Gerður Kristný: Hiroshima und zwei weitere Gedichte
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Gunnlöð Jóna
Gerður
Kristný
Hiroshima
und
zwei weitere Gedichte
(Aus:
Jarðljós / Erdlicht, Verlag Mál og menning, Reykjavík 2024)
Aus dem Isländischen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer
HIROSHIMA
Mein
Sohn
bastelt
Vögel
unter
dem wachsamen Auge
einer
unbekannten Frau
Sie
weiß
wie
ein Flügel gefaltet und
ein
Schnabel geformt werden muss
Die
Vögel
verheißen
Glück
doch
nur wenn
wir
uns Mühe geben
Der
kleine Junge
die
ältere Frau
senken
die Köpfe
gemeinsam
schlagen
sie eine neue Seite auf
GHANA
Weiß
ist sie
die
Burg der Sklavenhändler
die
Fensterläden sind blau
Ein
milder Wind
weht
durch weite Hallen
Das
Meer
ist
gleißend grün
Eine
weiße Welle
bricht
an der Mole
Der
Strand
ist
mit Muschelschalen übersät
Ohren
die
horchen
KRIEGSKINDER
Tote
Kinder
in
weißes Tuch gehüllt
ähneln
Fackeln
Sie
leuchten
in
die Vergangenheit
die
gleiche
die
wir versucht haben
uns
auszutreiben
Gerður Kristný, geboren 1970 in Reykjavík,
gilt als eine der führenden Dichterinnen Islands. Sie schuf aber auch eine
Reihe von Werken anderer Art, sowohl Romane, Kinder-bücher als auch
Veröffentlichungen zu allgemeinen gesellschaftlichen und kulturellen Themen. Für ihre Gedichtbände wurde sie
mehrfach für den Isländischen Literaturpreis nominiert; für Blóðhófnir / Der
Bluthuf wurde er ihr 2010 verliehen. Dieser Gedichtband ist inzwischen
mehrfach übersetzt und in sieben Ländern veröffentlicht worden. Erneut für den
Isländischen Literaturpreis nominiert wurde Gerður Kristný auch für ihren
aktuellen Band Jarðljós / Erdlicht, dem diese Gedichte entnommen sind. Im Jahr 2022 verlieh der islän-dische Präsident ihr
das Ritterkreuz des isländischen Falkenordens für ihren Beitrag zur
isländischen Literatur.
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