Heinrich Detering: Untertauchen
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Timo Brandt
Heinrich Detering: Untertauchen. Gedichte. Göttingen
(Wallstein Verlag) 2019. 95 S. 20,00 Euro.
Wehmutsufer
„ein Zaun ein Wald und eine Toreinfahrtein Warnschild ein kopfschüttelnder Gärtnerjederzeit war unser Weg zu Ende“
Viele Gestalten und Schauplätze beherbergt der neue
Gedichtband von Heinrich Detering, darunter Elvis und Odysseus, die sterbende
Annette von Droste-Hülshoff, einen einarmigen Bademeister, eine entlaufende
Schildkröte namens Paula, den Rittmeister der britischen Kavallerie bei
Waterloo, die Drachenüberlegungen von Athanasius Kircher, sowie Ithaka, den
Wolfsgalgen, Selkirks einsame Insel, Karst und Ceylon, Großmutters Haus und ein
Milch-geschäft, um nur einige zu nennen.
Diese Auflistung kann vielleicht einen Eindruck von der
Vielfalt der Motive geben, muss aber ergänzt werden um den nachdrücklichen
Hinweis, dass Detering diese Namen nicht einfach nur aufruft, sondern filigran
intoniert, ihre Präsenz in den Gedichten mit eingängigen Anklängen und
Anspielungen unterstreicht. So bekommt ein Gedicht über Klopstock und den Mond
etwas odenhaftes, die Legende vom Kavallerieoffizier in Waterloo wird mit viel
Aberwitz und Parodietönen bedacht. Überhaupt hat der Band auch immer wieder
Sinn für unverhoffte Komik.
„wenn abends im Dämmern die Sachen erwachendann regt sich im Schaukelpferd leise der Drachendann wird aus dem aufziehbaren Hähnchenaus Plastik ein schauriges Leviathänchen“
Neben den Motiven aus Literatur und Weltgeschehen sind auch
zahlreiche autobiographische Gedichte enthalten, die sich vor allem mit
Kindheit und Aufwachsen, Nachkriegszeitatmosphäre und rückblickend entlarvten
oder mit Wehmut belegten Gefühlen auseinandersetzen – und mit den Untiefen in
all diesen Erinnerungen, Lebensabschnitten. In einem Gedicht, das mit „Sommer
1959“ (Deterings eigenem Geburtsjahr) betitelt ist, heißt es:
„ein Fisch war ich ein Frosch ein Ding aus Fellein blindes Vogeljunges wuchs im Leib[…]so schwamm ich flog als Buddy Holly starbim grausamen April von Kind of Blueim Sommer in dem Che auf Kuba siegte[…]und bin noch jedes Tier das ich da warbin Kraut und Frosch und trage Flaum und Fell“
In einem anderen Gedicht geht es um ein blendend weißes
Milchgeschäft (Celans Todesfuge ist mehr als einmal als Anspielung, Gegensatz,
Vorbild erkennbar), dessen Besitzer Jahrzehnte später (vermutlich für
Verbrechen während der Nazizeit) vor Gericht kommt, die klinische Atmosphäre
des Geschäfts bekommt mit einem Mal etwas Erschreckendes.
Trotz der zahlreichen düsteren Anklänge hat der Band in
vielerlei Hinsicht etwas Liebenswürdiges, Vertrauenerweckendes an sich. Das mag
am eingestreuten Witz, an den vielen doch sehr zärtlichen Bildern liegen, aber
hat vielleicht auch damit zu tun, dass sich Deterings lyrisches Ich bei seinen
vielseitigen Darstellungen oft zurücknimmt, lediglich illuminiert und
beschreibt, kaum wertet und agiert, jedoch als empfindendes, empfindsames
lyrisches Ich wahrnehmbar ist, als betroffene Größe greifbar wird.
Dieser Eindruck des Empfindsamen gibt dem Band auch einen
Anstrich von Wehmut. Oft sind es Geschichten über verlorene Schönheit,
verpasste Chancen, schmale Idyllen und Paradiese, die erzählt werden, immer
wieder gebrochen durch ein ruhiges, manchmal frohes Bejahen, aber dennoch im Grundton
mehr moll als dur.
„auf die Frage wo denn seinTor zur Heimat sei wies derDichter Cui Hao aufden Dunst überm Fluss im Taldas dort sei es das allessei es das da sei alles“
Die hohe Anspielungsdichte und die Wandelbarkeit des Tons
von Gedicht zu Gedicht machen den Band zu einem entdeckerischen Lesevergnügen,
zu einer Reise an viele Gestade, zu vielen Ufern.
In einem kurzen dreiteiligen Zyklus beschreibt Detering die
Tauchgänge des österreichischen Malers (und Diplomaten) Eugen von Ransonnet-Villez,
der mithilfe einer (nach seinen Angaben gebauten) Taucherglocke am Grund des
Meeres (allerdings in seichten Gewässern) zeichnete und malte.
Allein für diese wunderbaren drei Gedichte, in denen
Detering die neue Welt, die sich Ransonnet eröffnete, beschreibt, lebendig
werden lässt, lohnt sich die Lektüre. Außerdem ist diese Geschichte eine gute
Metapher für das, was Detering auch in vielen anderen Gedichten gelingt: er
taucht in eine Szenerie, einen Ton, eine Erinnerung, eine Stimme ab und zeigt uns
wie die darin gebrochenen Farben, Landschaften, Bewegungen leuchten, aussehen.
„später überm Heimweg lichtete sichder Vormittag es wurde wieder hellwie im Kino sagte ein Trauergast“