Gundula Schiffer: Eine Wanne namens Wanda
Gedichte > Gedichte der Woche
Foto: Simone Scharbert
Gundula Schiffer
Eine Wanne namens Wanda
Herrenloses Foto
wandert aus und retourt ins Gedicht
Ohne einen Schritt zu tun, weiche ich der großen
Pfütze, dem Matsch vorne im Bild
aus, denn in dieser Stadt bin ich bestimmt auf
Reisen, kann mir keinen Dreck leisten,
zwar sprechen die Häuser Deutsch, doch kann ich an
diesem Abend nicht nach Hause.
es dämmert auf dem Foto, hier und da gleißen
Fenster, versprühen wie Wunderkerzen
ihr Licht – weil von draußen keine stärkere Reaktion
mehr kommt. die Natur genießt
einfach, ihre zwei großen Leuchten, während die
Menschen, diese Nachzügler kalten
Krieg führen, in nächtlichen Angriffen mit Strom
schießen, was das Gros der Welt
als Revolution feiert, man aber auch
fürchten kann wie den Anblick eines OP-Tischs.
An das ganze Arrangement dieses Fotos möchte ich
mich drücken, wie an jemanden,
den ich gerade kennenlernte, schon verliere, ans
Kiosk ums Eck, sagt mein Herz, das
hier Regie führt, pass auf, das ist der
Nachtexpress nach Wien, weiter noch. ach diese
Prophetie im Graffiti, der Weckruf im Dreck, den
aufgelesenen Kunststücken, Reisig,
mit dem du Feuer machst im nimmer endenden Winter
der Welt.
Der aufgesprühte Mädchenkopf ist ein hellblondes
Lächeln der Hoffnung, als wäre dort
wirklich etwas Lebendiges, mehr als ein farbiger,
toter Schatten oder könnte es werden:
Veronikas Schweißtuch. neben ihr das Display eines
alten Handys – retro, in der Farbe
einer Orange, sonnig wie die Valensina-Werbung.
weiter hinten ein bisschen Gesträuch,
stilles Geräusch von Grün am Rande, ein bisschen
Bäume, zerbrechlich, kahl, erloschene
Blitze stehen sie da, sind von der Sorte des
Bleibenderen, aufgeschriebenes Licht.
Hier ist von einer Traurigkeit die Rede, die sich
mit wenigen, hilfsbereiten Mitteln
ein Refugium erfand. hinter dem kleinen
Totenmaar teilt eine grün-weiße Pappfigur
das Bild, ein Rumpf an der Stange. im Advent gibt
es diese Schokoladenlutscher, der
Weihnachtsmann am Stiel, auch er ohne Beine, so
ähnlich. hier zählt nur die Realität
meiner Hand, die sich festhält am Kunstcharakter
dieses Fotos. ein Stückchen weiter
steht eine Badewanne unter einer Kuppel aus Draht,
das zarte, unscheinbare Zentrum
der ganzen Inszenierung. diese Wanne,
Alltagssymbol des Reinwaschens ist dreckig
wie ein Futtertrog für Kühe.
Unter dem Mandala-Geflecht aus Draht bleibt die
Wanne unnahbar, niemand wäscht
sich darin rein wie König David, der Batscheva,
Urijas Liebe beim Baden verführte,
bat in seinem Psalm: weiß wie Schnee. nein, die
absurde Freiheit dieser Badewanne
macht sich keinen Duchamp, kein Konzept aus sich,
weil Kunst ist der Gegensatz von
Rezept, in erster Linie Rezeption,
Umgarnen, Umspielen von Gelerntem, Ordnungen.
Darum weiß ich, in der Not packe ich diesen Hof,
der keiner ist, zusammen und gaste
anderswo weiter, mache was aus nichts, wie der
Boss in der Genesis, stelle als Schild
zu meiner Werkstatt einen Menschen auf. und
Buchstaben konvertieren ungesehen in
ein anderes Schriftsystem. auch wenn auf dem Weg
zu meiner neuen Haustür ein totes
Pferd wie ein kaputtes Fahrrad liegt, werde ich
mir meine Retourkutsche zimmern, man
reiche mir dazu einen Badewannenstöpsel, den steck
ich mir ins Ohr und höre viel mehr
als nur Musik, telefoniere mit dem Off, eine Art
Best of Ausblick, der Rest für hier nach
kommt dann von selbst rüber.