Gudrun Orlet: Der hellere Horizont
Montags=Text
Gudrun Orlet
Der hellere Horizont
«Ich wurde nicht wahrgenommen,
ganz klar. Die unverwirklichten Projekte
verdeutlichen das.»¹ (Gustav Metzger)
I
Doch
waren der Stift und das Papier ein naheliegendes Werkzeug,
weil vorhanden,
unauffällig, platzsparend, leicht zugänglich.
Schreiben wurde einem. mir
beigebracht. im Heft mit den
Übungsschwüngen zeichnete ich mit dem Buntstift
die Formen. das
Nachzeichnen der Bögen stimmte mich zuversichtlich. Das will
ich.
die Buchstaben benennen. die Kulturtechnik Schreiben konnte nicht
mehr in
Abrede gestellt werden. es gab ein Übereinkommen. das
Übereinkommen erlaubte das
Üben. mit dem Lernen des Rechnens
war die zur Verfügung gestellte Zeit verbraucht.
die Hände waren
gebunden. dann war ein Schloss überflüssig. Täter inexistent. die
Tat
eliminiert. das Wort war auf einer vorgezeichneten Linie geschrieben.
stabil. aus Buchstaben. die Buchstaben schreiben. existentiell.
Buchstaben sind
an keine Aussage gebunden. ein fertig
geschriebenes Wort war ein lustvolles
Produkt. ist ein lustvolles
Produkt. die Wörter begannen. und waren noch keiner
Funktion
eines Satzes untergeordnet. ich schrieb die Buchstaben und Wörter
auf
die vorgezeichnete Zeile. das Wort. das Wort in seiner Existenz.
drehte sich
vor meinen Augen. die Wörter flogen. fliegen. ich hole
aus. die Wörter bauen.
mein Zuhause. und das funktioniert.
verankern in Wörtern. und darin einrichten.
sie sind Häuser mit
Heizung. Stell dir vor. ich wohne in einem Zuhause mit
Heizung. kein
Holz durch den Regen tragen. in den Worten wohnen meine Leben
unter
einem Dach. alle. auch die Unsichtbarkeit. die obdachlose
Existenz. der Halt im
Wort. die Geschichte nimmt ihren Lauf.
Bücher
lesen. lesen. vorzüglich Bücher lesen. das Zeitunglesen
vornehmlich im Café.
ist geschlechterübergreifend für eine
Bevölkerungsgruppe untersagt. Ausgrenzung
erfindet sich neu. nein.
bestimmt neue Gesichter. hinterlässt Unsicherheit.
mein Schreiben.
keine Vorstellung was Verfassen. Verfassung. Verfasstheit ist.
Bücher
las ich nach meinem 16 Lebensjahr. das Betroffenheitsding.
Sachbücher.
jetzt schreibe ich das Betroffenheitsding. dann Literatur.
Literatur. Kunst.
Kultur war abhold. Diversität ist unter festgelegten
Regeln. erlaubt. normiert. umgesetzt. für Menschen. die den.
welchen. Regeln entsprechen. nicht entsprechen. gilt Diversität nicht.
Pluralität ist ein alter Begriff. stirbt aus. das Leipziger Literaturinstitut
wurde nach der Wende geschlossen. das Betroffenheitsding. war
noch nicht wieder
eröffnet. das war kein Grund. ich war
inkompatibel. das Betroffenheitsding. das
Verfassen erfüllen.
ich konnte. Fehler. und Unsicherheit. und Umgebung. mach
das zu
deinem Hobby. die seit jeher bestehender Realität. münzte mich fest.
das
bringt nix. wenn ich mich dem Schreiben zuwende. schreiben. ich
werde nervös.
weil ich Tage und Wochen und Monate nur mit dem
Schreiben lebe. leben will. überfällt
mich Panik. ohne Druck
schreiben. schreiben. die Tasten. die Freude der
Freiheit. ohne Angst
ohne Angst. die Gedankenroboter treiben in die Unruhe. das
flaue
Magengefühl. lenkt dich ab. in die Küche. putzen. das
Betroffenheitsding.
und sinnvolle Dinge tätigen. tätig sein. ich
vermisse. und dich. das alte
Thema. Existenz. dann wende ich mich
Tätigkeiten zur Sicherung. zu. wie das
Lernen das Denken nix bringt.
