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Goethe über seinen "West-östlichen Divan" - Teil 7

Poeterey


Johann Wolfgang von Goethe


Noten und Abhandlungen
zu besserem Verständnis
des West-östlichen Divans


(Teil 6)




Übersetzungen


Da nun aber auch der Deutsche durch Übersetzungen aller Art gegen den Orient immer weiter vorrückt, so finden wir uns veranlasst, etwas zwar Bekanntes, doch nie genug zu Wiederholendes an dieser Stelle beizubringen.

Es gibt dreierlei Arten Übersetzung. Die erste macht uns in unserm eigenen Sinne mit dem Auslande bekannt; eine schlicht prosaische ist hierzu die beste. Denn indem die Prosa alle Eigentümlichkeiten einer jeden Dichtkunst völlig aufhebt und selbst den poetischen Enthusiasmus auf eine allgemeine Wasserebene niederzieht, so leistet sie für den Anfang den größten Dienst, weil sie uns mit dem fremden Vortrefflichen, mitten in unserer nationellen Häuslichkeit, in unserem gemeinen Leben überrascht und, ohne dass wir wissen, wie uns geschieht, eine höhere Stimmung verleihend, wahrhaft erbaut. Eine solche Wirkung wird Luthers Bibelübersetzung jederzeit hervorbringen.

Hätte man die Nibelungen gleich in tüchtige Prosa gesetzt und sie zu einem Volksbuche gestempelt, so wäre viel gewonnen worden, und der seltsame, ernste, düstere, grauerliche Rittersinn hätte uns mit seiner vollkommenen Kraft angesprochen. Ob dieses jetzt noch rätlich und tunlich sei, werden diejenigen am besten beurteilen, die sich diesen altertümlichen Geschäften entschiedener gewidmet haben.

Eine zweite Epoche folgt hierauf, wo man sich in die Zustände des Auslandes zwar zu versetzen, aber eigentlich nur fremden Sinn sich anzueignen und mit eignem Sinne wieder darzustellen bemüht ist. Solche Zeit möchte ich im reinsten Wortverstand die parodistische nennen. Meistenteils sind es geistreiche Menschen, die sich zu einem solchen Geschäft berufen fühlen. Die Franzosen bedienen sich dieser Art bei Übersetzung aller poetischen Werke; Beispiele zu Hunderten lassen sich in Delilles Übertragungen finden. Der Franzose, wie er sich fremde Worte mundrecht macht, verfährt auch so mit den Gefühlen, Gedanken, ja den Gegenständen; es fordert durchaus für jede fremde Frucht ein Surrogat, das auf seinem eignen Grund und Boden gewachsen sei.

Wielands Übersetzungen gehören zu dieser Art und Weise; auch er hatte einen eigentümlichen Verstands- und Geschmacksinn, mit dem er sich dem Altertum, dem Auslande nur insofern annäherte, als er seine Konvenienz dabei fand. Dieser vorzügliche Mann darf als Repräsentant seiner Zeit angesehen werden; er hat außerordentlich gewirkt, indem gerade das, was ihn anmutete, wie er sich’s zueignete und es wieder mitteilte, auch seinen Zeitgenossen angenehm und genießbar begegnete.

Weil man aber weder im Vollkommenen noch Unvollkommenen lange verharren kann, sondern eine Umwandlung nach der andern immerhin erfolgen muss, so erlebten wir den dritten Zeitraum, welcher der höchste und letzte zu nennen ist, derjenige nämlich, wo man die Übersetzung dem Original identisch machen möchte, so dass eins nicht anstatt des andern, sondern an der Stelle des andern gelten solle.

Diese Art erlitt anfangs den größten Widerstand; denn der Übersetzer, der sich fest an sein Original anschließt, gibt mehr oder weniger die Originalität seiner Nation auf, und so entsteht ein drittes, wozu der Geschmack der Menge sich erst heranbilden muss.

Der nie genug zu schätzende Voß konnte das Publikum zuerst nicht befriedigen, bis man sich nach und nach in die neue Art hineinhörte, hinein bequemte. Wer nun aber jetzt übersieht, was geschehen ist, welche Versatilität unter die Deutschen gekommen, welche rhetorische, rhythmische, metrische Vorteile dem geistreich-talentvollen Jüngling zur Hand sind, wie nun Ariost und Tasso, Shakespeare und Calderon, als eingedeutschte Fremde, uns doppelt und dreifach vorgeführt werden, der darf hoffen, dass die Literargeschichte unbewunden aussprechen werde, wer diesen Weg unter mancherlei Hindernissen zuerst einschlug.

