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Günter Plessow: Angedacht

Memo/Essay > Aus dem Notizbuch > Essay

ANGEDACHT



Woran Heine, nachts vor allem, dachte – an Deutschland und an Mathilde – ist nachzulesen. Beides brachte ihn um den Schlaf. Wenn wir heute an etwas denken, fehlt uns eher etwas anderes, nämlich die Sicherheit, wie wir uns ausdrücken sollen, was einen, zugegeben, unter Umständen auch um den Schlaf bringen kann. Wir fragen uns heute allen Ernstes: sollen wir überhaupt noch an etwas denken? Oder sollen wir es einfach andenken?

Daß wir uns nicht mißverstehen: Andenken sind nicht gemeint. Wer so etwas sammelt, um seinem Erinnerungsvermögen äußerlich zu Hilfe zu kommen, muß natürlich immer daran denken, möglichst genau sogar. Unsere Vorfahren, die Sammler und Jäger, hätten mit einem bloß vagen Andenken ja auch weder Früchte gefunden, noch Wild aufgespürt. Oder heißt andenken vielleicht andächtig denken? Kontemplativ gestimmt sein? Die Kälte, die Blässe des Gedankens vermeiden? Bei aller Rationalität den Gegenstand respektieren als einen Teil der Schöpfung? Nein, spätestens hier schöpfen wir Verdacht, völlig aus der Zeit zu geraten, respektive deren Höhe zu verfehlen.

Höchste Zeit also zuzugeben, daß wir mit unserem Präzisionsstreben völlig daneben liegen. Denken wir daran, daß ein die-Dinge-ungefähr-Ansprechen-und-ein-wenig-darum-herum-Denken in der Regel viel angenehmer ist. Es tut niemandem direkt weh und läßt doch einen Anschein von Verantwortungsbewußtsein auf uns fallen, der uns erleuchtet.

Ausgeschlafen? Denkste.


Günter Plessow: AUSGESPROCHEN UNAUSSPRECHLICH. 15 Etymologische Ausflüge. Teil 15. Unveröffentlicht.


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