insbesondere für Mädchen. in deren Bildung
investieren. sei
überflüssig. das Betroffenheitsding. das wird heute
bestritten.
dementiert. so etwas gab es vor langer Zeit. früher. darauf wird
beharrt. alles ist gleich. kein Grund sich zu beklagen. die Mädchen
fördern
sich selbst. zählen zu den Besten. von einer Abhängigkeit in
die andere.
ich
schreibe Sätze. die Sätze knote ich an eine Leine. die Wäsche
trocknet.
funktioniert. das kann ich dir sagen. aus anderen Worten
baue ich Monolithe.
aufgebaut. weil ich Wörter unter Druck
erschaffe. härte. härten. Monolithe. manchmal
Blöcke. monolithische
Kreation. andere Kreationstechniken waren mit
unerreichbarem
Material-, Raum- und Technikaufwand verbunden. wären sichtbarer.
Papier kann in einfacher Weise verborgen. vernichtet werden. Gustav
Metzger
eignete seinem Werk die Zerstörung an und bestimmte über
die Unsichtbarkeit
anstellte einer nicht wahrgenommenen
Unsichtbarkeit.
Auch wenn die Öllampe das Papier nicht in der Schnelle verbrannte
wie ich
Schritte die ausladente Steintreppe empor gehen hörte, die
vielen Seiten
quollen im Öl, Männer rissen die schwere Holztüre auf.
ich sah zu meinem Kind,
das im in der Wand eingelassenen Bett sass
und zu mir lächelte.
der
Kulturtechnik Schreiben bediente ich mich auf der Grundlage
meiner schulischen
Bildung. sozialisiert. mit Litaneien in einem
bildungsfernen. das Wort. Modewort.
fern. an den Rändern. die die
Zufriedenheit der Zertifizierten stabilisieren. aus
bildungsnahfernem
Milieu. die Nebel krochen. die Distanz zwischen mir und dem
Aussen
verschwand im Nebelweiss. das Wetter gab mir Zeit zum Träumen.
still.
die Krähen rotzten ihre Stimmen von den Bäumen. ich kroch in
die Winterstiefel.
das Telefon klingelte bei den Nachbarn. eine
wöchentlich geradezu zelebrierte
Verachtung gegenüber Lernenden.
und noch mehr lernenden Mädchen gegenüber war von
der einen
Seite nach dem Essen eine beliebte Konversation. die den anderen
rechtschaffenen Arbeitern auf der Tasche liegen würden. und es ist
egal. die
andere Seite erlaubte Bildung für ein Geschlecht.
insbesondere, wenn sie ihren
Dienst dem Klerus zur Verfügung
stellen würden. egal. was
du bist. der freie Geist fand keine
Anhänger. findet keine. wer bestimmt das
Richtige in einer Zeit. das
Ich lebt im Labyrinth der Existenz. sicher. das
Betroffenheitsding. und
mit verinnerlichter Autorität. das klingt sauber.
hinterlässt. das
Bezweifeln. Hinterlassenschaften. der Zweifel. und andere. auf
schreienden Hälsen. das Ich kennt kein Spielzeug. Notwendigkeit.
Spielkameradinnen. Notwendigkeit. Spiel. das Ich war. versteck.
verreck. im Unsichtbar.
auf Notwendigkeit getrimmt. jeden Impuls
hinsichtlich der Notwendigkeit überprüfen.
die Notwendigkeit
begründete sich aus dem Überleben. was bleibt. zurück.
das Wort
würde von etwas Verbliebenem sprechen. Notwendigkeit verbraucht
sich
in der Gegenwart. die Verunsicherte wuchs wie eine Kerze, die
an zwei Enden
brennt. die Novemberruhe rettet mich. jährlich. mein
Wollen war vermessen. weil
ich wollte was mir nicht zugedacht war.
nicht zugerecht. das Betroffenheitsding.
bin aus nicht nachweisbarer
Bildung erwachsen. ein Monolith in Formlosigkeit. die
Sprache
reduzieren um zu kaschieren. jedes Gedicht zu einem inhaltlichen
Ende
bringen. der Druck. führt in eine strenge Form. ein inhaltlicher
Schlusspunkt.
in sich geschlossen. Ästhetik der Abgeschlossenheit.
