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Gespräch mit Steffen Popp 2

Dialoge



2. Zur Poetik der Poetik



Jan Kuhlbrodt: Und die Poetik lief dann so nebenher?

Steffen Popp: „Helm aus Phlox“, eine kollaborative Poetik, die ich mit vier anderen Lyrikern gemacht habe, war ein Projekt, das habe ich 2008 initiiert. Meine Idee war, die Leute einzuladen, mit denen ich gern an so etwas wie einer Poetik arbeiten würde, an einer Poetik, die weniger das eigene Schreiben als die eigene Art, die eigene Haltung zur Welt betrifft – und die zu entwickeln den Leuten vor allem Spaß macht. Dann habe ich Daniel Falb, Hendrik Jackson, Ann Cotten und Monika Rinck gefragt, und die waren alle gleich dabei. Am Anfang auch noch Sabine Scho, die aber dann ausstieg, weil sie an ihrem Gedichtband "Farben" gearbeitet hat zu der Zeit. Wir hatten uns am Anfang bei Monika getroffen, die nun zufällig im selben Haus wie Sabine wohnt, und meinte: „Lasst uns doch Sabine mit dazu holen.“ Wenn aber drei Frauen dabei sind und drei Männer, ergibt das leicht ein Ungleichgewicht zugunsten der Frauen. Zumal die drei in unserem Fall Übung hatten im gemeinsamen Operieren, weil sie damals gerade die Rotten Kinck Schow entwickelten. Natürlich wäre es auch zu sechst ganz sicher bis zum Ende toll gewesen, aber als Sabine dann ausstieg, dachte ich: Jetzt haben wir Gleichgewicht.

Ann Cotten, Daniel Falb, Hendrik Jackson, Steffen Popp, Monika Rinck: Helm aus Phlox. Zur Theorie des schlechtesten Werkzeugs. Berlin (Merve Verlag) 2011. 336 S., 22,- Euro.

Wir hatten am ersten Abend so eine Art Brainstorming-Nacht bei Monika Rinck. Monika hat das mitgezeichnet, die Karte, diese Mindmap ist dann auch im Buch abgebildet, in der wir uns überlegt haben, worüber es Spaß machen würde, überhaupt zu schreiben, was das werden könnte, und uns zwanzig Kapitel ausgedacht haben, die Monika in einen geschlossenen Blog eingestellt hat. Zwanzig Schubladen, in die wir dann anderthalb Jahre hineingeschrieben haben. Jeder wie er oder sie lustig war.

© Rotten Kinck Schow

Also auch nebenher?

Ja nebenher. Aber manchmal war das sehr ausfüllend. Und dann gab es auch Diskussionen untereinander. Es gibt aber Kapitel, zu denen ich gar nichts beigetragen habe, das ist bei allen so. Dann haben wir nach anderthalb Jahren alles ausgedruckt, das Blog geschlossen, und gesagt: Jeder übernimmt jetzt drei oder vier Kapitel in Eigenredaktion. Im krassesten Fall hätte man alles streichen können und komplett neu schreiben, oder im anderen krassesten Fall hätte man alles so stehen lassen können, ohne irgendwas dran zu ändern. Beide Fälle sind so nicht eingetreten, aber, und das war auch die Idee der Sache, man wollte keinen Konsensbrei, wo alle immer alles abnicken, was gar nicht gegangen und im Ergebnis auch nicht befriedigend gewesen wäre, sondern jeder hat seine Kapitel nach einer ganz eigenen Strategie und nach einer dem eigenen Temperament entsprechenden Art und Weise bearbeitet, so dass gemeinsam aufgehäuftes Material wieder in verschiedene Richtungen bearbeitet wurde.
Es gibt nur ein Kapitel in dem Buch, das wir alle zusammen bearbeitet haben, das Kapitel, das mit Einflussangst zu tun hat, „Einflussangst und Vatermord“ heißt das.
Ich hatte in der Akademie der Künste einen Raum besorgt, dort haben wir daran gearbeitet, nachdem wir es herumgeschickt, bearbeitet und weitergeschickt hatten. Aber wenn wir das bei allen Kapiteln gemacht hätten, wären wir uns an die Kehle gegangen. Ein Kapitel als Experiment war gut, um zu probieren, wie kollektiv arbeiten geht, und das funktionierte auch nur, weil Monika Rinck so eine gewisse Autorität hatte.

