleichen, möchten wir hier an die Vorgänge bei der Aufnahme in unsere Schulen erinnern. Hat der Prüfling die gefürchteten Examenprüfungen bestanden, so hat er noch anderen zu trotzen, die seine älteren Kameraden ihm stellen, um ihn für die neue Gemeinschaft, in die er eintritt, umzubilden und um »seinen Charakter abzuhobeln«. Jede kleine Gesellschaft, die sich innerhalb der großen bildet, erfindet so instinktiv eine Methode, wie sie die anderswo gebildeten und erstarrten Gewohnheiten der Neulinge korrigieren und ummodeln kann. Die Gesellschaft im engeren Sinne, die gute Gesellschaft, verfährt nicht anders. Sie zwingt jedes ihrer Glieder auf seine Umgebung aufzumerken, sich nach ihr zu richten und nicht sich in seinem Charakter wie in einem festen Turme einzumauern. Und deshalb läßt sie über jedem, wenn auch nicht die Androhung einer Strafe, so doch die Aussicht auf eine Demütigung schweben, die, obschon sie sehr leicht ist, nichtsdestoweniger gefürchtet wird. Das ist die Funktion des Lachens. Es ist stets ein wenig demütigend für den, der Zielscheibe wird, und damit wird es wirklich zu einer Art sozialer Feuertaufe.
 
Daher die Doppelnatur des Lachens. Es gehört nicht ganz zur Kunst und nicht ganz zum Leben. Einerseits würden wir über die Menschen des täglichen Lebens nie lachen, wenn wir nicht imstande wären, ihren Handlungen wie einem Spiele zuzuschauen, das wir uns aus unserer Loge ansehen; sie sind für uns nur komisch, weil sie uns zum Schauspiel dienen. Aber andererseits ist selbst im Theater das Vergnügen des Lachens kein reines Vergnügen, will sagen kein ausschließlich ästhetisches, kein durchaus uninteressiertes Vergnügen. Es mischt sich immer eine Art Hintergedanke ein, den die Gesellschaft für uns hat, wenn wir ihn nicht selber haben. Es kommt immer die uneingestandene Absicht hinzu, zu demütigen und dadurch freilich zu bessern, wenigstens äußerlich. Deshalb steht die Komödie dem wirklichen Leben viel näher als das Drama. Je mehr Größe ein Drama hat, um so tiefer geht die Umarbeitung, die der Dichter mit der Wirklichkeit hat vornehmen müssen, um reine Tragik aus ihr hervorgehen zu lassen. Die Komödie dagegen hebt sich nur in ihren niederen Formen, in Schwank und Posse, vom Wirklichen ab: je höher sie sich erhebt, desto mehr verschmilzt sie mit dem Leben. Es gibt im täglichen Leben Szenen, die dem guten Lustspiel so nahe stehen, daß sie ohne jede Änderung auf die Bühne übergehen könnten.
 
Daraus folgt, daß die Elemente der komischen Charaktere auf der Bühne und im Leben die gleichen sein werden. Welche sind es? Es wird uns nicht schwer fallen sie abzuleiten.
 
Man hat oft gesagt, daß die leichten Mängel unserer Mitmenschen unser Lachen erregen. Ich gebe zu, daß ein gut Teil Wahres an dieser Meinung ist, und doch kann ich sie nicht für ganz richtig halten. Zunächst ist, wenn es sich um Charaktermängel handelt, die Grenze zwischen leicht und schwer ziemlich schwierig zu ziehen: vielleicht lachen wir über einen solchen Mangel nicht, weil er leicht ist, sondern wir finden ihn leicht, weil wir über ihn lachen; nichts entwaffnet so wie das Lachen.
 
Aber man kann weitergehen und behaupten, daß es Charakterfehler gibt, über die wir lachen, obwohl wir wissen, daß es schwere sind: zum Beispiel der Geiz Harpagons. Und schließlich muß man sich doch gestehen – wenn es auch etwas schwer fällt es auszusprechen – daß wir nicht nur über die Fehler unserer Mitmenschen lachen, sondern bisweilen auch über ihre guten Eigenschaften. Wir lachen über Alceste, den Menschenfeind. Man wird sagen, daß nicht seine Rechtschaffenheit komisch ist, sondern die besondere Form, die die Rechtschaffenheit bei ihm annimmt, und eine gewisse Verschrobenheit, die uns den Geschmack an ihr verdirbt. Meinetwegen, aber deshalb bleibt doch wahr, daß diese Verschrobenheit Alcestens, über die wir lachen, seine Rechtschaffenheit lächerlich macht, und das ist der wichtige Punkt. Wir schließen also, daß Komik nicht immer das Anzeichen eines Charakterfehlers im moralischen Sinne des Wortes ist und daß man, wenn man durchaus einen Charakterfehler, und zwar einen leichten, darin erblicken will, notwendig angeben muß, wodurch sich hier das Leichte vom Schweren deutlich scheiden läßt.
 
In Wahrheit kann eine komische Person durchaus mit strenger Moral in Einklang sein. Übrig bleibt ihr nur, sich mit der Gesellschaft in Einklang zu bringen. So ist Alceste der Typus des rechtschaffenen Mannes. Aber er ist ungesellig und dadurch allein schon komisch. Ein geschmeidiges Laster ist schwerer lächerlich zu machen als eine unbeugsame Tugend. Das Starre ist der Gesellschaft verdächtig. Was an Alceste komisch wirkt, ist die Starrheit, obschon diese Starrheit hier Rechtschaffenheitssinn ist. Wer sich isoliert, setzt sich der Lächerlichkeit aus, weil die Komik zum großen Teile eben in dieser Isolierung besteht. So erklärt es sich, daß die Komik so oft von den Sitten, den Ideen und – sagen wir es gerade heraus, den Vorurteilen einer Gemeinschaft abhängt.
 
Doch ist zur Ehre der Menschheit zu sagen, daß das soziale Ideal und das ethische Ideal sich nicht wesentlich unterscheiden. Wir können also zugeben, daß im allgemeinen die Fehler der anderen unser Lachen erregen – wobei wir nun freilich nicht mehr hinzuzufügen brauchen, daß diese Fehler uns mehr auf Grund ihres ungeselligen als auf Grund ihres unmoralischen Charakters komisch erscheinen. Bliebe also zu untersuchen, welche Charaktermängel komisch werden können, und in welchen Fällen wir solche Mängel für zu ernst halten, um noch darüber zu lachen.
 
Aber diese Frage haben wir schon implicite beantwortet. Das Komische, sagten wir, wendet sich an den reinen Intellekt; das Lachen verträgt sich nicht mit Gemütsbewegung. Man mag mir einen noch so leichten geistigen Mangel schildern: wenn man ihn mir so darstellt, daß meine Sympathie oder meine Furcht oder mein Mitleid erweckt wird, so ist es vorbei, und ich kann nicht mehr darüber lachen. Man wähle umgekehrt ein regelrechtes und im allgemeinen verabscheutes Laster: man kann es komisch werden lassen, wenn man zunächst durch geeignete Mittel dafür Sorge trägt, daß mein Gefühl ausgeschaltet bleibt. Ich sage nicht, daß das Laster alsdann komisch ist; ich sage, daß es dann komisch werden kann. Es darf mich nicht aufregen, das ist die einzige wirklich unumgängliche Bedingung, obwohl sie allein gewiß nicht genügt.
 
Aber wie fängt es der komische Dichter an, wenn er vermeiden will, daß mein Gefühl erregt wird? Die Frage ist schwierig. Um sie ganz klar zu legen, müßte man sich in eine ziemlich neue Art von Untersuchungen einlassen, müßte die künstliche Sympathie analysieren, die wir fürs Theater mitbringen, müßte feststellen, in welchen Fällen wir an erdachten Freuden und Leiden teilnehmen, und in welchen nicht. Es gibt eine bestimmte Kunst, unser Gefühl einzuschläfern, um es wie einen Hypnotisierten für Träume empfänglich zu machen. Es gibt auch eine Kunst, die darin besteht, daß unsere Sympathie gerade in dem Augenblicke, wo sie sich regen könnte, entmutigt wird, so daß die Situation, obschon sie ernst ist, nicht ernst genommen wird. Zwei Methoden scheinen mir in dieser letzten Kunst vorzuherrschen, die der komische Dichter mehr oder minder unbewußt anwendet. Die erste besteht darin, daß in der Seele der dargestellten Person eine bestimmte Empfindung isoliert und ihr eine sozusagen parasitäre, selbständige Existenz verliehen wird. Im allgemeinen ergreift eine intensive Empfindung nach und nach alle andern seelischen Zustände und taucht sie in die ihr eigene Färbung: läßt man uns alsdann diese allmähliche Imprägnation miterleben, so werden wir schließlich allmählich auch von einem entsprechenden Gefühl imprägniert. Man könnte sagen – um ein anderes Bild zu gebrauchen –, daß eine Gemütsbewegung dramatisch ist, sich mitteilt, wenn mit dem Grundton zugleich alle Obertöne gegeben werden. Weil der Darsteller so in seiner Totalität schwingt, kann auch das Publikum in Schwingung geraten. Umgekehrt ist in der Gemütsbewegung, die uns kühl läßt und die komisch wirken wird, immer eine Starrheit, die verhindert, daß sie mit dem ganzen Komplex der Seele, der sie zugehört, in Verbindung tritt. Diese Starrheit kann sich im gegebenen Momente durch hölzerne Bewegungen oder etwas ähnliches verraten und dadurch unser Gelächter reizen, aber schon vorher wiederstrebt sie unserer Sympathie: wie kann man sich mit einer Seele in Einklang bringen, die mit sich selbst nicht in Einklang ist? Im Avare ist eine Szene, die ans Drama streift. Das ist die, wo der Schuldner und der Wucherer, die sich bis dahin nie gesehen haben, sich Auge in Auge gegenüberstehen und sich als Sohn und Vater erkennen. Wir wären hier wirklich in einem Drama, wenn der Geiz und das Vatergefühl, die in Harpagon aufeinanderstoßen, eine mehr oder minder originelle Verbindung eingingen. Aber keineswegs. Kaum hat der Auftritt ein Ende, so hat der Vater alles vergessen. Als er den Sohn wieder trifft, erwähnt er diesen ernsten Auftritt kaum: »Und du, mein Sohn, dem ich die Güte habe die Geschichte von eben zu verzeihen, usw.«. Der Geiz ist also neben dem übrigen hergegangen, ohne sich damit zu berühren, ohne jede Gemeinschaft, gewissermaßen in Zerstreutheit. Wenn er sich auch in der Seele eingenistet hat, wenn er auch Herr des Hauses geworden ist, er bleibt trotzdem ein Fremdling. Ganz anders wäre es bei einem Geiz tragischer Natur. Da würde man sehen, wie er die verschiedenen Seelenkräfte an sich zieht, sie absorbiert und, indem er sie umbildet, assimiliert: Gefühle und Affekte, Wünsche und Abneigungen, Laster und Tugenden, all das würde für den Geiz ein Stoff, dem er eine neue Art Leben einhauchen würde. Das ist, wie mir scheint, der erste wesentliche Unterschied zwischen dem guten Lustspiel und dem ernsten Drama.
 