eine Form der Optimierung.
ich formte. bis die Sprache Prägung
annahm. eine Fehlerbeseitigung. dann sind
Monolithe unabdingbar.
der Wille der Kreation. Monolith. Überlebenskreation.
die Prägung
wird zu einem unwiderruflichen Monument. Manifest. aus
Ermangelung
beweissichernder. Zertifikate. die Akzeptanz einer
Autorität. Zertifikate
erlauben. geben den Beweis. ist Eintritt. geben
Erlaubnis. für Sichtbarkeit. «Ich wurde nicht wahrgenommen, ganz
klar. Die
unverwirklichten Projekte verdeutlichen das.»² nur ein bis zur
Unumstösslichkeit geprüftes Wort ist es Wert den Weg auf das Papier
zu finden. das
selbstkreierte Regime. tatsächlich habe ich ein
Selbstverständnis. eines das in
einer Weise lauten könnte, wenn ich
Widerstände aus Zweifel, ob meinem Können,
meiner Berechtigung,
ob meiner finanziellen Existenz, meiner Freiheit, meines
beruflichen
Werdegangs, meiner unausgesprochenen Gedanken, meiner
verschwiegenen Gedanken, ob der Stimmen der Freunde, ob des
Neids und
mangelndem Beweis mich schriftstellerisch äussern zu
dürfen, durchschritten
habe, vorher noch alle Verpflichtungen
erfüllen. damit ich mir Erlaubnis
erteilen darf. mein schreibendes Ich
lebt wahrlich in autokratischen
Verhältnissen.
was
bestimmt einen lesenswerten Text. wenn wir nicht nach Kriterien
der Position
auf dem Markt dem Werk die Existenz zusprechen.
können. stimmt zu. stimmt zu. ich
stimme zu. Druck. externer Druck.
hierarchische Struktur verinnerlicht.
internalisierter Druck unter dem
das Ich. der Druck. das Fieber meines Lebens.
der Druck am Leben zu
bleiben. entkommen zu können. die Freiheit ist. ein
Vergehen. das Ich
bezieht Position. erschafft unbezwingbare Sprache. versichert sich
der Existenz. diese Beweisführung drückt Zweifel nieder.
das
Schreiben entfaltet sich und das Ich nimmt davon Kenntnis. das
Ich erkennt und deckt
sich mit Angst ein.
«Aber
es gibt ja die Forscher und die Dichter, die nicht lockerlassen,
die es
aufsuchen, untersuchen, ergründen und begründen wollen,
und die es immer wieder
um den Verstand bringt. Sie haben das Ich
zu ihrem Versuchsfeld gemacht oder
sich selber zum Versuchsfeld für
das Ich, und gedacht haben sie an alle diese
Ich der Lebendigen und
der Toten und der Geistfiguren, an das Ich der Leute von
nebenan
und an das Ich des Caesar und das Ich des Hamlet, und all dies ist
noch
gar nichts, weil noch nicht allgemein. Darum ist noch zu denken
an das Ich der
Psychologen, der Analytiker, an das Ich
der Philosophen, als Monade oder im
Bezug, als empirische
Kontrollstation oder als metaphysische Grösse. Alle diese
Experten
sichern sich ihr Ich, sie leuchten in ihm herum, betasten es,
verstümmeln und zerschlagen es, bewerten es, verstümmeln und
zerschlagen es,
bewerten es, teilen es ein, zirkeln es ab.»³
II
wir
begegneten uns am Bahnsteig. er ermittelte mich der Herkunf.t.