Die von Hammerschen Arbeiten deuten nun auch meistens auf ähnliche Behandlung orientalischer Meisterwerke, bei welchen vorzüglich die Annäherung an äußere Form zu empfehlen ist. Wie unendlich vorteilhafter zeigen sich die Stellen einer Übersetzung des Ferdusi, welche uns genannter Freund geliefert, gegen diejenigen eines Umarbeiters, wovon einiges in den „Fundgruben“ zu lesen ist. Diese Art, einen dichter umzubilden, halten wir für den traurigsten Missgriff, den ein fleißiger, dem Geschäft übrigens gewachsener Übersetzer tun könnte.

Da aber bei jeder Literatur jene drei Epochen sich wiederholen, umkehren, ja die Behandlungsarten sich gleichzeitig ausüben lassen, so wäre jetzt eine prosaische Übersetzung des Schah Nameh und der Werke des Nisami immer noch am Platz. Man benutzte sie zur überhineilenden, den Hauptsinn aufschießenden Lektüre, wir erfreuten uns am Geschichtlichen, Fabelhaften, Ethischen im allgemeinen und vertrauten uns immer näher mit den Gesinnungen und Denkweisen, bis wir uns endlich damit völlig verbrüdern könnten.

Man erinnere sich des entschiedensten Beifalls, den wir Deutschen einer solchen Übersetzung der Sakontala gezollt, und wir können das Glück, was sie gemacht, gar wohl jener allgemeinen Prosa zuschreiben, in welche das Gedicht aufgelöst worden. Nun aber wär’ es an der Zeit, uns davon eine Übersetzung der dritten Art zu geben, die den verschiedenen Dialekten, rhythmischen, metrischen und prosaischen Sprachweisen des Originals entspräche und uns dieses Gedicht in seiner ganzen Eigentümlichkeit aufs neue erfreulich und einheimisch machte. Da nun in Paris eine Handschrift dieses ewigen Werkes befindlich, so könnte ein dort hausender Deutscher sich um uns ein unsterblich Verdienst durch solche Arbeit erwerben.

Der englische Übersetzer des Wolkenboten Mega Dhûta ist gleichfalls aller Ehren wert, denn die erste Bekanntschaft mit einem solchen Werke macht immer Epoche in unserem Leben. Aber seine Übersetzung ist eigentlich aus der zweiten Epoche, paraphrastisch und suppletorisch, sie schmeichelt durch den fünffüßigen Jambus dem nordöstlichen Ohr und Sinn. Unserm Kosegarten dagegen verdanke ich wenige Verse unmittelbar aus der Ursprache, welche freilich einen ganz andern Aufschluss geben. Überdies hat sich der Engländer Transpositionen der Motive erlaubt, die der geübte ästhetische Blick sogleich entdeckt und missbilligt.

Warum wir aber die dritte Epoche auch zugleich die letzte genannt, erklären wir noch mit wenigem. Eine Übersetzung, die sich mit dem Original zu identifizieren strebt, nähert sich zuletzt der Interlinearversion und erleichtert höchlich das Verständnis des Originals; hierdurch werden wir an den Grundtext hinangeführt, ja getrieben, und so ist denn zuletzt der ganze Zirkel abgeschlossen, in welchem sich die Annäherung des Fremden und Einheimischen, des Bekannten und Unbekannten bewegt.


Endlicher Abschluss!


Inwiefern es uns gelungen ist, den urältesten, abgeschiedenen Orient an den neusten, lebendigsten anzuknüpfen, werden Kenner und Freunde mit Wohlwollen beurteilen. Uns kam jedoch abermals einiges zur Hand, das, der Geschichte des Tages angehörig, zu frohem und belebtem Schluss des Ganzen erfreulich dienen möchte.

Als vor etwa vier Jahren der nach Peterburg bestimmte persische Gesandte die Aufträge seines Kaisers erhielt, versäumte die erlauchte Gemahlin des Monarchen keineswegs diese Gelegenheit, sie sendete vielmehr von ihrer Seite bedeutende Geschenke Ihro der Kaiserin-Mutter aller Reußen Majestät, begleitet von einem Brief, dessen Übersetzung wir mitzuteilen das Glück haben.

Schreiben der Gemahlin des Kaisers von Persien an
Ihro Majestät die Kaiserin-Mutter aller Reußen


Solange die Elemente dauern, aus welchen die Welt besteht, möge die erlauchte Frau des Palasts der Größe, das Schatzkästchen der Perle des Reiches, die Konstellation der Gestirne der Herrschaft, die, welche die glänzende Sonne des großen Reiches getragen, den Zirkel des Mittelpunkts der Oberherrschaft, den Palmbaum der Frucht der obersten Gewalt, möge sie immer glücklich sein und bewahrt vor allen Unfällen.