Es gibt einen zweiten, viel offenkundigeren, der sich übrigens vom ersten herleitet. Wenn man uns einen Seelenzustand schildert in der Absicht, ihn dramatisch zu gestalten, oder auch einfach in der Absicht, daß wir ihn ernst nehmen sollen, dann zeigt man ihn nach und nach in Handlungen, die ihn genau bezeichnen. So wird der Geizige alles auf den Gewinn hin ansehen, und der Frömmler, der sich das Ansehen gibt, als ob er nur auf den Himmel schaue, wird all seine irdischen Geschäfte so geschickt wie möglich betreiben. Die Komödie schließt Kombinationen dieser Art gewiß nicht aus; als Beweis dafür nur Tartüffes Machenschaften. Aber das hat die Komödie mit dem Drama gemein; um sich von ihm zu unterscheiden, um zu verhindern, daß wir die ernsthafte Handlung ernst nehmen, kurz, um uns aufs Lachen einzustellen, benutzt sie ein Mittel, dessen Formel ich so geben will: anstatt unsere Aufmerksamkeit auf die Taten zu konzentrieren, lenkt sie sie vielmehr auf die Gesten. Ich verstehe hier unter Gesten die Haltungen, Bewegungen, ja die Reden, die einen seelischen Zustand kundtun, der ganz ziel- und nutzlos nur aus einer Art von innerem Jucken hervorgeht. Eine solche Geste unterscheidet sich gründlich von einer Tat. Die Tat ist gewollt, auf jeden Fall bewußt; die Geste entschlüpft, sie ist automatisch. In der Tat gibt sich der ganze Mensch; in der Geste drückt sich ein isolierter Teil der Persönlichkeit aus, ohne daß es die ganze Person weiß, jedenfalls ohne daß sie daran teil hat. Schließlich – und das ist der wesentliche Punkt – die Tat ist genau proportional dem Gefühl, aus dem sie hervorgeht; zwischen beiden findet ein gradueller Übergang statt, so daß unsere Sympathie oder unsere Abneigung sich von dem Faden leiten lassen kann, der vom Gefühl zur Tat führt, wobei sie sich mehr und mehr erwärmen kann. Die Geste aber hat etwas Explosives, das unsere Ichempfindung weckt, selbst wenn sie schon fest eingewiegt war, und dadurch verhindert sie, daß wir die Dinge ernst nehmen. Sobald sich also unsere Aufmerksamkeit auf die Geste und nicht auf die Tat richtet, haben wir die Komödie. Die Gestalt des Tartüffe würde ihren Taten nach ins Drama gehören: komisch finden wir sie, wenn wir mehr auf die Gesten achten. Man erinnere sich an seine ersten Worte: »Laurent, zieh mir die Geißel fester um mein Bußgewand.« Freilich weiß er, daß Dorine ihn hört, aber ich bin überzeugt, er würde genau so reden, wenn sie nicht da wäre. Er steckt in seiner Heuchlerrolle so gründlich drin, daß er sie sozusagen aufrichtig spielt. Dadurch, und dadurch allein, kann er komisch wirken. Ohne diese gleichsam körperliche Aufrichtigkeit, ohne seine in einer langen Heuchlerpraxis zur natürlichen Geste gewordene Haltung und Sprache würde man Tartüffe schlechthin verabscheuen, weil man dann nur an das Gewollte in seinem Betragen denken würde. So begreift man, daß die Tat im Drama wesentlich, in der Komödie nebensächlich ist. In der Komödie haben wir das Gefühl, daß man ebensogut jede andere Situation hätte wählen können, um uns eine Person vorzuführen: es wäre immer noch derselbe Mensch, nur in einer anderen Lage. Im Drama haben wir diesen Eindruck nicht; da sind Personen und Situationen zusammengeschweißt, oder besser, die Ereignisse bilden einen integrierenden Teil der Personen. Wenn man auch den handelnden Personen den gleichen Namen ließe, das Drama aber eine andere Geschichte darstellte, so hätten wir es eben in Wahrheit mit anderen Personen zu tun.
 
Fassen wir zusammen! Gleichviel, ob ein Charakter gut oder schlecht ist: wenn er nur ungesellig ist, so kann er komisch wirken. Die Schwere des Falles, sehen wir jetzt, macht auch nichts aus: ob leicht oder schwer, wir können immer darüber lachen, wenn man es nur so einrichtet, daß unser Gefühl unbeteiligt bleibt. Ungeselligkeit der dargestellten Person und Fühllosigkeit des Zuschauers sind die beiden wesentlichen Bedingungen. Es gibt noch eine dritte, in den beiden anderen einbegriffene, auf deren Herausarbeitung all unsere bisherigen Analysen hinausliefen.
 
Das ist der Automatismus. Wir haben ihn von Anfang dieser Arbeit an aufgezeigt und immer wieder auf ihn hingewiesen; nur was automatisch geschieht, ist in seinem Wesen komisch. Komisch ist an einer schlechten Eigenschaft und an einer guten das, wodurch eine Person unbewußt sich gibt, ihre unfreiwillige Geste, das, was sie unbewußt redet. Jede Zerstreutheit ist komisch. Und je tiefer die Zerstreutheit, desto höher die Komödie. Eine systematische Zerstreutheit, wie die Don Quijotes ist das Komischste, was man sich auf der Welt denken kann: sie ist die Komik selber, unmittelbar aus der Quelle. Oder man nehme irgendeine andere komische Person. So bewußt sie auch in all ihren Reden und Taten sein mag, wenn sie komisch ist, so liegt das an irgendeiner Seite, die ihr ohne ihr Wissen eigen ist, an einem Eindruck, den sie macht und von dem sie nichts weiß: allein durch etwas derartiges wird sie uns zum Lachen bringen. Aussprüche von der tiefsten Komik sind die naiven Worte, in denen sich ein Charakterfehler in seiner Nacktheit zeigt: würde er sich wohl so entblößen, wenn er imstande wäre, sich selbst zu sehen und zu beurteilen? Nicht selten tadelt eine komische Person ein gewisses Betragen in allgemeinen Ausdrücken und gibt gleich darauf selber ein Beispiel davon: so der Philosoph des Monsieur Jourdain, der gleich nach einer Predigt gegen den Zorn wütend wird, oder Vadius, der über die Lektüre von Gedichten spottet und bald darauf selber welche hervorzieht usw. Was sollen diese Widersprüche anderes, als uns die Unbewußtheit der Personen handgreiflich machen? Unachtsamkeit auf sich selber und folglich auch auf andere, das ists, was wir immer wieder finden. Und wenn man genau zusieht, wird man finden, daß hier die Unachtsamkeit sich gerade mit dem verbindet, was wir die Ungeselligkeit genannt haben. Die reinste und typischste Ursache der Starrheit liegt darin, daß man um sich und vor allem in sich zu schauen verabsäumt: wie kann man seine Persönlichkeit nach dem Muster anderer gestalten, wenn man nicht damit anfängt, daß man die anderen und sich selber kennen zu lernen sucht? Starrheit, Automatismus, Zerstreutheit, Ungeselligkeit, all das durchdringt sich innig, und aus all dem baut sich die Komik des Charakters auf.
 
Zusammengefaßt: Wenn man von der menschlichen Persönlichkeit das beiseite läßt, was unsere Gefühle angeht und uns erregen könnte, so kann alles übrige komisch werden; der Grad der Komik wird genau dem Grade der Starrheit entsprechen, über die man lacht. Wir haben diesen Gedanken gleich im Anfang unserer Arbeit formuliert, wir haben ihn dann in seinen Hauptkonsequenzen bewahrheitet gesehen, haben ihn eben noch auf die Komödie angewandt und müssen ihn nun enger fassen und zeigen, wie er uns möglich macht, genau die Stelle anzugeben, die die Komödie in der Reihe der Künste einnimmt.
 
In einem gewissen Sinne könnte man sagen, daß jeder Charakter komisch ist, wenn man nämlich unter Charakter den ganz fertigen, in seiner Entwicklung abgeschlossenen Teil unserer Persönlichkeit versteht, dasjenige in uns, was einem fertig montierten Mechanismus gleicht, der automatisch funktionieren kann. Es ist das, wenn man so will, wodurch wir uns selber wiederholen. Und folglich ist es auch das, wodurch uns andere wiederholen können. Jede komische Person ist ein Typ. Umgekehrt hat jede Ähnlichkeit mit einem Typ etwas Komisches. Wir können lange mit jemandem verkehrt haben, ohne daß wir etwas Lächerliches an ihm bemerkt hätten. Plötzlich aber kann uns aufgehen, daß er in irgendeinem Punkte eine Ähnlichkeit mit einem bekannten Roman- oder Bühnenhelden hat, und wir hängen ihm den Namen jener Figur an: er wird dadurch, wenn auch nur für Augenblicke, das Lächerliche streifen. Dennoch braucht jene Romanfigur durchaus nicht komisch zu sein. Aber er ist komisch, weil er ihr ähnelt. Er ist komisch, weil er sich von sich selber abbringen, gewissermaßen sich zerstreuen läßt. Er ist komisch, weil er sich sozusagen in einen fertigen Rahmen einpassen läßt. Und was vor allem komisch ist: wenn man selbst zum Rahmen wird, in den andere sich bequem einfassen lassen, wenn man typischer Charakter wird.
 
Die Schilderung von Charakteren, daß heißt von allgemeinen Typen, ist also das Ziel der hohen Komödie. Das hat man oft gesagt. Aber wir legen Wert darauf, es zu wiederholen, weil wir glauben, daß diese Formel zur Definition der Komödie genügt. In der Tat bietet uns die Komödie nicht nur allgemeine Typen, sondern sie ist auch, unserer Meinung nach, die einzige von allen Künsten, die auf das Allgemeine geht. Hat man ihr also einmal dieses Ziel gesetzt, so hat man alles gesagt, was ihr Wesen ausmacht und was das Wesen der anderen Künste nicht sein kann. Um zu beweisen, daß dem so ist, daß das Wesen der Komödie in der Allgemeinheit besteht und daß sie darin dem Trauerspiel und den anderen Kunstformen entgegengesetzt ist, müßte man mit einer Definition der Kunst in ihrer höchsten Form beginnen. Dann würde man beim allmählichen Abstieg zur komischen Dichtung hin sehen, daß sie an der Grenze von Kunst und Leben ihren Platz hat und daß sie sich durch ihren Charakter der Allgemeinheit von den übrigen Künsten abhebt. Wir können uns hier nicht in eine so ausgedehnte Untersuchung einlassen. Doch müssen wir sie notwendigerweise im Umriß geben, wenn wir anders nicht das unserer Meinung nach Wesentliche in der komischen Bühnendichtung vernachlässigen wollen.