ich lachte, ob
seinem Eindruck über mich. und lächle immer noch,
war er ein Mensch, wie ihm
heute die Chance auf Existenz verwehrt
bliebe, vielmehr ein Wesen als gemeinhin
ein Mensch in einer
Vielschichtigkeit aus Feinsinn, Intelligenz und von
spontaner
Zugewandtheit, die mich zu einer Steppenläuferin an seiner Seite
werden liess. wir tauschten unsere Arbeitszimmer eine Zugfahrt lang
aus. wir
lasen auf dem Dach des damals einzigen Hochhauses
«Kaugummis sind die Geister
letzter Woche», während der Wind
deine unanständigen Gedanken zwischen die
Wörter kritzelte. ein
Rezitator verlangte den visuellen Eindruck des Abstandes
im
Verhältnis zur Lesepause im gleichen Verhältnis anzuordnen. war
ausreichend
für eine umfassende Phantasie des Begehrens. das
Gedicht gefiel ihm, und mir,
dass es ihm gefiel. der Wind schob uns
durch die schwere Glastür mit dicker
Eisenrandeinfassung und dem
schräg vertikal angesetzten Handlauf, den du mit
deinem ebenso
dünnen wie grazilen Körper öffnetest, mich dicht an dir
vorbeilaufen
liessest. ich mich auf der Stange deines für heutige Verhältnisse
ramponierten Fahrrad setzte. er sass aufrecht. ich glücklich. meine
Haare
wehten ihm über deine Lippen und deine und meine Ohren
berührten sich in den
Bohrkernen aus der damals tiefsten
Erdbohrung.
III
das
Helle ist durstlos. der Moment.
die
Erinnerung an das feuchte Gras im Herbstlicht aus Kindertagen.
das
Wort «Kindertage» ist Übungsmaterial. Sprachmaterial.
ein
Appell an den Samtvorhang, den die Erinnerung einen Moment
hebt und
Feuchtigkeit die Augen glänzen lässt.
ich
fühle Gras und ich fühle keine Kindertage. die unmittelbare
Umgebung.
die
Feuchtigkeit eines Septembers.
beinahe
nass im Oktober.
und
im November buckelte das Wasser die Gräser.
heute
ist die Feuchtigkeit eine Begebenheit der Jahreszeit.
der
Moment der gleichzeitigen Begegnung ist das Gerüst, das für die
nächsten Monate
meinen Blick verstellen wird. die Unmittelbarkeit
der Empfindung.
Oder ein undatiertes Gefühl bestimmt die
Gegenwart. geht mit
einem willkürlich bestimmten Augenblick eine Verbindung ein.
dessen Präsenz ein Bleiberecht in Anspruch nimmt und einem selbst
aus dem
Vergehen der Zeit enthebt. das Ich von alltäglicher
Orientierung befreit.
initiiert. geistige
Gegenwart. kommt und geht.
nimmt kein Bleiberecht in Anspruch. kaum. dem keine
konkrete
Verankerung innewohnt. ist weder Ort noch Zeit zuzuordnen. ausser
ich
erinnere mich an ein Parallel. Dem Café. Der See. dem Moment
des
Aufeinandertreffens. dann erlangt Schönheit. Empörung.
Erstaunen oder ein
Gedanke meine Aufmerksamkeit. habhaft. und
wenn das Ich. die Kollision. das Ich
dem habhaft werden will. der
Wille mag einer Notwendigkeit entspringen. einer
persönlichen
Notwendigkeit. der Willensakt. das Interesse des Ichs muss geweckt
werden. das Wollen folgt. Schreibe ich aus der Erfüllung einer
Notwendigkeit.
zwingend. oder Wille. besteht der Wille eine Kreation
zu erschaffen beginnt ein
Eingriff. eine Intervention. ein Schaffensakt.
ein Ich will. ein Du. aus einem
Ich will ein Du entstehen. ein Ich will
ein Du entstehen lassen. vielmehr eine
Wippe bauen. nein. will sich
ein Ich vervielfältigen. ausbreiten. ein Ich will
sich in einem Leben
ausbreiten. das schreibende Ich will sich ausbreiten. das
schreibende
Ich will Leben gewinnen im Ausbreiten. im Zeit ausbreiten. im
Schreiben fühle ich mich geborgen. das Schreiben am Schreibtisch,
wenn alle
Hürden durchkämpft sind, dann fühle ich mich zuhause.
angekommen und ruhig. und
ich bleibe und ich möchte beim
Schreiben bleiben. das ist mein Ort. mein
Bleiben. mein Zuhause.
vielmehr
in einem Gedicht. vertraue ich der Poesie bin ich
sicher.
fühle
mich existent. berechtigt. das Geschriebene lebendigt das
Nichtgeschriebene.
das Gedachte. das sich auf ein Wort einigt.