Nach dargebrachten diesen meine aufrichtigsten Wünschen hab’ ich die Ehre anzumelden, dass, nachdem in unsern glücklichen Zeiten, durch Wirkung der großen Barmherzigkeit des allgewaltigen Wesens, die Gärten der zwei hohen Mächte aufs neue frische Rosenblüten hervortreiben und alles, was sich zwischen die beiden herrlichen Höfe eingeschlichen, durch aufrichtigste Einigkeit und Freundschaft beseitigt ist, auch in Anerkennung dieser großen Wohltat nunmehr alle, welche mit einem oder dem andern Hofe verbunden sind, nicht aufhören werden, freundschaftliche Verhältnisse und Briefwechsel zu unterhalten.

Nun also in diesem Momente, da Seine Exzellenz Mirza Abul Hassan Chan, Gesandter an dem großen russischen Hofe, nach dessen Hauptstadt abreist, hab’ ich nötig gefunden, die Türe der Freundschaft durch den Schlüssel dieses aufrichtigen Briefes zu eröffnen. Und weil es ein alter Gebrauch ist, gemäß den Grundsätzen der Freundschaft und Herzlichkeit, dass Freunde sich Geschenke darbringen, so bitte ich, die dargebotenen artigsten Schmuckwaren unseres Landes gefällig aufzunehmen. Ich hoffe, dass Sie dagegen durch einige Tropfen freundlicher Briefe den Garten eines Herzens erquicken werden, das Sie höchlich liebt. Wie ich denn bitte, mich mit Aufträgen zu erfreuen, die ich angelegentlichst zu erfüllen mich erbiete.

Gott erhalte Ihre Tage rein, glücklich und ruhmvoll!

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Geschenke


Eine Perlenschnur, an Gewicht 498 Karat.
Fünf indische Schals.
Ein Pappenkästchen, ispahanische Arbeit.
Eine kleine Schachtel, Feder darein zu legen.
Behältnis mit Gerätschaften zu notwendigem Gebrauch.
Fünf Stück Brokate.

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Wie ferner der in Petersburg verweilende Gesandte über die Verhältnisse beider Nationen sich klug, bescheidentlich ausdrückt, konnten wir unsern Landsleuten, im Gefolg der Geschichte persischer Literatur und Poesie, schon oben darlegen.

Neuerdings aber finden wir diesen gleichsam gebornen Gesandten, auf seiner Durchreise für England, in Wien von Gnadengaben seines Kaisers erreicht, denen der Herrscher selbst, durch dichterischen Ausdruck, Bedeutung und Glanz vollkommen verleihen will. Auch diese Gedichte fügen wir hinzu, als endlichen Schlussstein unseres zwar mit mancherlei Materialien, aber doch, Gott gebe! Dauerhaft aufgeführten Domgewölbes.

Auf die Fahne


Fetch Ali Schah, der Türk’, ist Dschemschid gleich,
Weltlicht und Irans Herr, der Erden Sonne.
Sein Schirm wirft auf die Weltflur weiten Schatten,
Sein Gurt haucht Muscus in Saturns Gehirn.
Iran ist Löwenschlucht, sein Fürst die Sonne;
Drum prangen Leu und Sonn’ in Daras Banner.
Das Haupt des Boten Abul Hassan Chan
Erhebt zum Himmelsdom das seidne Banner.
Aus Liebe ward nach London er gesandt
Und brachte Glück und Heil dem Christenherrn.




Auf das Ordensband
mit dem Bilde der Sonne und des Königes


Es segne Gott dies Band des edlen Glanzes;
Die Sonne zieht den Schleier vor ihm weg.
Sein Schmuck kam von des zweiten Mani Pinsel,
Das Bild Fetch Ali Schahs mit Sonnenkrone.
Ein Bote groß des Herrn mit Himmelshof
Ist Abul Hassan Chan, gelehrt und weise,
Von Haupt zu Fuß gesenkt in Herrschersperlen;
Den Dienstweg schritt vom Haupt zum Ende er.
Da man sein Haupt zur Sonne wollt’ erheben,
Gab man ihm mit die Himmelssonn’ als Diener.
So frohe Botschaft ist von großem Sinn,
Für den Gesandten edel und belobt;
Sein Bund ist Bund des Weltgebieters Dara,
Sein Wort ist Wort des Herrn mit Himmelsglanz.

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Die orientalischen Höfe beobachten unter dem Schein einer kindlichen Naivität ein besonderes kluges, listiges Betragen und Verfahren; vorstehende Gedichte sind Beweis davon.

