Helmut Böttiger: Celans Zerrissenheit
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Jan Kuhlbrodt
Helmut Böttiger: Celans Zerrissenheit. Ein jüdischer Dichter und der deutsche Geist. Berlin (Verlag Galiani-Berlin) 2020. 208 Seiten. 20,00 Seiten.
Zu Helmut Böttiger: Celans Zerrissenheit
Bei der Durchschau der aktuellen Veröffentlichungen zu Paul Celan ist mir Böttigers Studie „Celans Zerissenheit“ neben Emmerichs „Nahe Fremde“ die wichtigste und nachvollziehbarste. Das hat mehrere Gründe.
Zum einen glaube ich, dass man Gedichte nicht in einer Hinsicht interpretieren kann, die behauptet, sie könne das Eigentliche, was ein Gedicht sagt, extrapolieren. Der Inhalt eines Gedichts ist immer konkret, und es sagt, was es sagt.
Aber das Gedicht spricht in einem historischen und künstlerischen Kontext. Im Grunde sogar, wenn man Böttigers Studie folgt, in verschiedenen Kontexten, vor Hintergründen, vor denen der Gehalt eines Textes und seine Sprache. die sein Gehalt ist, den sie gleichzeitig transportiert, hervortritt. Insofern ist ein Gedicht in seiner Entstehung bedingt, im Moment also, in dem sich sein Gehalt entwickelt, in dem es seinen Gehalt entwickelt. Und diese Bedingtheit und die Bedingungen zu untersuchen und darzustellen, kann uns dem Gehalt des Textes näherbringen, kann einen Diskurs entfachen, der sich um das Kunstwerk, welches sein Zentrum ist, dreht.
Dass dabei die politischen und kulturellen Verwerfungen im Moment der Entstehung in den Fokus genommen werden, ist bei einem Dichter wie Celan naheliegend bis zwingend.
Während Emmerich den gesamten Prozess, dieses variierende, aber von Anfang an durch die Ermordung der Eltern. die Verfolgung der Juden extrem problematisch sich gestaltende Verhältnis zum Deutschen und zur deutschen Sprache, an der Celan festhält, ins Auge nimmt, fokussiert Böttiger sich auf einzelne, im Kern wesentliche, das heißt, wesentlich dramati-sche Momente der Celan-Rezeption.
Das beginnt im ersten Kapitel mit der Darstellung der Rezeption der Todesfuge im deutschsprachigen Raum, vor allem in der Bundesrepublik. Diese Rezeption ist zugleich geprägt von Missverständnissen und sicher auch von politisch grundierten Fehlinterpretationen, die aus dem Versuch der Interpreten resultierten, die eigene Schuld und Verstrickung aus dem Fokus zu halten. Der realgeschichtliche Hintergrund des Textes wurde in ästhetisch anmutenden Wortkaskaden verwässert. Inwieweit das eine Möglichkeit ist, die der Text selbst bietet, ist eine Problemlage, die Celan begleitet, bis hin zur Aufgabe des öffentlichen Vortrages.
Celans Zerrissenheit zeigt sich auf den verschiedensten
Ebenen. Zuallererst aber scheint sie in einem Konglomerat aus Ästhetischem und Politischem
zu liegen. Einerseits sucht Celan Kontakt zu – im weitesten Sinne – konservativen
Literaten, deren Verstrickungen aber in den Nationalsozialismus und deren
ausgesprochener Antisemitismus eine produktive Beziehung scheitern lassen
mussten. Allerdings schlägt sich dieser unmögliche Dialog auch in Celans
Gedichten wieder, man könnte also behaupten, dass diese Art von Zerrissenheit
ein produktives Moment hatte. Gerade der Austausch mit Heidegger, dem Böttiger
en Kapitel gewidmet hat, das „Knüppelpfade und Holzwege“ heißt, legt letztlich
nahe, dass Celan in der Auseinandersetzung mit Heideggers überhöhtem
Dichtungsbegriff zu einer eigenen, in hohem Maße reflektierten Position
gefunden hat, indem er den Schrecken realhistorischer Erfahrung in den Text
zurückholt.
„Dieser doppelte Verweischarakter ist charakteristisch für Celan. Er bezieht sich einerseits auf Heideggers Sprachphilosophie, aber zum anderen setzt er sie immer auch in Bezug auf seine eigene Geschichte, auf zeitgeschichtliche Erfahrungen, auf den 'Akut' des Heutigen, auf den Massenmord an den Juden.“
Heidegger sei hier auch als herausragender Vertreter dieses
deutschen Konservativismus mit faschistischen und vor allem antisemitischen
Momenten genannt. Spannend ist in diesem Zusammenhang auch das Bild Hölderlins
und die Hölderlinrezeption, die Celan in Absetzung zur Heideggerschen
entwickelt. Immer bleibt hier eine gebrochene Nähe.
Auf der anderen Seite haben wir die Beziehungen zu den
jüngeren Autorinnen und Autoren im weitesten Sinne um Hans-Werner Richter und
die Gruppe 47 herum, die sich antifaschistisch gaben, aber eben ein
ästhetisches Konzept verfolgten, das Celan fremd war. Hier sticht vielleicht
die Beziehung zu Günter Grass hervor, der einige Zeit in Paris lebte und dort
einen intensiven Umgang mit Celan pflegte.
Böttiger zeichnet Celan selbst als vielgestaltigen
Charakter, der durchaus momentweise auch strategisch operierte, und dessen
letzte Lebensjahre von der an Intensität zunehmenden psychischen Erkrankung
mitgeprägt waren. Celan wird also in dieser Studie weder zum Helden verklärt,
noch auf eine Opferrolle reduziert.
Sehr erhellend.