Greta Lauer: Zwei Auszüge aus "Gedeih und Verderb"
Montags=Text
Greta Lauer
Die Großmutter sitzt mit gespreizten Beinen auf dem
Bauch einer losen Frau. Sie kneift ihre Augäpfelein zusammen, krümmt die Wirbelkette,
sie hat sich auf eine lange Nacht eingestellt. Unter der Schürze holt sie
Messer und Eiskugelformer hervor. Sie ist hochkonzentriert und tranchiert. Trotz
der Stümpfe schneidet sie den losen Frauen geschickt die Halswand auf, holt mit
dem Eiskugelformer, professionell wie eine Eisfrau ein Kehlköpflein heraus und
legt es in die vom Großvater angereichte Wanne. Dann werden sie in Rexgläser
eingelegt und im Archiv in die Regale gestellt. Dort warten sie bis der Winter
kommt.
Und wenn im Winter das Dorf sich schwärzt schon um
fünf, werden die Kehlkopfäpflein an die Menschen im Dorf verteilt und in den
kalten Zimmern auf Bäume gehängt. In der heiligen Nacht glühen sie dann und das
Dorf erfreut sich an ihrer Wärme.
Die losen Frauen spüren keine Wärme mehr, aber auch
keine Kälte.
Sie sitzen unten am Fluss und kratzen sich ihre
Augäpfelein aus den Augenhöhlen heraus. Sie klettern auf die Mauer am Ufer und
werfen sie in den Fluss hinein, dass wenigstens ihre Augäpfelein noch einmal in
eine Weite gelangen.
Bevor das Dorf den höchsten Festtag im Jahr begeht,
gehen ein paar Dorfmänner hinunter zum Fluss. Sie tragen die losen Frauen auf
das Feld, legen sie auf ihre Rücken und zwängen ihre Schenkel auf. Zwischen die
Schenkel legen sich die Dorfmänner straks auf den Bauch. Ihre Finger flattern
an den Schenkelkehlen. Die losen Frauen liegen auf ihren Rücken und stellen
sich einen Himmel vor und die Wolken und dass sie daran erkennen würden, dass
sich die Erde bewegt, das Zeit vergeht. Die Dorfmänner ziehen mit ihren Fingern
an den Schenkelkehlen. Sie ziehen und ziehen und ziehen mit jeweils einer Hand
ein Läppchen lang und mit der anderen das zweite und dann befestigen sie die
Läppchen mit Heringen in der Erde. Die Schenkel-kehlenfestzelte ragen in die
Vorsommersonne, die Dorfmänner kriechen hinein, rollen sich ein, stecken einen
Daumen in ihren Mund und fallen in einen tiefen Schlaf.
Die losen Frauen schlafen nicht. Sie haben Schmerzen. Sie
denken an ihre Augäpfelein, die nicht mehr weinen, sondern in eine Weite
schwimmen, im grünkalten Fluss, wo das Wasser nicht wartet.
In Greta Lauer: Gedeih und Verderb. Wien (luftschacht Verlag) 2023. 120 Seiten. 18,00 Euro.
