Gespräch mit Michael Lentz über Franz Mon
Jan Kuhlbrodt
Gespräch mit Michael Lentz über Franz Mon
Mons Augen
Jan Kuhlbrodt
Wie kommt es eigentlich, dass du dieses Buch herausgegeben hast? Durch deine Dissertation hast du gewissermaßen das ganze Feld der Konkreten Poesie ...
Michael Lentz
Nicht nur der Konkreten, sondern auch die Bereiche der Akustischen Poesie, die eher von der Stimme her kommen, als von der Letternkunst, wenn man das so nennen mag, der Schreibmaschinenkunst. Aber im internationalen Bereich, da gibt es ja durchaus viele, die ich behandelt habe, die vielleicht Berührungspunkte mit der Konkreten Poesie haben, aber durchaus von Anderem her kommen, von der Performancekunst, oder von der Radiokunst.
Da war Mon natürlich ein wichtiger Kandidat. Und über ihn habe ich da auch ein eigenes Kapitel geschrieben und habe ihn im Zuge der Arbeit, die ich ja schon Anfang der Neunziger angefangen hatte, mit den ersten Recherchen, auf verschiedenen Festivals in Siegen und auch in Frankfurt getroffen und kennengelernt. Da hat sich eine Freundschaft draus entwickelt.
Und es war mir, was Franz Mon betrifft, der wirklich eine international bedeutende Erscheinung ist, ein Dorn im Auge, dass nachdem Gerhard Wolf seine Janus Press geschlossen hat, es nur noch antiquarisch Titel gibt, die greifbar sind.
Ich hab ihn dann herausgegeben mit Freiflug für Fangfragen in der edition selene in Wien, da wollte ich eine Reihe starten, hatte schon ein Buch mit Bob Cobbing in dieser Reihe herausgegeben, dann ging der Verlag, nicht wegen der Reihe, aber leider Konkurs. Und da auch der hochverdiente Klaus Ramm sich sagte, er hat genug auf eigene Faust veröffentlicht, gab es kein Publikationsorgan für Franz Mon mehr. Das hab ich nicht verstanden, wie man vieles in der Literaturbetriebswelt nicht versteht. Dann hab ich dem S. FISCHER Verlag, wo ich selbst zu Hause bin, vorgeschlagen, den Frankfurter Dichter Franz Mon doch im Frankfurter Verlag Samuel Fischer zu veröffentlichen. Es gab überhaupt kein Zögern, es gab sofort die Zusage von Oliver Vogel.
Jan Kuhlbrodt
Das war dann das Lesebuch, das du herausgegeben hast?
Michael Lentz
Ja: Zuflucht bei Fliegen Und für dieses Zuflucht bei Fliegen war uns klar, wir konzentrieren uns auf die Essenz, Mons poetische Texte im gesamten medialen Spektrum, außer der akustischen Poesie, denn da hätte man ja Tonträger beifügen oder Material ins Internet stellen müssen. Da haben wir klassisch, buchauratisch gedacht. Mon und ich haben dann einen ziemlichen Umfang anvisiert, den das Buch haben sollte, und das ist auch wirklich dem Verlag zu danken, da ging man zunächst von dreihundert bis vierhundert Seiten aus. Ich hab mich sofort nicht daran gehalten, die beiden Bücher von Franz Mon sind ja doppelt so dick. Es ging trotzdem durch. Zuflucht bei Fliegen sollte, das war mir das Wichtigste, die Vielfalt seiner Poetischen Texte zeigen, von den in Anführungszeichen normalen Gedichten, teilweise vom Surrealismus noch beeinflusst, bis hin zu den Schriftbildern – sehr vieles davon ist außerhalb der konkreten Poesie zu verorten. Auch die Prosa von Mon ist in dem Band enthalten. Da ist ein Text dabei, am Nil spielend, kurz nach dem zweiten Weltkrieg von Franz Mon geschrieben, wo er seinen Künstlernamen Mon her hat.
Jan Kuhlbrodt
Ein großartiger Text.
Michael Lentz
Ja, ein unglaublicher Text. Franz Mon hatte den irgendwo in der Schublade liegen, aber vergessen.
Franz Mon: Sprache lebenslänglich. Gesammelte Essays. Hrsg. von Michael Lentz. Frankfurt a.M. (S. Fischer) 2016. 656 Seiten. 24,99 Euro
Franz Mon: Freiflug für Fangfragen: 103 Alphabet-
gedichte mit 26 Verbalcollagen und 1 CD mit Lauttexten seit 1960. Klagenfurt (edition selene) 2004. 200 Seiten.
Franz Mon: Zuflucht bei Fliegen. Lesebuch. Hrsg. von Michael Lentz. Frankfurt a.M. (S. Fischer) 2013. 496 Seiten. 26,99 Euro.
Jan Kuhlbrodt
Er war also noch gar nicht veröffentlicht?