Die neuste russische Gesandtschaft nach Persien fand Mirza Abul Hassan Chan zwar bei Hofe, aber nicht in ausgezeichneter Gunst; er hält sich bescheiden zur Gesandtschaft, leistet ihr manche Dienste und erregt ihre Dankbarkeit. Einige Jahre darauf wird derselbige Mann mit stattlichem Gefolge nach England gesendet; um ihn aber recht zu verherrlichen, bedient man sich eines eignen Mittels. Man stattet ihn bei seiner Abreise nicht mit allen Vorzügen aus, die man ihm zudenkt, sondern lässt ihn mit Kreditiven, und was sonst nötig ist, seinen Weg antreten. Allein kaum ist er in Wien angelangt, so ereilen ihn glänzende Bestätigungen seiner Würde, auffallende Zeugnisse seiner Bedeutung. Eine Fahne mit Insignien des Reichs wird ihm gesendet, ein Ordensband mit dem Gleichnis der Sonne, ja mit dem Ebenbild des Kaisers selbst verziert, das alles erhebt ihn zum Stellvertreter der höchsten Macht: In und mit ihm ist die Majestät gegenwärtig. Dabei aber lässt man’s nicht bewenden: Gedichte werden hinzugefügt, die nach orientalischer Weise in glänzenden Metaphern und Hyperbeln Fahne, Sonne und Ebenbild erst verherrlichen.

Zum bessern Verständnisse des einzelnen fügen wir wenige Bemerkungen hinzu. Der Kaiser nennt sich einen Türken, als aus dem stamme Catschar entsprungen, welcher zur türkischen Zunge gehört. Es werden nämlich alle Hauptstämme Persiens, welche das Kriegsheer stellen, nach Sprache und Abstammung geteilt in die Stämme der türkischen, kurdischen, lurischen und arabischen Zunge.

Er vergleicht sich mit Dschemschid, wie die Perser ihre mächtigen Fürsten mit ihren alten Königen, in Beziehung auf gewisse Eigenschaften zusammenstellen: Feridun an Würde, ein Dschemschid an Glanz, Alexander an Macht, ein Darius an Schutz. Schirm ist der Kaiser selbst, Schatten Gottes auf Erden, nur bedarf er freilich am heißen Sommertage eines Schirms; dieser aber beschattet ihn nicht allein, sondern die ganze Welt. Der Moschusgeruch, der feinste, dauerndste, teilbarste, steigt von des Kaisers Gürtel bis in Saturns Gehirn. Saturn ist für sie noch immer der oberste der Planeten, sein Kreis schließt die untere Welt ab; hier ist das Haupt, das Gehirn des Ganzen: Wo Gehirn ist, sind Sinne; der Saturn ist also noch empfänglich für Moschusgeruch, der von dem Gürtel des Kaisers aufsteigt. Dara ist der Name Darius und bedeutet Herrscher; sie lassen auf keine Weise von der Erinnerung ihrer Voreltern los. Dass Iran Löwenschlucht genannt wird, finden wir deshalb bedeutend, weil der Teil von Persien, wo jetzt der Hof sich gewöhnlich aufhält, meist gebirgig ist und sich gar wohl das Reich als eine Schlucht denken lässt, von Kriegern, Löwen bevölkert. Das seidene Banner erhöht nun ausdrücklich den Gesandten so hoch als möglich, und ein freundliches, liebevolles Verhältnis zu England wird zuletzt ausgesprochen.

Bei dem zweiten Gedicht können wir die allgemeine Anmerkung vorausschicken, dass Wortbezüge der persischen Dichtkunst ein inneres anmutiges Leben verleihen; sie kommen oft vor und erfreuen uns durch sinnigen Anklang.

Das Band gilt auch für jede Art von Bezirkung, die einen Eingang hat und deswegen wohl auch eines Pförtners bedarf, wie das Original sich ausdrückt und sagt: „dessen Vorhang (oder Tor) die Sonne aufhebt (öffnet)“. Denn das Tor vieler orientalischen Gemächer bildet ein Vorhang; der Halter und Aufheber des Vorhanges ist daher der Pförtner. Unter Mani ist Manes gemeint, Sektenhaupt der Manichäer; er soll ein geschickter Maler gewesen sein und seine seltsamen Irrlehren hauptsächlich durch Gemälde verbreitet haben. Er steht hier, wie wir Apelles und Raphael sagen würden. Bei dem Wort Herrschersperlen fühlt sich die Einbildungskraft seltsam angeregt. Perlen gelten auch für Tropfen, und so wird ein Perlenmeer denkbar, in welches die gnädige Majestät den Günstling untertaucht. Zieht sie ihn wieder hervor, so bleiben die Tropfen an ihm hängen, und er ist köstlich geschmückt von Haupt zu Fuß. Nun aber hat der Dienstweg auch Haupt und Fuß, Anfang und Ende, Begin und Ziel; weil nun also diesen der Diener treu durchschritten, wird er gelobt und belohnt. Die folgenden Zeilen deuten abermals auf die Absicht, den Gesandten überschwänglich zu erhöhen und ihm an dem Hofe, wo er hingesandt worden, das höchste Vertrauen zu sichern, eben als wenn der Kaiser selbst gegenwärtig wäre. Daraus wir denn schließen, dass die Absendung nach England von der größten Bedeutung sei.

