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Gunnar Ekelöf: Xoanon

Gedichte > Münchner Anthologie

Gunnar Ekelöf

Xoanon


Jag äger, i dig, en undergörande Ikon
om detta att äga är att ingenting äga
så som hon äger mig. Så äger jag henne.
Hon gavs mig samma dag hon ’visat sig’
på tid bestämd förut, på fastställd plats
och samma Panayía uppenbaras åter
när hjärtat önskar. Stödd mot hennes arm
står på en omvänt perspektivisk pall
i full ornat ett vuxet lindebarn
som är den sidste fursten av min ätt
Jag lyfter bort honom, ty varje attribut
som hör till denna Panayía går att lyfta
som plundrarn rycker loss en silversmeds basmá
från någon bild med händer mörknade och sönderkyssta
Jag lyfter kronan och de båda fröjderoparna
från deras moln och guldgrund i de övre hörnen
Jag lösgör smyckespännet från Maphoriet
och lyfter detta dok från håret och från halsen
Jag löser vecken över hennes högra bröst
och varligt vecken över hennes vänstra
med smärtorna. Jag lyfter som en spindelväv
den tunna underklädnaden, som lämnar gåtan
på en gång löst och olöst, och hon ser på mig
med bruna ögon i de blåa ögonvitorna –
ser på mig oavvänt … Jag lösgör armarna
den bruna handen med sin ros, de bruna brösten
det högra först, det vänstra varligt sist
med smärtorna, och gödeln efter att ha kysst den
Jag lyfter pannan, hårfästet och kinderna
och sist de stora ögonen som ser på mig
ser på mig oavvänt, ochså när de är borta
Jag lyfter guldgrunden och undermålningen
tills träet med dess täta ådring ligger bart:
En gammal planbit av oliv, som sågats ur
ett stormfällt träd, en gång för längesen
vid någon kust mot norr. Där finns i träet
nästan igenväxt, ögat av en kvist
som bröts i trädets ungdom någon gång –
Du ser på mig. Hodigítria, Philoúsa.


[In: "Sagan om Fatumeh", 1966]

Gunnar Ekelöf

Xoanon


Ich besitze, in dir, eine wunderwirksame Ikone
wenn dies Besitzen Nichtbesitzen ist –
wie sie auch mich besitzt. So besitze ich sie.
Sie ward mir gegeben am Tag an dem sie ‚erschien’
zur festgesetzten Zeit, am festgelegten Ort
und die gleiche Panayía offenbart sich wieder
wenn das Herz es will. Gelehnt an ihren Arm
auf einem Podest, in umgekehrtem Blickwinkel, steht
in vollem Ornat ein ausgewachsenes Wickelkind
der letzte Fürstensproß meines Geschlechts
Ich entferne ihn, denn jedes Attribut
diese Panayía läßt sich entfernen
wie Plünderer losreißen des Silberschmieds Basmá
von einem Bild zerküßter gedunkelter Hände
Ich entferne die Krone, die beiden Freudenverkünder
von Wolke und Goldgrund in den oberen Ecken
Ich löse die Spange am Maphorion
entferne von Haar und Hals den Schleier
Ich lüfte die Falten über der Brust zur Rechten
und sacht die Falten zu ihrer Linken
der Schmerzensseite. Wie Spinngewebe entfern ich
den leichten Unterrock, der das Rätsel gleichzeitig
löst und ungelöst läßt, und sie blickt mich an
aus braunen Augen, blauem Augenweiß –
blickt mich unverwand an … Ich lös ihr die Arme ab
die braune Hand mit der Rose, die braunen Brüste
zuerst die rechte, behutsam die linke dann
mit den Schmerzen, den Gürtel nachdem seinen Schmuck ich geküßt
Ich entfern ihr die Stirn, das Schläfenhaar, die Wangen
zuletzt die großen Augen die mich angeblickt
angeblickt unverwandt, anblicken immer noch
Ich entfern den Goldgrund und die Grundierung
bis auf das nackte Holz, das reich gemaserte:
Ein altes Bohlenstück, ausgehauen
aus windgefälltem Ölbaum, vor langer Zeit
nördlich an einer Küste. Mitten im Holz
verwachsen beinahe, das Auge von einem Ast
der brach in der Jugend des Baums –
Du blickst mich an. Hodigítria, Philoúsa.


[In: Das Buch Fatumeh. Gedichte. Übersetzt von Klaus-Jürgen Liedtke. Münster (Kleinheinrich) 1991, Seite 77.]

