Gabriele Klein: Pina Bausch und das Tanztheater
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Jan Kuhlbrodt
Gabriele Klein: Pina Bausch und das Tanztheater. Die Kunst
des Übersetzens. Bielefeld ([transcript] Verlag) 2019. 448 Seiten. 34,99 Euro.
Zu Gabriele Kleins Buch über Pina Bausch
Die Jahrestage stapeln sich in diesem Jahr. Am 27. Juli wäre
die legendäre Choreografin und Leiterin des Tanztheaters Wuppertal, Pina
Bausch, achtzig Jahre alt geworden. Sie verstarb 2009. Im Verlag [transcript]
ist nun ein umfangreiches und absolut lesenswertes Buch erschienen unter dem
zunächst vielleicht irritierenden, bei näherem Hinschauen aber vollkommen einleuchtenden
Titel: Pina Bausch und das Tanztheater – Die Kunst des Übersetzens.
Im Wort Übersetzen verbirgt sich vielleicht so etwas wie
eine absolute Metapher nach Blumenberg. Wir benutzen es gewissermaßen blind für
die Übertragung von Wörtern und Texten aus einer anderen Sprache und für das Wechseln
der Ufer eines Gewässers mit Hilfe eines Bootes oder Floßes. Das Setzen, die
Bewegung selbst, verschwindet im Wortgebrauch. Novalis aber schon merkte in diesem
Sinne an, dass alle Kunst Übersetzen sei. Das Wort erfährt hier eine kolossale Erweiterung, die seinen Gehalt jedoch nicht
verwässert.
Mit kurzem Nachdenken und bei der
Lektüre des Buches über Pina Bausch hat man dann unmittelbar die Vermutung,
dass es genau hier, genau in dieser Arbeit, die geschildert wird, an der
richtigen Stelle ist. Verlag und Autorin nennen die Vorgehensweise des Textes
eine Praxeologie des kulturellen und ästhetischen Übersetzens. Die Praxeologie
ist eine soziologische und philosophische Sozial- und Kulturtheorie, die das
Soziale als vom Körper ausgeführte Praktiken versteht.
Das klingt jetzt alles sehr theoretisch, aber es ist gewissermaßen nur die Basis eines äußerst spannend zu lesenden und informativen Buches über die Geschichte des Wuppertaler Tanztheaters unter der Leitung Pina Bauschs, aber auch der Entwicklung der Tänzerin und Choreografin selbst. In sechs Abschnitten, gerahmt natürlich von einer Einleitung und einem Schluss, geht Gabriele Klein den verschiedenen Momenten des Geschehens von der Erarbei-tung der Stücke bis zu deren Rezeption und der Tanztheorie nach, immer auch eingebettet in die nationalen und internationalen Tendenzen künstlerischer Entwicklung und auch den globalen und lokalen politischen Verschiebungen. Politische Verschiebungen und Verwicklungen, die sich auch im Kleinen auf Konstitution und Zusammensetzung der Truppe auswirken.
Im Kapitel „Compagnie – Das Ahnen
übersetzen“, wo einzelne wichtige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vorgestellt
werden, kommt das zum Tragen. Eindrücklich wird es zum Beispiel bei der
Kostümbildnerin Marion Cito, die sich, nachdem sie als Tänzerin der Staatsoper
Berlin die DDR, Richtung Westberlin, verlassen hat, Anfang in den Siebzigern
bei Bausch in Wuppertal anheuert, und dort zu einer ihrer engsten
Mitarbeiterinnen wird. Aufgrund gesundheitlicher Probleme kann sie selbst nicht
mehr tanzen und erschließt sich das Feld des Kostüms.
Spannend auch, dass die Herkunft,
im Sinne der Bedingungen des Aufwachsens, von Pina Bausch in den Blick genommen
wird, auch das nicht nur bezüglich eines rein biografischen Hintergrunds ihrer
Arbeit. Bausch ist 1940 in Solingen geboren und wächst dort auf. Als Kind
erlebt sie den Bombenkrieg und die vollkommene Zerstörung der Stadt, sie erlebt
aber auch das schnelle Wiederaufleben der Kultur unter amerikanischer
Besatzung. Solingen hatte bald nach Hamburg die zweitgrößte Theaterdichte in
Deutschland. Vor allem war es schnell wieder möglich an verschiedenen Studios
Tanzunterricht zu nehmen.
Neben diesen individuellen
biografischen Aspekten treten natürlich die der künstlerischen Entwicklung der
Zeit und die Pina Bauschs selbst besonders hervor. Im Kontext der Entwicklung
des Bühnentanzes an den Opernhäusern, die von einem klassischen Repertoire und
einem eingeführten Bewegungsmaterial geprägt war, vollzieht Bausch mit ihrer
Wuppertaler Compagnie wohl zumindest in Deutschland den radikalsten Bruch. Ihre
ersten Jahre sind dann auch von Verrissen und Anfeindungen in der Presse
geprägt, und ein Großteil der Tänzerinnen und Tänzer verlässt das Ensemble.
Letzteres führte aber auch zur Möglichkeit, ein neues Ensemble von Mitstreitern
zusammenzustellen, mit dem man unter weitgehend demokratischen Bedingungen an
einer Neuformierung des Tanzes arbeiten konnte.
Bausch interpretiert das
klassische Material neu, zum Beispiel das wohl berühmteste Tanzstück des
vergangenen Jahrhunderts: Strawinskys „Le sacre du printemps“, und entwickelt
eigene Stücke, die im Buch beschrieben werden. Einiges davon findet sich auf
der Videoplattform youtube.
Die Autorin des Buches Gabriele
Klein ist Professorin für Soziologie von Bewegung Sport und Tanz und
Performance Studies an der Universität Hamburg, und setzt Pina Bausch mit
diesem Buch nicht nur ein Denkmal, sondern etabliert Tanzgeschichte in der
Sozialgeschichte des jüngst vergangenen Jahrhunderts.
Im Buch finden sich darüber hinaus
mehrere Fotostrecken, die das Dargestellte nicht nur unterstreichen und illustrieren,
sondern darüber hinaus z.B. in der Konfrontation von Straßenszene und
Bühnenszenerie eigene Perspektiven eröffnen.