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Hannah V. Warren: Die Welt

Gedichte > Gedichte der Woche
Foto: privat
Hannah V. Warren

Die Welt

Aus dem amerikanischen Englisch von Alexandra Bernhardt


du ziehst einem Hasen das Fell ab, wie Armbänder sondern kleine Schnitte die
Knöchel ab. ein Geruch nach feuchtem Wald & sonst nichts. als du den Hasen
zum Ausbluten aufhängst, fällt eine komplette Frau heraus. aus ihrer Nase laufen
ihr riesige Blutklumpen, als wäre sie zu lange sehr krank gewesen. sie wischt
sich das an ihrem Arm ab und hinterlässt dabei dichte Schlieren von Welt. du
nimmst den Pelz entgegen, den sie dir anbietet, durchgleitest mit den Fingern
seine Weichheit. ihr wächst ein Gewand aus Wald — Blätter & Hickoryschalen
& farbige Schmucksteine splittern ihren Körper hinan, tausend Ameisen schwinden
in gekräuseltes Gewebe. sie entweicht unter die Bäume, sich angleichend &
verwandelnd. du versuchst zu folgen: aber nichts. du nimmst den Pelz mit nach
Hause & hängst ihn über den Kaminsims, schmiegst das trockene Fell an deine
Wange & stellst dir vor, wie die entfleischte Erde schmeckt.


Hannah V. Warren ist Doktorandin am Englisch-Department der University of Georgia und Fulbright-Stipendiatin. Der Schwerpunkt sowohl ihrer wissenschaftlichen Arbeit als auch ihres dichterischen Werks liegt auf der Ästhetik des Monströsen, (post-)apokalyptischer Literatur und Darstellungsweisen von Alterität. Texte von ihr erschienen unter anderem in Crazyhorse, Gulf Coast, Passages North und Fairy Tale Review. An Gedichtbänden veröf-fentlichte sie bislang [re]construction of the necromancer (Sundress Publications, 2020) und Southern Gothic Corpse Machine (Carrion Bloom Books, 2022). Im Winter 2023 erscheint mit Slaughterhouse for Old Wives Tales bei Sundress ihr drittes Buch. Zur Zeit lebt sie in Freiburg.

Der Originaltext des Gedichts befindet sich in:
Hannah V. Warren: Southern Gothic Corpse Machine. Salt Lake City,
Utah: Carrion Bloom Books, 2022.


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