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Gespräch mit Günter Plessow

Dialoge


Durch die Sprache der Zeit


– ein Gespräch mit Günter Plessow
über seine Shakespeare-Sonettübersetzungen,
27. Mai 2016.



Kristian Kühn:
Du hast ein Buch herausgebracht, 2003, „Kritik der Liebe“*, darin ist alles enthalten, was wir im Shakespeare-Jahr täglich bringen, bzw. schon gebracht haben, die 154 Sonette im elisabethanischen Englisch und auf Deutsch, von dir übersetzt, auch das sich anschließende Langgedicht „A Lover’s Complaint, alles mit Begleittexten, Erklärungen. Wie würdest du das ganze Shakespeare-Paket definieren, als Zyklus?
Günter Plessow: Also zuerst würde ich nicht Zyklus sagen. Das ist in Deutschland zwar so üblich, aber die Gedichte stehen ja nicht im Kreis nebeneinander, und sie haben auch nichts mit der Erdumdrehung oder der Mondlandung zu tun, sondern sie folgen aufeinander. Und deswegen übernehme ich lieber den englischen Ausdruck „Sequenz“ – und das Wichtigste ist eigentlich, dass diese 154 Gedichte keine Sammlung von 154 Einzel-Sonetten sind, sondern dass sie aufeinander reagieren und im Prinzip einen inneren Monolog des Dichters darstellen. Shakespeare war damals schätzungsweise 40 Jahre alt. Er war für die damalige Zeit ein alter Mann, der aus seiner Lebenserfahrung heraus ein inneres Gespräch führt, mit Figuren, die er sich vorstellt und zu denen er eine Beziehung aufgebaut hat. Da ist einmal ein junger Mann, ein sehr junger, in den er sich verliebt; dann ist es eine promiskuitive Dunkle Dame, die ihm sehr zusetzt. Dann gibt es aber auch einen Rival Poet, mit dem er sich um die Gunst seines Mäzens streiten muss. Zudem streitet er sich mit seiner Muse darüber, wie nachlässig sie geworden ist – und dergleichen mehr. Das Ganze ist eine Art – man könnte auch sagen – Tagebuch, das er geschrieben hat, jedes Gedicht steht für sich allein, aber ist zugleich auch ein Stück eines lyrischen Romans.
KK: Also hat es etwas Rhetorisches? Narratives? Kann man das sagen? Mit Ansprache und dergleichen?
GP: Ja.  
KK: Oder sind es ausschließlich innere Monologe und Gedanken?
GP:  Nein, nein – es sind in der Regel innere Dialoge, vorgestellte Dialoge, immer spricht der Dichter ein Du an, dazu kann dieses zwar nicht antworten, sondern wir müssen die Antwort selber imaginieren, also aus der Art und Weise, wie der Dichter weiterspricht, sie für uns erschließen. Auf jeden Fall sind Shakespeares Sonette eine Form der Auseinandersetzung von Gedanken – deswegen hab ich dieses Buch damals „Kritik der Liebe“ genannt, weil hier keine Liebesgedichte, keine Liebesschwärmereien ausgebreitet werden, sondern jemand sich über seine Liebesverhältnisse Rechenschaft ablegt.
KK: Ja. Was ist eigentlich jetzt an Shakespeare schwer zu übersetzen? Also gerade, wenn man die Metrik einhalten will – die Anzahl der Silben, die Eleganz des Ausdrucks oder die Verknappungen, die man im Deutschen dann vornehmen muss?
GP:  Das ist eigentlich von Gedicht zu Gedicht verschieden. Aber es gibt natürlich eine Grundschwierigkeit, und die ist, dass die deutschen Wörter lang sind, relativ, und die englischen kurz. So dass man, wenn man einem englischen Text gegenüber steht, egal ob er von Shakespeare ist oder einem Romantiker oder von Milton, immer eine Fülle von Wörtern vor sich hat, von denen man nur einige in das Metrum übernehmen kann.
KK:  Ja, und die anderen muss man weglassen?
GP: Man muss welche weglassen, aber das ist nicht nur ein Verlustgeschäft, sondern man sollte versuchen – und deswegen ist Übersetzen eigentlich eine hochgradig schöpferische Tätigkeit –, das Gedicht in ein neues Gedicht zu übersetzen, das möglichst viel von dem alten enthält, vor allen Dingen das Tempo und die Stimmung und den Gestus des Gedichts. Das ist es ja, ein Gedicht hat ja auch einen Gestus.
KK: Jaja – natürlich, also diesen lautsprachlichen Gestus, die Eleganz beispielsweise, etwa die ACIs wie im Lateinischen, die sind ja im Englischen auch da. Und im Deutschen sind das dann lange Nebensätze. So ist Übersetzung immer auch eine Eigenschöpfung.
GP: Ja, es wird ein Gedicht in ein Gedicht übersetzt, und nur wenn das gelingt, es gelingt durchaus nicht immer und vor allem nicht immer in der gleich überzeugenden Weise, das liegt aber auch an jedem einzelnen Gedicht, das sich ja immer inhaltlich und in der Wortwahl unterscheidet. Aber überall im Englischen, nicht nur bei Shakespeare, ist etwas besonders auffällig im Vergleich zum Deutschen, nämlich der Wortwitz, mit dem Shakespeare zum Beispiel auch seine Dramen schreibt – aber mit dem auch die Nonsens-Poeten des frühen 20. und des späten 19. Jahrhunderts in England ihre Witze gerissen haben. Das Englische ist hochgradig verliebt in dieses Punning, mit Wörtern zu spielen, teils ins Ordinäre, teils ins Überhochmetzte sich steigernd – und das in einem gewissen Maße zu übernehmen und zu retten, darum muss man sich bemühen.
KK:  Ja, bis Joyce kann man es sehen, dieses „Punning“ ist dann ja teilweise gar nicht mehr übersetzbar. Alle Poesie ist Übersetzung, sagt Novalis im „Blütenstaub“ – denn Übersetzung gilt ja immer, selbst beim eigenen Andenken, vom Verstand her oder vom Gefühl, hin zur Sprache, so dass du dann deine Probleme hast, etwas Gleichwertiges zu schaffen, das ist bei 154 Shakespeare-Sonetten gar nicht immer gleich möglich, denke ich – oder doch?
GP: Nein. Nein, nein, das ist auch klar – diese 400 Jahre sind ja nun nicht spurlos an der Sprache und an beiden Sprachen und vor allen Dingen nicht an mir vorbeigegangen. Ich kann mich zwar gerne versuchen an Shakespeare zu orientieren, zugleich muss ich aber auch, da ich ja heute spreche, für heutige Ohren zu formulieren versuchen, muss ich auch irgendwie aus meinem eigenen Selbst heraus schreiben, insofern wird es nie die endgültige Übersetzung geben, sondern Übersetzungen altern oder werden historisch und schreien irgendwann mal wieder nach einem neuen Einstieg.
KK: Durch die Sprache der Zeit.



* KRITIK DER LIEBE –– Shakespeare’s Sonnets & A Lover’s Complaint –– wiedergelesen und wiedergegeben von Günter Plessow. (c) Passau (Karl Stutz Verlag) 2003.

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