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Gerhard Richter, Amir Eshel: Zeichnungen

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Jan Kuhlbrodt

Gerhard Richter, Amir Eshel: Zeichnungen. Gedichte und Bilder. Zweisprachige Ausgabe: Hebräisch / deutsch, beides von Amir Eshel. Berlin (Jüdischer Verlag) 2018. 72 Seiten. 48,00 Euro.

Zu Gerhard Richter/Amir Eshel
Zeichnungen


Vom Garten
von der Straße her
kam die Winterstille
und für einen Augenblick wollte ich sein
      
Das nicht Darstellbare verlangt die Darstellung. Es wird nie gelingen, das Leid der Opfer des Nationalsozialismus, der Opfer in den Vernichtungslagern in Worte zu fassen, und doch müssen wir darüber sprechen.

Im zweiten Essay des Buches „Dichterisch denken“, der sich um den Birkenau-Zyklus von Gerhard Richter dreht, zitiert Eshel den amerikanischen Philosophen Richard Rorty:

„Das Verbrechen, das die Welt erfüllt, ist so absolut, dass wir vor Verzweiflung den Verstand verlieren könnten.... Unser Entsetzen, dass sich dann einstellt. Wenn wir die Wahrnehmung des Schrecklichen zulassen und zulassen müssen, … dieses Entsetzen wird nicht nur von der Angst genährt, dass die mörderische Grausamkeit ebenso in jedem von uns wirkt und bereitsteht.
Ich wollte eigentlich notieren, dass ich die einzige, oder eine große Hoffnung in der Kunst sehe, … Ich wurde unterbrochen, als ich bei der Feststellung, dass in jedem diese Grausamkeit bereit steht, etwas Hoffnung spürte, so als würde gerade von dieser Tatsache her eine Besserung möglich sein, ein Ansatz, etwas tun zu können.“  

Es fällt mir schwer, meine Gedanken in diesem Kontext zu bündeln. Aber meine eigene Verführbarkeit hatte ich schon in jungen Jahren zu spüren bekommen, als ich mich der Ideologie der SED ausgeliefert und unterworfen hatte. Im Grunde bekämpfte ich selbst argumentativ meinen Widerstand. Später dann, als ich mich zu meinen Widerständen bekannte und in eine gemäßigte Opposition ging, blieb angesichts dieser Erfahrung die Frage nicht aus, wie ich mich unter der Herrschaft der Nationalsozialisten verhalten hätte. Natürlich wünschte ich mir damals im Widerstand gewesen zu sein, aber inwieweit ist diesem Wunsch zu trauen. Viel eher wäre ich doch den Ideologen erlegen gewesen, wie ich den SED-Ideologen erlag. Diese Frage bleibt natürlich offen und ihre Lösung spekulativ.

Und eines ist mir auch klar: Das Leid der Opfer ist für mich nicht zu ermessen.

Eshel schreibt: „Die Grausamkeit 'zugänglich' zu machen, uns mit ihrer Realität zu konfrontieren, ist für Richter mit der Aufforderung verbunden, 'etwas zu tun,' zu versuchen, die potentiellen Ursachen für die Grausamkeit und schließlich auch die Grausamkeit selbst zu einem Gegenstand der Vergangenheit zu machen.“

Die Grausamkeit also in der Darstellung historisieren, um die Opfer zu vergegenwärtigen. Deshalb greift Richter in seinem Birkenau-Zyklus auf Fotografien zurück, die Häftlinge selbst versteckt und aufgenommen hatten. Den Blick auf das Leid durch die Augen der Leidenden. Und auch Richter sah seine Reflexion nicht als unmittelbaren Ausdruck und konfrontierte das eigene Werk in der Dresdener Ausstellung mit originalen Dokumenten und Fotografien.

Amir Eshel besuchte Richter 2014 in dessen Atelier bei Köln. Dort nahmen sie ein bis heute andauerndes Gespräch auf. Eshel berichtet im Vorwort, dass Richter ihm den Katalog der New Yorker Ausstellung des Birkenau-Zyklus zusandte. Der Katalog enthält Abbildungen eines Graphitzyklus, der „40 Tage“ heißt. Zeichnungen, eher abstrakt, das Schattenhafte des Materials aufnehmend, aber im Kontext des Birkenau-Zyklus von enormer Eindringlichkeit. Beschreibungen müssen hier fehl gehen. Aber von diesen Zeichnungen angetrieben verfasste Eshel eine Reihe von Gedichten auf Hebräisch, die er ins Deutsche übersetzte und Richter zukommen ließ. Gedichte in denen sich die Reflexionen mit Beobachtungen in Kölner Situationen vermischen.

Richter wiederum wählte daraufhin Zeichnungen aus und ordnete sie bestimmten Gedichten zu.        
Der vorliegende Band ist somit das eindringliche Dokument eines anhaltenden Dialogs zwischen einem Deutschen und einem Israeli, einem Maler und einem Dichter. Und zwischen zwei Personen, deren Geburtsjahre etwas über dreißig Jahre auseinanderliegen.

Die Gedichte sind zweisprachig abgedruckt und zuweilen vermischen sich hebräische und deutsche Strophen. Staunen und Trauer vermischen sich in der Lektüre.


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