Gespräch mit Volker Sielaff
Das Gedicht ist eine Zumutung,
die sich gegen alles Uneigentliche richtet
Gespräch mit Volker Sielaff
Im Frühjahr wird sein neuer Gedichtband Glossar des Prinzen bei Luxbooks erscheinen.
Jan Kuhlbrodt: Lieber Volker, um ins Gespräch zu kommen - hier eine sehr direkte Frage:
Der Reim hat einen schlechten Ruf gegenwärtig. Es scheint so, als hätte er sich innerhalb der deutschen Dichtung ins Komische zurückgezogen. Du hast wieder angefangen, den Reim für dich fruchtbar zu machen. Und zwar nicht als eher verschämter Binnenreim, sondern sogar als Endreim. Was macht ihn für dich attraktiv?
Volker Sielaff: Dass ich auf den Reim gekommen bin, war ein absichtsloser Vorgang. Genau kann ich es nicht mehr sagen, aber es wird, im Herumgehen oder -sitzen, mir eine Zeile in den Sinn gekommen sein, oder nicht einmal "in den Sinn", sondern womöglich zunächst ohne allzu viel Sinn; und dann noch eine, und plötzlich war da ein Endreim da. Und dann beginnst du natürlich, das innerlich weiterzusprechen und schaust, was daraus entsteht. Ich gehe in meinem Schreiben zunehmend vom Klang, vom Rhythmus aus, das war im "Selbstporträt" so und das wird, noch sichtbarer, auch im nächsten Buch zu erkennen sein.
Ich habe nicht darüber nachgedacht, was den Reim für mich "attraktiv" macht. Als ich einmal zu ihm hingefunden hatte, war das eine beinahe körperliche Erfahrung. Du hast das Lied in dir, du spürst es und gehst weiter deinen Alltagsbeschäftigungen nach. Und irgendwann hast du eine Zeile, siehe oben, an die du anknüpfen kannst. Hier beginnt das Handwerkliche. Und zugleich musst du, bei allem Handwerk, weiter darauf hören, was der Text von dir will. Ich habe dann bemerkt, dass der Reim, gerade aufgrund seiner formalen Begrenztheit, Lösungen bereithält, die manchmal auch "verrückter" sind als jene Wege, die man mit dem freien Vers beschreiten kann. Der Endreim denkt mit.
Das heißt aber auch, dass man der Sprache gewissermaßen einen Vertrauensvorschuss einräumt. Vielleicht war es lange so, dass man zumindest in Deutschland aus historischen und politischen Gründen der Sprache misstraut hat. Der Reim ist gewissermaßen eine Zeitlang im Exil gewesen oder hat sich in das Komische geflüchtet. Er musste sich einem ideologischen Zugriff entziehen. Wie gehst du damit um, mit einem Grundmisstrauen gewissermaßen?
Den Vertrauensvorschuss gebe ich der Sprache - und ihrer Fähigkeit, sich zu wandeln. Sprache ist immer hybrid. Die reine Sprache gibt es so wenig wie die reine Lehre. Aber was Du von der Flucht des Reimes ins Komische - ich würde auch sagen: ins Skurrile, Absurde - sagst, finde ich interessant. Man kann denselben Vorgang auch am Theater beobachten. Das kam ja nicht zufällig nach dem Krieg, in den 50er Jahren (sieht man von einem frühen Vorläufer wie Alfred Jarry mit seinem "König Ubu" ab) zur Blüte. Nach der Krise blüht das Absurde. Weil der Glaube an Vernunftstrategien beschädigt ist. Das ist eben auch eine antiideologische Haltung, diese Flucht ins Absurde. Man muss das ein wenig mitdenken, wenn man heute Reime schreibt, glaube ich. Dann kann man den Reim wieder aus seinem Exil locken. Zumindest für ein kurzes Date. Ob man sich wiedertrifft, wird man sehen. Und um Deine Frage zu beantworten: ich antworte auf das, was Du "Grundmisstrauen" nennst, mit einer Begegnung. Einer Konfrontation. Ich hatte Lust, mich als Schreiber dem Reim ein wenig - na: auszusetzen.
Aussetzen scheint mir ein gutes Stichwort. Weil mir das Reimen auch ein Anvertrauen zu sein scheint. Der Reim bestimmt die Auswahl der Worte. Mithin beeinflusst er auch den Sinn. Hast du eine Grenze, über die du dem Reim nicht folgst?
