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Greta Lauer: Gummi und Geröll

Montags=Text
Greta Lauer

Gummi und Geröll

Reifen rufen
Schmieren aufm Schotter
Rufen
Sie rufen nach dem Mädchen das ohne Schuhe auf dem Schotter tanzt.
Aus dem Staub
Spritzen Steinchen von der Straße in die Wiese.
Die Straße raucht.
Neben der Straße auf der Wiese sitzt ein Bub und raucht.
Er riecht: Gummi und Geröll.
Er fängt ein Steinchen, steckt es ein, in die eine Hosentasche ohne Löcher.

Reifen schmieren aufm Schotter schmieren um die Kurve
Rufen.
Die Fersen des Mädchens sind taub.
Der Bub rollt das Steinchen zwischen Fingern in der Hosentasche ohne Löcher hin und her.
Vor ein paar Tagen hat das Mädchen mit der Schere ihre Fersenhaut geschnitten.
Honig Honig und Geleé.
„He!“
Der Bub schreit.
Die Reifen rufen.
Das Mädchen läuft nicht in den Wald.
„Lauf!“
Der Bub sticht sich mit dem Steinchen in die Hand in der Hosentasche ohne Löcher.
„Lauf!“
Sie hört nicht sie läuft nicht sie tanzt mit tauben Fersen auf dem Schotter.

Die Großmutter die dem Buben seine Mutter war und Löcher flickte starb
Vor ein paar Tagen.
„Jetzt lauf!“
Spannung diese Spannung warum er weiß es nicht
„Warum ich es wusste.“

Und das Steinchen sticht in die Papillenschicht.

Eine Weile später
(Jahre)
Nachdem das Mädchen hinter schwarzem Blech
Verschwunden sein gewesen wird
Hat der Bub keine Hosentaschen ohne Löcher mehr
Fällt das Steinchen aufm Schotter
Und der Bub
Der dann ein junger Mann geworden sein gewesen wird
Verlässt das Land.

Jetzt sticht die Sonne in das Blech in ihre Kinderaugen
Und die Reifen rufen sie rufen
Autotüren fallen zu.
Der Wind zittert in teuer geschnittenen Frisuren.
Der Bub weiß noch nicht wie das heißt was das Steinchen jetzt verletzt.

Eine Weile später
(Tage)
Nachdem der junge Mann das Land verlassen haben wird
Sticht ihm eine Fremde Flammen in die Fingerbeeren.
Auf der Papillenschicht schmilzt: Geschichte.
Die Flamme löscht: „Minutien“.
Und der Bub der jetzt ein junger Mann geworden sein gewesen wird
Spürt kein Brennen.
„Eine Kleinigkeit“.
Wird die fremde Frau gesagt haben.
„Das ist Latein. Minutien, heißt: eine Kleinigkeit.“

Nachdem die Großmutter
Die dem Buben seine Mutter war starb
Zog das Mädchen den Buben an der Hand und hinter sich zum Fluss hinunter
Zog seine Schuhe aus schmiss sie in den Fluss schwamm die Zeit die ewig ist in der wir Kinder leben
Den Fluss hinunter und in das andere Land.
„Sie sind groß“
Das Mädchen zeigt auf ihre Füße.
In der Hitze glitzert: Hornhaut.
Honig Honig und Geleé.
„Du sollst dich nicht schneiden“
„Sagtest du zu mir“
Deine Füße werden nicht kleiner davon sagte der Bub zu dem Mädchen.
„Aber wer“
Sagte das Mädchen
„Gibt mir jetzt Schuhe?

Unter dem gekippten Fenster geht jetzt das Mädchen
Das eine Frau geworden sein gewesen wird
Geht sie unter dem gekippten Fenster schaut an sich herunter:
Unter schwarzen Schuhen die die Fersen vor der Hitze schützen
Schmilzt Teer.
Sie riecht: Verbrannte Haut.
„Minutien“, wiederholt der Mann mit tauben Fingerbeeren ober ihr
„Eine Kleinigkeit.“
Die Flamme löscht.
Er spürt kein Brennen er hört es
Er hört: Das Geräusch zuschlagender Autotüren.
Er hört: Die Zündsteine der Zippos zischen
Sie rauchen.

Sie rauchen.
Und der Wind zittert in teuer geschnittenen Frisuren.
Der Bub raucht.
Riecht: „Gummi und Geröll“.
Spürt: Das Steinchen in seiner Hand, das Brennen.
„Lauf!“
Das Mädchen hört nicht es spürt nicht es tanzt mit tauben Fersen auf dem Schotter.
Die Männer schauen das Mädchen an.
Das Mädchen sieht
Den Bub an, steigt ins Auto.
Der Bub hört:
Schwarzen Schuhe Zigarettenstummel Schotter knirschen.
Autotüren.
Und der Fluss: „Gefrorenes Geleé“

Ewig fließt die Zeit in der wir Kinder leben.
Wir sterben nicht, wir sterben nicht,
Selbst wenn die Zeit gefriert und wir
In einer Zelle deines Körpers stecken
In der die Regung taub wird im Versuch sich zu befreien gegen Wände
Klatscht wie die Pferdehufen auf die Pflastersteine
Klatschen in der Stadt in die das Mädchen und der Junge
Gekommen sein gewesen werden.
In derselben Stadt in der ihr
Zu uns gekommen seid
Zu klatschen wie die Pferdehufen auf die Pflastersteine
Den Geschichten die nicht die euren sind
Nach Geschichten in denen

Das Eiweiß der Zellen in den Fingerbeeren von den Flammen stockt
Und das Mädchen
Das eine junge Frau geworden sein gewesen wird
Mit der Nase riecht
Was sie nicht weiß

Sie weiß es nicht sie weiß es nicht
Dass er hinter dem gekippten Fenster sitzt.
Er sitzt jetzt ganz still.
Und dreht sich in die Geschichte rein
Die ihm die Flamme von den Fingerbeeren löscht
Während unten auf der Straße
Das Mädchen auf Teer starrt und Papillen schmelzen sieht.
Sagt sie Traurigkeit verkehrte Kathedrale weiße Chöre Wut in ihrem Brustkorb
Sagst sie sie?
Aber was sagt ihr?
Was was was sagt ihr uns?
Was sagt ihr ihr was euch?
Sagt es uns.


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