Und weil sie gut vermitteln kann, das habe ich bei dieser Geschichtssache in der Literaturwerkstatt gemerkt, als verschiedene Gruppen versuchten, gemeinsam einen Wikipedia-Eintrag zur Lyrik der Moderne zu erstellen. Da war Monika ganz konsequent, setzte sich an den Computer, fragte, tippte, fragte, tippte, und hat das ganze durch Tätigkeit organisiert.

Bei dem Buch war das auch so, ich hatte die Idee, habe die Leute eingeladen und wir haben uns auch manchmal bei mir getroffen, aber die Organisation und den Stand des Manuskriptes aufbewahren, das war dann Monika. Fast automatisch. Den Wikipedia-Artikel zum Lemma "Deutschsprachige Lyrik"habe ich am Ende ja auch selbst zu Ende geführt bzw. überhaupt so angelegt, wie er jetzt online ist.

Meine These ist ohnehin, dass Kunst, aber auch Theorie, Demokratie zwar feiern kann, aber in sich aristokratisch funktioniert. Es gibt kein kollektives Kunstwerk.

Dafür gibt es eine "kommunale" Umnutzung bestehender Formate: Fußnoten etwa wurden im Buch gern zu Ausschweifungen in alle möglichen Gefilde genutzt. Oder zur Darstellung anderer Meinungen als der eigenen. Usw. Und das Literaturverzeichnis ist kein akademisches, sondern ein instruktives Literaturverzeichnis, das als Leseliste funktioniert, in dem also auch Bücher vermerkt sind, aus denen gar nicht zitiert wurde, die gar nicht zum Zuge kamen, deren Titel dem Leser aber Lust machen, da mal reinzuschauen, andere Lektüren anzuschließen.  

Listenerotik.

Ja genau, da ist Ann Cotten Spezialistin für.

Ich finde solche Listen auch viel spannender als akademische Literaturlisten.

Es ließ sich ein gewisser akademischer Zug nicht vermeiden, die Leute haben alle Literaturwissenschaft oder Verwandtes studiert, Daniel promoviert gerade noch in Philosophie, alle sind also sehr in diesem akademischen Ding drin, oder waren drin. Man sieht auch an den Philosophen, die teilweise zitiert werden, wann die Leute studiert haben, also dass Deleuze zum Beispiel so ein Gewicht hat, hängt mit Studienzeiten in den späten Neunzigerjahren zusammen.
Aber dem wird natürlich in mannigfaltiger Hinsicht entgegengesteuert, weil alle außer Daniel Falb die Akademie bzw. die Universität jetzt verlassen haben; und sie hatten auch ihre Gründe, das zu tun. Abschlüsse haben alle gemacht, auch sehr gute. Anns Magisterarbeit über Listenpoesie ist auch publiziert, aber es hat was mit einer bestimmten Art fröhlicher Wissenschaft und Freiheit des Geistes zu tun, die die Leute bewogen hat, nicht an der Universität zu bleiben. Das zeigt sich natürlich im Umgang mit Quellen, mit Philosophen usw., also unter der Maßgabe dessen, was ist nützlich, was kann man irgendwie damit anfangen.
Dann gab es auch die Idee, Bilder mit hereinzunehmen in das Buch, getreu dem Motto von Alice im Wunderland: Ganz am Anfang, als sie neben ihrer Schwester auf der Bank sitzt, die Schwester liest ein Buch, und Alice schaut rüber und meint: Ein Buch, in dem keine Bilder sind, muss ja furchtbar sein. Dann kommt das Kaninchen vorbei.
Also dachte ich, wir nehmen Bilder rein. Und zwar Bilder von uns. Insbesondere wollte ich vor allem von den Leuten in unserer Gruppe Bilder haben, die von sich behaupten, dass sie nicht zeichnen können. Das waren die Jungs, die Männer. Vor allem Daniel und Hendrik. Und die haben dann auch nichts gezeichnet. Monika und Ann haben das Meiste gemacht, und ich habe auch Bilder beigesteuert, aber eher Bilder technischer Art, Diagramme und solches Zeug. Monika zeichnet immer auf Karteikarten, und Hendrik hat bei der Redaktionssitzung einfach Zeichnungen für seine Kapitel ausgewählt. Daniel hat in seinen Kapiteln konsequent gar keine Bilder drin.
Das mit den Bildern war ganz gut, um den Text auch in einer anderen Richtung ein wenig aufzulockern, etwas auf eine andere Art und Weise zu zeigen, was man mit dem Schreiben versucht, wie Illustration funktioniert, oder eine den Text noch einmal erweiternde Illustration. Es hatte eben darüber hinaus noch einmal den Charakter der fröhlichen Wissenschaft. Dass es nicht um ein manifestartiges, monographisches, wie auch immer gedachtes Vorhaben geht. Darin unterscheidet es sich auch von allen Poetiken, die ich so kenne aus der heutigen Zeit, in vergangenen Zeiten gibt es da schon lustigere Sachen. Ernsthaft ist das schon alles, aber diese Stocknüchternheit – von Autor zu Autor ist das verschieden. Sie stehen entweder auf ihrem Katheder, oder sind in ihr eigenes Werk verliebt, oder vertieft. Was wir gemacht haben, habe ich den Eindruck, versucht ein breiteres Spektrum von Facetten reinzukriegen. Kapitel wie Status Quatsch oder Beuteschema, in dem ich in Jagdmetaphern beschreibe, Kategorien aufmache, die etwas für sich haben, und zugleich eine Menge gegen sich.
Es war eine schöne Arbeit, weil wir auf nichts Rücksicht nehmen mussten, machen konnten, was wir wollten, und mit dem Merve Verlag auch einen ganz tollen Partner gefunden haben. Die Zusammenarbeit mit Tom Lamberty war große Klasse.


