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Gyrðir Elíasson: Schuhwerk und andere Gedichte

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Foto: Nökkvi Elíasson
Gyrðir Elíasson

Schuhwerk und andere Gedichte

(Aus: Ljóðbréf Nr. 6 / Poesiebrief Nr. 6, Tunglið forlag, Reykjavík 2022)

Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer



SCHUHWERK

„In der Zukunft“, sagte er,
„werden Zeitreisen wahrscheinlich
so verbreitet sein wie achtsames Reisen
über die Meere der Welt.“ Ich schaute mir
zufällig seine Schuhe an, sie waren
ohne Frage aus der Zeit um
                                   1930



FAKIRE

Schopenhauer spielte Flöte,
um das Unglück von sich fernzuhalten,
es sank dann in sich zusammen
wie eine Schlange und verursachte
keinen Schaden. Wer die Flöte
für ein zu schwieriges Instrument hält, kann es
mit einer Mundharmonika versuchen. Er muss sich
nur in Acht nehmen, das Unheil nicht
durch zu starkes Einsaugen
auf sich zu ziehen.



DER DICHTER IN ECHTZEIT
      Gunnar Björling*

Wenn er ein Gedicht schreibt,
dichtet er nicht,
er atmet einfach
im Einklang mit der Sonne.
Wenn er kein Gedicht schreibt,
dichtet er dennoch.
Er schlägt den Takt
des Regens auf die Fensterbank,
während er hinausstarrt

* Ein finnlandschwedischer Lyriker



INTIMA THULE

Der schmelzende
Schnee
rinnt
hinab
in den Halsausschnitt.


Gyrðir Elíasson, geb. 1961 in Reykjavík, wuchs in Sauðárkrókur im Nordwesten Islands auf, lebte einige Zeit in Borgarnes und Akranes, später aber in Reykjavík, wo er an der Pädagogischen Hochschule studierte. Fast sein ganzes Erwachsenenleben lang arbeitet er bereits als freier Schriftsteller und veröffentlicht Gedichtbände, Romane und Sammlungen mit Erzählungen und Kurzgeschichten. Auch als Übersetzer ist er tätig, u.a. von Büchern über und von amerikanischen Ureinwohnern sowie Romanen des amerikanischen Schriftstellers Richard Brautigan. Für sein Werk wurde der Autor mehrfach ausgezeichnet, u.a. im Jahr 2000 mit dem Isländischen Literaturpreis und 2011 mit dem Literaturpreis des Nordischen Rates. Seine Arbeiten wurden in mehrere Sprachen übersetzt und publiziert, so auch in Deutschland. Hier erschienen neben mehreren Veröffentlichungen von Gedichten und Kurzgeschichten in der Literaturzeitschrift die horen u.a. Das Blueshorn (Tregahornið, 1993), Münster, Kleinheinrich, 2001, Ein Eichhörnchen auf Wanderschaft (Gangandi íkorni, 1987), Zürich, Walde+Graf, 2011, Am Sandfluss. Pastoralsonate (Sandárbókin. Pastoral-sónata, 2007), Zürich, Walde+Graf, 2011 sowie Einige allgemeine Worte über die Erkaltung der Sonne (Isländisch/Deutsch) (Nokkur almenn orð um kulnun sólar, 2009): Münster: Kleinheinrich, 2011.
Gyrðir Elíasson lebt in Reykjavík, ist verheiratet und hat drei Töchter.
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