die Sekunde. deren Geschichte
erzählt wird. dabei ist die Poesie die
Amphibie. und kreiert Leerstellen. verbindet das Vertikale mit dem
Linearen. erschafft das Volumen. eröffnet Blickwinkel, die sich der
kausalen Wahrnehmung entziehen. die über das Lineare
hinausreichen. sich der reinen Bedürfnisbefriedigung im Sichern eines
kausalen
Nachvollziehens entziehen. Poesie widersetzt sich dem
Konsum. Ohren hören die Buchstaben
aus den Lehrzeichen. hier am
Holz und hungrig. das poetische Denken von Ilya
Kaminski ist mein
Liebes. ich suche die Liste mit meinen Lieblingswörtern.
lasse die
innere Mediathek durch die
Tageswirklichkeit spazieren.
lese.
und das Lesen während dem Schreiben ist schönstes Lesen. am
Schreibtisch lese
ich anspruchsvolle Bücher. die durch Konzentration
erschlossen werden. eine
Freude. die Entdeckungen sind enorm,
denn mein Geist ist durch das Schreiben in
anderer Weise wach.
IV
Herta
Müller schreibt in ihren Romanen von einem Gefühl der
Verbundenheit und des
nicht Entkommens. die Figuren nehmen
Bezug. Sie nimmt Bezug. in ein Ich. Ihr
Schreiben nimmt Bezug. Sie
nimmt Bezug auf ein Leben und eine Vergangenheit.
die Kraft besitzt.
manchmal meine ich, das könnte Heimat sein. ein
untergrabenes Ich.
gleicht einem Minenfeld. die Kraft ihres Bezugnehmens ist
vorhanden. in ihrem Schreiben schreibt sie aus einem anderen als aus
dem sie
erzählt. einem zweiten Leben, dem das erste fehlt. ihre
Sprache ist mit
unausweichlicher Bildkraft unterlegt. das Leben. das
nicht geschrieben. nicht
gelebt. weil Lebendigkeit verboten war. sie
schreibt von eingesperrtem Leben.
verbotenen Bewegungen.
Begegnungen. eingesperrt und ausgesperrt. im vom Regime.
eingesperrt und ausgesperrt. vor dem blauen Licht.
Lebensäusserungen sind unter
Androhung verboten. weil das Verbot
in die Lebendigkeit gedrängt wurde.
Menschen definierten welches
Leben sichtbar besprochen werden durfte. darf. und
welches Leben
im Verborgenen. unbesprochen. im Schweigen. seinen Lauf grub.
gräbt. sich in die Unsichtbarkeit grub. gräbt. keine Öffentlichkeit
erhalten
durfte. darf. keinen sichtbaren Raum betreten durfte. darf.
der Fundus ihrer
unbeworteten Geschichten ist gross. ihre
Vorratskammer. ihre Ichs sind an einen
Ort gebunden. und jede
Entfernung eine an einer Leine ist. bleibt. die Leine
reisst nicht. der
Verlauf findet kein Ende. die Figuren sind an neuen Orten im
alten
Zuhause. sie erschaffen Gewohnheiten. wiederkehrende Routinen.
wird ihnen
eine Gewohnheit genommen verankern sie sich in der
Tätigkeit. wird ihnen die
Tätigkeit genommen verankern sie sich im
Blick. am Anderen. und werden ihnen
die Anderen genommen. dann
verankern sie das Ich im Blick. wird der Blick
entrissen, verankern sie
sich im fehlenden Bild. sie schreibt von unbeworteten
Leben. das Ich
erzählt sich im Gegenüber. auch wenn der Mensch längst verlassen
wurde. das Gegenüber bleibt. jedes Gegenüber könnte Gefahr
bedeuten. das Ich
wird mit einem Makel besetzt. damit andere in
Distanz blieben. fern bleiben.
dass Du alleine bleibst. das Ich bleibt.
alleine. und du nicht in die Nähe der
anderen gerätst. abgespalten.
gespalten. ihre Figuren verlassen keinen Ort.
kein Verlassen und
keine Rückkehr. sie schrieb aus der Ferne. aus einer
Zukunft. das war
Ermutigung. sie rettete sich an einen helleren Horizont.
glaubte ich.
der hellere Horizont. sie kannte die Frontlinie. die Menschen
zeichnen. andauernd. «Die Frontlinie ist an den Ort gezogen wo deine
Zehen
stehen»⁴ du bist in Stellung gebracht.