Man hat von der persischen Dichtkunst mit Wahrheit gesagt, sie sei in ewiger Diastole und Systole begriffen; vorstehende Gedichte bewahrheiten diese Ansicht. Immer geht es darin ins Grenzenlose und gleich wieder ins Bestimmte zurück. Der Herrscher ist Weltlicht und zugleich seines Reiches Herr; der Schirm, der ihn vor der Sonne schützt, breitet seine Schatten über die Weltflur aus; die Wohlgerüche seines Leibgurts sind dem Saturn noch ruchbar, und so weiter fort strebt alles hinaus und herein, aus den fabelhaftesten Zeiten zum augenblicklichen Hoftag. Hieraus lernen wir abermals, dass ihre Tropen, Metaphern, Hyperbeln niemals einzeln, sondern im Sinn und Zusammenhange des Ganzen aufzunehmen sind.


Revision


Betrachtet man den Anteil, der von den ältesten bis auf die neusten Zeiten schriftlicher Überlieferung gegönnt worden, so findet sich derselbe meistens dadurch belebt, dass an jenen Pergamenten und Blättern immer noch etwas zu verändern und zu verbessern ist. Wäre es möglich, dass uns eine anerkannt fehlerlose Abschrift eines alten Autors eingehändigt würde, so möchte solcher vielleicht gar bald zur Seite liegen.

Auch darf nicht geleugnet werden, dass wir persönlich einem Buch gar manchen Druckfehler verzeihen, indem wir uns durch dessen Entdeckung geschmeichelt fühlen. Möge diese menschliche Eigenheit auch unserer Druckschrift zugute kommen, da verschiedenen Mängeln abzuhelfen, manche Fehler zu verbessern, uns oder andern künftig vorbehalten bleibt; doch wird ein kleiner Beitrag hiezu nicht unfreundlich abgewiesen werden.

Zuvörderst also möge von der Rechtschreibung orientalischer Namen die Rede sein, an welchen eine durchgängige Gleichheit kaum zu erreichen ist. Denn bei dem großen Unterschiede der östlichen und westlichen Sprachen fällt es schwer, für die Alphabete jener bei uns reine Äquivalente zu finden. Da nun ferner die europäischen Sprachen unter sich, wegen verschiedener Abstammung und einzelner Dialekte, dem eignen Alphabet verschiedenen Wert und Bedeutung beilegen. So wird eine Übereinstimmung noch schwieriger.

Unter französischem Geleit sind wir hauptsächlich in jene Gegenden eingeführt worden. Herbelots Wörterbuch kam unsern Wünschen zu Hilfe. Nun musste der französische Gelehrte orientalische Worte und Namen der nationellen Aussprache und Hörweise aneignen und gefällig machen, welches denn auch in deutsche Kultur nach und nach herüber ging. So sagen wir noch Hegire lieber als Hedschra, des angenehmen Klanges und der alten Bekanntschaft wegen.

Wie viel haben an ihrer Seite die Engländer nicht geleistet! Und, ob sie schon über die Aussprache ihres eignen Idioms nicht einig sind, sich doch, wie billig, des Rechts bedient, jene Namen nach ihrer Weise auszusprechen und zu schreiben, wodurch wir abermals in Schwanken und Zweifel geraten.

Die Deutschen, denen es am leichtesten fällt, zu schreiben, wie sie sprechen, die sich fremden Klängen, Quantitäten und Akzenten nicht ungern gleichstellen, gingen ernstlich zu Werke. Eben aber weil sie dem Ausländischen und Fremden sich immer mehr anzunähern bemüht gewesen, so findet man auch hier zwischen älteren und neueren Schriften großen Unterschied, sodass man sich einer sichern Autorität zu unterwerfen kaum Überzeugung findet.

Dieser Sorge hat mich jedoch der ebenso einsichtige als gefällige Freund J. G. L. Kosegarten, dem ich auch obige Übersetzung der kaiserlichen Gedichte verdanke, gar freundlich enthoben und Berichtigungen mitgeteilt. Möge dieser zuverlässige Mann meine Vorbereitung zu einem künftigen Divan gleichfalls geneigt begünstigen.

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Silvestre de Sacy


Unserm Meister, geh! Verpfände
Dich, o Büchlein, traulich-froh;
Hier am Anfang, hier am Ende,
Östlich, westlich, A und Omega.


Wir haben nun den guten Rat gesprochen
Und manchen unsrer Tage dran gewandt;
Misstönt er etwa in des Menschen Ohr –
Nun, Botenpflicht ist sprechen. Damit gut!



