Grace Paley: Manchmal kommen und manchmal gehen
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Timo Brandt
Freudigkeit, Gelassenheit
„Mit welcher Freudelief ich aus dem Haus um eintausend, einhundert und neunzehnDollar zur Bank zu bringenich pfiff und ich hüpfte[…]du würdest glauben ein Liebhaberwartetan der Ecke von Chemical Trustund First Nationalgenau unter der Weideneichemit offenen Armen“
Die amerikanische Autorin Grace Paley ist vor allem für ihre
drei Bände mit Erzählungen bekannt, deren poetischer Duktus und bahnbrechende
Eigenwilligkeit ihr auch heute noch eine gewisse Sonderstellung unter den
Kurzgeschichtenautor*innen der USA sichern; zumal darin Brisantes und
Ästhetisches eine selten gesehene Symbiose eingehen.
Die Erzählbände wurden in den letzten Jahren bei Schöffling
& Co neu aufgelegt, übersetzt von Sigrid Ruschmeier bzw. Mirko Bonné, der
auch die Auswahl, die Übersetzungen und das Nachwort für diese Ausgabe von
Paleys Gedichten besorgt hat.
„Tanzen nach dem AbendbrotKnie brauchbar Liebe aufgewachtschreckthaft schlechte Nachrichten Freunde altKrankheit geht bessereine Beschäftigung alsMittel gegen das Alter Angst“
Leider hat der Verlag sich gegen eine zweisprachige Ausgabe entschieden. So bleibt die Übersetzung unhinterfragt und es lässt sich auch nicht nachvollziehen, warum Bonné bei manchen Gedichten eine reine Kleinschreibung (mit Ausnahme des ersten Buchstabens) vorzieht und bei anderen nicht. Auch die Arrangements der Gedichte, in denen Einrückungen und Leerzeichen auftauchen, muten etwas seltsam an (wenngleich diese nachweislich mit denen der englischen Originale übereinstimmen, die ich im Netz fand). Bonné gibt zwar in seinem Nachwort über die Themen und Motive von Paleys Lyrik anschaulich Auskunft, aber zu diesen formalen Aspekten oder zu seinem Vorgehen bei der Übersetzung schreibt er nichts.
Paley schrieb schon lange Gedichte, bevor sie begann, Short Storys zu schreiben und zu publizieren. W. H. Auden, mit dem sie in den vierziger Jahren zusammentraf, soll mit seiner Poetik des Engagements einen großen Einfluss auf ihr lyrisches Frühwerk gehabt haben. Von diesen Gedichten wurde aber keines in ihre (spät publizierten) Gedichtbände aufgenommen und auch in der deutschen Auswahl ist keines enthalten.
Vieles in Paleys Lyrik ist entweder szenisch inszeniert oder
zieht als klarer bis ungreifbarer Bewusstseinsstrom vorbei; in letzterem Fall
klaffen die Satzteile öfter auseinander, wodurch die Texte fast aussehen als
hingen sie in Fetzen. Diese formale Schräglage erschwert den Zugang und wirkt
mitunter mehr wie eine Marotte als formale Komposition. Wobei sich immer wiederum
andere formale Entscheidungen wunderbar erschließen, bspw. in dem Gedicht
„Nachricht an die Großeltern, wo es heißt:
„sie schaukeln auf den schaukelnin ihre Gesichter bläst der Windsie hüpfen und sie freuen sichsie essen alles“
Das Gedicht bildet in dieser Form, mit der Abwechslung von
eingerückten und nicht eingerückten Zeilen, wunderbar das Schaukeln und die
Ausgelassenheit mit ab. Bei anderen Gedichten aber wirkt es so, als sollten die
zusätzlichen Leerstellen etwas Fragiles oder Durchlässiges darstellen – aber statt
suggestiv wirken sie eher manieriert.
Obgleich Paleys Gedichte viele Motive haben, die von der
jüdischen Herkunft bis zur Friedensbewegung, von der Gartenidylle bis zum
philosophischem Exkurs reichen, gibt es doch ein Motiv, das häufiger als alle
anderen im Mittelpunkt steht: das Alter.
„Glauben Sie alte Leute sollten weggeschlossen werdendas eine rote feuchte Auge die Pupille die zurück- und zurückweichtdie Hände sind schuppigglauben Sie all das sollte man verstecken“
In den ersten Gedichten nimmt es Gestalt an in der Person
des Vaters, der im hohen Alter ziellos schimpft oder einem Freund, dem die
Vögel singen er solle statt zu sterben mit nach Süden fliegen. Das lyrische Ich
nimmt sich derweil (wie einst Oskar Matzerath) vor, nicht mehr zu altern, und
schreibt:
„Ich fürchte mich vor der Naturdenn von Natur aus bin ich sterblich“
und in einem anderen Gedicht heißt es:
„und ein namenloses Mädchen nacktbekleidet mit der letzten Nacktheit derKindheit holte Luft in mir“
Man könnte die Entwicklung des Altersthemas im weiteren
Verlauf auch als eine Entwicklung vom zitternden Bewusstsein um das langsame
Eintreten und letztliche Eintreffen der Sterblichkeit hin zur Gelassenheit
beschreiben. Am Ende sitzt Paleys lyrisches Ich als alte Dame im Garten,
während ihr altgewordener Mann sich mit der Entzifferung des Stromzählers
abmüht und schickt das Enkelkind nach ihm, weil sie das Bedürfnis verspürt, ihn
zu küssen. Und über von toten Verwandten geerbte Pullover schreibt sie:
„lass sie ihre altenLiebsten finden im beschwerlichenLicht jener letzten Schönheit“
Das bleibt mir von Paleys Gedichten: eine Art von
stürmischer Energie, die sich im späteren Verlauf als Gelassenheit
herauskristallisiert, aber noch immer angefüllt ist von bangen und freudigen
Tönen.
So ist auch diese Lyriksammlung zuletzt wie ein kleines
Geschenk, eine heitere Gabe. Die Texte haben mich nicht so bewegt und nicht so
auffordernd irritiert wie Paleys Geschichten, haben aber eine eigene Qualität,
von der man hoffentlich einen Eindruck bekommen hat.
„Man sollte jemandes Zorn respektierenauch wenn man ihn nicht teiltman sollte jemandes glück teilenauch wenn man es nicht versteht“
Grace Paley: Manchmal kommen und manchmal gehen. Gedichte. Übersetzt
von Mirko Bonné. Frankfurt a. M. (Schöffling & Co.) 2018. 120 Seiten. 20,00
Euro.