Norbert Lange


DAS HERMETISCHE SEHEN


Erst sieht man eine Marienfigur innerhalb der traditionellen Ikonographie. Der Text über das Bild nennt das Jesuskind, den letzten Fürstenspross des Geschlechts desjenigen, der im Gedicht spricht. Er erwähnt auch das Maphorion Marias, ihren in Konstantinopel als Reliquie verehrten Schleier, sowie die Krone, die sie als Gottesmutter auszeichnen.
Jedes dieser Attribute der Ikonenmalerei wird bei seiner Aufzählung aber schon zurückgenommen, weil seiner Benennung die Aussage vorausgeht, dass es „entfernt“ wird,


„… denn jedes Attribut
dieser Panayía läßt sich entfernen“,

was soviel bedeutet, wie dass nicht allein die genannten Motive verschwinden, sondern dass es nach und nach die gesamte Figur dem Bild entzieht, während sein Betrachter davon spricht, was er eigentlich nicht mehr sieht.
Was besitzt der Sprecher nun, wie er behauptet, wenn jede seiner Handlungen letztlich die Auslöschung dessen vorantreibt, was man besitzen könnte?
Auf eine Weise inszeniert Xoanon den Blick als Sprung in der Zeit, eine Differenz, bestimmend für sein gesamtes symbolisches Gefüge. Das Gedicht macht dabei einen Satz, durch den Verb und Objekt einen Widerspruch eingehen, weil die Grammatik erscheinen lässt, was sie im selben Augenblick entzieht. Diese merkwürdige Simultanität von Sichtbarkeit und Unsichtbarem, als wollte man sich eine von Schrödingers Schachteln öffnen, spiegelt die grundlegende Paradoxie beim Dichter Ekelöf wieder. Es ist eine „Schöpfung aus dem Nichts“, durch die seine Gedichte deutlich ambivalent wirken.

Diesen Effekt nimmt man sofort mit der ersten Zeile wahr, wo der Betrachter die Panayía anredet, die Allheilige, und damit einen dialogischen Rahmen eröffnet, den das Gedicht erst mit seiner letzten Zeile wieder aufgreifen wird. Stattdessen zeigt sich die Angesprochene schon ab der dritten Zeile nurmehr als „sie“, was die Kommunikation zwischen Anfang und Ende fragwürdig macht.
Hier könnte der Dialog bereits unterbrochen sein, vielleicht weil innerhalb des Gedichts jemand oder etwas anderes angesprochen wird; oder weil das Gespräch zum Monolog geworden ist, als hätte der Sprecher die Anwesenheit jener anderen Person vergessen.
Dass er sie nicht länger wahrnimmt, dürfte aber unwahrscheinlich sein, denn die Marienfigur lässt der Sprecher während des Gedichts kein einziges Mal aus den Augen.
Man wird sehen, wie weit Xoanon diese Uneindeutigkeit noch treibt. Schon jetzt zeichnet sich aber eine Bewegung ab, die scheinbar Betrachter und Madonna zunehmend voneinander entfernt.
Denselben Eindruck erweckt auch ein zweiter inhaltlicher Widerspruch: Für ihn ist die zweite Zeile verantwortlich, deren Aussage, „wenn dies Besitzen Nichtbesitzen ist – “, die erste und dritte Zeile antithetisch verschränkt. Der so gebildete Zirkelschluss behauptet, das gegenseitige Besitzen sei sowohl Nähe als auch Distanz. – Auf seine Weise markiert ein Gedankenstrich einen Zwiespalt, doch er verbindet gleichzeitig die Bruchstellen dieses Sprungs. So wird die zunächst als Möglichkeit vorgetragene Gegenseitigkeit des Besitzens durch den Satz, der auf den Gedankenstrich folgt, zur Gewissheit:

„wie sie auch mich besitzt.“


Hier hat das Gedicht sein Thema vielleicht schon ausgeplaudert. Es stellt bereits zu Beginn gewissermaßen einen von vielen folgenden Spiegeln auf, zwischen denen Blicke und Identitäten wechseln werden. Und schon jetzt ist die Perspektive, mit der man das Verhältnis beider Figuren betrachtet, schwankend, wie der Tausch von einem Du zur dritten Person und vom Dativ zum Akkusativ in den ersten drei Zeilen zeigt. Doch es ist merkwürdig: die Bewegung, die Betrachter und Madonna auseinandertreiben soll, scheint auch ein über die Distanz hinaus gleichbleibendes Moment der Identifikation zu enthalten.
Das könnte mit Blick auf Xoanons dritten Satz, wo von einer „festgesetzen Zeit“ an einem „festgelegten Ort“ gesprochen wird, den Text in eine offensichtlichere Richtung lenken, als das übergeordnete religiöse Motiv zunächst nahelegt. Auf diese Weise spräche das Gedicht von einem Stelldichein und verklärte die Ikone zum Symbol einer mystischen Liebe, die alles veränderte, „an dem Tag, an dem sie ‚erschien’

zur festgesetzten Zeit, am festgelegten Ort
und die gleiche Panayía offenbart sich wieder
wenn das Herz es will …“


