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Günter Herburger: Schatz. Liebesgedichte

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Tom Schulz


VOR PORNOGRAFISCHEN RUINEN DER ZAHNLÜCKENSTADT
Günter Herburgers „Liebesgedichte“ zeigen die Rückenseiten des Glücks.



Wenn etwas dauerhaft in den schmalen Lyrikregalen der Buchläden steht, sind es Sammlungen von Liebesgedichten, die allezeit einen geneigten Leser und eine verehrte Leserin gefunden haben. Gedichte über die Liebe, von der Antike bis in die Gegenwart, manchmal stille Erotik, oftmals Trostsprüche und Klagen, aber auch jene Euphorie und das Glück, das man gelegentlich bei Schwebenden gesehen hat, bis sie wieder auf dem Boden landeten. Liebeslyrik war und ist vor allem ein Genre der Affirmation, der Verheißung, der Versprechen, des Zusammenfinden und wieder Verlassen: „Wann werden sie sich trennen? Bald./ So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.“ – heißt es bei Bertolt Brecht. Mit all diesen uns bekannten Phänomenen und Klischees haben die Gedichte Günter Herburgers, die unter dem merkwürdigen Titel: SCHATZ - LIEBESGEDICHTE erschienen sind, nichts zu tun. Die etwa achtzig Gedichte dieser Sammlung, die mit einem feinsinnigen Nachwort von Mirko Bonné versehen wurden, stehen wie ein Fels in einem seichten Meer der Gegenwartslyrik, wie sie uns zuhauf präsentiert wird.


Herburger hingegen ist ein Meister absurder, grotesker und greller Komik, ein Sänger zuweilen boshaften Spotts. In seinen neuen Texten zerlegt er die lächerlichen Gebaren und hilflosen Gesten der Freizeit- und Spaßgesellschaft. Er formt das Weiche, modelliert es und schafft etwas Hartgefügtes. Tatsächlich gelingt es ihm, die Gattung der Liebeslyrik einigermaßen auf den Kopf zu stellen. In „Schatz“ findet sich mehr Abstoßung als Anziehung, mehr Rauheit als Zärtlichkeit, mehr Kopulation als guter Sex. Die zart fühlenden Liebenden sind aus der Welt verschwunden, so scheint es, ein für alle Mal?

Schon was die früheste Phase des Lebens betrifft, wird die Frage aufgeworfen und beantwortet: „Sie erinnert sich/ an Schrecken ihrer Eltern,/ als sie noch nicht geboren war,/ erst zusammengekrümmt/ im Bauch ihrer Mutter schwamm,/ ein Fischlein, das Töne hörte.“ („Soll den Rasen mähen“).

Der 1932 im Allgäu geborene Herburger gehört einer Generation an, die noch das aktive Erleben des Zweiten Weltkrieges und der Nachkriegszeit in ihrem Werk verarbeitet haben. In seinen Gedichten hält er diese Zeit lebendig, nicht als biederer Mahner, sondern als Wort- und Gedankenjongleur. So wundert es kaum, dass die Gegenwart bevölkert ist mit den GI und der sowjetischen Besatzungsarmee, es wimmelt von Stalinisten und Bürokraten, dem Mief der 1950er Jahre, die Günter Herburger literarisch ausmistet: „Ein Kinderwagen unter Beschuss?/ Der sowjetische Film./ Laute von Schnüren aus der Scham gezogen,/ westliche Mode./ Dazu Peenemünde stöhnte der Zahnarzt,/ Peenemünde.“

Herburger zeigt uns die Rückseiten, Wundränder und Brüche, die Angst und das aschgraue Alter, die Traumlosigkeit und eine tiefe Verletzung. Hier, wo wir leben, findet sich keine Herrlichkeit und die Versprechen sind abgewetzte Taschen, in denen sich gebrauchte Taschentücher befinden. Das, was wir meinen zu besitzen, nämlich die Liebe, glaubt man dem Autor, heißt: Wir befinden uns in einer Sackgasse, aus der wir wohl nicht mehr herausfinden können. Wir müssten längst umgekehrt sein in ein anderes Verständnis von Zusammensein - in ein anderes, wahres und menschliches Empfinden von Vereinigung. Uns dies vor Augen zu führen, bedarf es solcher Autoren wie Günter Herburger. Zu den beeindruckenden Gedichten des Bandes gehören die Porträts von E.E. Cummings und Jakob von Hoddis, denen der Autor auf seine Weise die Referenz erweist: unsentimental, ohne jedes Pathos. Seit den „Maulwürfen“ und späten Versen von Günter Eich hat es eine solche Art von Anti-Poesie, die das genaue Gegenteil des Erhabenen und Gekünstelten ist, im deutschsprachigen Raum kaum mehr gegeben. Es scheint, als hätte sich ein gewisser, gut informierter Nihilismus mit der Vitalität einer nicht abbrechenden Schaffenskraft verbunden. Und darin liegt sie: die unbändige Lust. Die Lust am Sein, an Werden und Vergehen - und das Zugewandte zu allen Kreaturen, denn: „Wimpertierchen/ haben sieben Geschlechter,/ vermehren sich ewig, sind unsterblich.“ Und zum Schluss: „Ich gehe jetzt./ Sie werden mich/ nicht mehr sehen.// Gottfried,/ können sie eine Pistolenkugel,/ wie es in Filmen geschieht,/ mit der Hand fangen?// Nein, niemals.“

Der mittlerweile über achtzigjährige Langstreckenläufer Günter Herburger hat ein weiteres famoses Buch seinem weit gefächerten Oeuvre hinzugefügt. Es ist ein zorniges und nicht gütiges, ein altersweises bitterböses und doch in gewissem Sinn heiteres Buch geworden.


Günter Herburger: Schatz. Liebesgedichte. Gerstetten (Kugelberg Verlag) 2015. 117 Seiten. 18,99 Euro.

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