Michael Lentz
Nein, vieles in Zuflucht bei Fliegen, war nicht veröffentlicht. Ich war oft bei ihm und habe das Archiv auf den Kopf gestellt. Da kam plötzlich dieses handgeschriebene Manuskript. Das konnte er teilweise gar nicht mehr entziffern. Er hat das dann aufgesprochen. Ich hab gesagt: Lies mal! Lies das mal runter! Die Aufnahme ist deshalb schön, als wäre das beabsichtigt, manche Sätze fließen, dann gibt’s ne Pause, er kann das nicht entziffern, und dann geht es stockend weiter. Es hat eine gewisse Atmosphäre, auch von der Stimme her ist das interessant.
Jan Kuhlbrodt
Gibt es das als File irgendwo?
Michael Lentz
Nein.
Jan Kuhlbrodt
Also es ist quasi deine Privatfreude bei der Arbeit.
Michael Lentz
Es wäre relativ schwer zu vermitteln, das außerhalb irgendeines artifiziellen Kontextes zu veröffentlichen. Aber das diente ihm dann zur Rekonstruktion auch einzelner, für ihn nur noch schwer zu lesender Wörter. Er hatte das Manuskript, er hörte die Aufnahme ab, und dann hat er, aufgrund gewisser Wiedererkennung der eigenen Handschrift und sich anbietender Sinnzusammenhänge das wieder erschlossen.
Jan Kuhlbrodt
Er hat ja die Prosa nicht extensiv verfolgt.
Michael Lentz
Nein, das Zusammenhängendste ist halt Herzzero. Das müsste man eigentlich in einer Einzelausgabe noch mal machen, das ist ein eigenständiges Buch, und das hätte den Rahmen von Zuflucht bei Fliegen total gesprengt.
Jan Kuhlbrodt
Ich hab Mon erst über Carlfriedrich Claus kennengelernt und über Janus Press, den Verlag von Gerhard Wolf. Das Wort auf der Zunge. Das Buch von Franz Mon und Carlfiedrich Claus.
Michael Lentz
Wenn man den in Chemnitz bei den Kunstsammlungen herausgekommenen Briefwechsel liest von Mon und Claus, da hat man fast paradigmatisch jeweils ein Kapitel Mentalitätsgeschichte Ost-West. Claus durchaus eine sehr genial zu nennende Mischung, ein Hybrid aus Linguist, Mystiker und Ethnologe. Mon stark von Symboltheorie zum Beispiel geprägt, aber durchaus auch Kalkülpoet, Rationalist. Und die treten in einen sich teilweise erhitzenden Dialog, mit gegenseitiger Ermahnung. Wenn Mon zur Ordnung und zur Vernunftentscheidung aufruft, ist die nächste Antwort von Claus freundlich erwidernd, aber genau das Rationalismusargument unterhöhlend.
Jan Kuhlbrodt
Es bringt zwei Seiten der Schönheit zusammen. Und das ist es auch, was mich bei Mon so fasziniert. Die Schönheit dieser Texte.
das wort auf der zunge. Franz Mon Texte aus vierzig Jahren ausgewählt und zueinander und zu Sprachblättern in subjektive Wechselbeziehung gesetzt von Carlfriedrich Claus. Berlin (Janus press) 1991.
Michael Lentz
Bei Claus ist es für mich die Schönheit der Psychogrammatik. Die Niederschläge, Einschläge, die Konfigurationen, frei wuchernd teilweise. Begrenzt durch bestimmte selbst auferlegte Ordnungssysteme, wie begrenzte Papiergröße usw., begrenzte technische Voraussetzungen in diesen dynamischen Koartikulationen bei Claus: Mehr konnte die Technik des Westens nicht zweckentfremdet werden, um mit Monoaufnahmen Radiophonie zu simulieren. Mehr ging nicht. Den Löschkopf wegdrücken und noch mal auf dieselbe Spur drauf.
Und bei Mon eine Schönheit der Oberfläche, die aber, um mit Nietzsche zu sprechen, die Tiefe ist.
Jan Kuhlbrodt
Das merkt man auch den Essays an. Wie er von Oberflächenphänomenen in die Konnotationen reingeht. Und das Historische im Material sieht.
Michael Lentz
Interessant ist: Mon ist ja auch Designer. Er kommt ja, anders als Gomringer, der mit Rosenthal viel zu tun hatte, oder mit Industriedesign, kommt Mon durchaus vom Letterndesign, vom Typographischen her, und oszilliert zwischen einer Poetik der Handschrift und einer Poetik der nichtnormierten Typographie. Natürlich auch mit Auswucherungen hin in die bildende Kunst; aber das Entscheidende ist auf der denkerischen Ebene; für mich ist Mon ein Denker; er denkt nicht über einen fixierten Literaturbegriff nach oder an diesem entlang, sondern er denkt kulturanthropologisch. Das ist der ganz entscheidende Punkt, und da ist er unglaublich breit aufgestellt. Ich habe mir eingebildet, das Werk von Franz Mon vor der Herausgabe der Essays zu kennen, und war baff, wirklich Zeile für Zeile noch einmal lesend, was da eigentlich läuft.
