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Gundula Schiffer: Fremde Einkehr

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Barbara Zeizinger

Gundula Schiffer: Fremde Einkehr. (Prosa)gedichte. Weilerswist (Verlag Ralf Liebe) 2024. 143 Seiten. 20 Euro. ISBN: 978-3-948682-65-1

Sehnen, Verzauberung und Trauer


Das »Land Israel atmet aus / ich tauche in seinem Atem unter«, schreibt Gundula Schiffer in ihrem Lyrikband »Fremde Einkehr«. Darin nimmt sie uns in unterschiedlich langen (Prosa)gedichten zu einer poetischen Reise durch Israel mit, das Land, das sie ihr zweites, »mein Israel« nennt. Als Übersetzerin und Lyrikerin, die ihre Texte sowohl auf Deutsch, als auch auf Hebräisch verfasst, kann sie eintauchen in israelische Orte mit ihren Menschen und Geschichten, immer dabei der Tanach, die hebräische Bibel, »wie ein ständiger Gefährte, der mir gern ins Wort fällt.«

Die Reise beginnt in Jerusalem, wobei sie gleich am ersten Abend Glühwürmchen um-schwärmen und ihre Seele sich küssen lässt. Solche poetischen Sätze wechseln sich immer mal wieder ab mit Beschreibungen praktischer Dinge wie Haarspangen und Rechner. Später beschreibt ein Gedicht die Suche in einer Mall nach Rasierschaum. Doch auch hier wird in der letzten Strophe noch angesprochen, dass der ungläubige Dichter Nathan Altermann in dem jüdischen Gebetsbuch Siddur nach hebräischem Vokabular für seine Gedichte fischte. Alltag und Religiosität verbinden sich immer wieder.
So nähern wir uns Jerusalem, besuchen mit der Autorin Cafés und Buchläden, durchstreifen Straßen und lernen den jüdischen Bildhauer Boris Schatz kennen. Über allem schwebt die Verzauberung, durch diese Stadt: »Wo Jerusalem-Sehnen-Sucht aufkommt wie sprachbegabter Wind, aus der Vergangenheit, mit gutem Duft.«

Und dieses Sehnen betrifft auch die hebräische Sprache, wofür Gundula Schiffer besonders schöne Bilder fin-det. »›Köstlicher sind deine Liebkosungen denn Wein.‹ Ich, Liebes, Hebräisch, bin eine Schü / lerin des Schir haschirim, des Hohelieds und also deine Verführerin.«
Mehrere längere Prosatexte beschreiben Ausflüge zu Orten in und um die Negev-Wüste. »Wohltuende Ruhe nach dem vibrierenden, fordernden Jerusalem, im Kibbuz Mischmar / Hanegev am Wüsten-Eingang ebenso wie in Mitzpe Ramon, im Herzen des felsigen Ne/gev.« Dieser Besuch findet im Mai 2022 statt und sicherlich hat Gundula Schiffer nicht daran gedacht, wie bald sich folgende Zeilen bewahrheiten würden:

»Der Kibbuz ist ein großer Garten mit Flachlandhütten und an den Rändern zur Tro / ckenheit auf hübsche Weise ausgefranzt. Wohin es mich zwei Tage später ziehen wird. In / die offene Mondlandschaft um den Machtesch Ramon, den Ramon Krater herum. Dort / werde ich nicht nur nachts immer wieder Schüsse und Explosionen hören. Aber auch das / ist keine echte Katastrophe. Nur die israelische Armee, die für den nächsten Krieg übt.«

Der eindrücklichste Wüstentext ist das lange Prosagedicht aus der »Hippiestadt« Mitzpe Ramon, wo es verschiedene Kunstwerkstätten gibt. »Im Anfang das Ende. Töpfern und Schnitzen in der Negev-Wüste«, lautet die Überschrift und das darunter stehende Motto »Denn künstlerisches Schaffen ist eine Form von Einkehr« findet sich teilweise im Titel des Buches wieder. In starken Bildern wird eingangs die Wüstenlandschaft geschildert, ehe die Autorin den »Düften der offenen Ateliers und Werkstätten« folgt. »Ich betrachte jeden Raum wie eine Perle, bete mich an der Gebetskette entlang.« Diese Art der Betrachtung findet sich in dem gesamten Text wieder. Nicht nur wird die Begeisterung für das künstlerische Schaffen deutlich, das ganze Tun wird eingeordnet in etwas Höheres. »Die Werkstatt ist etwas Göttliches. Etwas, das vor dem Leben liegt. Vor der Erschaffung der Welt. Vor Synagoge und Ecclesia.« Und so wird das künstlerische Tun, werden die Materialien eingebettet in die biblische Literatur, wo Ton ein elementares Motiv ist. Zahlreiche weitere biblische Bezüge werden angeführt, beispielsweise gibt es in einer Holzwerkstatt ein Widderhorn, das daran erinnert, wie der Widder das Leben Isaaks rettet.

»Und dann war ich noch beim Holz. Vater. Der mir die Puppenwiege machte. Großvater. / Der unbekannte Tischler mit eigener Werkstatt in Porz.« Weit weg von zu Haus denkt Gundula Schiffer an »die zarte Spur eines künstlerisch-handwerklichen Geistes und Erbes ihrer Familie.«

Nach dem Überfall der Hamas fliegt sie nach Israel. »Einschnitt mit Schreibtisch: Betrachtungen aus der Nähe der Trauer« heißt das letzte Kapitel in dem Buch. Diese Nähe wird deutlich in dem eindrucksvollen Gedicht »Gavriella, ein Sprung«, kein zusam-menhängender Prosatext, sondern unterteilt in Strophen. »Ich habe keine Worte«, heißt es da und sie hält die Freundin im Arm: »Gavriella, an deiner Hand bin ich untergetaucht im Tauchbad der Trauer.“

Die angeführten Gedichte sind nur ein kleiner Teil, des sehr lesenswerten Gedichtbandes von Gundula Schiffer. Informativ, poetisch und voller Tiefe. Abwechslungsreich mit eher prosaischen und eher lyrischen Abschnitten. Und nicht zu vergessen mit Gedichten auch in hebräischer Sprache.


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