Einen ähnlichen Ton schlägt Ekelöf in einem anderen Kommentar an, wenn er von Xoanon als einem „Striptease auf dem Berge der Verklärung spricht“.
Textstelle und Kommentar deuten einerseits auf ein intimeres Verhältnis hin, vor dem die Gleichung, dass Besitzen Nichtbesitzen sei, merkwürdig profan erscheint. Erotische Elemente sind in der religiösen Dichtung hingegen keine Seltenheit. Sie gehören im Gegenteil zu deren festem Repertoire, wie in den Gedichten des arabischen Mystikers und Gelehrten Ibn Arabi, dessen derwischhafte Wort-Ekstasen Ekelöf zu seinen wichtigsten Einflüssen zählte. Wie andere Texte aus dem Bereich der mystischen Literatur haben auch dessen Gedichte die Vereinigung mit Gott oder den Gestirnen des Kosmos mit einem deutlich erotisch konnotierten Vokabular besungen.
Die Entgrenzung der Sinne, im Tanz der Derwische und bei ihrem Gesang während der Rotation um die Achse des eigenen Körpers, war ein heiliger, sexueller Höhepunkt.

Wird man im Blick, den Betrachter und Madonna einander zuwerfen, wenn er sie zum Schluss wieder anspricht, eine ähnliche Kreuzung aus Heiligem und Erotik sehen dürfen?

„Warum sollten meine Augen sie nicht so sehen? Stelle ich mir dann eine wirkliche Schönheit vor, eine wirkliche Verschmelzung zwischen dem, was mit falschen, dummen Worten als menschlich, göttlich bezeichnet worden ist, stelle ich mir eine solche Harmonie vor, dann habe ich […] diejenige, die ich suche: die vollkommen Unvollkommene, das Bild, das womöglich ihr nähersteht, oder mir, sich jedenfalls nie im Gleichgewicht befindet, sondern vibriert, pulsiert, fiebrig ist oder bleich.“
Vom Erkennen einer Wesenheit zu sprechen, die möglicherweise religiöser Natur ist, könnte irreführen. Immerhin umschließt den Raum, in dem gesehen wird, kein statischer Bereich, etwa eines Glaubens, der streng zwischen menschlicher und göttlicher Welt trennt. Es ist vielmehr eine Realität, in der die Blicke sich in einem ständigen Perspektivwechsel befinden und Unterschiede ineinanderfließen. Woher sollte also eine eindeutige Erkenntnis von Wesen oder Dingen kommen?
Für einen Denker wie Heraklit, dessen Verschränkung von Sein und Werden Ekelöf bis in seine Rhetorik übernimmt, zeigte das Seiende sich in einem an die Sprache gebundenen Wahrnehmen und Denken. Dieses Sich-Zeigen verstand Heraklit als mündlichen Vorgang: Wo immer das Wort im Bemühen um Erkenntnis ergriffen wurde, war die Reflexion gewährleistet, indem Wort und Sache eine unzertrennliche Einheit bildeten.
Wie anders in Xoanon, wo die Grammatik die Sachen, noch bevor sie ausgesprochen werden, vom Wort „entfernt“ hat. Es schiebt sie andauernd in die Ferne und lässt die Wörter, leere Zeichen, hinterherlaufen, ohne je den Abstand wieder einzuholen.

Was siehst du, wenn das, wovon du sagst, du siehst es, nicht mehr da zu sein scheint?

