Heinz Peter Geißler: Ich geh mir einen Vogel fangen u.a.
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Jan Kuhlbrodt
Heinz Peter Geißler: Ich geh mir einen Vogel fangen u.a.
Schupfart (Engeler – Neue Sammlung 003) 2021. 82 Seiten. 10,00 Euro.
Zu Heinz Peter Geißler
Ich geh mir einen Vogel fangen u.a
„Wenn sich die Gebilde hineinbilden und Erinnerungen heißen.“
Im Verlag Urs Engler gibt es eine Neue Sammlung. Das allein,
scheint mir, wäre schon Grund zur Freude. Als Band 3 ist dieses Buch von Heinz
Peter Geißler erschienen.
Der Band beginnt mit einer langen Reihe dreiversiger
Strophen liedhaft nach dem Schema aba bcb cdc …. Und er beginnt mit einem
leicht abgewandelten Volksliedvers, Nicht „Der“ sonder „Mein Winter ist vergangen.“
Aber statt des Maien Schein begegnen wir dem lyrischen Ich, wie es mit
Leimruten hantiert, Vögel zu fangen. Der Reim trägt diesen Inhalt, quasi ein
klassisches Lausbubengedicht aber gerade eine Seite lang, also fünf Strophen,
dann lässt er die Handlung ausufern. Verwandlung folgt auf Verwandlung, das Ich
wird zum Vogel – der Reim tritt auf als Befreier der geleimten Kreatur.
„Ich bin nicht richtig hierIch schlage eine Richtung einEs gibt ein Gegenteil von mir“
Er, der Text, lässt das Ganze auch wieder in die
Gegenrichtung kippen. Vögel verschwinden. Aus dem Hin und her ergibt sich ein neuer Winter, der sprachlich sich
ankündigt. Natürlich ein Sprachwinter. Wie alles im Text sich aus Sprache ergibt.
Anfangs eben noch aus einer gebundenen Sprache, rhythmisch und nicht nur im
Reim volksliedhaft, gebunden, fast gefesselt. Gefangen im Formengerüst. Die
Sprache windet sich und biegt sich in Konstellationen. Sie kreiselt und meint
nach einer Zeit sich wieder im Winter beruhigen zu müssen.
Wo er Dicke Dinger fraßAber schon im NachhineinAls ich im Kalender laswird es in die Bäume schneinHalt ihn fest! Halt ihn fest!Bald wird wieder Winter sein

Der Leser, die Leserin betrachten den Sprachkampf, wie er oder sie eine Fliege betrachtet, die sich gerade in einem Spinnennetz verfangen hat. Zumindest ging es mir so. Auch hier scheint das Tier sich zuweilen in sein Schicksal zu ergeben und zur Ruhe zu finden, bevor es in einem neuen Anlauf versucht, dem Netz zu entkommen.
Der zweite Teil des Buches beginnt mit dem im Titel angekündigten „u.a.“ Hier werden aus den Gedanken Prosagedichte. Aber auch hier bindet die Sprache sich selbst. Es wird mit sprachlichen Erwartungen gespielt und die Erwartung unterlaufen. Und immer wieder geht es auf den Vers, auch auf den Reim zurück.
Von Weitem sind die Bäume großVon Nahem sind sie alt
Interessant, spannend, fast atemberaubend ist es, dass immer wieder auch eine außersprachliche Realität, zuweilen Brutalität in die Textwelt einbricht. Sie kann das natürlich nur in sprachlichem Gewand, als Sprache verkleidet:
„Mir träumte neulich von einem Gegenstand, er war hell. Ich wußte, dass er hell war, ich erinnerte mich an ihn, weil er ein Wort war: das Waldlicht der Preußen.“
Der Band kulminiert auf Seite 80 übrigens in zwei letzten Texten, die das Ganze sprach-philosophisch und mystisch vibrieren lassen. Großartig!