Es klingt vielleicht ein wenig paradox: aber spannend wird es, wenn es gelingt, die Grenze zu überschreiten (man könnte auch sagen: überschreiben). Schwierig scheint es mir, wenn man noch an einem Punkt ist, wo die Grenze nicht überschritten-überschrieben wurde. Dann ist die "Auswahl", wie Du es nennst, wahrscheinlich eine sehr Herkömmliche. Also braucht man einen Luftsprung oder Sinnsprung. Es muss nicht gleich bis zum Unsinn gehen, das wäre dann so eine Art Salto in der Luft: man steht dann womöglich wieder am selben Platz. Aber Kaffeebohnen (um einen Kindheitsbegriff zu nehmen) reichen auch nicht. Dann kommst du nur bis zum Allbekannten und es wirkt epigonal. Schön wäre, wenn einem zwei, drei gereimte Gedichte gelängen, die in, sagen wir, hundert Jahren noch als zeitgemäß empfunden werden können. Kennst du Hofmannsthals Gedicht "Die Beiden"? Das könnte auch heute geschrieben sein! Nun gut, man würde vielleicht "Glas" statt "Becher" sagen, aber sonst?*
Das heißt, mit der Sinnlichkeit des Reimes den Sinn – wenn nicht auflösen, so doch zumindest irritieren, oder wie in Hofmannsthals Gedicht das Disparate zusammenbinden. Wir bräuchten ja keinen Reim, wenn er nicht auf seine Art eine Aussage formulierte. Insofern könnte man ihn auch als Ausweg bezeichnen, oder?
Ja, das ist schön ausgedrückt: Irritieren des Sinns. Der Reim hat ja auch, gegenüber dem freien Vers, das größere Potential zu täuschen, zu korrumpieren. Er ist ein Freund des Propagandistischen, das den Adressaten gefühlsmäßig zu korrumpieren versucht. Mit Floskeln, einer Art administrativen Hyperstil und eben – durch den Reim. Als Beispiel nenne ich "Das Lied von Stalin" von Surkow, das übrigens von Heiner Müller ins Deutsche übersetzt wurde. Das ist natürlich genau das Gegenteil von dem, was du mit "Irritieren des Sinns" meinst. Ich vermute, dass die Irritation beim Reim aus der Überraschung und aus dem Klangmaterial herrührt. Ich erinnere mich noch an meine helle Freude, als ich bei einer Lesung von Judith Zander in Helsinki vor einigen Wochen die Dichterin ihren Namen auf "selbander" (dieses schöne alte Wort!) reimen hörte. Und nachgerade dem eigenen "inneren Sound" abgelauscht scheinen mir viele Reime von Thomas Kunst, bei dem auch das Enjambement eine Rolle spielt. Kunst ist so einer, der mit der Sinnlichkeit des Reims im besten Sinne irritiert. Das sind Wege und Auswege gleichermaßen, insofern würde ich deine Frage mit einem eindeutigen Ja beantworten.
Insofern kann man dein Lied des Reumütigen fast als programmatisch betrachten, auch als Selbstaufforderung:
Lied des Reumütigen
Ich hatte mir zu lang zu wenig noch getraut,
doch so zu schweigen bringt ein doppelt Eisenherz,
ich war gestolpert über blinden Rauch, Kommerz
ich hatte meine Sandburg nur auf Sand gebaut.
Fürder will ich nicht, dass ihr mich flüstern hört,
das ist ein kleiner Mut, ich will euch schreien was,
will nach euch werfen mein kaputt zerbrochnes Glas,
ihr sollt nicht glauben, dass ich hätte nicht gestört!
In Zeiten der Religion des Kommerz, wo die Freiheit darin besteht, immerfort etwas kaufen zu sollen, in dieser immerwährenden Sendung, halte ich die Sendestörung der Poesie für ganz entscheidend. Das Gedicht, gereimt oder nicht, ist eine Zumutung inmitten – oder besser: neben, am Rande, der Sandburgen des Uneigentlichen.
Lieber Volker, vielen Dank. Ich bin gespannt auf deinen neuen Band.
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* Hugo von Hofmannsthal
Die Beiden
Sie trug den Becher in der Hand -
Ihr Kinn und Mund glich seinem Rand -,
So leicht und sicher war ihr Gang,
Kein Tropfen aus dem Becher sprang.
So leicht und fest war seine Hand:
Er ritt auf einem jungen Pferde,
Und mit nachlässiger Gebärde
Erzwang er, daß es zitternd stand.
Jedoch, wenn er aus ihrer Hand
Den leichten Becher nehmen sollte,
So war es beiden allzu schwer:
Denn beide bebten sie so sehr,
Daß keine Hand die andre fand
Und dunkler Wein am Boden rollte.