Im dauernden Wandel dieser Szenerie hat es die Marienfigur und ihren Betrachter längst in eine Welt flüchtiger Dimensionen versetzt. Dort kann „sie“ nur wahrgenommen werden durch einen ebenso flüchtigen Sinn, der die Harmonie des Ungleichgewichts, die Ekelöf in seinem Zitat beschreibt, für einen Moment an sich zieht. Nimmt man Wörter und Blicke so wahr, sagen sie im Grunde genommen nichts, denn ihre Bedeutung hat schon immer dazwischen stattgefunden. Und wenn es unmöglich zu sein scheint, dass man diesen „Zwischensinn“ fixiert, dann weil das in Xoanons Realität eine unvermeidliche Diskrepanz bedeutet. Denn so flüchtig sind auch die Wörter selbst. Und wo wäre Wahrheit denn sonst, wie Edmond Jabès meint, wenn nicht im flammenden Raum zwischen Buchstabe und Buchstabe? Wie Jabès hat auch Ekelöf von Heraklits gegenstrebiger Fügung gelernt, in der das Wort für den Bogen (Bíos) je nach der Betonung den Tod bedeuten kann, oder das Leben, für das ein anderes genommen wird.

„Das Leben ist eine Pause zwischen Geburt und Tod.“


Nimmt man diesen Satz Ekelöfs wörtlich, wird das Leben zum Augenblick, dessen Spanne davon abhängt, ob es gelingt, ihm einen Sinn zu geben. Und jeder Versuch in dieser Richtung könnte von Anfang an zum Scheitern verurteilt sein. Dennoch treibt Xoanon ein Begehren an, die Ikone zu erkennen, nicht auf philosophische Weise. Das Gedicht behauptet, dies sei möglich,

„wenn das Herz es will.“


Unter dieser Bedingung rückt die Vorstellung eines Stelldicheins in die Ferne. Der Konditional erinnert vielmehr an einen Gedanken des Augustinus, mit dem dieser zu erklären versuchte, wie die Transzendenz Gottes zu erkennen sei. Die Möglichkeit dessen bestehe, wenn Sehen, Sprechen und Denken identisch würden, doch nicht länger als in die Welt gesprochenes, alltägliches Wort, sondern als inneres Wort, das seine Evidenz aus einem seelischen Vorgang im Herzen ziehe, „im inneren Licht des Denkens.“ –
Das meint ein „Gespräch des Herzens“, mit der Liebe als Mittlerin. Sie „eint […] unser Wort und unseren Geist, von dem es gezeugt wird; und sie verbindet sich mit ihnen in einem Dritten in unkörperlicher Umarmung …“ Dieses Dritte, Ekelöf umkreist es in seinen poetologischen Statements wie in Meditationen, ist zugleich und ineins eine Schau, eine Vision:

„Wenn ich die Vision einer Jungfrau habe, wolkig unbestimmt und dennoch von fester Kontur und Gestalt, über dem Meer im Sturm, so sehe ich das Bild von etwas, woran es mir mangelt. Vielleicht ist es mein weibliches Ich. Ich stelle dieses Vakuum außerhalb von mir und fülle es mit etwas aus. Es ist eine Emanation meiner selbst, eines Mangels in mir.“
Mit Vision und Mangel nennt Ekelöf zwei zentrale Begriffe seiner Poetologie, die zum Kern der mystischen Erfahrung führen, wie sie Xoanon beschreibt.
Es ist eine Art Kunstglaube, der mit der offiziellen Glaubenslehre konkurriert. Sätze wie die folgenden erinnern noch einmal an die Rhetorik des Heraklit: „Woran es uns mangelt, ist nämlich ebensoviel wie das, was wir besitzen. Was wir besitzen ist sozusagen nur eine Seite dessen, woran es uns mangelt.“
Dementsprechend ist die Vision ein Versuch, „künstlerisch, in Bildern, Tönen oder Worten, das zu konkretisieren, woran es uns zutiefst mangelt.“ Uns, man könnte also sagen, die Vision des Mangels betrifft alle Menschen gleichermaßen. Sie führt zu einer von vielen denkbaren Hypostasen, die diesem eine Gestalt geben und ihn überwinden sollen. Denn die Vision überhöht den Mangel zu etwas, das die beiden absoluten Gegensätze in eins setzt. Die Jungfrau wird so zum Symbol der Verschmelzung dessen, was eigentlich unvereinbar wäre.
Doch zugleich müsste das entstehende Bild das Bewusstsein für den Mangel schärfen, und damit das Verlangen nach einer anderen, noch stärkeren Vision. Zugleich scheint der Mensch, der sich über den Mangel erhebt, sich als Schöpfer der ihn umgebenden Welt zu erkennen. Er wird sein eigener Herr: „Gott ist nicht etwas, das existiert, sondern etwas, woran es uns zutiefst mangelt.“ Mit der Kraft, diesem absoluten Mangel ein Bild zu geben, müsste der Mensch folglich selbst zu Gott weden. „Auf dem Berge der Verklärung“ dürfte das zumindest eine Möglichkeit sein.

