Gundula Schiffer: "Ich schließe mich wie Jalousien zu"
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Foto: Rebecca Peetz
Gundula Schiffer
„Ich schließe mich wie Jalousien zu“
„Verdammt, wer sich nicht schließt, ist ewig da […]
Wem habe ich mich, hat mein Wort sich hingegeben?
Ich lebe uns geschlossen aus dem Leben.“
(Rolf Bossert, Der Traum)
Ich schließe mich wie Jalousien zu
So geh ich durch die Stadt, nur zwei, drei Reihen
von den Lamellen oben
sind gekippt wie ein zitterndes Visier
Dass ich genug sehe, wo ich gehe, vor mich hin
Es regnet leise, zarter Niesel
Aber nicht draußen, nein hinter meinen Jalousien
Das bin ich, die weint, weil sie auf der Straße ist
Während du geblieben bist an einem anderen Ende
Bin ich wie eine umgekehrte Dirne, erloschene Birne
Kein Licht mehr brennt in mir, ich hab schon ausgemacht
Steige mit schlafenden Beinen in die Bahn
Und lege mich dann geschlossen ins Bett
Ein Leib wie ein lebendiger Sarg
Erst wenn du zurück bist, auf irgendeine Weise
Dir fällt gewiss etwas ein, ein absurdes Bild:
Du könntest die Jalousien eifersüchtig machen
Dann erwachen sie zum Leben, werden tagaktiv
Und du kannst dir eine Scheibe davon abschneiden
Eine genügt, dass du durchs Fenster einsteigst, sei’s
auch durch einen flinken Wink
auf meiner Wellenlänge durch die Lamellen.
Willkommen in meinem Auge.
Erst jetzt bricht ein neuer Morgen an.
In: Gundula Schiffer: Fremde Einkehr. (Prosa-) Gedichte. Weilerswist (Verlag Ralf Liebe) 2024. 143 Seiten. 20,00 Euro.