Gustav Meyrink: Die blutige Ahle
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Zeichnung von Fritz Schwimbeck
Gustav Meyrink
Die blutige Ahle
(in "Das grüne Gesicht", Kapitel 5)
Der Schuster Klinkherbogk träumte, er ritte auf einem Esel durch die Wüste,
an seiner Seite die kleine Katje, und vor ihm her schritt als Führer der Mann
mit der Hülle vor dem Antlitz, der ihm den Namen Abram gegeben hatte.
Tag und Nacht ritt er so, da sah er am Himmel eine Luftspiegelung, und ein
Land, üppig und herrlich, wie er noch nie eins gesehen hatte, senkte sich
herab, und der Mann sagte ihm, es hieße Morija.
Und Klinkherbogk klomm einen Berg empor, baute einen Holzstoß und legte
Katje oben darauf.
Dann reckte er seine Hand aus und faßte das Messer, daß er das Kind
schlachte. Sein Herz war kalt und ohne Mitleid, denn er wußte nach der Schrift,
daß er einen Widder opfern werde zum Brandopfer an Katjes Statt. Und als er das
Kind geopfert hatte, nahm der Mann die Hülle vom Gesicht, das glühende Zeichen
auf seiner Stirn verschwand, und er sprach:
"Ich zeige dir, Abraham, mein Angesicht, auf daß du von nun an das
Ewige Leben habest. Das Z e i c h e n des Lebens aber nehme ich von meiner
Stirne, damit sein Anblick dir nimmermehr dein armes Hirn verbrenne. Denn meine
Stirn ist deine Stirn, und mein Antlitz ist dein Antlitz. Dies, wisse, ist in
Wahrheit die 'zweite Geburt': daß du eins bist mit mir und erkennest,
daß ich, dein Führer zum Baum des Lebens, du selbst gewesen bist. –
Viele sind, die mein Gesicht gesehen haben, aber sie wissen nicht, daß es
die zweite Geburt bedeutet, darum mag es sein, daß sie das Ewige Leben jetzt
nicht finden.
Noch einmal wird der Tod zu dir kommen, ehe du durch die schmale Pforte
schreitest, – und vorher die Taufe mit Feuer als brennendes Bad des Schmerzes
und der Verzweiflung.
Du hast es selbst so gewollt.
Dann aber wird deine Seele in das Reich, das ich dir bereitet habe,
eingehen, so wie ein Segel aus seinem Kerker fliegt ins ewige Morgenrot."
–
Klinkherbogk sah, daß das Antlitz des Mannes aus grünem Golde war und den
ganzen Himmel erfüllte, und er erinnerte sich einer Zeit, da er als junger
Mensch, um denen den Pfad ebnen zu helfen, die nach ihm kämen, im Gebet ein
Gelübde getan hatte, er wolle keinen Schritt mehr vorwärts gehen auf dem
geistigen Wege, es sei denn, daß der Herr des Schicksals die Bürde einer ganzen
Welt auf ihn lege.
Der Mann verschwand.
Klinkherbogk stand in tiefer Finsternis und hörte ein donnerndes Rollen, das
langsam verblaßte, bis es nur mehr klang, als rassele in weiter Ferne ein Wagen
über holpriges Pflaster. Allmählich kam er zu sich, das Traumbild in seinem
Gedächtnis verblich und er sah, daß er in seiner Dachkammer war und – eine
blutige Ahle in der Hand hielt.