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Gespräch mit Mathias Traxler über Sprachen, Essays und Dante

Dialoge

Jan Kuhlbrodt

Gespräch mit Mathias Traxler über Sprachen, Essays und Dante


Mir ist in Dantes Hölle nie bange.


Im Frühjahr sind im Verlag Kookbooks Mathias Traxlers Unterhaltungsessays erschienen. Traxler lotet in seinen Texten das Genre und andere Texte aus. Zentral ist eine Auseinandersetzung mit Dantes Hölle, auch wenn sich die Essays. nicht auf dieses Thema begrenzen lassen.
Die Identifizierung nicht mit einer Person, sondern mit der Sprache, die von ihr erzählen kann, welche, während man in dem Buch liest, die eigene Sprache ist, die solches erzählen kann, resultiert in einer Veränderung der eigenen Sprache.

Dieser Satz, der auch eine Haltung zeigt, und diese letztlich vom Leser auch fordert, scheint einer der zentralen Texte im Buch zu sein.


Jan Kuhlbrodt:
Lieber Mathias, ich lese deine Essays und lese und lese. Es gibt da Sätze, die in ihrer aphoristischen Qualität nach einem Stift tasten lassen. Aber in weiser Voraussicht habe ich alle Stifte aus meinem Zimmer entfernt. Ich mag Anstreichungen nicht. Gern würde ich mir diese Sätze und die Sätze darum herum von dir oder von einem Anderen vortragen lassen. Jemanden mit italienischem Akzent vielleicht, oder jemanden, der diesen Akzent perfekt imitiert. Du liest Italienisch? Und wie lang liest du schon in der Göttlichen Komödie?

Mathias Traxler:
Lieber Jan, ich danke dir für diese Einleitungssätze zu unserem Gespräch. Schön, dass du die Akzente erwähnst, darauf möchte ich gerne gleich etwas näher eingehen, weil es, glaub ich, ein Feld, welches ich selber mit Lesen verbinde, unmittelbar weit aufmacht.

Ich lese parallel verschiedene deutsche Übersetzungen der Göttlichen Komödie und das italienische Original. Mit besonderer Freude lese ich immer in der Übertragung von Benno Geiger, die 1960 bei Luchterhand erschienen ist. Sie ist, wie das Original, in Terzinen gefasst, und ich empfinde sie sehr eigenwillig, sehr waghalsig, sehr genau. Dazu lese ich die Übertragungen von Hermann Gmelin und Ida und Walther von Wartburg (erschienen anfangs 50er und 60er Jahre), und häufig in den Kommentaren von Wartburg, die als Einleitungen vor den einzelnen Gesängen stehen. Roberto Benigni hat 2006/2007 in verschiedenen italienischen Städten eine Reihe von (Open-Air)-Lesungen aus der Commedia mit Textexegesen dazu gehalten. Das Projekt hieß „Tutto Dante“, und die Vorträge/Aufführungen sind auf DVD herausgekommen, die ich mir immer wieder anschaue. Und dann lese ich natürlich auch noch in dem wunderbaren Buch von Hans-Jost Frey: „Dante. Fünfundzwanzig Lesepläne“. Als ich, vergangenes Jahr, zum ersten Mal die ganze Commedia durchgelesen hatte und wieder von vorne begann, dachte ich, dass nun das Lesen der Göttlichen Komödie erst beginnen würde. Einige Male hatte ich den Impuls, die Göttliche Komödie auf Französisch zu lesen, oder auf Holländisch. Ich wünschte, ich hätte schon früher damit begonnen, die Göttliche Komödie zu lesen.

Es geht mir so, dass, wenn ich jemand anderen aus einem Buch vortragen höre, ich praktisch immer davon ausgehe, dass das Gelesene eine direkte Anrede ist. An einem Akzent kann man ja immer erkennen, dass jemand von wo anders herkommt. Und ein, in einem weiteren Sinne, literarischer Akzent macht hör- und fühlbar, in den Betonungsweisen des Lesers, welche literarischen und ausserliterarischen Landschaften dieser durchquert hat. Ich nehme an, du meintest etwas in der Art, als du eingangs von Akzenten sprachst?

