Harald Albrecht: Wie duftet die auf Bibel kalibrierte Sprache?
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Jürgen Brôcan
Harald
Albrecht: Wie duftet die auf Bibel kalibrierte Sprache? München (Aphaia Verlag)
2020. 96 Seiten, 17,00 Euro.
Gottesanbeterin, aus Sprache gemacht
»Wie duftet die auf Bibel kalibrierte Sprache?« fragt Harald Albrecht
nicht wenig provokativ und liefert darauf eine keineswegs frömmelnde, sondern
säkular aufgeklärte und synästhetisch aufgeladene Antwort in Gestalt seines
neuen Gedichtbands. Albrecht gelingt es nämlich, auf ziemlich raffinierte Weise
die Grenzen zwischen Bild und Metapher zu verwischen, indem er die Partikel der
Sprache eindringen läßt ins Gewebe der Gedichte, so daß sich semantische
Bedeutungen und bildhafte Evozierungen vermischen. Dabei wird freigesetzt, was
die verschiedenen Kunstbereiche auf ihre Tauglichkeit hin abklopft, sich
gegenseitig zu erhellen und zu verstärken.
Es fällt zunächst ins Auge, daß sämtliche Gedichte des
vorliegenden Bands in dreizeiligen Strophen verfaßt sind, manchmal greifen die
Texte sogar direkt ineinander über, haken sich ein, verhaken sich, so daß mit
gewissem Recht von einer langen Sequenz gesprochen werden kann, die sich vor
allem als auktoriale Reaktion auf die Begegnungen mit den verschiedenen
Kunstbereichen und als eine Reflexion über die Möglichkeiten, sie in Sprache zu
artikulieren, darstellt. Somit ist das Buch insgesamt ein Itinerar irgendwo
zwischen Notat und Werk, denn etliche Gedichte sind datiert oder verweisen auf
einen bestimmten Ort. Wobei einige von ihnen offenbar direkt mit der Biographie
des Autors verbunden sind, andere dagegen eher einer geschichtlichen Skala
angehören.
Die dreizeiligen Strophen suggerieren die Dreifaltigkeit der
Sprache, halluzinatorisch, erhellend, spielerisch, einschließlich Max Ernsts
Alter Ego, des Vogelfürsten Loplop, und beinahe ist man sogar versucht, einen
vierfachen Schriftsinn auszumachen, denn selten einmal präsentiert sich einem
ein Gedichtband derart komplex und in sich geschlossen. Diese lyrische
DNA-Struktur bedeutet: »mein Bauchvertrauen: die | Einbeziehung des Runden |
ins Geviert, seine | Quadratur, ein Tor || im Gastspiel | meiner Sache mit
mir«. Wer im Geviert noch die Anspielung auf Heidegger entdeckt, darf sich
glücklich schätzen, ist er doch der Faktur der enggeführten und enggewobenen
Gedichte ein Stück näher gekommen.
Albrechts Gedichte sind nämlich philosophisch, durchdrungen
von Bildungslust, auf der Suche nach einer Sprache für die Darstellung und
zugleich im Bewußtsein, daß es die Sprache ist, die unsere Wahrnehmung der
Dinge beeinflußt, wenn nicht sogar formt. Überhaupt sind es eben diese Formen,
die bedeutungsstiftend sind – so hier beispielsweise das Ricercar, in
Anspielung auf Bachs »Musicalisches Opfer« sprachlich durchexerziert, oder die
»Violon d’Ingres«, in der sich alle Motive von der Musik (das Instrument) über
die Malerei (Ingres, der das Violinspiel liebte) bis zur Photographie (Man Ray)
und zur Sprache (die frz. Phrase bedeutet ungefähr: ›Steckenpferd‹,
›Leidenschaft‹) entfalten. Solche kleinen Leitmotive durchziehen alle Texte und
knüpfen zusammen, was das ironische Gelächter wieder aufzulösen droht. Denn das
Ernste und das Harlekineske des Lebens liegen zuweilen dicht beieinander.
Hörst du den Tag, der– lachend – Strich zieht unterso wenig Horizont?!Spürst du die Kugeldeines Schreibers, dasDing, auf das du stehst?
Diese Zeilen belegen, daß trotz des hohen Abstraktionsgrades
der Gedichte durch syllabische Abhorchung der Sprache immer eine lebhafte
Verbindung zu den Dingen der Welt ringsum besteht, ja, daß die Welt selbst, samt
ihren Kunstwerken, das Gedicht welthaltig und somit lebendig macht. Albrecht
setzt alle verfügbaren Mittel ein, polyglott, verschmäht auch das Wortspiel und
das reine Zeichen nicht – etwa die Signatur Albrecht Dürers, das große A, das
ein kleineres D überdacht. Die Sprache mit ihren Duftpartikeln fungiert als
Motor, der die Texte antreibt, ihre Assoziationen vorwärtsbringt, sie jedoch
auch im Grundkreis der Bildung bändigt, um die Vielfalt zum Glänzen zu bringen.
Das Gedicht über die »Mantis religiosa« zum Beispiel verhehlt den Ursprung aus
der Sprache erst gar nicht: »Diese hier ist aus Sprache gemacht, einer deutlich
gottesanbeterischen«, denn sie wird zu einer Allegorie über die Sprache aus
Sprache, die zugleich wieder das Tier selbst in ein anderes Licht stellt, ja,
sogar die Sprachschöpfung an die Seite der realen Schöpfung stellt.
Übrigens wird die Frage, wie die auf Bibel kalibrierte
Sprache duftet, im Verlauf des Buchs
ganz konkret beantwortet: »Sie werden lachen: nach Brecht.« Doch auch
nach viel mehr duftet sie, nach dem Staunen über das Faktische bis hinein ins
Unsägliche, nur erst mysteriös Gespürte:
Ein Zeigefingerleser uräischen Geräkelsder Schrift: Nachahnung lichter Weite
Sicherlich ist Harald Albrechts (nebenbei: anmutig nüchtern
gestalteter) Band über weite Strecken eine intellektuelle Herausforderung, aber
wenn man sich ihr stellt, wenn man den ständigen Einbruch modernen Materials in
die Sicherheit einer scheinbar vertrauten Tradition verkraftet, dann öffnet
dieser Poeta doctus den Lesern die Nüstern für die aromatische Sprache der
Gegenwart, in der alles einen aufregenden Platz finden kann, an der heiklen
Schnittstelle von Wahrnehmung des Subjekts und Eigenheit der Dinge. »Aufstieg
ist Höllenfahrt«, heißt es an einer Stelle, womit die Doppelnatur der Kunst
knapp umrissen wird, und wenn dann im letzten »Ab- und Schwanengesang« noch die
Worte »Sterne« und »Liebe« auftauchen, fällt einem schnuppenhell die Erkenntnis
von den Augen, daß hier nicht nur ein Hohelied auf die Sprache, sondern auch
eine Dantesche Komödie in nuce vorliegt. Harald Albrechts eigener,
unerhörter, nur sehr selten vielleicht ein wenig zu asketischer Ton vermag
darum die Aufmerksamkeit noch lange zu fesseln. Dies ist ein wichtiges Buch.