Georg Trakl: Untergang (4. Fassung)
Georg Trakl
Untergang, 4. Fassung 
Unter den dunklen Bogen unserer Schwermut 
Spielen am Abend die Schatten verstorbener Engel. 
Über den weißen Weiher 
Sind die wilden Vögel fortgezogen. 
Träumend unter Silberweiden 
Kosen unsere Wangen vergilbte Sterne, 
Beugt sich die Stirne vergangener Nächte herein. 
Immer starrt uns das Antlitz unserer weißen Gräber an. 
Leise verfallen die Lüfte am einsamen Hügel, 
Die kahlen Mauern des herbstlichen Hains. 
Unter Dornenbogen 
O mein Bruder steigen wir blinde Zeiger gen Mitternacht. 
Zum Vergleich:
(Untergang) 1. Fassung 
Am Abend, wenn wir durch goldene Sommer nach Hause gehn 
Sind die Schatten froher Heiliger mit uns. 
Sanfter grünen die Reben rings, vergilbt das Korn 
O mein Bruder, welche Ruh ist in der Welt. 
Umschlungen tauchen wir in blaue Wasser, 
Die dunkle Grotte männlicher Schwermut 
Auf dürren Pfaden kreuzen die Wege Verwester sich, 
Wir aber ruhn Beseligte im Sonnenuntergang. 
Friede, wo die Farben des Herbstes leuchten 
Zu Häupten rauscht der Nußbaum unsre alten Vergangenheiten 
(Untergang) 2. Fassung 
Wenn wir durch goldene Sommer nach Hause gehn 
Sind die Schatten froher Heiliger um uns. 
Sanfter grünen die Reben rings, vergilbt das Korn 
O mein Bruder, welche Stille ist in der Welt 
Zu Häupten rauscht der Ahorn unsere alten Vergangenheiten 
Weht uns die Kühle blauer Wasser an, 
Die dunklen Spiegel männlicher Schwermut 
O mein Bruder, reift die Süße des Abends heran 
Leise tönen die Lüfte am einsamen Hügel 
Starb vor Zeiten 
Dädalus' Geist in rosigen Seufzern hin
O mein Bruder, verwandelt sich dunkel die Landschaft der Seele
(Untergang) 3. Fassung 
Wenn wir durch unserer Sommer purpurnes Dunkel gehn 
Treten die Schatten trauriger Mönche vor uns. 
Schmächtiger glühen die Reben rings, vergilbt das Korn. 
O mein Bruder, welche Stille ist in der Welt. 
Zu Häupten rauscht die Eiche unsre alten Vergangenheiten 
Weht uns das Antlitz steinerner Wasser an, 
Die runde Grotte männlicher Schwermut, 
O mein Bruder reifen schwarze Rosenkranznächte herein. 
Vergangener tönen die Lüfte am einsamen Hügel, 
Eines Liebenden trunkenes Saitenspiel. 
Unter Dornenbogen 
O mein Bruder steigen wir blinde Zeiger gen Mitternacht 
(Aus dem Nachlass)
 
 