Aus dem Nachlass


So der Westen wie der Osten
Geben Reines dir zu kosten.
Lass die Grillen, lass die Schale,
Setze dich zum großen Mahle:
Mögst auch im Vorübergehn
Diese Schüssel nicht verschmähn.

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  Wer sich selbst und andre kennt,
Wird auch hier erkennen:
Orient und Okzident
Sind nicht mehr zu trennen.

  Sinnig zwischen beiden Welten
Sich zu wiegen, lass' ich gelten;
Also zwischen Osten und Westen
Sich bewegen, sei's zum Besten!

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Hör' ich doch in deinen Liedern,
O Hafis, die Dichter loben;
Sieh, ich will es dir erwidern:
Herrlich, den der Dank erhoben!

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  Sollt' einmal durch Erfurt fahren,
Das ich sonst so oft durchschritten,
Und ich schien, nach vielen Jahren,
Wohlempfangen, wohlgelitten.

  Wenn mich Alten alte Frauen
Aus der Bude froh gegrüßet,
Glaubt' ich Jugendzeit zu schauen,
Die einander wir versüßet.

  Das war eine Bäckerstochter,
Eine Schusterin daneben;
Eule keinesweges jene,
Diese wusste wohl zu leben.

  Und so wollen wir beständig,
Wettzueifern mit Hafisen,
Uns der Gegenwart erfreuen,
Das Vergangne mitgenießen.

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Hafis, dir sich gleichzustellen,
  Welch ein Wahn!
Rauscht doch wohl auf Meeres Wellen
  Rasch ein Schiff hinan,
Fühlet seine Segel schwellen,
  Wandelt kühn und stolz;
Will's der Ozean zerschellen,
  Schwimmt es, morsches Holz.
Dir in Liedern, leichten, schnellen,
  Wallet kühle Flut,
Siedet auf zu Feuerwellen;
  Mich verschlingt die Glut.
Doch mir will ein Dünkel schwellen,
  Der mir Kühnheit gibt.
Hab' doch auch im sonnenhellen
  Land gelebt, geliebt!

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Gar viele Länder hab' ich bereist,
Gesehen Menge von Menschen allermeist,
Die Winkel sogar hab' ich wohl bedacht,
Ein jeder Halm hat mir Körner gebracht.
Gesegnete Stadt, nie solche geschaut,
Huris auf Huris, Braut und Braut!


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Dass es Hauses Glanz sich mehre
Als ein ewig Eigentum
Und der Sohn so halt' auf Ehre,
Wie der Vater hielt auf Ruhm.

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Mit der Deutschen Freundschaft
Hat's keine Not,
Ärgerlichster Feindschaft
Steht Höflichkeit zu Gebot;
Je sanfter sie sich erwiesen,
Hab' ich immer frisch gedroht,
Ließ mich nicht verdrießen
Trübes Morgen- und Abendrot;
Ließ die Wasser fließen,
Fließen zu Freud' und Not.
Aber mit allem diesem Blieb ich mir selbst zu Gebot:
Sie alle wollten genießen,
Was ihnen die Stunde bot;
Ihnen hab' ich's nicht verwiesen,
Jeder hat seine Not.
Sie lassen mich alle grüßen
Und hassen mich bis in Tod.

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Mich nach- und umzubilden, misszubilden
Versuchten sie seit vollen fünfzig Jahren;
Ich dächte doch, da konntest du erfahren,
Was an dir sei in Vaterlandsgefilden.
Du hast getollt zu deiner Zeit mit wilden,
Dämonisch genialen jungen Scharen,
Dann sachte schlossest du von Jahr zu Jahren
Dich näher an die Weisen, Göttlich-Milden.

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Zu genießen weiß im Prachern
Abrahams geweihtes Blut;
Seh' ich sie im Basar schachern,
Kaufen wohlfeil, kaufen gut.

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So traurig, dass in Kriegestagen
Zu Tode sich die Männer schlagen,
Im Frieden ist's dieselbe Not:
Die Weiber schlagen mit Zungen tot.

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Schwarzer Schatten ist über dem Staub der Geliebten Gefährte;
Ich machte mich zum Staube, aber der Schatten ging über mich hin.

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  Sollt' ich nicht ein Gleichnis brauchen,
Wie es mir beliebt,
Da uns Gott des Lebens Gleichnis
In der Mücke gibt?

 Sollt' ich nicht ein Gleichnis brauchen,
Wie es mir beliebt,
Da mir Gott in Liebchens Augen
Sich im Gleichnis gibt?

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Herrlich bist du wie Moschus:
Wo du warst, gewahrt man dich noch.