Was ist der Gegenstand der Kunst? Wenn die Wirklichkeit unsere Sinne und unser Bewußtsein unmittelbar träfe, wenn wir mit den Dingen und mit uns selber in ungebrochene Verbindung treten könnten, ich glaube, dann wäre die Kunst überflüssig, oder vielmehr, wir wären dann alle Künstler, denn unsere Seele würde dann in beständigem Einklang mit der Natur stehen. Unsre Augen würden meisterhafte Gemälde aus dem Raume ausschneiden und sie mit Hilfe des Gedächtnisses in der Zeit festhalten. Unser Blick würde im lebenden Marmor des menschlichen Leibes Fragmente von Statuen augenblicks erschauen und festhalten, die den schönsten Antiken nicht nachstehen würden. Als eine oft heitere, öfter traurige, immer ureigene Musik würden wir tief in uns die ununterbrochene Melodie unseres inneren Lebens rauschen hören. All dies umgibt uns, ist in uns – und nichts davon nehmen wir deutlich wahr. Zwischen die Natur und uns, ach, was sage ich: zwischen uns und unser eigenes Bewußtsein legt sich ein Schleier, ein Schleier, der für den gewöhnlichen Menschen dicht, leicht aber und fast durchsichtig für den Künstler und Dichter ist. Welche Fee hat diesen Schleier gewebt? Wars eine gute, oder wars eine böse? Der Mensch muß leben, und das Leben verlangt, daß wir die Dinge in dem Bezuge sehen, den sie zu unsern Bedürfnissen haben. Leben besteht in Handeln. Leben heißt, von den Dingen nur den nützlichen Eindruck aufnehmen und durch geeignete Reaktionen darauf antworten: die anderen Eindrücke müssen sich verdunkeln, oder sie dürfen uns nur verworren treffen. Ich sehe, und ich glaube zu erkennen, ich höre hin, und ich glaube zu verstehen, ich studiere mich, und ich glaube in meinem tiefsten Herzensgrunde zu lesen. Aber was ich von der äußeren Welt sehe und höre, ist nichts, als was meine Sinne aus ihr herausnehmen, um mein Handeln zu leiten; und von mir selber kenne ich nur das, was die Oberfläche kräuselt, was teil hat an meinem Tun. Meine Sinne und mein Bewußtsein geben mir also die Wirklichkeit nur in einer praktischen Vereinfachung. In dem, was Sinne und Bewußtsein uns von den Dingen und von uns selber sehen lassen, sind die dem Menschen unnützen Unterschiede ausgelöscht, die dem Menschen nützlichen Ähnlichkeiten betont, gewisse Bahnen sind meinem Tun von vornherein vorgezeichnet. Diese Bahnen sind die, welche die ganze Menschheit vor mir gegangen ist. Die Dinge sind mit Rücksicht auf den Nutzen, den ich aus ihnen ziehen kann, klassifiziert worden. Und viel mehr als Farbe und Form der Dinge apperzipiere ich diese Klassifikation. Zweifellos ist der Mensch dem Tier in diesem Punkte schon sehr über. Es ist wenig wahrscheinlich, daß das Auge des Wolfes zwischen Zicke und Lamm einen Unterschied macht; für den Wolf ist das dieselbe Beute, gleich leicht zu ergreifen und gleich gut zu verschlingen. Wir freilich machen einen Unterschied zwischen einer Ziege und einem Hammel; aber unterscheiden wir auch Ziege von Ziege, Hammel von Hammel? Die Individualität der Dinge und der Wesen entgeht uns immer dann, wenn es nicht für uns praktisch von Nutzen ist, sie zu bemerken. Und selbst da, wo wir sie bemerken (so wenn wir einen Menschen von einem andern Menschen unterscheiden), erfaßt unser Auge nicht die Individualität selbst, also nicht eine bestimmte ganz originelle Harmonie von Formen und Farben, sondern nur ein oder zwei Züge, die die praktische Wiedererkennung erleichtern.
 
Um es kurz zu sagen: wir sehen nicht die Dinge selber; wir beschränken uns meistens darauf, die ihnen aufgeklebten Etiketten zu lesen. Diese Tendenz, die geboren ist aus dem Bedürfnis, hat sich unter dem Einfluß der Sprache noch verstärkt. Denn alle Worte (mit Ausnahme der Eigennamen) bezeichnen Arten. Das Wort, das nur die gewöhnlichste Funktion und die banalste Seite einer Sache festhält, schiebt sich zwischen diese Sache und uns und würde uns ihre eigentümliche Gestalt verhüllen, wenn diese Gestalt nicht schon hinter den Bedürfnissen hätte zurücktreten müssen, die das Wort selbst geschaffen haben. Und nicht nur die äußeren Gegenstände, auch unsere eigenen Gemütszustände entziehen sich uns in ihrem Intimsten und Persönlichsten, in dem, was an eigentümlich Erlebtem in ihnen ist. Wenn wir Liebe oder Haß empfinden, wenn wir uns freudig oder traurig fühlen, ist dann das, was davon in unser Bewußtsein eintritt, wohl unser Gefühl selbst mit den tausend flüchtigen Nuancen und den tausend tiefen Resonanzen, die es zu etwas uns ganz Eigenem machen? Dann wären wir alle Künstler, Dichter, Musiker. Aber meist bemerken wir von unserem Seelenzustand nur, was sich davon äußerlich entfaltet. Wir erfassen von unsern Gefühlen nur die unpersönliche Seite, die die Sprache ein für alle Mal hat festlegen können, weil sie unter den gleichen Bedingungen für alle Menschen ungefähr gleich ist. So entgeht uns das Individuelle sogar in unserer eigenen Individualität. Wir bewegen uns unter Allgemeinheiten und Symbolen wie auf einem eingehegten Felde, wo unsere Kraft sich nützlich mit anderen Kräften mißt; das Tun, das für uns etwas Faszinierendes hat, hält uns – und das ist sehr gut so – auf dem Gebiete fest, das es einmal gewählt hat, und so leben wir in einer mittleren Zone zwischen den Dingen und uns, nicht in den Dingen und auch nicht in uns selbst. Aber von Zeit zu Zeit erzeugt die Natur wie aus Zerstreutheit Seelen, die dem Leben unbefangener gegenüberstehen. Ich spreche nicht von jener gewollten, überlegten und systematischen Unbefangenheit, die das Werk der Reflexion und der Philosophie ist, sondern ich spreche von einer natürlichen, der Struktur des Sinnes oder des Bewußtseins eingebornen Unbefangenheit, die sich alsbald in einer gewissermaßen jungfräulichen Art zu sehen, zu hören oder zu denken kundgibt. Wäre diese Unbefangenheit, diese Loslösung vom Überkommenen vollkommen, hinge die Seele durch keine einzige Wahrnehmung mehr mit dem tätigen Leben zusammen, dann wäre es die Seele eines Künstlers, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Ein solcher Mensch würde sich in allen Künsten zugleich auszeichnen, oder vielmehr, er würde sie alle in eine einzige verschmelzen. Alle Dinge würde er in ihrer ureigenen Reinheit wahrnehmen, Formen, Farben und Töne der materiellen Welt ebenso wie die feinsten Regungen des inneren Lebens. Aber das ist von der Natur zuviel verlangt. Selbst für die von uns, die sie als Künstler geschaffen hat, hebt sie den Schleier nur gelegentlich und nur auf einer Seite. Nur in einer Richtung unterläßt sie es alsdann, die Wahrnehmung ans Bedürfnis zu heften. Und da jede solche Richtung einem Sinne entspricht, so ist der Künstler gewöhnlich durch einen Sinn, und nur durch einen, mit der Kunst verbunden. Daher von allem Anfang an die Verschiedenheit der Künste. Daher auch die Besonderheit der Anlagen. Der eine widmet sich den Farben und Formen und da er die Farbe um der Farbe, die Form um der Form willen liebt, da er sie um ihrer selbst und nicht um seinetwillen schaut, so wird er das innere Leben der Dinge durch ihre Formen und Farben durchscheinen sehen. Er wird dies innere Leben allmählich unserer Wahrnehmung erschließen, die davon zunächst verwirrt werden wird. Wenigstens für einen Augenblick wird er unsere Vorstellungen von Formen und Farben von den Vorurteilen freimachen, die sich zwischen unsere Wahrnehmung und die Wirklichkeit geschoben haben. Und so wird er den höchsten Willen der Kunst realisieren, der hier in der Offenbarung der Natur besteht. – Andere vertiefen sich mehr in sich selber. Unter den tausend Ansätzen zu Taten, die der äußere Reflex eines Gefühls sind, hinter dem banalen Wort, mit dem die Gesellschaft eine individuelle Gemütsverfassung bezeichnet und sie so zugleich ausdrückt und unterdrückt, suchen sie das Gefühl, die seelische Verfassung in ihrer ursprünglichen Reinheit zu erfassen. Und um uns zu gleicher Arbeit an uns selber anzuregen, zeigen sie uns etwas von ihren Gesichten: durch rhythmische Anordnung der Worte, die sich so zum Organismus zusammenschließen und ein eigenes Leben erhalten, sagen sie uns Dinge (oder vielmehr versuchen sie uns Dinge zu sagen), die die Sprache an sich nicht ausdrücken konnte. – Andere graben noch tiefer. Sie erfassen etwas, was tiefer liegt als die Freuden und Leiden, die zur Not mit Worten ausgesprochen werden können, was nichts mehr mit dem Wort gemeinsam hat, gewisse Rhythmen des Lebens und Atmens, die tiefer im Menschen, innerlicher sind als die innersten Gefühle, die das lebendige, individuelle Gesetz seiner Kraft und seines Leides, seiner Sehnsucht und seiner Hoffnung ist. Dadurch, daß sie diese Musik herausstellen und betonen, zwingen sie uns, sie zu beachten, bringen sie uns dazu, daß wir uns unwillkürlich ihr einfügen, wie man sich etwa einem Tanze anschließt, welchen am Festtage fröhliche Leute auf der Straße tanzen. Und schließlich erzittert dadurch dann auch in uns, ganz in der Tiefe unseres Lebens, ein Etwas, das nur auf seine Zeit wartete. – So hat die Kunst, sei es nun Malerei, Bildhauerei, Dichtung oder Musik, kein anderes Ziel als die Verdrängung der praktisch nützlichen Symbole, der konventionellen sozialen Verallgemeinerungen, kurz alles dessen, was uns die Wirklichkeit verschleiert; dafür will sie uns der Wirklichkeit selber ins Antlitz schauen lassen. Weil man sich über diesen Punkt nicht verstanden hat, ist der Streit zwischen Realismus und Idealismus in der Kunst ausgebrochen. Gewiß ist die Kunst nur eine reinere Anschauung von der Wirklichkeit. Aber diese Reinheit der Auffassung schließt in sich einen Bruch mit dem nützlichen Herkommen, eine angeborene, mit einer besonderen Begabung verbundene Abwendung vom Praktischen, kurz eine gewisse Immaterialität des Lebens, die man gemeinhin als Idealismus bezeichnet. So daß man, ohne irgendwie mit dem Sinn der Worte zu spielen, sagen könnte, daß das Kunstwerk realistisch ist, wenn die Seele idealistisch, und daß man nur durch Idealität die Realität erfassen kann.
 
