Galina Rymbu: Schreibt!
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Galina Rymbu
übersetzt von Julia Grinberg und Steffen Kurz
Schreibt: „Wir brannten eure Dörfer nieder“ /
Wir warfen Bomben auf eure Städte, Siedlungen und Dörfer.
Schreibt. Wir haben die Gebliebenen vernichtet
und dann
bedeckten wir die klaffende Lücke des Theaters der Stadt, deren Namen wir nicht zu
nennen wagen, mit unserem Schreiben.
Schreibt. Nun ist es ein neues Theater und wir sind Akteure drin –
mit dem Computer auf der Couch sitzend auf Küchenpartys auseinanderfallend ...
Schreibt: Die Aufschrift „Kinder“ ( ) hat uns erregt.
Schreibt. Wir verbrannten eure Tiere bei lebendigem Leib
wir verbrannten und aßen sie und wurden zu ihnen
Schreibt: Hier ist die Parataxe des FAB-500* und die Glossolalie des „Kinzhals“
die experimentelle Syntax von Schießanlagen nun ist es allein
unseres Schreiben
Schreib`: War es ein Massaker? ich kann mich nicht entscheiden ich
kann mich nicht erinnern
Schreibt: Wir schrieben über Ihr Leiden, als würden wir leiden, während wir Ihre
Schriftsteller töteten – wir. Und wir genossen es.
Wir gingen zu anderen Völkern und sagten: Wir sind die Opfer. Und sie glaubten uns.
Schreib’: Ich traue weder meinen noch deinen Tränen.
Schreib’: In der Ukraine benutzten wir Phosphor und Folter.
Schreib’: Die Besten unserer Völker waren machtlos. Doch zuerst
haben wir innerlich wild nach Gut und Böse sortiert (bloß
waren wir machtlos – wir alle?)
Schreib’: „Ich fürchte mich vor dem Zerfall
unseres Körpers des schrecklichen/liebsten Staats“ (der nie nur ein „Land“ war).
Schreib’: Ich kenne die Namen der Kinder nicht ich kann nicht alles verfolgen
es sind zu viele, um sich alle zu merken.
Schreibt: Wir sind die, die die Namen nicht kennen.
Schreibt: Wir waren auch dort wahnhafte Siegesparaden
versetzten uns in unseren einzigartigen „Großen Vaterländischen Krieg“
mit neuem Inhalt gefüllt wir trugen Pappkartons mit unseren Toten
wir standen schunkelnd zum Geklirre der Musikinstrumente,
es gab uns die Super-Wahrheit und Super-Kräfte und wir genossen es
Schreibt: Aus unseren Kindern ( ) haben wir Mörder ( )
Schreibt: Wir sind Völker und wir sind „ein Volk“ (auch gegen unseren Willen)
wir taten es alle
Schreibt: Wir können nicht offen schreiben, also schreibt der Mann mit den Kugeln
für uns, der die Autobahn nach Schytomyr überbewacht.
... Und dann haben wir eure Häuser überflutet.
Wir hatten kein Jod und keine Tourniquets* dabei und deshalb sind wir –
ein anderes, friedliches Schreiben, über Gewaltlosigkeit, mit klarer Stimme.
( )
Das alles ( ) nicht nur einmal und trotzdem ( ) schrieben weiter über das Andere
( )
Schreib’: Mein Schreiben ist Folterkammer
Raketenwerfer 2022 in einer Sommernacht Ich schreibe.
* Fliegerbombe
* Abbindesystem zur Blutstillung
Galina Rymbu wurde 1990 in Omsk (Sibirien) geboren, studierte am Maxim-Gorki-Literaturinstitut in Moskau und an der Europäischen Universität St. Petersburg. Seit 2018 lebt sie in Lwiw (Ukraine) und begann ihre feministische Schreibinitiative F-Writing (Ф-письмо) und ein Online-Magazin gleichen Namens und kuratierte den Arkadyi Dragomoshchenko’s Poetry Prize (für experimentelle russischsprachige Dichtung für unter 27-Jährige.) Ihre Gedichte sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt und ihre Bücher in Schweden, Lettland, Ukraine, Frankreich, Norwegen, USA, Griechenland und den Niederlanden verlegt.
Auf Russisch sind erschienen:
Ты — будущее (Центрифуга, 2020)
Жизнь в пространстве (Новое литературное обозрение, 2018)
Время земли (kntxt, 2018)
Передвижное пространство переворота (Арго-риск, 2014)
Auf Englisch:
Live in Space (Ugly Duckling Press, After Hours LTD, 2020)
White Bread (After Hours LTD, 2016)
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