V
das
Wort bekräftigt die Existenz des Verstecks unter dem Sparren für
das aus blauem
Stoff genähte Tier. dieses Tier wurde solange durch
die Lauge der Angst gezogen
bis Unkenntlichkeit die Identität der
Unsichtbarkeit annahm. die Unsichtbarkeit
misst die Zeit. unter
Ausschluss der Öffentlichkeit. Partizipation verhindert.
die
Algorithmen sind die Pressesprecher. sagen was ihnen befohlen wird.
vollbracht. das ist des Lebens mächtigste Todeswort.
VI
«Wer
enträtselt Wesen und Gepräge des Künstlertums? Wer begreift
die tiefe
Instinktverschmelzung von Zucht und Zügellosigkeit, worin
es beruht!» (Thomas
Mann, Tod in Venedig). unter welchen
Umständen entfaltet sich
Kreativität. wie kann man kreativ arbeiten
und gleichzeitig den Lebensunterhalt
verdienen. die zugrunde
liegende Annahme schafft das Problem. der Gedanke, um
den ich
kreise, seit ich schreibe, und je länger ich schreibe umso mehr kreise.
viele Gründe mag es geben, einen sicher, ich gehöre nicht der
Inzestbude an,
wie auf der Seite Lyrikkritik, das Netzwerk, der Kreis
der Lyriker*innen
unter einem Botton, ihr Dasein. ihre Zugehörigkeit.
bestätigen.
“Last summer, you applied writers' residences and
we thank you
warmly for doing so. I regret to inform you that your application
was
not retained by this year's selection committee. In no way does this
mean
that your project lacked in merit; rather, extremely limited
space meant that
very tough choices had to be made. I heartily invite
you to apply again
for our 2023 session. The application
will be
available online next Spring». die Hoffnungsretorik «next spring »
funktionierte
in jungen Jahren. und einige Jahre danach. auch noch in
den 40ern.
weder die Verkaufszahlen. «Regentonnenvariationen» ging über 40
000-mal über den
Ladentisch, respektive in den Postkasten. Dennoch,
so resümiert Thomas Böhm,
ist dieser singuläre Verkaufserfolg kein
Garant dafür, dass andere
Lyriker*innen am Erfolg der Lyrik eines
Einzelnen partizipieren könnten,
mitnichten. Vielmehr lebt der
Literaturbetrieb von engagierten Verlegern und
Verlegerinnen und
von angesehen Verlagen. und die Karriere planen. und in allen
Netzwerken präsent sein. wie der Medienfachmann in einer
Weiterbildung des
Autorenverbandes referierte. Essen posten. bringt
auch immer Klicks. das mögen
die User. sobald ihr das Haus verlasst.
macht Fotos und postet sie beim
Heimkommen. ja. Essen ist immer
gut. fotografiert euer Essen. das hört sich
nach Essstörung an. schaut
bei ihr vorbei. die postet immer Essen. das kommt
gut an. sie hat
viele Follower. jeden Tag den Followern ein Häppchen. Essen. das
Wurmloch
schlupft mich zurück in die Biersuppe. dem
Ausgangspunkt. ich variierte die
Wege. vermochte freie Hände zu
haben. ein mit Händen gegrabener Weg weitet sich in jedem
Sprung
um die Länge des Schritts. eine erwachsende Schlucht. das Sitzen am
Schreibtisch bleibt unbehelligt.
¹ https://www.monopol-magazin.de/der-mann-der-zu%E2%80%89viel-wusste 18. November 2021.
² https://www.monopol-magazin.de/der-mann-der-zu%E2%80%89viel-wusste 18. November 2021.
³ Ingeborg Bachmann. Frankfurter Vorlesungen: Probleme zeitgenössischer Dichtung. S. 42. Piper 1989.
⁴ Erstveröffentlichung «Die Frontlinie ist an den Ort gezogen wo deine Zehen stehen» perspektive106/107. Uebersetzungen 2021. S.24.
³ Ingeborg Bachmann. Frankfurter Vorlesungen: Probleme zeitgenössischer Dichtung. S. 42. Piper 1989.
⁴ Erstveröffentlichung «Die Frontlinie ist an den Ort gezogen wo deine Zehen stehen» perspektive106/107. Uebersetzungen 2021. S.24.