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Hélène Cixous: Meine Homère ist tot

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Fabian Widerna

Hélène Cixous: Meine Homère ist tot. Übersetzt von Claudia Simma. Wien (Passagen Verlag) 2019. 208 Seiten. 24.90 Euro.

Tod als Entität


Wenn man so will, ist Hélène Cixous‘ jüngst in deutscher Übersetzung erschienener Text Meine Homère ist tot (Homère est morte im Original, aber die Übersetzerin und Cixous-Schülerin Claudia Simma sah keine andere Möglichkeit, die Feminisierung des Epikernamens qua Adjektiv ins Deutsche zu retten) eine Art auf knapp 180 Seiten ausgewalzte Wortspielerei auf Basis, oder auf Kosten des notierten Sterbeprozesses Eve Cixous’.

Dieses Buch ist bis zur letzten Zeile von meiner Mutter schon geschrieben. Während ich es kopiere siehe da schreibt es sich anders, kommt von der mütterlichen Nacktheit ab ohne dass ich das will, büßt Heiligkeit ein, und wir können nichts dafür noch etwas dazu tun. (11)

Wenn man so will, macht, aber nicht lediglich, diese Behauptung das Buch zur Zumutung. Zumutung natürlich, wenn die Versuche, die Brüche in der französischen Orthographie und Grammatik, wie sie zum Teil schon im obigen Zitat auftreten, zu übertragen, so beiläufig in der deutschen Fassung aufgehen.
    Zwei Signaltypen gibt die Übersetzerin dem Leser immerhin zur Hand: die mit Asterisken gekennzeichneten im Originaltext bereits deutschen Wörter, sowie die aus Saint-Simons Mémoires-Manuskript übernommenen Tränenzeilen, die jene Stellen im Original markieren, „wo der französische Text die klare Sicht, die wir sozialpolitisch von der Genderfrage zu haben glauben, verschwimmen lässt“ (202).

Abgesehen davon, dass zumindest in den sozialen Milieus, an die ein Text wie der vorliegende sich richten dürfte, zunehmend aber vermutlich auch in breiteren gesellschaft-lichen Schichten, eine ungebrochen konservative Sicht auf die Genderfrage heutzutage nicht mehr gegeben sein dürfte, erscheint die kolportierte Annahme eines sich Aus- bzw. Abdrückens der Frauenkörper in feminin markierten Adjektiven und Partizipien doch etwas naiv – eben wie die pauschale Abschiebung der Geschlechtlichkeit des Textes in die Dissidenz; ganz zu Schweigen davon, dass die Übersetzerin dem zumindest nicht umfassend in Cixous’ Werk geschulten Leser eine Erklärung dafür schuldig bleibt, beziehungsweise warum es „subversiv“ nicht auch getan hätte, und erweckt damit den Eindruck einer gewissen Schludrigkeit im Umgang mit (und insbesondere der Ziel-)Sprache.

Die Be- bzw. Verhandlung der Körper, besonders des sterbenden, bewegt sich darüber hinaus im Rahmen dessen, was man konventionell nennen könnte, weil die Wahl der semantischen Register die Körperlichkeit der Protagonistin zwar in punkto Verfall und der Zu- und Übergriffe darauf zunehmend intensiviert wird, umso näher der immer wieder aufgerufene Endpunkt des Sterbens rückt, aber eigentlich nicht einmal subvertiert (allerdings insofern man sich nicht in der Rolle sieht, die extreme Nähe unvermeidlichen Todes als das Tabu einer kolportiert todesabgewandten Gesellschaft zu akzeptieren), wenn man nicht gerade soweit gehen will, dass das töchterliche Subjekt die bloß bezeugte Symbiotik der Beziehung zum literarischen Objekt sterbende Mutter pornographisch objektifiziert – sprich: das geschrieben habende Subjekt der Mutter ist eine bloße Behauptung und gerade trotz der feministischen/emanzipatorischen Diskursmomente, die mit dem Namen Cixous heutzutage mitschwingen müssen, so paternalistisch, wie man es sich nur vorstellen kann (bzw. kann man sich allenfalls vorstellen, dass die notwendigen Zu- und unreflektierten Übergriffe eines traditionalistisch antizipierbaren männlichen Subjekts aller Wahrscheinlichkeit nach weniger unmittelbar erfolgten).
   Sprich: als Bewältigungstext einer komplizierten, angenommen ziemlich umfassenden Beziehung des Kinds zum Tod des mütterlichen Elternteils mit biographischen Zugriffen und insbesondere Kontextualisierungen wäre Meine Homère ist tot meiner Ansicht nach und in Unkenntnis des französischen Originals weniger problematisch, als das Produkt der Übersetzung.


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