Links (Göte in Italien): Phlox, S. 151.
Rechts (ab] Projektil): Phlox, S. 159.

Da muss man einfach sagen, dass der Merve Verlag, was solche Sachen betrifft, der Top-Verlag in Deutschland ist. Aber es bekommt bei Merve sofort einen wissenschaftlicheren Anstrich. Das ist spannend. Es geht weg von einem künstlerischen Weltverständnis hin zu einem Welterschließungsmoment. Denn das Buch ist ja nicht nur Poetik, geht viel viel weiter in Soziologie, Philosophie hinein.

Ja, das war es von Anfang an. Wenn man sich so das riesige Feld von Autorenpoetiken anschaut, beginnen die ja bei Fragen der Verslehre: Wie macht man ein Gedicht? Gedichtbaukasten usw. bis hin zu: Wie sehe ich die Welt oder mein Leben? Aber hier ging es explizit nicht darum: Wie schreibe ich Gedichte, oder warum macht man ein Gedicht, sondern eher: Warum schreibe ich ein Gedicht? Aber auch das wird nicht konkret gefragt, sondern gezeigt: Was interessiert uns an der Welt? Wie interessieren uns die Dinge?

Der Diskurs wird aufgefächert, als Waldboden, auf dem hin und wieder ein Gedicht wächst.

Ja genau als der Humus, aus dem einiges ersichtlich ist: denn wenn das eh schon alles so eklektizistisch ist, alles mit allem vermischt, wie in der Welt eigentlich auch, wenn das der Komposthaufen unseres Denkens ist, allerdings ein stark bearbeiteter Kompost, liegt es nahe, dass der Modus der Gedichte, die wir auf fünf ganz verschiedene Art und Weisen schreiben, einem indirekt klar werden kann, wenn man in dem Buch blättert.

Allerdings könnte man an euren Gedichten erkennen, von wem es ist. Sie sind identifizierbar, auch ohne Autorennennung. Das ist in Helm aus Phlox nicht unbedingt der Fall. Auf der poetologischen Ebene gibt es eine Vermischung, daran sieht man, dass der Diskurs nicht nur ein individueller ist, sondern sich breiter aufstellt. Es muss also in dieser kollektiven Poetik keine identische Meinung oder Position geben.

Ich glaube, gemeinsam ist allen, und das ist so eine Supergeneralisierung oder ein kleinster gemeinsamer Nenner: Es gibt eine Neugier auf alles Mögliche, und darauf, wie man selbst in den Dingen hängt, auf das Medium bezogen, in dem wir uns bewegen, jetzt gar nicht nur auf linguistischer oder sprachphilosophischer Ebene betrachtet, sondern dilettantisch auch, und wie das ganze an Theorien, die wir in uns hereingeschaufelt haben, sich in einer Praxis binden lässt.

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