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Sprich! Unter welchem Himmelszeichen
  Der Tag liegt,
Wo mein Herz, das doch mein eigen,
  Nicht mehr wegfliegt?
Und, wenn es flöge, zum Erreichen
  Mir ganz nah liegt?
Auf dem Polster, dem süßen, dem weichen,
  Wo mein Herz an ihrem liegt.

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  Süßes Kind, die Perlenreihen,
Wie ich irgend nur vermochte,
Wollte traulich dir verleihen,
Als der Liebe Lampendochte.

  Und nun kommst du, hast ein Zeichen
Dran gehängt, das, unter allen
Den Abraxas seinesgleichen,
Mir am schlecht'sten will gefallen.

  Diese ganz moderne Narrheit
Magst du mir nach Schiras bringen!
Soll ich wohl, in seiner Starrheit,
Hölzchen quer auf Hölzchen singen?

  Abraham, den Herrn der Sterne,
Hat er sich zum Ahn erlesen;
Moses ist, in wüster Ferne,
Durch den Einen groß gewesen.

  David auch, durch viel Gebrechen,
Ja Verbrechen durch gewandelt,
Wusste doch sich loszusprechen:
Einem hab' ich recht gehandelt.

  Jesus fühlte rein und dachte
Nur den Einen Gott im stillen;
Wer ihn selbst zum Gotte machte
Kränkte seinen heil'gen Willen.

  Und so muss das Rechte scheinen,
Was auch Mahomet gelungen;
Nur durch den Begriff des Einen
Hat er alle Welt bezwungen.

  Wenn du aber dennoch Huld'gung
Diesem leid'gen Ding verlangest,
Diene mir es zur Entschuld'gung
Dass du nicht alleine prangest. -

  Doch allein! - Da viele Frauen
Salomonis ihn verkehrten,
Götter betend anzuschauen,
Wie die Närrinnen verehrten.

  Isis' Horn, Anubis' Rachen
Boten sie dem Judenstolze,
Mir willst du zum Gotte machen
Solch ein Jammerbild am Holze!

  Und ich will nicht besser scheinen,
Als es sich mit mir eräugnet,
Salomo verschwur den seinen,
Meinen Gott hab' ich verleugnet.

  Lass die Renegatenbürde
Mich in diesem Kuss verschmerzen:
Denn ein Vitzliputzli würde
Talisman an deinem Herzen.

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Lasst mich weinen! Umschränkt von Nacht,
In unendlicher Wüste.
Kamele ruhn, die Treiber desgleichen,
Rechnend still wacht der Armenier;
Ich aber, neben ihm, berechne die Meilen,
Die mich von Suleika trennen, wiederhole
Die Wege verlängernden ärgerlichen Krümmungen.
Lasst mich weinen! Das ist keine Schande.
Weinende Männer sind gut.
Weinte doch Achill um seine Briseis!
Xerres beweinte das unerschlagene Heer;
Über den selbst gemordeten Liebling
Alexander weinte.
Lasst mich weinen! Tränen beleben den Staub.
Schon grunelt's.

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  Und warum sendet
Der Reiterhauptmann
Nicht seine Boten
Von Tag zu Tage?
Hat er doch Pferde,
Versteht die Schrift.

 Er schreibt ja Talik,
Auch Neski weiß er
Zierlich zu schreiben
auf Seidenblätter.
An seiner Stelle
Sei mir die Schrift.

  Die Kranke will nicht,
Will nicht genesen
Vom süßen Leiden,
Sie, an der Kunde
Von ihrem Liebsten
Gesundend, krankt.

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Die Liebende

Schreibt er in Neski,
So sagt er's treulich,
Schreibt er in Talik,
's ist gar erfreulich,
Eins wie das andre -
Genug! Er liebt,

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Nicht mehr auf Seidenblatt
Schreib' ich symmetrische Reime;
Nicht mehr fass' ich sie
In goldne Ranken;
Dem Staub, dem beweglichen, eingezeichnet
Überweht sie der Wind, aber die Kraft besteht,
Bis zum Mittelpunkt der Erde
Dem Boden angebannt.
Und der Wandrer wird kommen,
Der Liebende. Betritt er
Diese Stelle, ihm zuckt's
Durch alle Glieder.
"Hier! Vor mir liebte der Liebende.
War es Medschnun der zarte?
Ferhad der kräftige? Dschemil der dauernde?
Oder von jenen tausend
Glücklich-Unglücklichen einer?
Er liebte! Ich liebe wie er,
Ich ahnd' ihn!"
Suleika, du aber ruhst
Auf dem zarten Polster,
Das ich dir bereitet und geschmückt.
Auch dir zuckt's aufweckend durch die Glieder.
"Er ist, der mich ruft, Hatem.
Auch ich rufe dir, o Hatem! Hatem!"

