Georg Trakl: Dichtungen und Briefe
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Jan Kuhlbrodt
Georg Trakl: Dichtungen und Briefe. Herausgegeben von Hans
Weichselbaum. Salzburg (Otto Müller Vertrag) 2020. 600 Seiten. 39,00 Euro.
Zu Georg Trakl: Dichtungen und Briefe.
Vor etwa 50 Jahren erschien die letzte kritische
Traklausgabe. Auch sie war mit Dichtungen und Briefe betitelt, sie war zweibändig,
sie ist lange vergriffen. Antiquarisch war und ist sie zu horrenden Preisen zu
haben, eine Sache, um die ich immer herumgeschlichen bin. Allerdings zog ich
mich aus verschiedenen Gründen auf die Reclamausgabe zurück, einen Schuber, der
neben einer umfangreichen Auswahl auch einen brillanten Essay von Franz Fühmann
enthält und der in den Achtzigern des vergangenen Jahrhunderts meine erste
Begegnung mit Trakls Gedichten gewesen ist. Zumindest seitdem begleiten mich
diese Dichtungen, und wenn ich mich im Bekanntenkreis umhöre, nicht nur mich.
Es scheint so zu sein, als hätten diese Texte eine Qualität, die immer wieder
von neuem einen enormen Rezeptionshorizont aufreißt und die immer wieder neue,
nachwachsende Leserschichten erschließt.
Es mag daran liegen, dass die Texte an einer Zeitschwelle
entstanden sind, in einem Moment als das zwanzigste Jahrhundert sich im ersten
Weltkrieg entlädt, kaum dass es angebrochen ist. Und letztlich begibt sich
Europa in jenen langen Gärungsprozess, dem es seine heutige Gestalt verdankt.
Aber zu diesem Zeitpunkt schrieben viele, und viele vor allem sind älter
geworden und haben, im Gegensatz zu Trakl, diese erste Gärung überlebt. Trakl,
der aber stirbt gleich, am Anfang des Krieges, nach der Schlacht bei Gródek, in
der er als Sanitätsarzt das Sterben der Soldaten unmittelbar vor Augen hatte
und seine Hilfe aufgrund mangelnder Ausstattung eher ein hilfloses Unterfangen
war. Er wurde zwar zunächst noch von Kameraden davon abgehalten, sich zu
erschießen, erlag dann aber einer Überdosis Kokain.
Vielleicht ist die Eindringlichkeit Traklscher Texte auch
durch eine Art melancholischer Vorwegnahme der Zeit zu erklären. Der Umbruch
als Ahnung. Und vielleicht kommt er gerade dadurch dem gegenwärtigen Leser so
nahe.
Einen seiner letzten Briefe schreibt Trakl Anfang Oktober
1914 an den Architekten Adolf Loos und bittet ihn, Karl Kraus zu grüßen.
Vielleicht auch das ein Indiz für die sich in Trakls Dichtwerk ausdrückende
Genese. Adolf Loos, der versuchte, das rein Ornamentale aus der Architekt zu
verbannen und damit einerseits die Basis für das Schöne im an sich nüchternen
Bauhausstil legte, öffnete letztlich auch einer Architektur die Bühne, die sich
von Platten-bauwüsten ausdrückt. Das findet sich zwar nicht explizit in Trakls
Texten, aber ich meine, als Ahnung ist es durchaus da. Und die Landschaft ist
zuweilen schon irritiert durch die wachsende Industrie.
In den Texten der Sammlung Richard Buhlig, die Marty Bax im Archiv der California State University
Long Beach bei Recherchen entdeckt hat, findet sich ein Gedicht mit dem Titel
„Die Elenden“. Die vierte von fünf Strophen lautet.
Lichtinseln, flimmernd von Puls- und Hammerschlag,Oh gelbe Flamme, die das Mark verzehrt!Aufruhr und Grau'n in dumpfe Herzen fährt.Im Dunst von Schweiß und Blut verschwimmt der Tag.
Diese Darstellung der Industriearbeit scheint etwas von der
Kriegsbeobachtung vorwegzunehmen.
Und natürlich ist das nur ein Aspekt des Dichtwerks. In der
Grundierung der Texte, vor allem den wenigen aber nichtsdestoweniger grandiosen
Prosaarbeiten, finden sich biblisch-religiöse Motive in expressiver Form. Auch
diese hatte ich bislang noch nicht in ihrer Eindringlichkeit erkannt, und diese
Erkenntnis wird mir durch diese Ausgabe ermöglicht.
Wir wissen viel vom Sterben der vor uns Gestorbenen. Nicht
alles natürlich, doch wir kennen die Daten. Was wir an Hinterlassenem finden,
kommt in die Tüte, die wir mit Nachlass beschriften.
Bei Trakl findet sich darin auch ein Gedicht: Hölderlin.
Es zeugt und zeigt uns vom Wissen eines Nachgeborenen,
dessen Nachgeborene wiederum wir sind.
…In seiner Schönheit Glanz und TrauerVon Wahnsinn, den ein schöner SchauerAm Abend durch die Kräuter flüstert.