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Ghayath Almadhoun: Ein Raubtier namens Mittelmeer

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Gerrit Wustmann

Kleine Hoffnung auf Hoffnung
Ghayath Almadhouns Gedichte: Eine Wunde der Sprache


Syrien. Krieg. Seit bald sieben Jahren. Tod und Zerstörung. Die Menschen, die davor fliehen: Ein Debattenthema über das sich die Politik zerfleischt und an dem rechtsradikale Dumpfbacken sich weiden – inzwischen, siebzig Jahre danach, auch wieder im Bundestag. Es wird über Menschen geredet, als seien sie etwas Abstraktes, zu dem man zwar eine Meinung hat, mit dem man aber persönlich eigentlich nichts zu tun haben will. Die Sprache ist verräterisch, immer.

Ghayath Almadhoun weiß das. Er ist einer dieser Menschen. Er ist Dichter. Er weiß, was Flucht und Repression bedeuten. Er wurde 1979 geboren, in einem palästinensischen Flüchtlingslager in Syrien. Schon seine Geburt war definiert von Flucht und Heimatlosigkeit. 2008 dann: Flucht aus Syrien vor dem Assad-Regime. Von Damaskus nach Stockholm. Wo er am Computerbildschirm verfolgt, was dort geschieht, wo seine Freunde gefoltert und ermordet werden. Darüber schreibt er.
    „Ein Raubtier namens Mittelmeer“ ist sein erster auf Deutsch erscheinender Lyrikband. Er versammelt Texte, die von 2006 bis 2016 entstanden sind, in umgekehrter chronologischer Reihenfolge. Es ist ein kleines und zugleich ein gewaltiges Buch. Ein Buch, das der Sprache jegliche Gefälligkeit nimmt. Und dass diese Texte so unfassbar wirkungsvoll sind, ist nicht zuletzt Larissa Bender zu verdanken, die sie aus dem Arabischen übertragen hat.

Diese Welt fällt aus dem siebten Stock,
und die Vögel begehen Selbstmord, damit die Zeit
ihnen nicht zuvorkommt,
die Zeit, die wie ein unangenehmer Gast zwischen uns sitzt
und dich ansieht,
ich und du und die Zeit sind vier,
und niemals kamen ein Mann und eine Frau zusammen,
ohne dass die Zeit der Vierte im Bunde war.

Ja, es geht um Liebe. Zu einer Frau, zu einer Stadt, einem Leben – vor allem zu dem Traum eines Lebens in Freiheit, ohne Flucht, ohne Krieg, ohne Tod und Elend. Und weil es all das nicht gibt (nie gab, nie geben wird), bricht es ein in die Liebe, erotisch-sehnsüchtige Nuancen lässt Almadhoun in  Fetzen gehen, indem er sie mit Tod und Elend verzahnt. Es gibt keine Unschuld. Niemand kann so tun, als hätte das nichts mit ihm zu tun. Das ist seine Message. Geschichte, die sich wiederholt: Auf den Schlachtfeldern von Ypern spürt er den Gräueln des Ersten Weltkriegs nach, die direkt in den zweiten überleiteten und legt Bilder der Massaker in Syrien darüber. Alles wird eins. Krieg ist Krieg, egal wo er stattfindet. Den Toten ist egal, in welchem Krieg sie starben, wessen Granate sie in Fetzen riss, und ihren Witwen auch. Im Tod verliert alles seine Bedeutung.

In der Stadt Ypern kann die Geschichte dich mit eisernen Augen ansehen, Vergangenheit und Gegenwart vermischen sich mit Gas, das Gas mischt sich in den Lungen jener, die hier gestorben sind, und mit dem Gas in den Lungen jener, die ein Jahrhundert später in den Vorstädten von Damaskus sterben. Niemand hat die Lektion gelernt, niemand wird sie lernen.

Die Gedichte und Prosagedichte sind vor allem: Eine Anklage. Eine Verzweiflung an einer Welt, die sich keinen Schritt weiterentwickelt, die stehenbleibt im Terror. Es ist dabei nur ein scheinbarer Widerspruch, dass diese Themen in einer höchst eleganten Sprache, einem metaphernreichen Erzählfluss daherkommen, denn konsequent verquickt Almadhoun Schönheit und Schrecken.

Ich habe in meinem Zimmer alle Spuren des Todes getilgt.
Damit du, wenn ich dich auf ein Glas Wein einlade, nicht spürst.
Dass ich, obwohl ich mich in Stockholm befinde.
Noch in Damaskus bin.

Welches Fazit kann man ziehen, wenn aus all diesem Grauen Literatur wird? In den Worten von Ghayath Almadhoun:
 
Ich glaube, es gibt eine kleine Hoffnung auf eine kleine Hoffnung.


Ghayat Almadhoun: Ein Raubtier namens Mittelmeer. Übersetzt von Larissa Bender. Hamburg (Arche) 2018. 128 Seiten. 15,00 Euro.
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