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Hudhud auf dem Palmensteckchen,
     Hier im Eckchen,
Nistet äugelnd, wie charmant!
Und ist immer vigilant.

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Hudhud sprach: "Mit einem Blicke
hat sie alles mir vertraut,
Und ich bin von eurem Glücke
Immer, wie ich's war, erbaut.
Liebt ihr doch! - In Trennungsnächten
Seht, wie sich's in Sternen schreibt:
'Dass gesellt zu ew'gen Mächten
Glanzreich eure Liebe bleibt'."

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Hudhud als einladender Bote


Dich beglückte ja mein Gesang,
Nun dräng' er gern zu dir ins Ferne.
Ich singe Morgen und Abend entlang,
Sie sagen: Besser! Das hör' ich gerne;
Kommt auch ein Blatt von Zeit zu Zeit,
Bringt einen Gruß, lass dich nicht stören!
Aber ist denn Bagdad so weit?
Willst du mich gar nicht wieder hören?

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Hudhud erbittet ein Neujahrsgeschenk rätselweise


Ein Werkzeug ist es, alle Tage nötig,
Den Männern weniger, den Frauen viel,
Zum treusten Dienste gar gelind erbötig,
Im einen vielfach, spitz und scharf. Sein Spiel
Gern wiederholt, wobei wir uns bescheiden:
Von außen glatt, wenn wir von innen leiden.
Doch Spiel und Schmuck erquickt uns nur aufs neue,
Erteilte Lieb' ihm erst gerechte Weihe.

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  Schön und köstlich ist die Gabe,
Wohl enträtselt das Verlangen;
Dass die Weihe sie empfangen,
Bleibet aber ungewiss.

  Wäre das nicht nachzubringen?
Was er sittsam nicht entraubte,
Wenn sie sich's nun selbst erlaubte!!
Hudhud, geh und melde dies.

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Ach, ich kann sie nicht erwidern,
Wie ich auch daran mich freue;
Gnüg' es dir an meinen Liedern,
Meinem Herzen, meiner Treue!

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Wein, er kann dir nicht behagen,
Dir hat ihn kein Arzt erlaubt;
Wenig nur verdirbt den Magen
Und zuviel erhitzt das Haupt.

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Wisst ihr denn, was Liebchen heiße?
Wisst ihr, welchen Wein ich preise?

*

In welchem Weine
Hat sich Alexander betrunken?
Ich wette den letzten Lebensfunken:
Er war nicht so gut als der meine.

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Wo man mir Guts erzeigt überall,
  's ist eine Flasche Eilfer.
Am Rhein und Main, im Neckartal,
  Man bringt mir lächlend Eilfer.
Und nennt gar manchen braven Mann
  Viel seltner als den Eilfer:
Hat er der Menschheit wohlgetan,
  Ist immer noch kein Eilfer:
Die guten Fürsten nennt man so,
  Beinahe wie den Eilfer;
Uns machen ihre Taten froh,
  Sie leben hoch im Eilfer.
Und manchen Namen nenn' ich leis,
  Still schöppelnd meinen Eilfer:
Sie weiß es, wenn es niemand weiß,
  Da schmeckt mir erst der Eilfer.
Von meinen Liedern sprechen sie
  Fast rühmlich wie vom Eilfer,
Und Blum' und Zweige brechen sie,
  Mich kränzend udn den Eilfer.
Das alles wär' ein größres Heil -
  Ich teilte gern den Eilfer -
Nähm' Hafis auch nur seinen Teil
  Und schlurfte mit den Eilfer.
Drum eil' ich in das Paradies,
  Wo leider nie vom Eilfer
Die Gläub'gen trinken. Sei er süß
  Der Himmelswein! Kein Eilfer.
Geschwinde, Hafis, eile hin!
  Da steht ein Römer Eilfer!

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  Wo kluge Leute zusammenkommen,
Da wird erst Weisheit wahrgenommen.
So gab einst Sabas Königin
Gelegenheit zum höchsten Sinn.

  Vor Salomo, unter andern Schätzen,
Lässt sie eine goldene Vase setzen,
Groß, reicher, unerhörter Zier,
Fischen und Vögeln und Waldgetier,
Worum sich krause Schnörkel häufen,
Als Jakin und Boas an beiden Knäufen.

  Sollt' ein Knecht allzu täppisch sein,
Stößt eine wüste Beule hinein;
Wird augenblicks zwar repariert,
Doch feines Auge den Makel spürt,
Genuss und Freude sind nun geniert.

  Der König spricht: "Ich dacht' es eben!
Trifft doch das Höchste, das uns gegeben,
Ein allzu garstiger Schmitz daneben.
Es können die Eblis, die uns hassen,
Vollkommnes nicht vollkommen lassen."

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