Hier, wo das Bild der Gottesmutter die Hüllen fallen lässt, oder eigentlich mit den Augen ausgezogen wird, ist der „Striptease“ das, was Mangel und Vision in eine Erfahrung münden lässt, die innerhalb der Zeit stattfindet und auch den Wechsel der Standpunkte im Raum reflektiert. Die Meditation darüber, etwas zu haben oder nicht zu haben wird zum mystischen Tanz. Dort bilden Gesten und Figuren des Körpers eine unendliche Reihe vergangener und folgender Reize. Es gehört aber zum Wesen dieses Tanzes, seine Schritte nie wie einfache Analogien aufeinander folgen zu lassen. Insofern nämlich die zeitliche Veränderung jede Pose des Körpers modifiziert oder in der Zeit vertieft, kann aus ihm das Symbol einer Vision werden. Analog dazu ist das Gedicht, das man einen Striptease nennt, nie abgeschlossen, eine vorläufige Skizze oder offene Bewegung. Sie bringt eine Wahrnehmung hervor, so zeitunterworfen und veränderlich wie der Tanz.
Aber was bedeutet es, wenn das Gedicht tanzt?
Die besondere Qualität eines solchen Gedichts – oder seine Dunkelheit, wie manche sagen – läge nicht im Transport bestimmter, mal schwerer mal leichter verständlicher Informationen; vielleicht bestünde sie gerade darin, dass es darin keinen manifesten Sinn gibt.
Stattdessen ermöglichte das Gedicht eine Emphase, die Bedeutung erst generiert – nicht aus den Wörtern, sondern durch die Wörter.
Nichts anderes scheint die „Schöpfung aus dem Nichts“ zu meinen, von der Ekelöf gesprochen hat. Überträgt man diesen ursprünglich religiösen Gedanken verallgemeinernd auf die Poesie, läge deren emphatisches Wissen im Austausch mit einem Numinosen, dessen Zeichen Gedicht und Leser zu gleichen Teilen wären. So einfach könnte es tatsächlich sein: das Gedicht, vom Verdikt seiner Verständlichkeit oder Unverständlichkeit befreit, würde so offen für die Kommunikation mit seinem Leser. Erst diese auf Augenhöhe stattfindende Begegnung garantierte dann, dass sie beide wechselweise Wirkung entfalten können.

In Xoanon ist die Schwelle zwischen dem Verstehen und seinem Gegenteil mit dem Wechsel vom Du zur unbestimmten dritten Person möglicherweise schon überschritten. Man befindet sich dann in einem liminalen Raum, dessen Konturen und Formen ineinander übergehen und kommt, mit Ekelöf gesprochen, „zu jenem vibrierenden Nichts, das zwischen Menschen ist, von welchem Geschlecht, Stand, welcher Rasse, welchem Vorurteil, Glauben sie auch sein mögen.“

Ist der Blick hermetisch, vielsagend und widersprüchlich dazwischen, wen wundert es da, wenn das Sehen am Ende von Xoanon sich vom alltäglichen Sehen, mit dem man dem Gedicht zuerst begegnete, unterscheidet und einem Schauen Platz gemacht haben soll, in dem Madonna und Betrachter sich vereinen?
Ambivalent, erotisch vielsagend oder intim verschlossen, war der Blick schließlich von Anfang an. Als sehe Hegels Kunstschönes einen aus der Ikone an, „unverwandt“ wie es heißt, überträgt diese ästhetische Begegnung eine Information, deren Inhalt dunkel bleibt und Außenstehenden nur Vermutungen erlaubt. Denn hineinzukommen in den Raum der beiden ist schwierig, übrigens ebenso, wie daraus wieder zu entkommen, sobald man erst hineingelangte.
Ein Versuch, der Spur der Madonna in dem Gedicht zu folgen, könnte eine geradezu unheimliche Erfahrung bedeuten, wenn man sich vorstellt, die Ikone hätte den Betrachter von Anfang an ebenso betrachtet, um ihn sich mit ihren Sinnen anzueignen.
Schließlich spricht das Gedicht in seiner letzten Zeile mit einer existentiellen Wucht, die einen Schock auslösen könnte, obwohl oder gerade weil der Schluss keine eindeutige Aussage darüber erlaubt, was die Wörter bedeuten: „Du blickst mich an.“
Man ist gewissermaßen endgültig im Hermetischen angekommen, in dem nichts ausgesprochen zu werden braucht, was innerhalb des intimen Verhältnisses zwischen Madonna und Betrachter eindeutig ist.

Die Ikone (das Xoanon)

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