Heike Fröhlich, Ricarda Kiel: Outfits
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Fabian Widerna
Heike Fröhlich, Ricarda Kiel: Outfits. München (Materialien –
Materials) 2020. 44 S. 7,50 Euro plus Versand.
Vervielfältigungen von Voraussetzungen für
später
„der Besen fliegt nur mit Selbstwertgefühl
und Erregung“ [Fröhlich, Hexenoutfit, 3], lautet die erste Zeile des im
Spätjahr 2020 in der Münchner-Dependance des MATERIALS / MATERIALIEN-Verlags
erschienenen Bands outfits der Autorinnen
Heike Fröhlich und Ricarda Kiel – und wenn man schon einmal eine Zeile finden
möchte, die par excellence für das Lebensgefühl
eines ganzen Bands zu stehen hat,
dann ist es diese. Das ist zu einfach, könnte man einwerfen; keine pars pro
toto-Setzung steht schließlich für die tatsächliche Gesamtheit dessen, wofür
man sie einsetzt. Eher für einen Standpunkt, eine Betrachtungsweise, die man
mit der Setzung zu lenken gedenkt.
Der Besen übernimmt dabei aber
nicht die Verantwortung für irgendeine Form normativierbarer Kontinuität, quasi
als Vorbedingung dafür, dass auch die folgenden Texte keine definitive Stellung
beziehen, die sich für eines der postkolonialen Superkonzepte, Hegemonie oder
(subversive) Dissidenz, einspannen ließe – ist von vorn herein ambivalent,
„eine Katzenangel, ein striemendienlicher Rohrstock“ [3], somit ein Instrument
der Herrschaft über die Affekte von Dritten, Spieltriebe, zur (potentiellen)
Züchtigung oder Erregung von Lust. Auch
die Setzung des Selbstwertgefühls als zweiten wesentlichen Treibstoff des wesentlichen
Fortbewegungsmittels der Hexe westlicher Ausprägung zeigt die Fähigkeit und
Bereitschaft, sich sowohl der Übersteigerungen als auch der Insuffizienzen der
Selbstwirksamkeitserwartungen als nahezu unerschöpfliches Reservoir zu bedienen,
also Mobilität allein damit zu generieren, dass man ist und sich einschätzt.
Im Großen und Ganzen folgen die
nachfolgenden Gedichte dann immer demselben Schema: mehr oder weniger greifbare
Situationen (häufig schon im Titel aufgerufen („für die Postapokalypse“ [8],
„für einen Spaziergang“ [12] etc.) werden mit Couture-Versatzstücken attribuiert,
(„eine[r] Mütze aus Holz“[Kiel, Mein Outfit für einen Spaziergang, 12], „nur
noch Jogginganzüge[n] mit Kapuze“ [Kiel, Mein Outfit für die Zeit im Wald, 13],
„einer Camouflage aus Städten“ [Fröhlich, Mein Outfit für den Transfer, 29])
die sich mal mehr mal weniger qua Konvention auf die Situation beziehen lassen,
der sie jeweils dienen.
Mehr als in diese Versatzstücke
kleiden die mit wenigen Ausnahmen durchgehend selbstreflexiven lyrischen
Sprecher* innen sich dementsprechend in situative Collagen, während die Körper, die diese bedecken (sollen), nur
sporadisch zum Vorschein kommen, als „krumme Nase oder schiefe Vulva“[3], „sich
erweiternde Schweißherde \ in der hinteren Mitte, am unteren Rücken“ [Mein
Outfit für den Transfer, 28], oder teilweise, wie im ersten (Hexen-)Outfit, in
ihren Teilen selbst nur „an unseren Körpern“ getragen werden wie
Kleidungs-stücke:
die Zitzen zum Spritzen, die Drüsen zum Sprühenein Säckchen zwischen den Schenkeln, ledrige Hautdarin ein Zahn, ein paar Haare, der Rest wärmt als Stulpenals Westchen die Achseln, Flaum, Lippe, Kinn, Kragenein Glossing für Grau und daran samtlange Armeein Panzer aus Rippen, die Schilder der Knie [3],

In formaler Hinsicht sind weder
die Beiträge Heike Fröhlichs, noch die von Ricarda Kiel, wie im Übrigen viele
zeitgenössische Gedichte, übermäßig ambitioniert und leben von der
durchgehenden rhythmischen Konsistenz, die es leicht macht, einerseits, in den
Band einzusteigen. Andererseits vom teils subtilen, teils extensiven, teils
oxymoronalen Witz, der sich so beiläufig durch die Texte zieht, wie es schon in
Kiels 2019 bei hochroth München erschienenen Debutband Kommt her ihr Heinis ich will euch trösten der Fall war, gepaart mit surrealen,
science fiction- und fantasyesken Details einer Welt, die ihren
Protagonist*innen alles zu wollen und zu sein erlaubt, was sich aus dem assoziativen
Strom ergibt, oder aus den Untergründen von Begehren, utopisch quasi, mit
„Mütze[n] aus Holz / um sie anzuzünden am frühen Morgen [12], „in den Beinen / Tannennadeln,
die ich mir / wie eingewachsene Haare ausdrücke“ [Kiel, Mein Outfit für den
finnischen Winter, 20] „Banes Maske [als] Bauch mit Zitzen“ [Fröhlich, The
Maulout, 23], oder „himbeerfarbene[n] Highwaistleggins / Vulvahügel im Display,
verziert fürs Tier“ [Fröhlich, Mein Outfit für den Stierkampf, 26].
Dabei bleiben die einkleidenden
Peripherien durchweg eher lokal auf unmittelbare oder immerhin konkret
angesteuerte Umgebungen (Mexiko, Niederkunft, innere Wahrheit) beschränkt; die
Aus- und Wechselwirkungen der Welt und zwischen Welt und lyrischem Selbst haben
keinen Platz hier, zumindest keinen offensiven. Die Postapokalypse [Kiel, 8]
etwa ist keinerlei Grund zur Beunruhigung, eine Begleiterscheinung, die die
lyrische Person ohne Reflexe auf globale Folgen und Ursachen integriert –
nicht, dass das notwendig wäre: ein größerer Maßstab, eine Welt als Vorstellung,
die über die momentanen Reaktionen auf ihre Verhältnisse hinaus eine Art Willen
artikulierte, mehr zu gestalten, als es das Outfit als Reaktion auf die
Anforderungen tradierter Alltäglich- und Gesellschaftlichkeiten gemeinhin
zulassen mag.
Das ist dann wiederum eine, wenn
nicht sogar die Stärke dieser Texte, ihre
Leichtfüßigkeiten beim bisweilen wilden Amalgamieren unterschiedlichster Lebens-
und Themenbereiche, ohne dass dabei der Eindruck allzu forcierter Artikulierungen
des titelgebenden Themas entsteht. Und das ist erfrischend, gerade gemessen an
der Homogenität, mit der es den beiden Autorinnen gelingt, wörtlich „alles […]
auseinander[fliegen], […] ränderlos“ werden zu lassen – und das trifft es
wahrscheinlich ganz gut, was hier vorgeht: „so fühlt sich Adrenalin an, Kampf
oder Flug“ [Fröhlich, Mein Outfit zum Einschlafen II, 40].