Gustav Meyrink / Michael Blümel: Rad der Qual
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Postkarte von Michael Blümel, mit großem Dank von den Signaturen und Kristian Kühn
Gustav Meyrink:
Rad der Qual
Auszug aus Kapitel 3, Das grüne Gesicht
Schon lange vor dem Kriege hatte er diesen unheimlichen seelischen Druck an sich erfahren, nur war es damals noch möglich gewesen, ihn durch Arbeit oder Vergnügen zeitweilig zu unterdrücken; er hatte ihn als Reisefieber, als nervöse Launenhaftigkeit, als Begleiterschei-nung falscher Lebensführung gedeutet, dann später, als die Blutfahne über Europa zu flattern begann: als Vorahnung der Ereignisse. Aber warum steigerte sich jetzt nach dem Kriege dieses Gefühl noch von Tag zu Tag fast bis zur Verzweiflung? Und nicht nur bei ihm - fast jeder, mit dem er darüber gesprochen hatte, wußte von sich selbst Ähnliches zu berichten.
Sie alle, wie er, hatten sich damit getröstet, wenn der Krieg beendet sei, werde der Frieden auch in den Herzen der Einzelnen wieder-kehren. Statt dessen war genau das Gegenteil eingetreten.
Die banale Weisheit der gewissen Hohl-köpfe, die gewohnheitsgemäß bei allem und jedem die billigste Erklärung zur Hand haben und die Fieberschauer der Menschheit auf gestörte Behaglichkeit zurückführten, - konnte sie das Rätsel lösen? Die Ursache lag tiefer.
Gespenster, riesenhafte, formlos und nur er-kennbar an den entsetzlichen Verheerungen, die sie angerichtet, bei den heimlichen Sitzungen kaltherziger, ehrgeiziger Greise um den grünen Tisch herum entstandene Gespenster hatten sich Millionen von Opfern geholt und sich dann scheinbar wieder für einige Zeit schlafen gelegt; aber jetzt erhob das grauenhafteste aller Phan-tome, längst schon zu lauerndem Leben erweckt durch den Fäulnishauch einer verwesenden Scheinkultur, sein Medusenhaupt vollends aus dem Abgrund und höhnte der Menschheit ins Gesicht, daß es nur ein Rad der Qual gewesen war, das sie im Kreise getrieben hatte im Wahn, dadurch für kommende Geschlechter die Frei-heit zu gewinnen, - und weiter treiben würde trotz Wissen und Erkenntnis für alle Zeiten.