Hartwig Mauritz: die toten schlafen fest
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Stefan Heuer
Hartwig Mauritz:
die toten schlafen fest. Gedichte. Aachen (Rimbaud Verlag, Lyrik-Taschenbuch
Nr. 136) 2023.72 Seiten, Klappenbroschur 20,00 Euro. ISBN
978-3-89086-391-7
Zwischen den
Wänden, ein Knirschen und Knistern –
der neue
Gedichtband von Hartwig Mauritz
Ein neuer
Gedichtband von Hartwig Mauritz – mehr muss man Lyrikkennern zwar eigentlich
nicht sagen, ein paar Zeilen aber doch:
die toten schlafen fest ist bereits Hartwig Mauritz‘ vierter
Gedichtband beim Rimbaud Verlag Aachen (nach wälder kommen auf uns zu
von 2017, zentralgestirn von 2020 und schwarze landschaft aus dem
brillenetui nachts aus dem Jahre 2021).
Wie nicht
anders zu erwarten, liefert er mit sicherer Hand gesetzte, stimmige Zeilen
–liegt es also an mir und meiner momentanen persönlichen Situation, so kurz
nach dem überraschenden Tod meines Vaters, dass ich die Gedichte des neuen
Buches so anders lese und wahrnehme als die Gedichte der vorangegangenen Bände?
Während mir seine bisherigen Gedichtbände nicht selten recht wissenschaftlich erschienen
und ich das Gefühl hatte, sie mit dem Gehirn zu lesen (was mich nie gestört
hat), so stellt sich bei mir bei den meisten der neuen Gedichte das Gefühl ein,
den Kopf weitestgehend ausschalten und mich ganz der Stimmung des jeweiligen
Textes hingeben zu können.
Schon das
titelgebende Gedicht zeigt auf, welch kleines Universum aus einer im Grunde
simplen Feststellung entstehen kann:
die toten schlafen festihre stimmen rauschen in den bäumen, auf ihren wunden hat sich grind gebildet. sie kennen keinen klingelton. sie lassen ihre seele am sterbebettbezug zurück, suchen neue fülle, frieren, zittern nichtnie wieder sagen sie den zweiten hauptsatz auf. die vögel singen, über ihren gräbern stellen sie ihren schatten ab. keine laterne scheint, in ihrer stillen nacht sind sie nicht sanft gestorben. zum abschied kreistder mond um sie herum. die toten sind unter den horizont gefallen. aus ihnen sprießen kräuter, friedhofsblumen. ihre knochen sind von schlaf bedeckt. wir müssen den spaten nehmen, sand. die landschaftlastet schwer auf ihnen. die toten sind mit dem wurzelwerk vernetzt und testen ihren glauben: glocken hetzen letzte laute, grablichter flackern. im wartezimmer blasen engel ihre kerzen aus.(S. 48)
Wie gesagt:
Wahrscheinlich liegt es am Momentum, dass ich die neuen Gedichte anders lese –
keineswegs möchte ich Hartwig Mauritz absprechen, auch schon seine früheren
Gedichte mit Gefühl geschrieben zu haben. Offensichtlich erwischen mich die
Gedichte gerade mit extrem offenen Sinnen, auf einem sensiblen Fuß, so wie
dieses, das in seiner Beklemmung an eine Kurzgeschichte von Kafka oder ein
surrealistisches Gemälde erinnert:
dein atem wird von der stille wach. schlaf holt schlaf aufdein fenster öffnet stadtgeräusche. die turmuhrschlägt gedanken durchs zimmer und schritte am ende des gangskribbelt es, juckt es im bein. fliegen brummen, das zimmer sagtdu bist noch da. dein kopf rahmt stimmen und steinetrennwand aus fleisch. wasser rauscht, im hintergrund dein nachbarein nachtmahr, der in deine wohnung dringt, sitzt in den mauernknistert und knirscht. dunkelheit verengt die wände. abendsin einen rostigen traum gestiegen. deine augäpfel liegen gefroren.(S. 41)
Das Zimmer sagt, man sei noch da … das klingt zunächst einmal
beruhigend, aber ist es das auch?
In vier
annähernd gleich langen Kapiteln (mit Titeln wie VERGÄNGLICHKEIT DES MATERIALS
oder DIE BILDER WACHSEN ZUR WILDNIS) präsentiert die toten schlafen fest
Gedichte, die an die familiäre Substanz gehen. Das Selbst, das eigene
(Er)Leben, aber auch bedrückende Kriegserlebnisse der großväterlichen
Generation (überhaupt sind der Zweite Weltkrieg und seine Nachwirkungen hier
sehr präsent), der in Tieren und Schatten, Licht und Wind verklausulierte Gang
der Zeit. Eine wortreiche, bis in die kleinsten Ritzen hereinreichende Ballung
und Streuung der eigenen Biografie.
Mit der
Lebenserwartung in der Bundesrepublik ist es ja so: Bei Frauen liegt sie nach
aktuellster Statistik bei 83,2 Jahren – bei den Männern immerhin noch bei 78,3
Jahren. Nicht schlecht im Allgemeinen und ganz hervorragend für Hartwig
Mauritz, der am 27. März 2024 gerade mal seinen 60. Geburtstag feiert – ein
gutes Alter! Man hat schon was erlebt, ist aber noch nicht senil. Die Kinder
sind für gewöhnlich aus dem Haus, man hat wieder mehr Zeit für sich und die
kleinen Freuden und als Autor/Künstler seinen Stil entwickelt bzw. gefunden.
Und
wie schön, wenn man nicht nur im Privaten, sondern auch aus verlegerischer
Sicht seinen Heimathafen gefunden hat und nicht mehr herumvagabundieren muss:
Ich jedenfalls wünsche Hartwig noch viele zufriedene Jahre bei bester
Gesundheit – und auch mir und anderen wünsche ich noch viele weitere
Gedichtbände von ihm, gerne bei Rimbaud!