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Hans Leybold: Auch ein Nekrolog für Christian Morgenstern

Moderne

Auch ein Nekrolog
für Christian Morgenstern


O Christian, wir glätten weinend unsre Bügelfalten:
auf Feuerleitern krochen wir mit dir in rhythmische Gerüste.
Mit dem Zement der Ironie ausfülltest du die Spalten
vermorschter Traditionen Mauer. O metaphysisches Gelüste.
O Huhn und Bahnhofshalle! Weit entfernte Latten!
Ihr Wiesel, Kiesel, mitten mang det Bachjeriesel!
Palmström, du ohngeschneuzter, den sie kastrieret hatten!
Genosse Korf, du nie banaler Wennschon – Stiesel!
(Verzeiht den Kitschton. Mich übermannte hier die Rührung.
Verzeih besonders du, Kollege Untermstriche:
schon hab ich in der harten Hand der Verse Führung
wieder; und komme mir auf meine Schliche.) –
Nun quäkt der Turmhahn geil auf Staackmanns Miste
sein Kikriki, und ist bald Ernst, bald Otto.
Verleger reißen sich die Haare aus, als ob das müßte,
und spielen mit der Perioden-Presse trotzdem Lotto.
O Christian: wie später Gotik wandgeklatschter Freske
(im spitzen Reigen härmender sebastianischer Figuren):
du paßtest nicht in unsren Krämerkram, du fleischgewordene Groteske;
nicht schmiegte sich dein edler Vollbart in die Schöße unsrer Huren!
Das Literatenleben, o du mein Christian, ist doch nicht besser
als das ärarische. (Sie dichten zur Musik von Walter Kollo!)
Wir tanzen zwischen Film und Feuilleton auf scharfem Messer . . .
Freu dich! Sei tot! Grüß mir, im Glanz geölter Locken, den Apollo!


Hans Leybold in "Die Aktion. Wochenschrift für Politik, Literatur, Kunst.
Jg. 4, 1914, Nr. 25, 20. Juni, Sp. 541-542,

Gerd Schäfer



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01. 08. 2016

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