Hanne Römer: Datum Peak Textauszug
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Foto: © Hanne Römer
Hanne Römer
DATUM PEAK TEXTAUSZUG
Ein langer Blick entwirft sich aus einer schmalen Röhre, durch eine holzverkleidete Brücke, von einer Drahtseilgeraden, aus einer Schneise, durch den Wald, von einem Felsen, auf eine Lichtung, in der sich alles Anfallende sammelt. Alles Übrige fällt, in einer Folge von Entscheidungen, weg. Somit verbleibt mehr Raum. Zum Beispiel zum Atmen.
In der prallen Sonne liegt jemand, zur Seite gekippt wie ohnmächtig auf einer Bank. Als sie zurücksetzt hat er sich wieder aufgerichtet. In den öffentlichen Verkehrsmitteln und Fahrgastunterständen ist nun auch das Lesen und Schreiben untersagt. Es gilt als unap-petitlich. Die Forscherin greift nervös in die Rückenlehne. Was, wenn alles Gelöschte wieder hervorträte, Wege und Gänge flutete? Mit ihm die unverblümten Fragen, leer und lauernd, nach einem Lebensentwurf? Noch einmal in ihrer Mitte auf schlechten Sesseln, bei schlechtem Essen? Ausgesetzt einem Auswurf fremdbestimmten Handelns. Während sie noch nachdenkt, vergeht wertvolle Zeit. Hitze, für den nächsten Aufguss verwedelt. Sie zeichnet einige Türen, die keine sind. Als nächstes Öffnungen, die immer gut funktionieren. Auch die Lampe. All die Zimmer. Einen drehbaren Sessel. Die Ofenprüfung. Inhalt und Ausdruck sehr gut, Schrift nicht immer gleichmäßig und formschön.
Im Treppenhaus sitzen, die Schuhe nicht zubinden können. Schnürsenkel nicht handhaben können, auch das Wort nicht schreiben können. Nur im Treppenhaus sitzen. Erste! Erste! Erste! Die Ersten rennen die Treppe hinunter. Rauf und runter, um die Wette. „Verstehst du keinen Spass?“ Schnell, geschickt, redegewandt kommt der Übergriff. Sie versteht kein Wort. Entwindet sich. Klettert, ohne die lästigen Schuhe, in den nächstbesten Baum. Bis in die Krone. Glückseliger Moment. Fern von Bewegungspropaganda, die Erste bei den Walnüssen – willkommen.
(...)


In Richtung geleitet sitzt etwas beieinander, das auf ein
Weiterkommen aus ist. Mit und durch einander. Nach der Kürzung die
Verlängerung, aus dem Sud zu gewinnen, anzurichten. Kein Resteessen. Wortlaut
verstärkt Nachschriften. Der Forscher öffnet den Kühlschrank.
„Wie willst du es denn verstanden wissen?“ Die Forscherin
schließt den Kühlschrank. „Streng genommen als eine Art Stoffwechsel.
Vielleicht als eine Tischgesellschaft, nicht kränker als je zuvor, nur noch
etwas verstärkter. Im Sinne des einwandfrei gefalteten Tischtuches. Es scheint,
als könne sie sich trotz permanenter Wahrnehmung nicht richtig wahrnehmen,
diese Wahrnehmungsgesellschaft.“ Die
Forscherin notiert sich etwas, bringt es in sehr kleinen Mengen
durchgearbeiteter Einheiten hervor. Mit jeder Formulierung, die sie aus der
Gesamtheit der Möglichkeiten herausschält, setzt und stehen lässt, ist sie sich
einer Sache gewisser, sich selbst etwas sicherer. Jeden Morgen schwimmt sie
erneut.
(…)
„Du stutzt?“
Bewölkung fällt in Niederschlägen. Tief und dunstig schwelt
Atem, dampft heraus. Stutzt erheblich. Ein retardierendes Moment, keine
Wiederholungsschleife. Angemessenes Verhalten ohne falsche Zurückhaltung.
Draußen unterwegs treffen sie, trifft sich eine Gesellschaft, die neue Grenzen
absteckt. Und ihre Auffassung nährt, dass sogenannte Natur als ein
abge-griffenes Resultat unzähliger Eingriffe zu betrachten ist, als Wunde, in
der sich noch Leben regt. Nicht mehr und nicht weniger.
(…)
Auf ein nicht zurückweichendes Gesichtsfeld
zu schieben, parallel zueinander, zwei Hände in der Verlängerung zweier Arme
vorsichtig zwei Stäbe. Exakt bemessen dazwischen ein Kopf. Sehstärke auf Bügeln
schwebt heran. Setzt sich auf zwei Ohren. „Passt es so?“ Der Forscher hat die
Brillen gesäubert, die Sicht ist bereinigt. Ein Räuspern erfüllt die Küche.
„Nicht so ganz.“
Leicht muffig im Aroma, taucht etwas geschmacklich Irritierendes auf. Die
Forscherin zieht den Summenstrich, trägt es mit Fassung. Der Forscher hat
versehentlich Linsen mit den Haferflocken eingeweicht. Gleich wird sie ihm die
Rechnung stellen. „Das waren keine Bohnen. Wir hatten Linsen verabredet.“
„Das macht ja keinen Sinn.“
„Eben.“
Nun gibt es die Mischung. Frische Wässrigkeit, unter die sich
der Wasservogel wühlt. Auf dem Tisch eine längere Notiz.
„Du kannst mir gern Gesellschaft leisten. Eine neue
Gesellschaft.“
aus Hanne Römer: DATUM
PEAK - Eine Expedition. Klagenfurt (Verlag Ritter Literatur) 2024. 128 Seiten. 19,00 Euro.

Hanne Römer lebt und arbeitet in ihrem Kunstwerk .aufzeichnensysteme (bis
2015: www.elffriede.net), das
sich seit 2000 als interdisziplinäre Schnittstelle zwischen den Künsten / D + Ö
bewegt & fortentwickelt u.a. seismograph - ein aufzeichnen-system
(edition ch 2007); schrei zum hummel (Klever Verlag 2013); Zuletzt:
Istzustand IM GRÜNEN (Hörstück 2021); Förderpreis zum Heimrad-Bäcker-Preis
2018; DATUM PEAK (Ritter Verlag, 2024). Trilogie einer Kompression
(2017-21). Gegenwärtig kippt das Verfahren in seine Umkehrung. www.aufzeichnensysteme.net