(Brigitta Milde:) Die Künstler-
freundschaft zwischen Franz Mon und Carlfriedrich Claus. Briefwechsel 1959 - 1997. Visuelle Texte Sprachblätter. Berlin (Kerber Verlag) 2013. 248 Seiten. 48,00 Euro.
Jan Kuhlbrodt
Der dauernde Bezug auf Arno Holz zum Beispiel, hat mich sehr irritiert anfänglich.
Michael Lentz
Arno Holz, das wäre eine Untersuchung wert, ist in der Kombination von Substantiven und Adjektiven, der Holzschen Ars Combinatoria, diese neologistischen Konglomerate, die er dann fabriziert, von größtem Einfluss auf Mon. Bis heute. Aber nicht im Sinne von Nachahmung, sondern in Sinne eines poetisch generativen Motors. Also die Poetik beider treibt unterschiedliche Blüten, mit gewissen Schnittmengen zwischen Holz und Mon. Holz hatte seine Poetik mit ihrer Dominantsetzung des Sprachrhythmus und der berühmten Mittelachsensetzung der Zeilen konzipiert; auch als eine (Selbst)Mythisierung des Ich, und aufgrund dieses gewissen egologischen Größenwahns ist er eigentlich ein Außenseiter geblieben. Mon knüpfte systematisch an diese Poetik an in völliger Vernachlässigung des selbstmythomanischen Überschusses.
Es gibt einen großen Vorläufer dieser Art, von dem es leider wegen der "Geschichtklitterung" keine Gesamtausgabe gibt. Enzensberger hat das große Verdienst, in der Anderen Bibliothek zumindest einen Teil präsentiert zu haben. Ich spreche von Johann Fischart, dessen vorbarocke Avantgarde ein starker Vorläufer von akkumulativer Textur war, wie man sie bei Holz und Mon findet. Häufung von Beschimpfungsformeln über drei Seiten, adjektivische Reihungen, um ein Fressen zu bezeichnen bzw. zu beschreiben, ein genauso großer Aufwand, um die schlechte Verdauung zu disqualifizieren, das ist etwas gewesen, wo das 15./16. Jahrhundert bis ins 17. Jahrhundert rein viele Vorlagen geliefert hat, die sich aber in einer imaginären Normierung von Literaturgeschichte nicht durchsetzten. Die wurden vom Strom nicht mitgerissen, sondern irgendwo ans Ufer gespült.
Jan Kuhlbrodt
Das ist der andere Geschichtsbegriff, den Mon verfolgt. Er zeigt ja auch auf, wie alt Momente der konkreten Poesie sind. Da geht es bis in die Antike. Macht parallele Traditionen auf.
Michael Lentz
Ohne Kabbalist zu sein, zeigt Mon, wie extrem wichtig Schrift für die Selbstedukation des Menschen ist, und wie extrem stark medialer Wandel auch den Schriftbegriff wandelt, und wie dadurch die Konfiguration von Denken, das Selbstbegreifen des Menschen, sich verändert. In diesem Punkt ist er ein Apologet der Handschrift, die bloße Spur einer Linie, eine kaum merkliche Geste ist für ihn eine Manifestation von Individualität, gleichzeitig interessiert er sich für die Gegenbewegung, die völlige Entindividualisierung in Typografie und Design, aus denen jegliche Spuren des Privaten und Subjektiven gelöscht sind. Zwischen diesen Bereichen von extremster Individualisierung und Selbstexperiment auf der einen, und der völligen Selbstentäußerung, der Verschwindung des Ichs auf der anderen Seite, zwischen diesen beiden Bereichen oszilliert er wie niemand anders in der ak-tuellen Literatur.
Jan Kuhlbrodt
Das ist ein Phänomen der Skriptorien.
Michael Lentz
Ja, da geht er ja auch drauf ein. Die Kopisten haben ja gelitten, sie oszillierten zwischen der körperlichen Erfahrung, dass Schreiben ungeheuer anstrengend sein kann, und der Entkörperlichung durch Schrift als Ergebnis ihrer Arbeit. Die überhaupt nichts mit ihnen zu tun hatte, weil sie Berufszwang war.
Jan Kuhlbrodt
Da trifft er sich wieder mit Claus.
Michael Lentz
Wobei Claus eher der explodierende Vulkan war oder sein konnte, mit einer unglaublichen Tradition im Background, während Mon eher in sich ruht und ruhig bleibt. Mon hat stark durchdringende Au-gen. Und diese durchdringenden Augen sind für mich schon seine Poetik in nuce. Er ist ein sinnlicher Analytiker. Er bleibt dabei Rationalist und Konzeptualist.
Jan Kuhlbrodt
Lieber Michael Lentz, vielen Dank für dieses Gespräch.