Die dramatische Kunst macht von diesem Gesetz keine Ausnahme. Was das Drama sucht und in volles Licht setzt, ist eine tiefe Wirklichkeit, die uns oft in unserem eigenen Interesse durch die Lebensnotwendigkeiten verschleiert wird. Was für eine Wirklichkeit ist das? Und was für Notwendigkeiten? Jede Dichtung drückt seelische Zustände aus. Aber unter diesen Zuständen sind welche, die besonders in der Berührung mit den Mitmenschen entstehen. Es sind die stärksten und auch die heftigsten Gefühle. Wie sich die Elektrizitäten zwischen zwei Hartgummiplatten anziehen und anhäufen, bis der Funke überspringt, so entstehen durch das einfache Zusammensein von Menschen untereinander tiefe Anziehungen und Abstoßungen, gründliche Störungen des Gleichgewichtes, kurz jene Elektrisierung der Seele, welche die Leidenschaft ist. Wenn der Mensch sich dem Trieb seines Gefühles überließe, wenn es kein soziales oder sittliches Gesetz gäbe, würden die Entladungen dieser heftigen Gefühle zum Alltag des Lebens gehören. Doch der Nutzen verlangt, daß diese Explosionen abgewendet werden. Es ist nötig, daß der Mensch in Gemeinschaft lebt, also muß er sich einer Regel fügen. Und was das Interesse rät, befiehlt auch die Vernunft: es gibt eine Pflicht, und unsere Bestimmung ist, ihr zu gehorchen. Unter diesem doppelten Einfluß hat sich für das menschliche Geschlecht eine oberflächliche Schicht von Gefühlen und Ideen gebildet, die eine Tendenz zur Unveränderlichkeit haben, die wenigstens allen Menschen gemeinsam sein möchten und die das Feuer der individuellen Leidenschaften, wo nicht zu ersticken, so doch zu überdecken vermögen. Der langsame Fortschritt der Menschheit zu einem immer friedlicheren Gemeinschaftsleben hat diese Schicht allmählich befestigt, ähnlich wie das Leben unseres Planeten darin bestanden hat, in langer Arbeit die feurige Masse siedender Metalle mit einer festen kalten Haut zu überziehen. Aber es gibt vulkanische Ausbrüche. Und wenn die Erde ein lebendes Wesen wäre, wie die Mythologie will, ich glaube, sie würde in ihrer jetzigen Ruhe gern von jenen plötzlichen Ausbrüchen träumen, in denen sie sich von Zeit zu Zeit wieder einmal in ihrem Tiefsten erfaßt. Ein Vergnügen dieser Art verschafft uns das Drama. In dem ruhigen bürgerlichen Leben, das Gesellschaft und Vernunft uns gezimmert haben, regt es in uns etwas auf, was glücklicherweise nicht zum Ausbruch kommt, dessen innere Spannung aber es uns fühlbar macht. Es rächt gewissermaßen die Natur an der Gesellschaft. Bald geht es geradlinig vor und ruft die alles zersprengenden Leidenschaften aus der Tiefe ans Licht, bald auf Umwegen, wie oft das moderne Drama: es enthüllt uns mit einem bisweilen sophistischen Geschick die inneren Widersprüche der Gesellschaft, es übertreibt, was an Künstlichem in dem sozialen Gesetz enthalten sein kann, und läßt uns auch so den Urgrund fühlen, diesmal mittelbar, indem es die Hülle aufreißt. Aber in beiden Fällen, ob es nun die Gesellschaft schwächt oder die Natur stärkt, verfolgt es dasselbe Ziel: uns einen sehr verborgenen Teil unserer selbst, uns das tragische Element unserer Person zu enthüllen. Wir haben diesen Eindruck, wenn wir ein gutes Drama gesehen haben. Was uns interessiert hat, ist weniger, was man uns von anderen erzählt hat, als was man uns von uns selbst hat ahnen lassen, eine ganze Welt verworrener Dinge, die hätten sein können und sein wollen und die zum Glück für uns nicht gewesen sind. Auch unendlich alte atavistische Erinnerungen scheinen durch irgend etwas geweckt worden zu sein, die so tief, unserm jetzigen Leben so fremd sind, daß uns dieses Leben Augenblicke lang wie etwas Unwirkliches oder bloß Abgemachtes vorkommt und daß man meint, man werde von Grund aus umlernen müssen. So sucht also das Drama in der Tat eine tiefere Wirklichkeit, die unter nützlicheren Errungenschaften vergraben liegt, und so hat diese Kunst dasselbe Ziel wie alle anderen.
 
Aus alledem folgt, daß die Kunst immer aufs Individuelle geht. Was der Maler auf die Leinwand bringt, das hat er an einem bestimmten Orte, eines bestimmten Tages, zu einer bestimmten Stunde, mit Farben, die man nicht wiedersehen wird, gesehen. Was der Dichter singt, ist sein Seelenzustand, und nur seiner, und einer, der nie wieder existieren wird. Was der dramatische Dichter uns vor Augen stellt, ist die Entwicklung einer Seele, ein lebendiges Gewebe von Gefühl und Geschehen, kurz etwas, was einmal gewesen ist, um nie wieder zu erscheinen. Wir mögen immerhin diese Gefühle generell benennen, einer andern Seele sind sie etwas anderes. Sie werden individualisiert. Infolgedessen hauptsächlich gehören sie zur Kunst, denn die Allgemeinheiten, die Symbole, selbst die Typen sind, wenn man so will, nur die Scheidemünze unserer täglichen Wahrnehmung. Woher kommt dann also aber das Mißverständnis über diesen Punkt?
 
Der Grund davon liegt darin, daß man zwei sehr verschiedene Dinge verwechselt hat, die Allgemeinheit der Objekte und die Allgemeinheit unserer Urteile über sie. Daraus, daß ein Gefühl allgemein für wahr anerkannt wird, folgt nicht, daß es ein allgemeines Gefühl ist. Es gibt wenig Eigenartigeres als die Person Hamlets. Wenn er auch in gewissen Zügen anderen Menschen ähnelt, am meisten interessieren uns an ihm sicherlich nicht diese Züge. Aber er wird doch allgemein als wahr empfunden und anerkannt. Nur in diesem Sinne ist er von universeller Wahrheit. Dasselbe gilt von allen andern Geschöpfen der Kunst. Jedes ist einzigartig, aber wenn es das Zeichen des Genies trägt, wird es schließlich von jedermann aufgenommen und anerkannt. Warum akzeptiert man es? Und wenn es einzig in seiner Art ist, woran erkennt man dann, daß es wahr ist? Das erkennt man, glaube ich, an dem Antrieb, den es uns verleiht, auch unsererseits aufrichtig und wahr zu sehen. Die Aufrichtigkeit steckt an. Was der Künstler gesehen hat, werden wir zweifellos so nicht wiedersehen, wenigstens nicht genau so; aber wenn er wahrhaft durch und durch gesehen hat, so treibt uns seine Anstrengung, den Schleier beiseite zu schieben, zur Nacheiferung an. Sein Werk ist uns Vorbild und Antrieb. Und an der Wirksamkeit dieses Antriebes ist die Wahrheit des Werkes genau zu messen. Die Wahrheit trägt also eine Überzeugungskraft in sich, die das Zeichen ist, an dem sie erkannt wird. Je größer ein Kunstwerk und je tiefer seine erschaute Wahrheit ist, desto länger kann seine Wirkung auf sich warten lassen, aber desto allgemeiner wird diese Wirkung auch sein. Die Allgemeingültigkeit ergibt sich also aus der hervorgebrachten Wirkung und nicht aus der Ursache.
 
Das Ziel der Komödie ist ein ganz anderes. Hier steckt die Allgemeinheit im Werke selbst. Die Komödie schildert Charaktere, wie wir sie aus dem Leben kennen. Sie hält Ähnlichkeiten fest, sie will uns Typen vorführen. Ja wenn es nötig ist, schafft sie neue Typen. Dadurch hebt sie sich prinzipiell von den andern Künsten ab.
 
Schon der Titel der großen Komödien ist bezeichnend. Der Menschenfeind, der Geizige, der Spieler, der Zerstreute usw., das sind alles Gattungsnamen; und selbst da, wo die Charakterkomödie einen Eigennamen als Titel trägt, wird dieser Eigenname leicht infolge seines Inhalts zur Bezeichnung. Wir sagen ›ein Tartüffe‹, während wir nicht sagen würden ›eine Phädra‹ oder ›ein Polyeucte‹.
 
Vor allem aber würde einem tragischen Dichter nie einfallen, seine Hauptperson mit vereinfachten Kopien als Nebenpersonen zu umgeben. Der Held des Trauerspiels ist eine in ihrer Art einzige Individualität. Man kann sie freilich nachahmen, aber dann kommt man, bewußt oder unbewußt, aus dem Tragischen ins Komische. Niemand ähnelt ihm, weil er keinem ähnelt. Umgekehrt treibt ein merkwürdiger Instinkt den komischen Dichter, um seine Zentralfigur andere sich bewegen zu lassen, die dieselben allgemeinen Züge tragen. Viele Komödien haben einen Plural oder ein Kollektivum im Titel: » Les Femmes savantes«, » les Précieuses ridicules«, » die Welt, in der man sich langweilt« usw., immer treten da verschiedene Personen auf, die den gleichen Grundtyp darstellen. Es wäre interessant, diese Tendenz der Komödie zu untersuchen. Da würde man vielleicht zunächst eine Tatsache angedeutet finden, die die Medizin herausgestellt hat, daß nämlich die psychisch Anormalen der gleichen Art sich gegenseitig angezogen fühlen. Ohne eigentlich zur Pathologie zu gehören, ist die komische Person doch immer ein Zerstreuter, und von dieser Zerstreutheit zur Anormalität, zum völligen Verlieren des Gleichgewichts ist der Übergang ganz unmerklich. Aber es gibt noch einen andern Grund. Wenn das Ziel des komischen Dichters in der Vorführung von Typen besteht, d. h. von Charakteren, die wiederholt werden können, wie könnte er es besser anfangen als durch Vorführung mehrerer unterschiedener Exemplare des gleichen Typs? Der Naturforscher geht, wenn er eine Gattung behandelt, nicht anders vor: er führt ihre Hauptarten auf und beschreibt sie.
 
Dieser Grundunterschied zwischen Tragödie und Komödie, daß sich also jene mit Individuen und diese mit Arten befaßt, äußert sich noch auf eine andere Weise. Er tritt schon in den ersten Entstehungsphasen des Werkes zutage und besteht in zwei von Anfang bis zu Ende grundverschiedenen Weisen zu sehen.
 
