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Fríða Ísberg: Lederjackenwetter

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Stefan Hölscher

Fríða Ísberg: Lederjackenwetter. Gedichte. Isländisch/deutsch. Übertragen von Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer. Nettetal (ELIF Verlag) 2021. 92 Seiten. 18,00 Euro.

Verwundende Welt


Das Erleben eines Buches, wie das einer Lederjacke, beginnt mit dem Blick auf das Äußere, das einen mehr oder weniger anspricht / anmacht und eine mehr oder weniger große Lust erzeugt, da mal reinzuschlüpfen und zu schauen, wie man sich damit so fühlt. Das Cover des im Elif Verlag jüngst zweisprachig erschienenen Gedichtbands „Lederjackenwetter“ von Fríða Ísberg hat mich auf Anhieb angeturnt, meinen Blick magnetisiert. Das Cover zeigt sich in tiefem Schwarz, auf dem in unregelmäßiger Verteilung kleine Aufhellungen hervorschimmern, wie abgewetzte Stellen auf einer schwarzen Lederjacke oder wie ein feucht-undurchsichtiger Nachthimmel, unter dem man eine solche Jacke tragen kann, um sich nicht allzu sehr dem unwirtlichen Wetter auszusetzen. Die Schrift, die Betrachtenden den Titel des Buches, den Namen der Autorin und das Genre vorstellt, ist umgekehrt zum Hintergrund in ein mattes Weiß mit schwarzen Durchfleckungen gesetzt. Darunter ein rot-hellbraun leuchtendes wie Regentropfen tragendes Blatt, das die ganze dunkle Szenerie schlagartig mit Licht und Leben erfüllt und mit diesen sinnlichen Kontrasten den Betrachter / die Betrachterin einlädt, reinzuschlüpfen in die Lektüre des Buches, fast wie in ein nicht nur den Blick für sich einnehmendes Kleidungsstück. Ein Kleidungsstück von hoher Verarbeitungsqualität.

Das von den beiden profunden Kennern isländischer Literatur, Jón Thor Gíslason und Wolfgang Schiffer übersetzte Buch zeigt auf jeder Seite schon durch seine Gestaltung Liebe und Respekt gegenüber jedem Detail des sich hier auftuenden poetischen Kosmos. Was das Buch dabei so ganz nebenbei für die gesamte Gattung, zu der es gehört, auch bezeugt, ist; dass es als physisches, als haptisch-visuelles Produkt 1000mal schöner, stärker, verführerischer ist als jede Form eines virtuellen Gebildes an seiner Stelle sein könnte.

So elementar sinnlich wie die äußere Erscheinung des „Lederjackenwetters“ einem entgegentritt, so treten auch die darin in drei Kapiteln mit den schlichten Titeln „1. pers., 2. pers., Wir“ versammelten Gedichte der 1992 geborenen Fríða Ísberg hervor. Es sind Gedichte, die ganz unverstellt, ganz unprätentiös, und fast möchte man sagen, angesichts einer Art von Diktum in der Gegenwartspoesie eher über Quallen und Gestein als – und schon gar nicht direkt – über Gefühle zu sprechen, genau das tun. Fríða Ísbergs Texte sprechen von Gefühlen. Sie sprechen von Empfindsamkeit, Empfindlich-keit, Verletzbarkeit, Verwundung auch, und sie sprechen von Jacken, die man als Schicht darüber trägt wie eine Haut über der Haut, wie eine Haut, die Schutz verleiht, die aber auch wie ein Gewicht an einem zu hängen droht:

Zweischneidig

es war mitten zwischen winter und frühling
als alles zweieiig wurde

nicht zweischneidig
wie bei einem schwert

sondern zweieiig
wie bei geschwistern
       
ich ließ ein paar buchstaben
wie einen geldbeutel im autobus liegen

das geschah versehentlich

ich wollte sagen
dass die lederjacke ihre vor- und nachteile hat

dass eine zusätzliche haut ein schutz ist
der zu dick werden könnte
zu schwer

ich aber habe
die lederjacke geklont
und mir eine weitere schicht übergezogen.

Fríða Ísbergs Gedichte sind stark und mutig darin, wie klar, wie scheinbar einfach gestrickt und zugänglich sie sind. Sie sind in hohem Maße familienähnlich in ihrem Ton, ihrem Duktus, ihrer Bildlichkeit. Bilder wie das der Garderobe, der Lederjacke oder des Spiegels kehren in den sie umspielenden Texten immer wieder und geben der Sammlung der Gedichte insgesamt ein hohes Maß an Zusammenhalt. In ihrer direkten und durchaus schlichten (nicht kitschigen!) Bildlichkeit berühren die Texte, haben allerdings genau darin auch die Schattenseite, dass sie das, was Poesie ja auch kann, nämlich den Blick ungeahnt zu verschieben, irritieren, verstören nur in recht geringem Maße tun. Sie laden uns ein, eine Landschaft, die immer zugleich eine innere wie äußere ist, in durchaus rauem Wetter zu erkunden, die Jacke dabei anzuhaben und ihre Funktion zugleich auch in Frage zu stellen:  

Satzzeichen

es ist ein leichtes spiel
für ein fragezeichen

unter eine lederjacke
aus schwarzen punkten zu schlüpfen

Wie fest ist die Jacke eigentlich? Wie undurchlässig ist sie wirklich? Wie notwendig ist sie auch? Solche Fragen könnten plötzlich entstehen, verbunden mit einer Hoffnung, dass diese Art von Schutz vielleicht auch etwas ist, was sich zugunsten eines anderen aufgeben lässt:

gib mir eine jacke anderer art
eine andere art von schutz
vertrauen

Man kann die Gedichte von Fríða Ísberg auch wie verkappte Liebesgedichte lesen: Gedichte über die Liebe zu einer verwundend wundersamen Welt.


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