Jan Kuhlbrodt:
Das klingt so, als hätte sich der Text von seiner (National)Sprache gelöst, und wandere durch die Übertragungen. Durch die Sprachen selbst. Im gesprochenem Wort. Wenn man im Hören den Text als unmittelbare Ansprache erfährt. Aber eben angereichert durch Lektüren in verschiedensten Situationen. Freys Lesespäne sind ein Beispiel dieser Akzentverschiebungen.
Ich meine aber in deinen Essays auch die gegenteilige Tendenz zu finden, also dass der Hörende/Lesende sich löst und in den Text wandert. Könnte man sagen, dass der Lesende/Hörende seine Identität zumindest teilweise an den Text abtritt.

Mathias Traxler:
Ja, die Trennung von Leser und Text halte ich für essentiell! Sie steht immer im Zusammenhang mit einer konkreten Situation, in welcher das Lesen und Hören stattfindet. Und immer auch verstanden als Voraussetzung für eine Genauigkeit, die die eigene Aufmerksamkeiten und Wahrnehmungen in vollem Umfange und mit sämtlichen Bereichen auf den Text als Vorlage zu lenken vermag. Akzentsetzung ist für mich eine derartig geformte Lesehaltung. Wie jedes künstlerische Handeln erfordert sie, notwendigerweise, ab einer bestimmten Stelle, sich von Lesegewohnheiten, -übereinkünften, von seiner eigenen Identität zu entfernen. Gewissermaßen an seinem eigenen Leben nicht festzuhalten.

Jan Kuhlbrodt:
Lieber Mathias, wir entfernen uns etwas von deinem Buch, aber das macht nix, das sollen die Leute mal lesen. Was du zuletzt sagtest, klingt für mich sehr spannend, weil es bedeuten würde, es gebe weder im Leser, noch im Text festgefügte Identitäten. Das klingt letztlich auch nach einer Befreiung aus dem Zuschreibungsgeflecht der außerliterarischen Welt. Wobei, soweit weg vom Buch gehen wir gar nicht, weil ich deine Essays als genreüberschreitend oder genresprengend erlebe. Hast du beim Schreiben die Genregrenzen im Kopf? Sind die Überschreitungen bewusste Provokationen?

Mathias Traxler:
Ich möchte versuchen, mit einem Bild zu antworten: Wenn es z.B. so wäre, dass man, nicht nur im Kopf, sondern mit dem ganzen Körper, beim Voranschreiten in einer Landschaft, von einem Bach zur linken nur in Versen, von einem Wald zur rechten nur in Prosa sprechen würde, (und, um das Bild noch weiterzuspinnen, oberhalb des Waldes vom Bergkamm nur in Erzählungen, etc.); wie veränderte sich dann die eigene Wahrnehmung, die Bewegungsrichtung, das Sprechen von dieser Landschaft.
Für den Leser, wenn sich zeitweise mit dem Buch zu befreien aus dem, wie du so schön sagst, Zuschreibungsgeflecht, gelingt, ist vieles gewonnen. Wenn dann z.B. Steine vom Herzen fallen.

Jan Kuhlbrodt:
Was andere also vielleicht als Irritation auffassen würden, weil es die gewohnte Ordnung unterläuft, ist dir Befreiung. (Mir auch, möchte ich sagen.) Und das ist wohl auch das, was einen Essay als Form ausmacht. Ist das eine Freiheit, die du voraussetzt, die du also an den Text heranträgst, oder ist sie gewissermaßen erst im Prozess?

Mathias Traxler:
Beides. Das Lesen selbst ist auch eine Essayform. Deshalb halte ich es ja für unabdingbar, Leser und Text nicht grundsätzlich miteinander zu verwechseln. Was natürlich irgendwann gezwungenermassen immer dazu führt, dass die Grenzen von Leser und Schreiben unklar werden.

Jan Kuhlbrodt:
Lieber Mathias, danke bis hierhin, wir bleiben im Gespäch.


Mathias Traxler: Unterhaltungsessays. Berlin (kookbooks) 2016. 96 Seiten. 19,90 Euro.

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