Der tragische Dichter, möchte ich sagen, so paradox diese Behauptung auf den ersten Blick scheinen kann, hat nicht nötig, andere Menschen zu beobachten. Erstens finden wir ja, daß sehr große Dichter ein sehr zurückgezogenes, sehr bürgerliches Leben geführt haben, das ihnen keine Gelegenheit bot, in ihrer Umgebung die Leidenschaften, die sie uns so getreu beschrieben haben, sich entfesseln zu sehen. Aber auch angenommen, sie hätten dieses Schauspiel gehabt, ich glaube nicht, daß es besonders viel Zweck für sie gehabt hätte. Was uns in ihren Werken interessiert, ist der Einblick in gewisse tiefliegende Seelenzustände oder rein innerliche Konflikte. Und dieser Einblick läßt sich nicht durch Beobachtung der Außenwelt gewinnen. Seelen sind nicht durchsichtig. Äußerlich nehmen wir immer nur Zeichen der Leidenschaft wahr. Wir interpretieren sie nur – übrigens immer ungenügend – nach Analogie unseres eignen Erlebens. Unser eigenes Erleben bleibt die Hauptsache, nur unser eigenes Herz kennen wir von Grund aus – wenn wir es kennen. Also hat der Dichter erlebt, was er beschreibt, alle Seelenlagen seiner Helden durchgemacht und ihr ganzes Innenleben selber gelebt? Auch hier würden uns die Lebensbeschreibungen der Dichter eines anderen belehren. Wie soll man sich auch vorstellen, daß ein und derselbe Mensch Macbeth, Othello, Hamlet, König Lear und noch viele andere gewesen ist? Vielleicht muß man unterscheiden zwischen der Persönlichkeit, die man ist, und allen denen, die man hätte sein können. Unser Charakter ist die Folge von lauter einzelnen Entscheidungen. Immer wieder kommen auf unserer Bahn – zum mindesten scheinbar – Kreuzwege, wir sehen viele mögliche Richtungen, ob wir auch nur einer einzigen folgen können. Auf den alten Weg zurückzukehren, aber alle geahnten anderen Richtungen bis zu Ende zu verfolgen, darin scheint mir recht eigentlich das Wesen der dichterischen Phantasie zu liegen. Shakespeare ist gewiß weder Macbeth noch Hamlet noch Othello gewesen; aber er wäre diese verschiedenen Personen gewesen, wenn einerseits die Umstände und andererseits sein eigener Wille die Triebe und Kräfte losgebunden hätten, die bei ihm ins Innere zurückgedämmt waren. Schlecht versteht man sich auf die Rolle, die die dichterische Phantasie spielt, wenn man glaubt, sie setze ihre Helden aus links und rechts vom Wege aufgelesenen Fetzen zusammen, wie um ein Narrenkleid zu flicken. Daraus ginge nichts Lebendiges hervor. Das Leben läßt sich nicht künstlich zusammensetzen. Bloß anschauen läßt es sich. Und die dichterische Phantasie kann nichts anderes sein als eine totalere Anschauung der Wirklichkeit. Wenn uns die Personen, die der Dichter schafft, den Eindruck des Lebens machen, so tun sies, weil sie der Dichter selbst sind, der Dichter, der sich vervielfältigt hat, der in tiefster Selbstbeobachtung sein eigenes Erleben so mächtig erfaßt, daß er des Latenten hinter dem Wirklichen Herr wird und, um ein rundes volles Werk zu schaffen, alles wieder aufnimmt, was die Natur in ihm im Keimzustand bloßer Pläne ließ.
 
Ganz anderer Art ist die Beobachtung, aus der die Komödie entspringt. Die ist äußerlicher Art. Der Komödiendichter mag noch so sehr auf die Lächerlichkeiten der menschlichen Natur aus sein, er wird, glaub ich, nie so weit gehen, seine eigenen aufzusuchen. Auch würde er sie gar nicht finden: wir sind ja nur von der Seite unserer Persönlichkeit her lächerlich, die sich unserem Bewußtsein entzieht. Also hat sich seine Beobachtung auf die andern zu richten. Aber dadurch bekommt sie gleich den Charakter von etwas Allgemeinem, den sie nicht haben kann, wenn man sich selbst zu ihrem Gegenstand macht. Sie stellt sich auf die Oberfläche ein und erreicht nur die Hülle der Personen, das Äußere, in dem sich mehrere von ihnen berühren und auf Grund dessen man sie wohl für ähnlich halten kann. Weiter geht sie nicht. Denn selbst wenn sie es könnte, würde sie es nicht wollen, weil sie dabei nichts zu gewinnen hätte. Zu tief in die Persönlichkeit dringen, den äußeren Eindruck aus zu inneren Ursachen begründen, würde die ganze Lächerlichkeit des komischen Eindrucks gefährden und schließlich vernichten. Sollen wir versucht sein, ihn komisch zu finden, so müssen wir uns seine Ursache in einer mittleren Region der Seele gelegen denken. Er selbst muß uns deswegen etwas Gemeinmenschliches, etwas Durchschnittsmenschliches auszudrücken scheinen. Man gewinnt ihn, wie alle Durchschnitte, durch Annäherung von gegebenen Größen, durch Vergleichung ähnlicher Fälle, deren Gemeinsames man sucht, kurz durch einen Prozeß der Abstraktion und Verallgemeinerung ähnlich dem, vermittels dessen der Naturforscher aus seinen Tatsachen Gesetze gewinnt. Methode und Gegenstand sind mit einem Worte von derselben Art, wie in den induktiven Wissenschaften, in dem Sinne, daß die Beobachtung immer eine äußere ist und das Resultat sich immer verallgemeinern läßt.
 
Wir kommen so über einen langen Umweg wieder auf das doppelte Ergebnis zurück, das sich uns im Laufe unserer Studie ergab. Einerseits wird ein Mensch nur lächerlich durch eine seelische Verfassung, die einer Zerstreutheit ähnelt, durch etwas, das wie eine Schmarotzerpflanze auf ihm lebt, ohne mit ihm zu verwachsen: woraus folgt, daß diese Verfassung von außen her beobachtet werden muß und korrigierbar ist. Andererseits aber wird diese Korrektur, die eben das Lachen leistet, zweckmäßigerweise eine möglichst große Zahl Menschen auf einmal treffen; woraus zweitens folgt, daß die komische Betrachtungsweise einen instinktiven Zug zum Allgemeinen hat. Sie sucht sich unter den Sonderbarkeiten der Menschen diejenigen aus, von denen wahrscheinlich ist, daß sie immer wieder vorkommen, die also nicht unlöslich an eine bestimmte Individualität geheftet sind, allgemeine Besonderheiten könnte man sagen. Werden sie auf die Bühne gebracht, so entstehen Werke, die ohne Zweifel Kunstwerke sind, so wahr sie keine andere bewußte Tendenz haben, als zu gefallen, die sich aber von allen anderen Kunstwerken durch ihren Zug zum Allgemeinen, wie auch durch den unbewußten Trieb zu bessern und zu belehren unterscheiden. Wir haben also ein durchaus gutes Recht zu behaupten, daß die Komödie Mittlerin von Kunst und Leben ist. Sie ist nicht uninteressiert, wie die reine Kunst. Sie organisiert das Lachen, erkennt also das soziale Leben als ihr natürliches Milieu an; ja, sie dient geradezu einem seiner wichtigsten Impulse und kehrt damit der Kunst den Rücken, die immer ein Bruch mit der Gesellschaft und eine Rückkehr zur einfachen Natur ist.

Sehen wir jetzt nach all dem Vorausgegangenen zu, was man also braucht, wenn man den idealen komischen Charakter schaffen will. Ideal komisch soll er sein, d. h. komisch an sich, komisch in seinen Ursachen, komisch in allen seinen Äußerungen. Er muß tief genug gehen, um der Komödie unerschöpflichen Stoff zu geben, und doch an der Oberfläche liegen, um im Ton der Komödie zu bleiben; für den, der mit ihm behaftet ist, unsichtbar sein, weil das Komische immer unbewußt ist, allen anderen aber sichtbar, damit das Gelächter allgemein werde; er muß sich selber angenehm sein; denn er soll sich behaglich, ohne Skrupel entfalten; den andern aber muß er peinlich sein, damit sie ihn rücksichtslos unterdrücken; muß auf der Stelle korrigierbar sein, damit es nicht zwecklos ist über ihn zu lachen, aber jeder muß überzeugt sein, daß er unter anderen Umständen wieder erscheinen wird, damit das Lachen immer neue Arbeit findet; er muß untrennbar zum sozialen Leben gehören und doch der Gesellschaft unerträglich sein, und er muß, um in den denkbar verschiedensten Formen auftreten zu können, sich mit allen Lastern, ja auch mit manchen Tugenden verbinden können. All diese Bestandteile gilt es zu verschmelzen. Der Chemiker der Seele, den man mit dieser schwierigen Operation betraut hätte, würde im Augenblicke, wo er seine Retorte leert, einigermaßen enttäuscht sein. Denn er würde finden, daß er viel Mühe aufgewendet, um ein Gemisch zusammenzubrauen, das man sich fix und fertig und ganz kostenlos verschaffen kann, weil es in der Menschheit so verbreitet ist wie die Luft in der Natur.
 
Dieses Gemisch ist die Eitelkeit. Es gibt wohl nichts Menschliches, das zugleich so tief und so an der Oberfläche liegt wie sie. Die Wunden, die man ihr versetzt, sind niemals sehr schwer, und doch heilen sie nicht. Die Dienste, die man ihr erweist, sind die allerimaginärsten Dienste; und doch sind es die, die eine dauernde Dankbarkeit hinterlassen. Sie selbst ist kaum ein Laster, trotzdem tendieren alle Laster nach ihr hin und wollen, indem sie sich ihr anschmiegen, nichts anderes als nur sie zufrieden stellen. Sie ist erst ein Geschöpf des sozialen Lebens – denn sie ist Selbstbewunderung, die sich auf die Bewunderung gründet, die man den Mitmenschen einzuflößen glaubt – und doch ist sie noch natürlicher, der menschlichen Natur noch mehr eingeboren, als der Egoismus, denn über den Egoismus triumphiert oft die Natur, während die Eitelkeit nur durch Reflexion zu überwinden ist. Ich glaube in der Tat nicht, daß wir bescheiden zur Welt kommen, man müßte denn eine gewisse Schüchternheit durchaus physischer Natur, die übrigens dem Hochmut näher steht, als man denkt, noch Bescheidenheit nennen. Die wahre Bescheidenheit kann nur aus Nachdenken über die Eitelkeit hervorgehen. Aus dem Anblick all der Selbsttäuschungen rings um einen und aus der Besorgnis, demselben Fehler zu verfallen, entsteht sie. Sie ist wie eine fast wissenschaftliche Behutsamkeit bei allem, was man von sich selber sagt und denkt. Sie besteht aus lauter abgelegten Fehlern und wegretuschierten Unvollkommenheiten. Kurz, sie ist immer eine erworbene Tugend.
 
Es wird schwer sein, den Moment genau zu bestimmen, wo sich das Streben nach Bescheidenheit freimacht von der Furcht vor der Lächerlichkeit. Ursprünglich jedenfalls geht beides durcheinander. Eine genaue Betrachtung der Eitelkeit und der Lächerlichkeit, die ihr anhaftet, würde ein helles Licht auf die ganze Theorie des Lachens werfen. Da würde man sehen, wie das Lachen mit tödlicher Sicherheit einer seiner Hauptaufgaben obliegt: wie es jede ›zerstreute‹ Eigenliebe zum vollen Bewußtsein ihrer selbst bringt und dadurch die größtmögliche Geselligkeit der Charaktere herstellt. Man würde sehen, wie die Eitelkeit, ob sie auch ein natürliches Produkt des gesellschaftlichen Lebens ist, doch von der Gesellschaft als störend empfunden wird, so wie gewisse schwache Gifte, die unser Organismus beständig absondert, ihn auf die Dauer lähmen würden, wenn nicht andere Sekrete sie neutralisierten. Das Lachen wirkt beständig in diesem Sinne, und man könnte sagen, daß es das spezifische Heilmittel für Eitelkeit und daß die Eitelkeit der lächerliche Charakterfehler ϰατ ἐξοχὴν sei.
 
