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Gerd Adloff: zwischen Geschichte und September

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Jayne-Ann Igel

Mit geschärfter Klinge


Anmerkungen zu Gerd Adloffs neuen Gedichtband „zwischen Geschichte und September“


Als Gerd Adloff 1985 im Verlag der Nation mit dem Gedichtband „Fortgang“ debütierte, war mir sein Name schon ein Begriff, vielleicht, weil ich ihn auf einer der Wohnungslesungen im Prenzlauer Berg erlebt, Gedichte von ihm, die in Dorothea von Törnes legendärer wie umstrittener Lyrikanthologie „Vogelbühne“, in „Offene Fenster“ oder der „Auswahl 80“ erschienen waren, bei mir einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hatten. Adloff gehört zu jener Generation von Dichterinnen und Dichtern, die, in die DDR der 50er/60er Jahre hineingeboren, sich ab Mitte der 70er einen Namen zu machen versuchten, dafür mehr oder weniger Hindernisse überwinden mussten. Wie viele seiner Zeitgenossen schlug er sich eine Zeit lang mit verschiedenen Tätigkeiten durch. Ab den 70er Jahren war er gleich anderen Autoren seiner Generation (so etwa Elisabeth Wesuls, Michael Meinicke, Beate Stanislau oder Richard Pietraß) Mitglied des von Schreibenden wie literarisch Interessierten 1965 gegründeten Lyrikclub Pankow, der im ersten Jahrzehnt z.B. auch Uwe Greßmann und Bettina Wegner zu seinen Mitgliedern zählen, namhafte  Autoren wie Volker Braun, Sarah Kirsch und Thomas Brasch als Gast begrüßen durfte.

Nach dem Debüt sollte eine lange Zeit vergehen, bis der Autor, der im Anschluss an sein Germanistikstudium eine Festanstellung am Zentralinstitut für Literaturgeschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR gefunden hatte, erneut mit eigenen Texten an die Öffentlichkeit trat. Ab Anfang der 90er Jahre beschäftigte er sich neben Lektortätigkeit und Literaturmittlerschaft vor allem mit fotografischen Arbeiten, die in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht wurden und mit denen er auch eine Anzahl von Einzelausstellungen bestritt. Erst seit Ende der 2000er Jahre ist wieder eine verstärkte Hinwendung des Autors zum Gedicht beobachtbar. So erschienen in kurzer Folge kleinere Sammlungen neuer Gedichte in der Jenaer Reihe Versensporn (Heft 4, 2011) und in Kai Pohls Schock-Edition (2012). Der vorliegende Band, im Herbst letzten Jahres in Hendrik Lierschs ambitionierter Corvinus Presse editiert, bietet nunmehr einen umfassenden Einblick in das aktuelle Schaffen des Dichters, und er ist, mit kongenialen Grafiken von Horst Hussel versehen, auch buchkünstlerisch eine Augenweide.

Der Titel des Bandes stimmt hintersinnig auf das ein, was hier der Entdeckung harrt, denn er ist nicht allein der Anordnung der Texte geschuldet, vielmehr schlägt der Autor damit in biographischer wie geschichtlicher Hinsicht einen Bogen von der jüngeren Vergangenheit zur Jetztzeit, versinnbildlicht so die Spanne eines Lebens, die den Hintergrund in vielen der Gedichte bildet. Während „Geschichte“ am Anfang des Buches Ereignisse aus der Zeitgeschichte zitiert, die das dichterische Subjekt in seiner Zeitgenossenschaft scheinbar nur mittelbar berührten, begegnen wir ihm im abschließenden Text „Dieser September“ in einem Stadium des Lebens, in dem Abgeklärtheit und Ernüchterung überwiegen, es sich als Gast sieht, in diesem Garten (S. 45).

Wenn das dichterische Ich eingangs also historisch bedeutsame Momente mit dem subjektiven Erleben (hier eher Erleiden) des Alltags zu diesen Zeitpunkten kontrastiert, sie (selbst-)ironisch bricht, stellt sich die Frage nach dem Verhältnis zwischen persönlicher und Zeit-Geschichte, welche Relevanz letzterer für die eigene Entwicklung zukommt und was es mit der Konditionierung, aber auch Zeitzeugenschaft auf sich hat. In der Gleichzeitigkeit und Überlagerung von Ereignissen auf den verschiedensten Ebenen, in der Mittelbarkeit ihrer Wahrnehmung.

