Gespräch mit Tristan Marquardt 2
2. Rhythmik und Handeln
das amortisiert sich nicht, u 70, alle zeit der welt. wegadern auf
der tagesordnung, triebfedern, ein gängeln, gestaffelt, das outfit
deiner latest love der absacker, fraglos: als ein zugpferd vorbei
huschte, als einer dieser nachnächte, das multiple chice, voice
(das amortisiert sich nicht, S. 18)
Jan Kuhlbrodt: Das Faszinierende ist, dass das Gedicht auf zwei Ebenen arbeitet. Durchaus auf einer politische-gegenständlichen Ebene in diesem Fall, aber gleichzeitig eben auch auf einer klanglichen, rhythmischen.
Tristan Marquardt: Ja der Text ist schon zu Recht das Titel gebende Gedicht des Bandes, obwohl es gar nicht mein Lieblingsgedicht darin ist. Es ist so, dass dieser Text am stärkstem ein völlige Kontingenzerfahrung im Inhaltlichen, einer Rhythmik entgegensetzt. Aber das ist schon Teil dieser Erfahrung, keine Form, die dem übergestülpt wird. Das ist also der Versuch, dieser kontingenten Erfahrung eine Struktur abzugewinnen, und darin einen Reiz zu gewinnen, eine Form des Umgangs, indem diese Kontingenzerfahrung rhythmisiert wird.
Der Rhythmus ist also kein gegen die Erfahrung produzierter, sondern deine Erfahrung hat einen rhythmischen Modus.
Das ist reziprok, das Verhältnis. Eigentlich sind die klare Struktur des Rhythmus und die unklare Struktur der Erfahrung zwei Pole. Dass diese Pole zusammengeführt werden, ist erst einmal kein künstlicher Prozess, sondern das Spannende ist, dass eine zuerst scheinbar unstrukturierte Erfahrung, wenn ihr eine neue Ebene abgewonnen wird, diese Struktur auch beinhaltet.
Ist das eine Erkenntnisklammer? Wird dir das Grundmaterial klarer in diesem Prozess?
Natürlich. Es ist eine Form von Bewältigung.
Was heißt Bewältigung?
Bewältigung heißt nicht, resultativ, dass ich grundsätzlich einen Umgang mit dem Problem gefunden habe, sondern konkret, nur für diesen Moment. Nur für das Eine.
Die Kontingenz wird also einerseits in eine Rhythmische Form aufgehoben …
In ihrer Exponierung bewältigt. Das Kontrafaktische ist ein ganz wesentliches Moment bei der Sache, weil ich nämlich das Gefühl habe, dass sich Probleme dialektisch lösen lassen, dass in ihrer Formulierung ein Teil ihrer Bewältigung liegen kann. Dadurch werden sie immer sichtbarer, immer beschreibbarer und reflektierbarer.
Das Konzept, gegen das ich am allermeisten anarbeite, ist ein Konzept von Literatur, dass vorgibt, wie es auch die Romantik formuliert hat: Die Fiktion beginnt da, wo die Realität aufhört. Also du überschreitest die Grenze des Realen, um im Literarischen das Fiktive zu finden. Das ist das Gegenteil von dem, was mich an Literatur interessiert. Die Literatur ist doch nur der Reflexive Prozess von etwas, dass sowieso die ganze Zeit stattfindet.
Sie ist nicht Fiktional, und sie ist auch real.
Literatur ist selbstreflexive Handlung. Wenn ich sage, dass Literatur und Realität zwei Seiten einer Medaille sind, und wenn ich sage, dass Literatur die Prozesse reflexionsfähig macht, dann bin ich auch der Ansicht, dass sich der Moment der Produktion eines Textes darin generiert, dass man mit gewissen Fragen, Erfahrungen und Problemen eine Auseinandersetzung führt. Das geschieht auf verschiedenen Ebenen, in dem man andere Kunst rezipiert, indem man diskutiert, das geschieht, indem man einfach nur unterwegs ist, und das man dann einen Ausdruck findet.
Der erste Gedanke des eingangs zitierten Verses gewinnt ja als Titel des Verlagsprogramms von Kookbooks für das Jahr 2013 noch einmal eine ganz andere konkrete Bedeutung.
Ja, es ist erstaunlich, welche Wandlungen der Vers erfuhr.