Als wir von den komischen Formen und Bewegungen sprachen, zeigten wir, wie diese oder jene einfache, an sich lächerliche Vorstellung andere mehr zusammengesetzte Vorstellungen beeinflussen und etwas von ihrer komischen Kraft auf sie übertragen kann; wie denn die höchsten Erscheinungsformen des Komischen sich häufig aus den niedrigsten erklärten. Noch häufiger kommt vielleicht der umgekehrte Vorgang vor: sehr derbe komische Effekte verdanken oft ihre Wirkung ihrer Verwandtschaft mit irgendeiner sehr feinen Form von Komik. So ist die Eitelkeit, an sich eine höhere Form des Lächerlichen, ein Etwas, dem wir zwar unbewußt, aber scharfäugig in allen Äußerungen menschlicher Tätigkeit nachspüren; wäre es auch nur, um darüber zu lachen. Oft sieht unsre Phantasie sie auch da, wo sie gar nichts zu tun hat. Auf diesen Ursprung muß man nach meinem Dafürhalten die durchaus derbe Komik gewisser Fälle zurückführen, die die Psychologen sehr ungenügend als Kontrastwirkungen erklärt haben: ein kleiner Mensch, der sich bückt, um durch eine große Türe zu gehen; oder zwei Menschen, ein ganz großer und ein ganz kleiner, die Arm in Arm würdevoll einherschreiten. Sieht man sich dieses letztere Bild näher an, so wird man finden, glaub ich, daß der Kleine Anstrengungen zu machen scheint, um sich selber zu erhöhen, wie der Frosch, der ebenso groß sein wollte wie der Ochs.

Es kann sich hier nicht darum handeln, alle Eigenheiten des Charakters aufzuzählen, die sich mit der Eitelkeit verbinden oder mit ihr wetteifernd die Aufmerksamkeit des komischen Dichters auf sich ziehen. Wir zeigten, daß alle Mängel, allenfalls auch gewisse Vorzüge, lächerlich werden können. Selbst wenn wir alle bekannten Lächerlichkeiten verzeichnet hätten, würde die Komödie es auf sich nehmen, die Liste beliebig zu verlängern, nicht sowohl durch gänzlich frei ausgedachte neue Arten des Lächerlichen, als vielmehr durch die Herausstellung bisher übersehener Linien im Gebiete des Komischen: so wie die Phantasie aus dem Durcheinander der Zeichnung ein und desselben Teppichs immer neue Figuren herausliest. Hauptbedingung ist, wie wir wissen, daß die betreffende Eigenheit zugleich wie ein Rahmen wirkt, in den sich viele Personen einfügen lassen.
 
Und da gibt es denn Rahmen, die die Gesellschaft selber geschaffen hat und ohne die sie nicht auskommt, solange sie auf Arbeitsteilung beruht. Ich meine Gewerbe, Ämter und Berufe. Jeder einzelne Beruf prägt denen, die in ihn eingehen, bestimmte Gewohnheiten und Charaktereigenheiten auf, in denen sie dann einander ähneln und durch die sie sich auch von andern unterscheiden. So bilden sich kleine Gesellschaften im Schoße der großen. Sie stammen durchaus aus der Organisation der großen Gesellschaft selbst. Und doch könnten sie, wenn sie sich gar zu sehr absonderten, der Gesellschaft gefährlich werden. Das Lachen aber hat gerade die Aufgabe, jeden Versuch einer Absonderung zu unterdrücken. Es ist seine Funktion, jede Starrheit in Geschmeidigkeit zu verwandeln, jeden Sonderling der Gesellschaft zurückzugewinnen, alle Ecken abzurunden. Wir müssen hier also eine Art Komik bekommen, deren Unterarten sich von vornherein bestimmen ließen. Wir werden sie am besten als Berufskomik bezeichnen.
 
Wir wollen diese Unterarten nicht im einzelnen untersuchen. Halten wir uns lieber an das, was allen gemeinsam ist. In erster Linie steht da die Berufseitelkeit. Jeder von Monsieur Jourdains Lehrern stellt seine Kunst hoch über alle andern. Labiche hat eine Figur, die nicht versteht, wie man etwas anderes als Holzhändler sein kann. Natürlich ist sie selbst Holzhändler. Übrigens neigt hier die Eitelkeit dazu, in Feierlichkeit überzugehen, wenn der betreffende Beruf die nötige Dosis Scharlatanerie in sich schließt. Denn es bleibt eine merkwürdige Tatsache, daß, je anfechtbarer eine Kunst ist, um so mehr die, die ihr dienen, zu dem Glauben neigen, sie trügen ein Priestergewand um die Schultern, und am liebsten verlangten, daß man sich vor ihren Mysterien verneige. Die nützlichen Berufe sind klärlich des Publikums wegen da; die aber, deren Nützlichkeit mehr als zweifelhaft ist, glauben ihre Existenz nur durch die Hypothese rechtfertigen zu können, daß das Publikum ihretwegen da sei; dieser Selbstbetrug ist der Anfang zu feierlichem, förmlichem Gebahren. Fast alles Komische von Molières Ärzten kommt daher. Sie behandeln den Kranken, als wäre er dem Arzt zuliebe geschaffen, und die Natur selbst ist in ihren Augen eine Dependance der Heilkunst.
 
Eine andere Form solcher komischen Starrheit ist, was ich Berufsverstocktheit nennen möchte. Dazu muß sich die komische Person so total in den rostigen Rahmen ihrer Berufstätigkeit einspannen, daß ihr zu freier Bewegung oder gar Erregung, wie sie andere Menschen haben, kein Raum mehr bleibt. Denken wir an die Antwort des Richters Perrin Dandin auf Isabellens Frage, wie man die armen Angeklagten leiden sehen könne:
 
»Wieso? da gehn doch stets ein bis zwei Stunden hin.«

Und ist es nicht auch eine Art Berufsverstocktheit, wenn Tartüffe, freilich durch Orgons Mund, verkündet:

»Und sah ich Bruder, Kinder, Mutter, Gattin sterben,
Nicht soviel ginge mich das an!«

Das gebräuchlichste Mittel aber, einen Berufsmenschen komisch zu machen, ist, ihn in seine besondere Berufssprache sozusagen einzukapseln. Man wird also Richter, Arzt, Soldaten juristische, medizinische, militärische Ausdrücke auf Vorfälle des alltäglichen Lebens anwenden lassen, als sei es ihnen unmöglich geworden so zu sprechen, wie jedermann sonst spricht. Meistens wird das eine ziemlich grobe Komik geben. Doch wird sie feiner, wie wir schon sahen, wenn sie uns nicht nur eine Berufsgewohnheit, sondern zugleich eine Charaktereigenheit verrät. Ich will nur Regnards Spieler erwähnen, der sich mit viel Originalität in Spielausdrücken bewegt, seinem Diener den Namen Hektor gibt und erwartet, daß er seine Braut Pallas nenne:
 
»weil, wie man weiß, so die Piquedame heißt«.
 
Oder auch die Femmes savantes, deren komische Wirkung mir zu einem guten Teile darauf zu beruhen scheint, daß sie Gedanken von wissenschaftlichem Range in die Sprache weiblichen Gefühlslebens kleiden: »Epikur gefällt mir ...«, » Ich liebe die Wirbelwinde« usw. Man lese den dritten Akt, und man wird sehen, daß Armande, Philaminte und Belise sich fast beständig in diesem Stile unterhalten.
 
Gingen wir in dieser Richtung noch weiter, so würden wir finden, daß es sogar eine Berufslogik gibt. Ich meine damit bestimmte Denkweisen, die man sich in bestimmten Milieus aneignet und die für ihr Milieu die richtigen, für die übrige Welt durchaus falsch sind. Der Gegensatz aber zwischen spezieller und allgemeingültiger Logik erzeugt gewisse komische Wirkungen besonderer Art, die etwas genauer zu betrachten sich wohl lohnen dürfte; denn wir berühren hier einen wichtigen Punkt der Theorie des Lachens. Wobei wir übrigens die Frage erweitern und sie ganz allgemein gefaßt erörtern wollen.

Wir waren bisher so sehr mit der Auffindung der tieferen Ursache des Komischen beschäftigt, daß wir eins seiner bemerkenswertesten Manifestationen haben unbeachtet lassen müssen. Ich meine die der komischen Person oder komischen Gruppe eigentümliche Logik, jene seltsame Logik, die in gewissen Fällen stark an Absurdität grenzt.
 
Théophile Gautier hat das Groteskkomische die Logik des Absurden genannt. Mehrere Philosophien vom Lachen haben einen ähnlichen Gedanken zum Mittelpunkt. Jede komische Wirkung soll danach irgendeinen Widerspruch enthalten. Wir lachen dann über ein in konkreter Form auftretendes Absurdes, über eine ›sichtbare Absurdität‹ – oder auch über den Schein einer Absurdität, von dem man sich einen Augenblick hat täuschen lassen – oder schon besser, über etwas, was halb absurd, halb natürlich erklärbar ist usw. Alle diese Theorien enthalten ohne Zweifel ein Körnchen Wahrheit; aber erstens sind sie nur auf gewisse, ziemlich grobe komische Effekte anwendbar, und dann übersehen sie selbst in diesen Fällen, will mir scheinen, das spezifisch Lächerliche, ich meine die ganz besondere Art von Absurdität, die allein im Komischen stecken kann, sofern überhaupt Absurdes im Komischen enthalten ist. Wer sich davon auf der Stelle überzeugen will, braucht nur eine dieser Definitionen herzunehmen und nach dem betreffenden Rezept zu verfahren: zwei von drei so erzielten Wirkungen werden gar nicht komisch sein. Also ist die Absurdität, der man zuweilen im Komischen begegnet, nicht jedwede, sondern eine sehr bestimmte. Es ist nicht so, daß dem Komischen das Absurde zugrunde läge, eher umgekehrt. Die Absurdität ist nicht Ursache, sondern Wirkung – und zwar eine sehr besondere Wirkung, in der sich die besondere Natur der wirkenden Ursache widerspiegelt. Wir kennen diese Ursache, werden also jetzt ohne viel Mühe die Wirkung verstehen.
 
Angenommen, unsereiner bemerkte auf einem Spaziergange über Land oben auf einem Hügel etwas, was ungefähr einem großen unbeweglichen Körper mit sich drehenden Armen gliche. Er weiß noch nicht, was es ist, aber er sucht unter seinen Vorstellungen, das heißt den Bildern, über die sein Gedächtnis verfügt, dasjenige Bild, das am besten zu seiner Wahrnehmung paßt. Fast im Nu wird ihm das Bild einer Windmühle einfallen: und in der Tat, vor ihm steht eine Windmühle. Ob er eben erst, ehe er sich aufmachte, Märchen mit Geschichten von Riesen mit ungeheuren Armen gelesen hat, beirrt ihn nicht. Der gesunde Menschenverstand besteht zwar auch in der Kunst des Sicherinnerns, besonders aber in der Kunst des Vergessens. Er verrät einen Geist, der sich unaufhörlich anzupassen versteht, der die Vorstellung wechselt, wenn der Gegenstand wechselt. Es ist beweglicher Geist, der sich genau nach den beweglichen Umständen richtet, die bewegte Kurve, sozusagen, unserer Achtsamkeit auf das Leben.
 
