Harry Martinson: Naturbetrachtungen
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Timo Brandt
Harry Martinson: Naturbetrachtungen. Aus dem Buch der
tausend Gedichte. Schwedisch / deutsch. Übersetzt von Peter Zimmermann. München
(Aphaia Verlag) 2019. 190 Seiten. 17,00 Euro.
Ein Versuch des
Paradieses
„Eine blühende Wiese beschreiben gelingt nur ihren Schmetterlingen,sie recht besingen nur ihren Bienen.“
„Die vorliegende Auswahl von Gedichten Harry Martinsons konzentriert sich ganz auf die Naturlyrik. Gedichte, die in präzisen Einzelheiten Naturphänomene beschreiben, oft mit ungewöhnlichen Bildern und Wortneuschöpfungen oder aus überraschender Perspektive, finden sich in allen seinen Gedichtbänden.“(aus dem Vorwort)
Es ist schön, dass von Harry Martinson – nachdem er vom
Guggolz Verlag als Prosaautor wiederentdeckt wurde (dort erschien vor 2 Jahren
sein Erlebnisbericht „Reisen ohne Ziel/Cape Farewell“) – nun auch wieder eine
Auswahl von Gedichten vorliegt. Ich besitze von seinen Gedichten noch eine
alte, einmal in einem Antiquariat aufgestöberte Ausgabe aus der Lyrikreihe von
Volk und Welt, Titel: „Die Henker des Lebenstraumes“, in der mich manche Texte
früh mit ihrem geringen Zug zur Form und ihrer mannigfaltigen Bilderwelt
beeindruckt haben.
„Im Sumpf baut die Kiebitzin ihre Kanzel: Äste und Zweige überkreuz.Von hier aus wird sie drei Monate lang die Wetterprophetin seinund den Regen verkünden, der auf die Feldvogelscheuche fallen wird,in deren Lumpen rote Ameisen leben.“
Die im Aphaia Verlag erschienene Auswahl konzentriert sich,
wie man auch dem Zitat oben entnehmen kann, auf die Naturgedichte von
Martinson, aus allen Perioden seines Schaffens. Im Vorwort, das auch eine
kleine Einleitung in Martinsons Biographie und Poetik darstellt, weißt der
Übersetzer Peter Zimmermann auf die besondere Zuneigung Martinsons gegenüber
der Natur hin, erklärt dies auch mit einigen frühen negativen
Lebenserfahrungen, in deren Folge die Natur zu einem „Gegenpol zur mitleidlosen
Erwachsenenwelt“ geworden sei.
Die Texte sind in vier Abschnitte unterteilt, die, grob
zusammengefasst, Beiträge aus Früh-, Mittel- und Spätwerk, sowie Texte aus dem
Nachlass umfassen (wobei der Nachlassteil der umfangreichste ist). Ebenfalls
enthalten ist neben dem Vorwort ein Essay von Martinson über Naturschilderungen.
Alle lyrischen Texte sind in Schwedisch und Deutsch abgedruckt.
„über die Wälder meilenweit: das hallende Hämmern eines Schwarzspechts.Er weckt einen Fuchs,und der bemooste Block am schwarzen Auge des Fuchsbausblickt verschlagen in seinen eigenen Schatten.Die Sonne, ein schimmerndes Eidechsenhuschen, klettert den Espenstamm hinauf.Die Preißelbeeren stehen in der Blüte ihrer Jugend.“
Die Texte aus dem Früh- und Mittelwerk erinnern in vielen
Sentenzen und eigenwilligen Illuminierungen und Anverwandlungen an die Lyrik
eines anderen schwedischen Nobelpreisträgers: Tomas Tranströmer, dessen Name
auch im Vorwort fällt. Die nah am Überschwang gebaute, aber dennoch filigrane
Belebung, die Tranströmer in seinen Gedichten gelingt, könnte in der Tat einige
ihrer Wurzeln in Martinsons Frühwerk haben.
Im Nachspüren der einzelnen Lebewesen, vor allem im Spät-
und Nachlasswerk, erinnert mich Martinsons Lyrik auch dezent an die, meist aber
kompromissloseren, weniger malerischen Naturgedichte von Ted Hughes.
„In jedem Grasbüschel ein Schwarm von Experten,auf jedem zweiten Halmein Geziefer mit filigranem Instinkt.Ständig gehen Signale ausvon sorgfältig messenden Krabbeltieren.Alle werden sofort aufgefangen.Jeder Augenblick ist kostbar für alle.Alle wollen die Kontrolle behalten,die Stunde überleben,womöglich den Tag.“
Die meisten Gedichte sind kurz (keines länger als eine
Buchseite) und bestehen nicht selten aus einer Reihe von präzisen
Einzelbeobachtungen, die sich manchmal zu einer umfassenderen Betrachtung/Transzendenz
verdichten. Die Lebendigkeit der Gegenstände wird mitunter durch überraschende,
aufgeladene Vergleiche unterstrichen, hervorgehoben, bspw. wenn Martinson einen
Wachholderstrauch so beschreibt:
„Zwischen den Stechnadelnsitzen die Beeren schwarmweisewie aufgefangene Schrotkugeln.Nichts kann ihnen etwas anhaben.“
Weniger geht es darum, der Natur ein konkretes Angesicht
oder einheitliche Bezugspunkte anzudichten, vielmehr versucht Martinson
Augenblicke, in denen Natur das Geschehen, die Wahrnehmung durchdringt, fassbar
zu machen, diese Durchdringung zu verankern.
„Die Farne verwandeln sich rauschend in grüne Prachtfedern eines betauten Riesenvogels.Und wer vorbeikommt, spürt, wie ihm entgegen wehtdie große Umarmung eines reinen Atemzugs.“
So entsteht eine Lyrik, die mit Eindrücken arbeitet, wenig
Fragen aufwirft oder wenn, nur indirekt. In den Bildern konzentriert sich aber
natürlich auch eine Form von Ungewissheit, und eine Frage schwingt immer mit:
wenn wir sehen, wahrnehmen können, wie sich die Natur organisiert, müssen wir
da nicht unsere zivilisatorischen Bemühungen, unsere hohen Ansichten von der
menschengemachten Welt hinterfragen?
„Entlang der Echopfade zurück.Dort ruhen die Worte im Schrein ihrer alten Bedeutungen.“
In ihrer Belassenheit, die nicht mit einem Idyllenhegen
verwechselt werden sollte, diesem aber auch nicht ganz entgeht, wirken die
Gedichte hier und da etwas anspruchslos, vor allem im Spätwerk (im Nachlass
gibt es dann wiederum einige spannende Abweichungen). Dass in diesen Gedichten
viel Schönheit steckt, ist keine Frage – sie sind teilweise herrlich, auf eine
unaufdringlich schöne Art und Weise. Martinsons Zeilen weisen uns alle in die
Natur, zeigen auf sie und sagen:
„Da ist das Leben vollbeschäftigt,das zu sein, was es ist: ein Paradiesversuch.“