Etliche Texte werden von Reminiszenzen an die Kindheit bestimmt, an die Eltern, Großeltern, das zurückliegende Leben, und können als eine Art vorgezogene Bilanz gelesen werden, nicht ohne Spott (z.B. S. 42 „Älter werden“), aber von einer Grundstimmung der Akzeptanz, auch im Hinblick auf das eigene Altern, von einer gewissen Nachgiebigkeit diesem Prozess gegenüber (S. 43/44) aufgefangen. In folgendem Beispiel spiegelt sich diese Gestimmtheit sehr deutlich wider:

Abschied

Als die Wohnung meines toten Vaters
leer war
und fremd
abgenommen
mir
sah ich noch einmal aus dem Fenster.
Da flog ein Reiher über Marzahn
kein Symbol, kein Bild, keine Metapher
nur ein großer schöner Vogel
der mein Herz erfreute.

(S. 41)


Und anhand dieses Textes wird auch erfahrbar, wie unprätentiös Adloff mit Bildern umgeht, sie poetischer Weise lesbar macht, denn natürlich funktioniert der Reiher, dessen Flug das dichterische Ich beobachtet, als Bild, als Metapher – Ablösung, Erlösung schwingen hier mit, wie auch im Zeilenumbruch des „abgenommen/ mir“.

Oft sind es die kleinen Begebenheiten und Geschichten des Alltags, in denen sich atmosphärisch die „großen“ Themen widerspiegeln, aus denen er seinen Stoff gewinnt. Wie etwa die Geschichte von jener alten Frau, die mehrmals am Tage mit ihrem Wecker auf die Straße läuft, um von Passanten die Zeit zu erfragen und eines Tages abgeholt wird (S. 10). Oder die Szene, in der ein Angetrunkener in der S-Bahn mit einer Bierflasche am Ohr telefoniert und so all den unabkömmlich sich Dünkenden den Spiegel vorhält (S. 20).

Großartig das Langgedicht „Berlin“, das so etwas wie das innere Zentrum des Bandes darstellt. In diesem über drei Seiten gehenden Text gerät dem mehr oder weniger den Verhältnissen willfahrenden Ich gelegentlich einer Busfahrt von Spindlersfeld nach Neukölln, einer S-Bahnfahrt  von Mitte nach Spandau oder Grunewald in den Blick, was als symptomatischer Ausdruck spätkapitalistischer Macht- wie Marktverhältnisse erachtet werden kann: Üppige Villen und Partys, auf denen die feiern/ und sich feiern lassen/ die eins ums andere /an die Wand fahren. (S. 17) Und zum anderen (wie auch anderswo im Band) Charaktere, deren Leben von Vereinsamung geprägt ist, ins Leere gehenden Gesten. Eindrücklich vermag Adloff die Illusionslosigkeit zu beschreiben, den erfahrenen Bedeutungsverlust jener, die zu den Verlierern in dieser Gesellschaft gehören, und dies mit spürbarer Empathie (S. 16 ff., S.20). Es sind Gestalten, die dennoch eigensinnig sich behaupten in einer Gegenwart, wo der Markt alles regelt, jenes Phantom/ das sich nicht zeigt, und manches Detail erscheint dabei skurril, surreal. Der Desillusionierung wohnt eine Trauer inne, ob des Verlusts an Leichtigkeit und des Gefühls von Unendlichkeit, doch: wenn man unsterblich ist/ geht alles viel zu leicht (S. 11). In einer sehr pointierten Art und Weise (was jedoch nicht damit gleichzusetzen ist, auf eine Pointe hin zu arbeiten), generiert er Perspektivwechsel und Weiterungen im Text, greift dabei gelegentlich stehende Redewendungen auf, deren Sinn er mittels geringer Abwandlungen eine gänzlich andere Richtung verleiht. Methoden, die konstitutiv für Adloffs Texte sind, schon in „Fortgang“ finden sich solche Sachen.


Im Februar 2016


Gerd Adloff: zwischen Geschichte und September. Mit Grafiken von Horst Hussel. Berlin (Corvinus Presse) 2015. 180 vom Autor signierte Exemplare zu je 20,00 Euro.

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