Jetzt aber denke man an Don Quijote, wie er in den Krieg zieht. Aus seinen Romanen weiß er, daß der Ritter auf seinem Wege feindlichen Riesen begegnet. Was er also braucht, ist ein Riese. Die Vorstellung eines Riesen ist eine Idee, die sich besonders fest in sein Gehirn gesetzt hat, drinnen auf der Lauer liegt und gespannt die Gelegenheit erspäht, wo sie hervorstürzen und sich in einem Gegenstand der Außenwelt verkörpern kann. Dieses Erinnerungsbild will körperliche Gegenwart gewinnen, und so muß der erste beste Gegenstand, mag er auch nur eine ganz entfernte Ähnlichkeit mit der Gestalt eines Riesen haben, diese Gestalt von ihm annehmen. Wo wir Windmühlen, wird Don Quijote Riesen sehen. Das ist komisch, und es ist absurd. Ist es aber eine beliebige Absurdität?
 
Nein, es ist eine ganz besondere Art, den gesunden Menschenverstand auf den Kopf zu stellen: statt daß man sich von den Gegenständen Vorstellungen bildet, schafft man sich zu seinen Vorstellungen Gegenstände; statt an das zu denken, was man vor sich sieht, sieht man das vor sich, woran man denkt. Die Vernunft befiehlt uns, alle unsere Erinnerungsvorstellungen in der rechten Ordnung zu belassen, so daß jede neu eintretende Situation das entsprechende Erinnerungsbild weckt, das dann zu weiter nichts dient, als sie zu interpretieren. Das Umgekehrte ist bei Don Quijote der Fall. Bei ihm dominiert eine Gruppe von Erinnerungsvorstellungen über alle übrigen, ja beherrscht den ganzen Menschen: so daß sich nunmehr die Wirklichkeit vor der Phantasie beugen muß und nur noch dieser als Körper dient. Dabei führt Don Quijote die einmal gefaßte Wahnvorstellung vernünftig und konsequent durch; er bewegt sich in ihr mit der Sicherheit und Genauigkeit, mit der der Nachtwandler seine Traumrolle spielt. So also kommt sein Irrtum zustande, und so sieht die besondere Logik aus, die in dieser Absurdität herrscht. Kommt sie aber nur bei Don Quijote vor?
 
Wir sahen, daß eine komische Figur immer durch Widerspenstigkeit des Geistes oder Charakters, durch Zerstreutheit, durch Automatismus Anstoß erregt. Dem Komischen zugrunde liegt eine Starrheit von bestimmter Art, der zufolge man seinen Weg geradeaus verfolgt, nicht hört und nicht hören mag. Wieviel komische Szenen in Molieres Stücken lassen sich auf den sehr einfachen Typ eines Menschen, der einer einzigen Idee nachgeht, an der er hartnäckig festhält, sooft man ihm auch dazwischenkommt, zurückführen; wobei von dem, der nichts hören will, zu dem, der nichts sehen will, und schließlich zu dem, der überhaupt nur noch sieht, was er sehen will, ein unmerklicher Übergang führen würde. Schließlich ordnet das verstockte Gehirn die Dinge der Umwelt seiner Wahnidee unter, statt seine Gedanken nach den Dingen zu richten. Jede komische Figur ist also auf dem eben beschriebenen Irrweg, und Don Quijote ist uns der typische Vertreter solcher komisch wirkenden Absurdität.
 
Wie aber nennt man diese Verkehrung des gesunden Menschenverstandes? Man erkennt sie ohne Zweifel in manchen Formen akuten oder chronischen Wahnsinns wieder. In vieler Hinsicht ähnelt sie einer fixen Idee. Doch lachen wir nicht über jeden Wahnsinn, noch über jede fixe Idee, denn das sind Krankheiten, die ja Mitleid erregen. Mit Gefühlserregung aber, wissen wir, ist Lachen unverträglich. Gibt es also einen lächerlichen Wahnsinn, so kann es nur ein solcher sein, der bei geistiger Gesundheit bestehen kann, ein normaler Wahnsinn, könnte man sagen. Nun gibt es einen normalen Geisteszustand, der Punkt für Punkt dem Wahnsinn ähnlich ist, wo man dieselben Ideenassoziationen wie bei Geistesabwesenden und dieselbe sonderbare Logik wie bei Leuten mit fixen Ideen wiederfindet. Das ist der Traum. Entweder also ist unsre Analyse unrichtig, oder sie muß in folgende These münden: Die komische Absurdität ist von derselben Natur wie die des Traumes.
 
Erstlich ist der Gang des Geistes im Traume ganz der, den wir eben beschrieben haben. Selbstherrlich sucht er in der Außenwelt nur einen Vorwand, um seine Phantasien zu realisieren. Töne dringen noch verworren ans Ohr, Farben wechseln noch im Gesichtsfeld, kurz, die Sinne sind noch bis zu einem gewissen Grade tätig. Allein der Träumende, statt alle seine Erinnerungsbilder zu Hilfe zu nehmen, um das, was seine Sinne wahrnehmen, richtig zu interpretieren, bedient sich im Gegenteil des Wahrgenommenen, um einem Lieblingsbild einen Körper zu geben: derselbe Windzug im Kamin wird dann je nach dem Seelenzustand des Träumenden und der Idee, die seine Phantasie beherrscht, Heulen eines wilden Tieres oder melodischer Gesang. So pflegt der Mechanismus der Traumvorstellungen zu arbeiten.
 
Wenn aber die Fiktionen des Komischen den Fiktionen des Traumes und die Logik des Komischen der der Träume gleichzusetzen sind, so kann man erwarten, alle Einzelheiten der Logik des Traumes in der Logik des Komischen wiederzufinden. Wieder bewahrheitet sich ein Gesetz, das wir sehr gut kennen: Ist einmal eine Form des Lächerlichen gegeben, so werden andere Formen, die von Haus aus gar nichts Lächerliches an sich haben, lächerlich durch ihre bloße äußere Ähnlichkeit mit der ersten. In der Tat sieht man leicht, daß jedes Gedankenspiel uns belustigt, sofern es mehr oder minder deutlich an das Spiel der Träume erinnert.
 
An erster Stelle ist da ein gewisses totales Aussetzen der Regeln des normalen Denkprozesses hervorzuheben. Wir lachen über diejenigen Gedankengänge, die wir im wachen Zustand ohne weiteres für falsch erklären, im Traume aber recht wohl selber für richtig halten könnten. Sie sind einem richtigen Gedankengang noch vollkommen ähnlich genug, um den einschlafenden Geist zu betören. Auch das ist noch Logik, wenn man will, aber eine, die nicht den richtigen Takt hat, wie sie uns denn gerade dadurch Erholung von geistiger Arbeit gewährt. Mancher ›geistreiche Einfall‹ ist ein Gedankengang dieser Art, ein gleichsam abgekürzter Gedankengang, von dem wir nur Ausgangspunkt und Schlußfolgerung erfahren. Diese Spiele des Witzes kommen dabei bloßen Wortspielen um so näher, je oberflächlicher die zwischen den Vorstellungen hergestellten Beziehungen verlaufen, bis wir schließlich überhaupt nicht mehr auf den Sinn der gehörten Worte Wert legen, sondern nur noch auf den Klang. Und ich frage mich, ob man nicht bei gewissen höchst komisch wirkenden Szenen, wo nämlich jemand konsequent Worte, die ihm ein andrer ins Ohr flüstert, widersinnig nachspricht, an ganz ähnliche Träume denken muß. Wenn man inmitten schwatzender Menschen einschläft, scheinen einem oft die Worte, die man noch hört, ihren Sinn zu verlieren, die einzelnen Töne zu verschwimmen, um dann im Gehirn ganz bizarre Bedeutungen zu bekommen, so daß man also mit der redenden Person geradezu die Szene zwischen Petit-Jean und seinem Souffleur spielt.
 
Weiterhin gibt es wie im Traume so auch im Komischen jene eigentümlichen Fälle, wo man von einer Vorstellung wie besessen ist. Wem ist es nicht schon vorgekommen, daß ihm dasselbe Bild in mehreren aufeinanderfolgenden Träumen immer wieder erschien und jedesmal eine ganz einleuchtende Bedeutung annahm, auch wenn die Träume im übrigen keinen Punkt gemeinsam hatten. Die Fälle von Wiederholung auf der Bühne oder im Roman zeigen bisweilen ganz dieselbe besondere Gestalt: manche von ihnen haben geradezu Parallelen im Traume. Und vielleicht steht es ebenso mit dem Kehrreim vieler Lieder, der sich hartnäckig am Schlüsse jeder Strophe in derselben Form, aber mit jedesmal verschiedenem Sinne wieder einstellt.
 
Nicht selten kann man im Traume ein ganz eigentümliches Crescendo beobachten, eine Verrücktheit, die immer verrückter wird. Dem ersten Schritt vom Wege der Vernunft folgt bald ein zweiter, dem zweiten ein dritter noch schwererer und so fort bis zu völliger Absurdität. Und dieses unaufhaltsame Hineinschreiten ins Absurde ist ein ganz besonderes Erlebnis für den Träumenden. Es ist dasselbe, scheint mir, das der Trinker erlebt, wenn er sich angenehm in einen Zustand hinübergleiten fühlt, wo ihn nichts mehr kümmert, keine Logik, keine Anstandsgesetze. Nun frage ich: können wir nicht bei manchen Molièreschen Stücken dasselbe Gefühl haben, z. B. beim Monsieur de Pourceaugnac, der noch ganz vernünftig beginnt und dann von einer Verrücktheit in die andere verfällt, oder beim Bourgeois gentilhomme, wo die Personen mit fortschreitender Handlung immer mehr wie in einen Wirbel der Tollheit geraten? Das Schlußwort: »Ich will nach Rom gehen, wenn sich einer findet, der ein noch größerer Narr ist«, erweckt uns aus dem immer tolleren Traume, in den wir mit Monsieur Jourdain gesunken waren.
 
Einen Wahnwitz aber gibt es, der überhaupt nur im Traume vorkommt. Ich meine gewisse Vernunftwidrigkeiten, die der Phantasie des Träumenden so selbstverständlich sind, der Vernunft des wachenden Menschen aber so durchaus zuwiderlaufen, daß es unmöglich ist, dem, der sie nicht selbst erlebt hat, eine genaue und zureichende Vorstellung zu vermitteln. Ich spreche von jener seltsamen Durchdringung zweier Personen, die durchaus unterschieden bleiben und doch im Grunde nur eine einzige ausmachen. Gewöhnlich ist die eine der Träumende selbst. Er fühlt, er hat nicht aufgehört, der zu sein, der er ist; nichtsdestoweniger ist er ein anderer geworden. Er ist er, und er ist nicht er. Er hört sich sprechen, sieht sich dies und das tun und fühlt doch, daß ein anderer ihm Körper und Stimme geliehen hat. Er hat wohl noch das Bewußtsein, wie gewöhnlich zu sprechen und sich zu bewegen; nur wird er von sich wie von einem Fremden reden, mit dem er nichts mehr gemein hat; er hat nichts mehr mit sich selbst zu tun. Sollte man nicht diese seltsame Durchdringung in vielen komischen Szenen finden? Ich rede nicht von Amphitryon, wo der Zuschauer ganz gewiß den Eindruck einer Durchdringung hat, wo aber der Kern der komischen Wirkung vielmehr in dem sitzt, was wir früher als ›Interferenz zweier Reihen‹ bezeichneten. Vielmehr rede ich von komischen ungereimten Gedankengängen, wo diese Durchdringung in Reinkultur auftritt und man seinen Verstand anstrengen muß, um sie aufzulösen. Man höre zum Beispiel folgende Auskunft, die Mark Twain einem ihn interviewenden Reporter gibt: »Haben Sie einen Bruder? – Ja, wir nannten ihn Bill. Der arme Bill! – Wieso, ist er tot? – Das eben haben wir niemals erfahren können. Ein tiefes Dunkel liegt über dieser Sache. Wir waren Zwillinge, der Verstorbene und ich, und wurden, als wir vierzehn Tage alt waren, zusammen in einer Wanne gebadet. Dabei ist der eine von uns beiden ertrunken, aber man hat niemals erfahren, welcher. Die einen meinen, Bill war es, die andern meinen, ich wars. – Seltsam, allein was meinen Sie? – Hören Sie, ich will Ihnen ein Geheimnis anvertrauen, das ich noch keiner lebenden Seele enthüllt habe. Der eine von uns beiden hatte ein Mal, einen großen Fleck auf der linken Hand, und das war ich. Und dieses Kind ist ertrunken ...« Betrachtet man das näher, so sieht man, daß die Absurdität dieses Zwiegesprächs durchaus keine willkürliche Absurdität ist. Sie verschwände, wenn die redende Person nicht ausdrücklich einer der Zwillinge, von denen sie redet, selbst wäre. Sie hat ihren Grund darin, daß Mark Twain erklärt, einer dieser Zwillinge zu sein, und sich doch ganz so ausdrückt, als ob er ein dritter wäre, der ihre Geschichte erzählt. Anders verfahren wir auch in unsern Träumen nur selten.

Von diesem letzten Gesichtspunkt aus betrachtet, muß uns das Komische in einer Form erscheinen, die ein wenig von derjenigen abweicht, die wir ihm gaben. Bisher sahen wir im Lachen vor allem ein Mittel der Besserung. Heben wir aus der ganzen Abfolge der komischen Fälle die herrschenden Typen heraus, so finden wir, daß die zwischenliegenden Falle alle ihre komische Kraft ihrer Ähnlichkeit mit diesen Haupttypen verdanken, diese selbst aber samt und sonders Beispiele von Taktlosigkeit gegen die Gesellschaft sind. Diese Taktlosigkeiten erwidert die Gesellschaft durch Lachen, was eine noch größere Taktlosigkeit ist. Wonach denn das Lachen nichts sehr Wohlwollendes hätte, vielmehr Böses mit Bösem vergälte.
 
Dennoch ist nicht die Taktlosigkeit das erste, was uns am Phänomen des Komischen auffällt. Oft fühlen wir anfangs aufrichtige Sympathie mit der komischen Person. Für einen kurzen Augenblick setzen wir uns an ihre Stelle, nehmen ihre Gebärden, Redensarten, Handlungen an und fordern sie in Gedanken auf, sich mit uns über alles Lächerliche daran zu amüsieren: wir verhalten uns zunächst ganz kameradschaftlich. Bei dem Lachenden findet sich also wenigstens ein Schein von Gutmütigkeit, von liebenswürdiger Laune, den wir nicht übersehen dürfen. Insonderheit ist mit dem Lachen ein Entspannungsprozeß verbunden, der oft bemerkt worden ist und über den wir uns Rechenschaft geben müssen. Nirgends war dieser Eindruck deutlicher als in unseren letzten Beispielen. An ihnen werden wir uns auch am besten die Ursache klar machen können:
 
Die komische Person, die automatisch ihrer Lieblingsidee nachgeht, denkt, spricht, handelt schließlich genau so, als ob sie träume. Der Traum aber ist eine Entspannung.
 
Stets mit Dingen und Menschen richtigen Schritt zu halten, um zu sehen, was ist, und nur zu denken, was sich halten läßt, erfordert eine ununterbrochene geistige Spannung, erfordert Arbeit. Diese Arbeit ist die eigentliche Leistung des gesunden Menschenverstandes. Hingegen die Dinge laufen lassen, aber doch noch Eindrücke wahrnehmen, mit der Logik brechen und doch noch Vorstellungen kombinieren, das ist nur noch Spiel oder, wenn man lieber will, Trägheit. Und so macht uns die komische Absurdität vor allem den Eindruck eines Ideenspieles. Unsere erste Regung dabei ist der Wunsch mitzuspielen, um so von der Anstrengung des Denkens auszuruhen.
 
Dasselbe könnte man ebensogut von den anderen Formen des Lächerlichen sagen. In allem Komischen findet sich, so haben wir ausgeführt, die Tendenz, sich einen sanften Abhang, meistens den der Gewohnheit, hinabgleiten zu lassen. Man hört auf, sich mit jedem Schritte der Gesellschaft anzupassen, von der man ein Glied ist. Man vergißt allmählich die Aufmerksamkeit, die man dem Leben schuldig ist. Ähnelt stets mehr oder weniger einem Zerstreuten, mit übrigens mindestens ebensoviel, wenn nicht mehr, Zerstreutheit des Willens als der Gedanken, jedenfalls aber Zerstreutheit und folglich Trägheit. Man bricht mit Logik und Sitte, kurz, benimmt sich ganz wie einer, der spielt. Und wieder ist unsere erste Regung der Wunsch, uns von der Trägheit anstecken zu lassen. Einen Augenblick wenigstens mischen wir uns in das Spiel und ruhen aus von der Anstrengung des Lebens.
 
Aber nur einen Augenblick ruhen wir aus. Die Sympathie, die in dem Erlebnis des Komischen auftreten kann, ist sehr flüchtiger Natur. Auch sie folgt aus einer Zerstreutheit. Etwa wie ein strenger Vater sich bisweilen vergißt und sich wohl einen Augenblick über eine Schelmerei seines Sohnes innerlich freut, sich aber sofort wieder auf seine Erzieherpflicht besinnt. Das Lachen ist nun einmal ein Erziehungsmittel. Ist Demütigung sein Zweck, so muß es der Person, der es gilt, eine peinliche Empfindung verursachen. Dadurch rächt sich die Gesellschaft für die Freiheiten, die man sich gegen sie herausgenommen hat. Und das Lachen würde sein Ziel nicht erreichen, wenn Sympathie und Güte seine herrschenden Züge wären.
 
Aber, wird man sagen, die Absicht wenigstens kann gut sein. Züchtigt man nicht oft, weil man liebt, macht uns nicht ebenso das Lachen, indem es die äußeren Symptome gewisser Mängel bekämpft, auf diese Mängel selbst aufmerksam, damit wir sie ablegen und innerlich besser werden?
 
Über diesen Punkt wäre noch viel zu sagen. Alles in allem leistet das Lachen ganz gewiß eine wichtige Arbeit. Zielten doch alle unsre Analysen darauf ab, dies nachzuweisen. Daraus folgt aber nun weder, daß das Lachen stets gerecht verfährt, noch daß es aus Wohlwollen oder auch nur Billigkeit entspringt.
 
Um stets gerecht zu verfahren, müßte es aus einem Akte intellektueller Überlegung hervorgehen. Das Lachen ist ja aber nur die Leistung eines in uns von der Natur oder, was ziemlich auf dasselbe hinausläuft, durch lange, lange Gewohnheit des sozialen Lebens erzeugten Mechanismus. Es geht ganz von allein los und pariert ganz von selbst Stoß auf Stoß. Es hat keine Zeit, jedesmal nachzusehen, wohin es trifft. Es straft gewisse Fehler beinah so, wie eine Krankheit gewisse Exzesse straft, trifft Unschuldige, schont Schuldige, geht nur aufs Gesamtresultat und kann nicht jedem einzelnen Fall die Ehre antun, ihn für sich zu untersuchen. Es gehört zu den Dingen, die sich auf natürlichem Wege regulieren und nicht durch bewußte Überlegung. Im Gesamtresultat wird vielleicht das richtige Maß von Gerechtigkeit zutage treten, aber nicht im einzelnen Falle.
 
In diesem Sinne also kann das Lachen nicht absolut gerecht sein, und ich wiederhole, daß es nicht aus guter Gesinnung zu kommen braucht. Es soll demütigen, einschüchtern, was ihm nicht gelingen würde, wenn nicht die Natur für diesen Zweck auch in den besten Menschen einen Rest von Niedertracht oder wenigstens Bosheit belassen hätte. Vielleicht gehen wir besser nicht zu weit auf diesen Punkt ein. Wir würden nichts sehr Schmeichelhaftes für uns finden. Wir würden erfahren, daß der Entspannungs- und Befreiungsprozeß nur ein Vorspiel des eigentlichen Lachens ist, daß der Lachende sich sofort wieder auf sich selbst besinnt, mehr oder minder stolz zu sich selber ja sagt und in dem andern nur eine Marionette sehen möchte, die er tanzen läßt. In dieser anmaßenden Haltung entdecken wir dabei sehr bald ein wenig Egoismus und hinter dem Egoismus wieder etwas, was weniger ursprünglich, dafür aber noch bitterer ist: den Keim eines Pessimismus, der sich immer schärfer entwickelt, je mehr der Lachende sein Lachen rationalisiert.
 
Hier, wie so oft, hat die Natur das Böse in den Dienst des Guten gestellt. Und das Gute war es vor allem, was uns in dieser Studie beschäftigt hat. Wir haben erfahren, wie die Gesellschaft, je mehr sie sich vervollkommnet, bei ihren Gliedern eine immer größere Leichtigkeit der Anpassung erreicht, wie sie bestrebt ist, sich immer besser auszubalancieren, wie sie auf alle Störungen, die ihre Oberfläche beunruhigen und die bei großen Massen unvermeidlich sind, immer eifriger Jagd macht, und wie das Lachen, indem es die Form dieser krausen Linien notiert, eine nützliche Funktion erfüllt.
 
So kämpfen ohne Unterlaß Wogen auf der Oberfläche des Meeres, während die unteren Schichten des Wassers in tiefem Frieden verharren. Rennen und stoßen gegeneinander und suchen ihr Gleichgewicht. Ein leichter, weißer, lustiger Schaum folgt ihren wechselnden Linien. Die zurückfließende Flut läßt diesen Schaum auf dem Sande des Ufers zurück. Ein Kind, das in der Nähe spielt, kommt und sammelt sich eine Hand voll und wundert sich, wenn es im nächsten Augenblick nur wenige Wassertropfen in der hohlen Hand hat, die aber viel salziger, viel bitterer sind als das Wasser der Welle, die den Schaum mit sich führte. Das Lachen entsteht ganz so wie dieser Schaum. Es meldet alle leichten Revolten auf der Oberfläche des sozialen Lebens. Es zeichnet im Nu die beweglichen Figuren dieser Erschütterung nach. Und auch salzhaltig ist es, und es schäumt und ist lustig wie Schaum. Und der Philosoph, der ein paar Tropfen sammelt, um zu kosten, mag wohl bisweilen in einer kleinen Menge dieses Stoffes sein gut Teil Bitterkeit finden.

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